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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.

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Altes und neues Heer

Die junge Truppe muß eine große Kraftprobe bestehen. Der Führer, dem
die Mannschaft gestern noch geschworen hatte, bei Annahme von Versailles die
Waffen niederzulegen, muß seine Leute umstimmen.

Offiziere wie Mannschaften sind gezwungen, charakterlos zu handeln. Dafür
hielten beide der Nevolutionsregierung, die über Nacht die Meinung wechselte,
die Treue, ohne jemals Aussicht auf Dank oder Anerkennung zu haben.

Schärfer betrachtet, werden die tüchtigen unter den Soldaten und die besten
der Freikorps nur durch die Anhänglichkeit an den Führer zusammengehalten.
Bei den militärisch schlechten Freikorps wird die Umstellung wesentlich durch die
Magenfrage erleichtert. Aber bei den meisten schafft es nur die Autorität des
Führers, hinter der die des Staates und der Regierung von nun ab noch weit
mehr als bisher verblassen. Wieder ist es die undankbare Aufgabe der Freikorps-
führer, wenn die jungen Offiziere und Mannschaften an raschen militärisch-
politischen Streichen gehindert werden.

Für das Offizierkorps bedeutet Versailles die dritte Charakterlosigkeit und
Uneinigkeit in seinen Reihen.

Eine objektive, historische Betrachtung muß das spezielle Verhalten des
kaiserlichen Offizierkorps von der überlieferten Auffassung und dem Standpunkt
dieser Gruppe aus beurteilen.

Die erste Charakterlosigkeit war der Unfall und der mangelnde Korpsgeist,
als sich am 9. November ein Teil des alten kaiserlichen Offizierkorps der Re¬
volutionsregierung und Republik zur Verfügung stellte (daß dieser Akt von vielen
als politisch klug angesehen werden konnte, beweist nur die Richtigkeit des Satzes:
Politik verdirbt den Charakter). Jedenfalls war das Offizierkorps am
9. November uneinig im Handeln und gab seinen militärpolitischen Einfluß auf.

Der zweite Unfall, die zweite Uneinigkeit war, als kaiserliche Offiziere im
Januar 1919 die Revolutionsregierung vor den neuen Revolutionären, den Sparta¬
kisten, retteten. Mit diesem Akt trat das Offizierkorps in engeren Konnex zur
Republik, in eine gegenseitige Abhängigkeit und legte die Grundlage dazu, sich
in der "Not des Vaterlandes" aus den "Boden der Tatsachen", die -- für einen
Charakter -- unglücklichste aller Formeln, zu stellen. Dabei ist die Auffassung
von der "Not des Vaterlandes" subjektiv, denn das Offizierkorps konnte nicht
wissen, ob eine (nur kurze Zeit mögliche) Spartakistenherrschaft und LandeZnot
nicht Deutschland für später Ruhe und späteren Aufstieg verheißen hätte an Stelle
andauernder Erschütterungen, die auch heute und künftig noch in Aussicht stehen.
Das Offizierkorps schlug keine einheitliche Taktik ein und gab seine militär¬
politische Macht auf.

Versailles wird zum dritten Unfall des Offizierkorps und führt im Augenblick
und für die nahe Zukunft zum Zerbrechen seiner Einigkeit, denn die Annahme
von Versailles wird für lange Zeit der Angelpunkt der trennenden politischen
Parteien.

Das Urteil über das Verhalten des Offizierkorps bei diesen drei Ent-
scheidungen wird die Geschichte und die deutsche Entwicklung sprechen.

5 Schon in naher Zukunft aber wird die Gestaltung der neuen Wehrmacht
zeigen, ob ein Offizierkorps, das dreimal seine ausgesprochene Natur -- Charakter-
stärke -- verleugnete, weil es glaubte, das Vaterland oder der sür die Zukunft


Altes und neues Heer

Die junge Truppe muß eine große Kraftprobe bestehen. Der Führer, dem
die Mannschaft gestern noch geschworen hatte, bei Annahme von Versailles die
Waffen niederzulegen, muß seine Leute umstimmen.

Offiziere wie Mannschaften sind gezwungen, charakterlos zu handeln. Dafür
hielten beide der Nevolutionsregierung, die über Nacht die Meinung wechselte,
die Treue, ohne jemals Aussicht auf Dank oder Anerkennung zu haben.

Schärfer betrachtet, werden die tüchtigen unter den Soldaten und die besten
der Freikorps nur durch die Anhänglichkeit an den Führer zusammengehalten.
Bei den militärisch schlechten Freikorps wird die Umstellung wesentlich durch die
Magenfrage erleichtert. Aber bei den meisten schafft es nur die Autorität des
Führers, hinter der die des Staates und der Regierung von nun ab noch weit
mehr als bisher verblassen. Wieder ist es die undankbare Aufgabe der Freikorps-
führer, wenn die jungen Offiziere und Mannschaften an raschen militärisch-
politischen Streichen gehindert werden.

Für das Offizierkorps bedeutet Versailles die dritte Charakterlosigkeit und
Uneinigkeit in seinen Reihen.

Eine objektive, historische Betrachtung muß das spezielle Verhalten des
kaiserlichen Offizierkorps von der überlieferten Auffassung und dem Standpunkt
dieser Gruppe aus beurteilen.

Die erste Charakterlosigkeit war der Unfall und der mangelnde Korpsgeist,
als sich am 9. November ein Teil des alten kaiserlichen Offizierkorps der Re¬
volutionsregierung und Republik zur Verfügung stellte (daß dieser Akt von vielen
als politisch klug angesehen werden konnte, beweist nur die Richtigkeit des Satzes:
Politik verdirbt den Charakter). Jedenfalls war das Offizierkorps am
9. November uneinig im Handeln und gab seinen militärpolitischen Einfluß auf.

Der zweite Unfall, die zweite Uneinigkeit war, als kaiserliche Offiziere im
Januar 1919 die Revolutionsregierung vor den neuen Revolutionären, den Sparta¬
kisten, retteten. Mit diesem Akt trat das Offizierkorps in engeren Konnex zur
Republik, in eine gegenseitige Abhängigkeit und legte die Grundlage dazu, sich
in der „Not des Vaterlandes" aus den „Boden der Tatsachen", die — für einen
Charakter — unglücklichste aller Formeln, zu stellen. Dabei ist die Auffassung
von der „Not des Vaterlandes" subjektiv, denn das Offizierkorps konnte nicht
wissen, ob eine (nur kurze Zeit mögliche) Spartakistenherrschaft und LandeZnot
nicht Deutschland für später Ruhe und späteren Aufstieg verheißen hätte an Stelle
andauernder Erschütterungen, die auch heute und künftig noch in Aussicht stehen.
Das Offizierkorps schlug keine einheitliche Taktik ein und gab seine militär¬
politische Macht auf.

Versailles wird zum dritten Unfall des Offizierkorps und führt im Augenblick
und für die nahe Zukunft zum Zerbrechen seiner Einigkeit, denn die Annahme
von Versailles wird für lange Zeit der Angelpunkt der trennenden politischen
Parteien.

Das Urteil über das Verhalten des Offizierkorps bei diesen drei Ent-
scheidungen wird die Geschichte und die deutsche Entwicklung sprechen.

5 Schon in naher Zukunft aber wird die Gestaltung der neuen Wehrmacht
zeigen, ob ein Offizierkorps, das dreimal seine ausgesprochene Natur — Charakter-
stärke — verleugnete, weil es glaubte, das Vaterland oder der sür die Zukunft


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[0325] Altes und neues Heer Die junge Truppe muß eine große Kraftprobe bestehen. Der Führer, dem die Mannschaft gestern noch geschworen hatte, bei Annahme von Versailles die Waffen niederzulegen, muß seine Leute umstimmen. Offiziere wie Mannschaften sind gezwungen, charakterlos zu handeln. Dafür hielten beide der Nevolutionsregierung, die über Nacht die Meinung wechselte, die Treue, ohne jemals Aussicht auf Dank oder Anerkennung zu haben. Schärfer betrachtet, werden die tüchtigen unter den Soldaten und die besten der Freikorps nur durch die Anhänglichkeit an den Führer zusammengehalten. Bei den militärisch schlechten Freikorps wird die Umstellung wesentlich durch die Magenfrage erleichtert. Aber bei den meisten schafft es nur die Autorität des Führers, hinter der die des Staates und der Regierung von nun ab noch weit mehr als bisher verblassen. Wieder ist es die undankbare Aufgabe der Freikorps- führer, wenn die jungen Offiziere und Mannschaften an raschen militärisch- politischen Streichen gehindert werden. Für das Offizierkorps bedeutet Versailles die dritte Charakterlosigkeit und Uneinigkeit in seinen Reihen. Eine objektive, historische Betrachtung muß das spezielle Verhalten des kaiserlichen Offizierkorps von der überlieferten Auffassung und dem Standpunkt dieser Gruppe aus beurteilen. Die erste Charakterlosigkeit war der Unfall und der mangelnde Korpsgeist, als sich am 9. November ein Teil des alten kaiserlichen Offizierkorps der Re¬ volutionsregierung und Republik zur Verfügung stellte (daß dieser Akt von vielen als politisch klug angesehen werden konnte, beweist nur die Richtigkeit des Satzes: Politik verdirbt den Charakter). Jedenfalls war das Offizierkorps am 9. November uneinig im Handeln und gab seinen militärpolitischen Einfluß auf. Der zweite Unfall, die zweite Uneinigkeit war, als kaiserliche Offiziere im Januar 1919 die Revolutionsregierung vor den neuen Revolutionären, den Sparta¬ kisten, retteten. Mit diesem Akt trat das Offizierkorps in engeren Konnex zur Republik, in eine gegenseitige Abhängigkeit und legte die Grundlage dazu, sich in der „Not des Vaterlandes" aus den „Boden der Tatsachen", die — für einen Charakter — unglücklichste aller Formeln, zu stellen. Dabei ist die Auffassung von der „Not des Vaterlandes" subjektiv, denn das Offizierkorps konnte nicht wissen, ob eine (nur kurze Zeit mögliche) Spartakistenherrschaft und LandeZnot nicht Deutschland für später Ruhe und späteren Aufstieg verheißen hätte an Stelle andauernder Erschütterungen, die auch heute und künftig noch in Aussicht stehen. Das Offizierkorps schlug keine einheitliche Taktik ein und gab seine militär¬ politische Macht auf. Versailles wird zum dritten Unfall des Offizierkorps und führt im Augenblick und für die nahe Zukunft zum Zerbrechen seiner Einigkeit, denn die Annahme von Versailles wird für lange Zeit der Angelpunkt der trennenden politischen Parteien. Das Urteil über das Verhalten des Offizierkorps bei diesen drei Ent- scheidungen wird die Geschichte und die deutsche Entwicklung sprechen. 5 Schon in naher Zukunft aber wird die Gestaltung der neuen Wehrmacht zeigen, ob ein Offizierkorps, das dreimal seine ausgesprochene Natur — Charakter- stärke — verleugnete, weil es glaubte, das Vaterland oder der sür die Zukunft

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148/325>, abgerufen am 04.07.2024.