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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.

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Altes und neues Heer

Londoner Ultimatums und Oberschlesiens noch einmal verstohlen erwogen wird,
stehen die zwei Millionen Grenzschutz, Freikorps, Baltikumtruppm, auflösenden
Verbände und Einwohnerwehren, die schwere Artillerie, die Panzerwagen, der
Fliegerpark und die riesigen Waffenvorräte des Jahres 19l9 nicht mehr zur
Verfügung.

Auch die in Kurland stehenden Truppen find empört über die Annahme
des Friedensvertrages. Die Eiserne Division unter Major Bischoff und andere
(weniger landsknechthaftige) Truppenteile sind bereit, in Ostpreußen einzu¬
marschieren und das äußere Zeichen zum Nationalaufstand zu geben. Diese
Aorktat unterbleibt. Noch sind die Beweggründe unbekannt.

Wohl liegen zwischen 1806 und 1813 sieben Jahre. Von 1913 bis 1919
aber nur ein Jahr, in dem die innere Widerstandskraft des Volkes noch nicht
hat gesunden können. Deshalb wäre die geistige Tatkraft eines Kampfes schwach
gewesen.

Militärisch aber spricht alles für den Widerstand im Jahre 1919. Während
nach 1806 die ersten Friedensjahre die militärisch ungünstigsten waren, liegt es
dank der klugerdachten militärischen Bestimmungen des Versailler Vertrages um¬
gekehrt.

Mit der Annahme der Versailler Bedingungen findet auch der Plan des
Grafen von der Goltz, Kurland zum Ausgangspunkt einer internationalen Front
und Offensive gegen den Bolschewismus zu machen -- nebenher dadurch in
Deutschland den Bolschewismus zu entwurzeln -- und vor allem die Absicht,
Deutschland weite politische, wirtschaftliche und bevölkerungspolitische Möglich¬
keiten zu eröffnen, ein Ende.

Das Kurlandunternehmen bleibt auf diese Weise ein Versuch, großzügige
deutsche Außenpolitik zu einer Zeit zu führen, wo sich die Augen der deutschen
Regierenden und des deutschen Volkes ausschließlich auf die Innenpolitik richten,
ja mit der Außenpolitik parteipolitische Geschäfte und Propaganda treiben und
in ihr Hilfsmittel innerpolitischer Wünsche -- Entwaffnung -- sehen. Zu einer
Zeit, wo -- im Gegensatz zu den außer Landes stehenden, freier atmenden Truppen
des Grafen von der Goltz -- in Deutschland alles unter dem hängenden Schwert
von Versailles steht und wo unier dieser Depression nicht der Mut und die
Initiative zu aktiver, offensiver Außenpolitik gefunden wird.

Versailles und Kurland sind die letzten krampfhaften Versuche deutscher
Militärpolitik und werden zu ihr ein Ausklang, nicht sowohl wegen der tat¬
sächlichen Schwierigkeiten, sondern infolge der Charakterlosigkeit und Uneinigkeit
bei den Trägern der Militärpolitik. Denn, obwohl tausendmal angekündigt:

"Wir gehen, wenn Versailles angenommen wirbt" -- Roste bleibt. Die
Generäle bleiben. Die Offiziere folgen ihren Generälen.

Die dem alten Offizierkorps innewohnende Disziplin hat eine Versailler
Revolution und energische Militärpolitik verhindert. Dafür aber hat das Ver¬
trauen zu der höheren Führung bei den jungen Offizieren und bei der Mann¬
schaft einen starken Stoß erhalten.

Im jungen Offizierkorps gilt dieser Stoß als der zweite, nachdem seiner
Ansicht nach am 9. November die verantwortlichen hohen Führer durch falsche
oder gar keine Befehle versagt haben.


Altes und neues Heer

Londoner Ultimatums und Oberschlesiens noch einmal verstohlen erwogen wird,
stehen die zwei Millionen Grenzschutz, Freikorps, Baltikumtruppm, auflösenden
Verbände und Einwohnerwehren, die schwere Artillerie, die Panzerwagen, der
Fliegerpark und die riesigen Waffenvorräte des Jahres 19l9 nicht mehr zur
Verfügung.

Auch die in Kurland stehenden Truppen find empört über die Annahme
des Friedensvertrages. Die Eiserne Division unter Major Bischoff und andere
(weniger landsknechthaftige) Truppenteile sind bereit, in Ostpreußen einzu¬
marschieren und das äußere Zeichen zum Nationalaufstand zu geben. Diese
Aorktat unterbleibt. Noch sind die Beweggründe unbekannt.

Wohl liegen zwischen 1806 und 1813 sieben Jahre. Von 1913 bis 1919
aber nur ein Jahr, in dem die innere Widerstandskraft des Volkes noch nicht
hat gesunden können. Deshalb wäre die geistige Tatkraft eines Kampfes schwach
gewesen.

Militärisch aber spricht alles für den Widerstand im Jahre 1919. Während
nach 1806 die ersten Friedensjahre die militärisch ungünstigsten waren, liegt es
dank der klugerdachten militärischen Bestimmungen des Versailler Vertrages um¬
gekehrt.

Mit der Annahme der Versailler Bedingungen findet auch der Plan des
Grafen von der Goltz, Kurland zum Ausgangspunkt einer internationalen Front
und Offensive gegen den Bolschewismus zu machen — nebenher dadurch in
Deutschland den Bolschewismus zu entwurzeln — und vor allem die Absicht,
Deutschland weite politische, wirtschaftliche und bevölkerungspolitische Möglich¬
keiten zu eröffnen, ein Ende.

Das Kurlandunternehmen bleibt auf diese Weise ein Versuch, großzügige
deutsche Außenpolitik zu einer Zeit zu führen, wo sich die Augen der deutschen
Regierenden und des deutschen Volkes ausschließlich auf die Innenpolitik richten,
ja mit der Außenpolitik parteipolitische Geschäfte und Propaganda treiben und
in ihr Hilfsmittel innerpolitischer Wünsche — Entwaffnung — sehen. Zu einer
Zeit, wo — im Gegensatz zu den außer Landes stehenden, freier atmenden Truppen
des Grafen von der Goltz — in Deutschland alles unter dem hängenden Schwert
von Versailles steht und wo unier dieser Depression nicht der Mut und die
Initiative zu aktiver, offensiver Außenpolitik gefunden wird.

Versailles und Kurland sind die letzten krampfhaften Versuche deutscher
Militärpolitik und werden zu ihr ein Ausklang, nicht sowohl wegen der tat¬
sächlichen Schwierigkeiten, sondern infolge der Charakterlosigkeit und Uneinigkeit
bei den Trägern der Militärpolitik. Denn, obwohl tausendmal angekündigt:

„Wir gehen, wenn Versailles angenommen wirbt" — Roste bleibt. Die
Generäle bleiben. Die Offiziere folgen ihren Generälen.

Die dem alten Offizierkorps innewohnende Disziplin hat eine Versailler
Revolution und energische Militärpolitik verhindert. Dafür aber hat das Ver¬
trauen zu der höheren Führung bei den jungen Offizieren und bei der Mann¬
schaft einen starken Stoß erhalten.

Im jungen Offizierkorps gilt dieser Stoß als der zweite, nachdem seiner
Ansicht nach am 9. November die verantwortlichen hohen Führer durch falsche
oder gar keine Befehle versagt haben.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148/324>, abgerufen am 02.07.2024.