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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.

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Altes und neues Heer

Vor allen Dingen glaubt die Fronttruppe nicht an die Annahme der
Versailler Bedingungen.

Denn die Regierung läßt durch ihren Reichskanzler Scheidemann erklären:

"Die Hand soll verdorren, die unterschreibt!"

Das Freiwilligenheer weiß, daß seine hohen Führer und Roste die äußerste
Anstrengung machen, die Ablehnung der Versailler Bedingungen durchzusetzen.

Damit wird, mit einem Sozialdemokraten an der Spitze, Militärpolitik
getrieben -- die Politik von fünfhunderttausend Mann -- allerdings zaghaft und
unsicher: als Militärpolitik -- ausklang.


VII. Militärpolitikausklang

Der entscheidende Tag von Versailles nahet

Die Freikorpsgeneräle drohen mit Dienstniederlegung, Freiwilligen-Truppen¬
teile kündigen geschlossen Auflösung und Gehorsamsverweigerung an für den Fall,
daß die Versailler Bedingungen angenommen werden. Roste verheißt seinen
Rücktritt.

Aber General Grüner, als der Herr der auflösenden Bataillone und Ab¬
wicklungsstellen des alten Heeres, telegraphiert:

"Die Armee will nicht kämpfen."

Der Einfluß des militärischen Abbaus ist stärker als der des Aufbaus.
Das Wort der Generäle, die eine neue Wehrmacht wollen, bewirkt bei den militär¬
müden Parteien der politischen Linken das Gegenteil des Gewünschten. Es wird
angenommen.

Wie ein Blitz schlägt die Nachricht bei den Fronttruppen ein, wenn auch
gemildert durch die abgeschwächte Auslieferungsforderung. Ein Freikorpssturm
kann die Regierung beseitigen.

Diktatur Roste oder General Märker steht in Aussicht.

schlagfertige Freikorps, allen voran Epp, Lützow, Ehrhard, Neufville
Löwenfeld, sind -- einig vom Führer bis zum jüngsten Pferdeburschen -- bereit,
gegen Regierung, Spartakisten und Entente zu ziehen, das "rote" West- und
Norddeutschland aufzugeben, an der Oder eine neue Westfront aufzurichten und
dort im Verein mit Nußland die deutschen Kräfte zu sammeln und Widerstand,
zu leisten oder in Ehren und -- kurz unterzugehen.

Aber die Ernährungshilfe Rußlands scheint ungewiß. Und dann: Politisch
ist das Rußland von 1919 nicht das von 1921. Der Bolschewismus steht noch
im Kampf mit Gegenrevolutionären, ist auf der Höhe seiner Macht und seines
Radikalismus. Die Bolschewistengefahr fürchten darum die deutschen Bürger,
Politiker und Militärs, vor allem angesichts der eben mühsam überwundenen
Spartakistenaufstände, mehr als die Folgen von Versailles. Hofft man insgeheim
doch noch immer auf eine gemeinsame europäische Kriegsfront gegen den Bolsche¬
wismus.

So wird die seit dem Oktober 1918 einzige Möglichkeit, einen vielleicht in
seinen politischen Wirkungen erfolgreichen Verzweiflungswiderstand zu leisten,
verpaßt. Auch revanchefeindliche politische Parteien Deutschlands ahnen dumpf,
daß man -- von bitterster Existenznot getrieben -- einem solchen Kampf einmal
nicht wird ausweichen können. Als ein solcher Widerstand später anläßlich des


Altes und neues Heer

Vor allen Dingen glaubt die Fronttruppe nicht an die Annahme der
Versailler Bedingungen.

Denn die Regierung läßt durch ihren Reichskanzler Scheidemann erklären:

„Die Hand soll verdorren, die unterschreibt!"

Das Freiwilligenheer weiß, daß seine hohen Führer und Roste die äußerste
Anstrengung machen, die Ablehnung der Versailler Bedingungen durchzusetzen.

Damit wird, mit einem Sozialdemokraten an der Spitze, Militärpolitik
getrieben — die Politik von fünfhunderttausend Mann — allerdings zaghaft und
unsicher: als Militärpolitik — ausklang.


VII. Militärpolitikausklang

Der entscheidende Tag von Versailles nahet

Die Freikorpsgeneräle drohen mit Dienstniederlegung, Freiwilligen-Truppen¬
teile kündigen geschlossen Auflösung und Gehorsamsverweigerung an für den Fall,
daß die Versailler Bedingungen angenommen werden. Roste verheißt seinen
Rücktritt.

Aber General Grüner, als der Herr der auflösenden Bataillone und Ab¬
wicklungsstellen des alten Heeres, telegraphiert:

„Die Armee will nicht kämpfen."

Der Einfluß des militärischen Abbaus ist stärker als der des Aufbaus.
Das Wort der Generäle, die eine neue Wehrmacht wollen, bewirkt bei den militär¬
müden Parteien der politischen Linken das Gegenteil des Gewünschten. Es wird
angenommen.

Wie ein Blitz schlägt die Nachricht bei den Fronttruppen ein, wenn auch
gemildert durch die abgeschwächte Auslieferungsforderung. Ein Freikorpssturm
kann die Regierung beseitigen.

Diktatur Roste oder General Märker steht in Aussicht.

schlagfertige Freikorps, allen voran Epp, Lützow, Ehrhard, Neufville
Löwenfeld, sind — einig vom Führer bis zum jüngsten Pferdeburschen — bereit,
gegen Regierung, Spartakisten und Entente zu ziehen, das „rote" West- und
Norddeutschland aufzugeben, an der Oder eine neue Westfront aufzurichten und
dort im Verein mit Nußland die deutschen Kräfte zu sammeln und Widerstand,
zu leisten oder in Ehren und — kurz unterzugehen.

Aber die Ernährungshilfe Rußlands scheint ungewiß. Und dann: Politisch
ist das Rußland von 1919 nicht das von 1921. Der Bolschewismus steht noch
im Kampf mit Gegenrevolutionären, ist auf der Höhe seiner Macht und seines
Radikalismus. Die Bolschewistengefahr fürchten darum die deutschen Bürger,
Politiker und Militärs, vor allem angesichts der eben mühsam überwundenen
Spartakistenaufstände, mehr als die Folgen von Versailles. Hofft man insgeheim
doch noch immer auf eine gemeinsame europäische Kriegsfront gegen den Bolsche¬
wismus.

So wird die seit dem Oktober 1918 einzige Möglichkeit, einen vielleicht in
seinen politischen Wirkungen erfolgreichen Verzweiflungswiderstand zu leisten,
verpaßt. Auch revanchefeindliche politische Parteien Deutschlands ahnen dumpf,
daß man — von bitterster Existenznot getrieben — einem solchen Kampf einmal
nicht wird ausweichen können. Als ein solcher Widerstand später anläßlich des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148/323>, abgerufen am 30.06.2024.