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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.

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Gefährdung der Deutschen im Südslawenswat

unzuverlässigen, treulosen, jäh aufbrausenden Nation zu halten war, daß vor
allem auf Dankbarkeit für die Befreiung von Rußland und Heeresfolge gegen
dieses bei ihr nicht zu rechnen war. Hier hat die an sich achtbare aber gänzlich
unpolitische Art des Deutschen, der stets geneigt ist, die eigenen Pflicht- und
Anstandsbegriffe auch bei anderen Völkern vorauszusetzen, uns einen bösen Streich
gespielt, an dessen Nachwirkung wir jetzt schwer zu leiden haben. Wir hätten
füglich wissen können, ja wissen müssen, daß das Herz der Polen für Frankreich
und die Entente schlug, daß die innere Feindschaft gegen alles Deutsche bei den
Polen weit größer war als der Haß gegen die Moskowiter. Statt diesem Volke
zu vertrauen, hätten wir auf daS Schlimmste von ihm gefaßt sein müssen, vor
allem bei Ausgang des Krieges uns ihm gegenüber nicht wehrlos machen
dürfen. Deutsche Ideologie hat hier eine ihrer schlimmsten Sünden begangen.

Im Kriege zeigen sich die einzelnen wie die ganzen Völker in Wahrheit
als das was sie sind, zumal in einem Kriege wie dem, der jetzt hinter uns liegt,
da er die gesamten Völker Europas in Mitleidenschaft zog. Daraus gilt es die
Lehren zu ziehen. Leider sind diese von manchen bereits vergessen worden. Wir
träumen allzufrüh bereits wieder von Völkerversöhnung trotz des handgreiflichsten
Beweises des Gegenteils. Wir übersehen zugleich, daß auch dieser Krieg und was
ihm folgte, dem alten Ranke nur allzusehr recht gegeben hat, wenn er sagt: "Wollte
sich doch nie ein Fürst, ein Staat einbilden, daß ihm etwas zugute kommen
könne, was er sich nicht selbst verdankt, was er nicht mit eigenen Kräften er-
worben hat!"




Gefährdung der Deutschen im ^üdslawenstaat und die
deutsch-südslawischen Beziehungen
Prof. Dr. R. F. Raindl von

last eine Million Deutsche, etwa der dreizehnte Teil der Bevölkerung,
sind in Jugoslawien durch Verweigerung des Wahlrechtes
entrechtet worden. Ohne ihr Zutun ist die Agrarreform be¬
schlossen worden und rücksichtslos, ohne daß sie sich mit Erfolg
wehren können, wird sie seit 1919 durchgeführt.'

Schwäbischen Bauern, die hundertfünfzig bis dreihundert Joch besaßen und
den Boden selbst bestellten, nahm man bedeutende Teile ihres Besitzes und ver¬
teilte ihn an Serben aus Bosnien, Dalmatien und Mazedonien, die sich nie in
ihrem Leben mit Landwirtschaft befaßt hatten, und vor allem mit der durch die
Schwaben eingeführten Bodenbewirtschaftung nicht vertraut sind. In den meisten


Gefährdung der Deutschen im Südslawenswat

unzuverlässigen, treulosen, jäh aufbrausenden Nation zu halten war, daß vor
allem auf Dankbarkeit für die Befreiung von Rußland und Heeresfolge gegen
dieses bei ihr nicht zu rechnen war. Hier hat die an sich achtbare aber gänzlich
unpolitische Art des Deutschen, der stets geneigt ist, die eigenen Pflicht- und
Anstandsbegriffe auch bei anderen Völkern vorauszusetzen, uns einen bösen Streich
gespielt, an dessen Nachwirkung wir jetzt schwer zu leiden haben. Wir hätten
füglich wissen können, ja wissen müssen, daß das Herz der Polen für Frankreich
und die Entente schlug, daß die innere Feindschaft gegen alles Deutsche bei den
Polen weit größer war als der Haß gegen die Moskowiter. Statt diesem Volke
zu vertrauen, hätten wir auf daS Schlimmste von ihm gefaßt sein müssen, vor
allem bei Ausgang des Krieges uns ihm gegenüber nicht wehrlos machen
dürfen. Deutsche Ideologie hat hier eine ihrer schlimmsten Sünden begangen.

Im Kriege zeigen sich die einzelnen wie die ganzen Völker in Wahrheit
als das was sie sind, zumal in einem Kriege wie dem, der jetzt hinter uns liegt,
da er die gesamten Völker Europas in Mitleidenschaft zog. Daraus gilt es die
Lehren zu ziehen. Leider sind diese von manchen bereits vergessen worden. Wir
träumen allzufrüh bereits wieder von Völkerversöhnung trotz des handgreiflichsten
Beweises des Gegenteils. Wir übersehen zugleich, daß auch dieser Krieg und was
ihm folgte, dem alten Ranke nur allzusehr recht gegeben hat, wenn er sagt: „Wollte
sich doch nie ein Fürst, ein Staat einbilden, daß ihm etwas zugute kommen
könne, was er sich nicht selbst verdankt, was er nicht mit eigenen Kräften er-
worben hat!"




Gefährdung der Deutschen im ^üdslawenstaat und die
deutsch-südslawischen Beziehungen
Prof. Dr. R. F. Raindl von

last eine Million Deutsche, etwa der dreizehnte Teil der Bevölkerung,
sind in Jugoslawien durch Verweigerung des Wahlrechtes
entrechtet worden. Ohne ihr Zutun ist die Agrarreform be¬
schlossen worden und rücksichtslos, ohne daß sie sich mit Erfolg
wehren können, wird sie seit 1919 durchgeführt.'

Schwäbischen Bauern, die hundertfünfzig bis dreihundert Joch besaßen und
den Boden selbst bestellten, nahm man bedeutende Teile ihres Besitzes und ver¬
teilte ihn an Serben aus Bosnien, Dalmatien und Mazedonien, die sich nie in
ihrem Leben mit Landwirtschaft befaßt hatten, und vor allem mit der durch die
Schwaben eingeführten Bodenbewirtschaftung nicht vertraut sind. In den meisten


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[0372] Gefährdung der Deutschen im Südslawenswat unzuverlässigen, treulosen, jäh aufbrausenden Nation zu halten war, daß vor allem auf Dankbarkeit für die Befreiung von Rußland und Heeresfolge gegen dieses bei ihr nicht zu rechnen war. Hier hat die an sich achtbare aber gänzlich unpolitische Art des Deutschen, der stets geneigt ist, die eigenen Pflicht- und Anstandsbegriffe auch bei anderen Völkern vorauszusetzen, uns einen bösen Streich gespielt, an dessen Nachwirkung wir jetzt schwer zu leiden haben. Wir hätten füglich wissen können, ja wissen müssen, daß das Herz der Polen für Frankreich und die Entente schlug, daß die innere Feindschaft gegen alles Deutsche bei den Polen weit größer war als der Haß gegen die Moskowiter. Statt diesem Volke zu vertrauen, hätten wir auf daS Schlimmste von ihm gefaßt sein müssen, vor allem bei Ausgang des Krieges uns ihm gegenüber nicht wehrlos machen dürfen. Deutsche Ideologie hat hier eine ihrer schlimmsten Sünden begangen. Im Kriege zeigen sich die einzelnen wie die ganzen Völker in Wahrheit als das was sie sind, zumal in einem Kriege wie dem, der jetzt hinter uns liegt, da er die gesamten Völker Europas in Mitleidenschaft zog. Daraus gilt es die Lehren zu ziehen. Leider sind diese von manchen bereits vergessen worden. Wir träumen allzufrüh bereits wieder von Völkerversöhnung trotz des handgreiflichsten Beweises des Gegenteils. Wir übersehen zugleich, daß auch dieser Krieg und was ihm folgte, dem alten Ranke nur allzusehr recht gegeben hat, wenn er sagt: „Wollte sich doch nie ein Fürst, ein Staat einbilden, daß ihm etwas zugute kommen könne, was er sich nicht selbst verdankt, was er nicht mit eigenen Kräften er- worben hat!" Gefährdung der Deutschen im ^üdslawenstaat und die deutsch-südslawischen Beziehungen Prof. Dr. R. F. Raindl von last eine Million Deutsche, etwa der dreizehnte Teil der Bevölkerung, sind in Jugoslawien durch Verweigerung des Wahlrechtes entrechtet worden. Ohne ihr Zutun ist die Agrarreform be¬ schlossen worden und rücksichtslos, ohne daß sie sich mit Erfolg wehren können, wird sie seit 1919 durchgeführt.' Schwäbischen Bauern, die hundertfünfzig bis dreihundert Joch besaßen und den Boden selbst bestellten, nahm man bedeutende Teile ihres Besitzes und ver¬ teilte ihn an Serben aus Bosnien, Dalmatien und Mazedonien, die sich nie in ihrem Leben mit Landwirtschaft befaßt hatten, und vor allem mit der durch die Schwaben eingeführten Bodenbewirtschaftung nicht vertraut sind. In den meisten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148/372>, abgerufen am 22.12.2024.