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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.

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grünt seiner Unzufriedenheit mit dem Friedensvertrag des sonst vergötterten
Clemenceau. Aber schon dieser hat zu seiner Verteidigung darauf hingewiesen:
Wir waren nicht allein! Und sein Gehilfe Tardieu hat in einem dickleibigen und
für Deutsche sehr lehrreichen Buche über den "Frieden" ausführlich erzählt, wie
Frankreichs Wünsche sich gegen amerikanische und namentlich englische Widerstände
nur teilweise durchsetzen konnten (und sich noch weniger durchgesetzt hätten, wäre
Deutschland während der Friedensverhandlungen fest geblieben). Schon damals
mögen die Engländer Bedenken getragen haben, daß das bisherige aus Revanche¬
durst zu allen Opfern willfährige Werkzeug ihrer überlegenen Kontinentalpolitik
sich eines Tages in einen neuen Gegner verwandelte, der nicht minder unbequem
werden könnte als der eben niedergerungene, und diese Bedenken haben sich
weiter verstärkt. Nicht Deutschland ist es. das die Verbündeten zu entzweien
sucht -- jeder scheinbare oder wirkliche Widerstand Deutschlands, jedes Anzeichen
dafür, daß der einstige und mit so vieler Mühe unschädlich gemachte Gegner
rasch wieder erstarken könnte, führt, wie in London, sogleich wieder zu einer
Einigung --, sondern die Verschiedenheit ihrer Ziele und Anschauungen ist es,
die sie von Konferenz zu Konferenz in immer stärkere Gegensätze hineintreibe.

Diese Gegensätze nun sind zwar unvereinbar, aber einstweilen doch auch
nicht solcher Art, daß sie zum offenen Krieg führen müßten (den jede der beiden
Nationen gegen die andere nur führen würde, falls ihre Lebensinteressen unmittelbar
bedroht wären). Sie liaber bereits mehrfach auf Sondergebieten Eigenmächtig¬
keiten veranlaßt, -- Wrangel, Frankfurt, der Handel mit Rußland -- die den
Partner verdrossen, aber es blieben immer Möglichkeiten genug, den entstandenen
Verlust an anderen Stellen gleichwertig einzuholen oder einem entstehenden Druck
auszuweichen; sie haben zu Reibungen geführt wie in Syrien und Konstantinopel,
aber der Anlaß war niemals kritisch genug, es zum Bruch kommen zu lassen.
Aber je entschiedener nun, nach überwundener Gefahr, beide Mächte ihre eigene
Politik verfolgen, um so schärfer und bedrohlicher rücken beide Richtungen aneinander
und es war sicher mehr als ein bloßes Manöver und enthielt viel Wahrheit,
wenn französische Zeitungen kurz vor Lloyd Georges Ankunft in Paris schrieben,
daß der Verlauf der Pariser Konferenz die Festigkeit und weitere Möglichkeit
der Entente auf eine endgültige Probe stellen würde.

Welches waren die Ziele der beiden Kämpfer? England braucht und will
den Frieden in Europa. Zugleich muß es verhindern, daß das bereits mit
Belgien verbündete Frankreich in Europa übermächtig wird. Dazu bedarf es in
Deutschland einer Regierung, die einigermaßen imstande ist, die Ordnung
aufrecht zu erhalten und Deutschland wieder produktionsfähig zu machen, die
aber auch willens ist. den Friedensvertrag auszuführen und imstande, diese Aus¬
führung in die Wege zu leiten. Eine deutsche Regierung, die den Vertrag oder
das Londoner Ultimatum nicht ausführen wollte, würde sogleich den Franzosen
willkommene Vorwände zum Eingreifen, zu kriegerischen Matznahmen und zu
weiterer Festigung ihrer Macht liefern. Die Regierung Wirth also mußte ge¬
halten werden, denn eine weiter links gerichtete würde im Innern nicht Autorität
genug besitzen, eine weiter rechts gerichtete sich gegen feindliche Vergewaltigung
wehren. Da ohne Aufhebung der Sanktionen und eine günstige Ent¬
scheidung der Oberschlesien-Angelegenheit die Negierung Wirth sich nicht halten
konnte, mußte auf beiden Gebieten für Deutschland entschieden werden. Zugleich
aber galt es, und das erschwerte die Aufgabe bedeutend, zu verhindern, daß in
Frankreich die extrem chauvinistische Richtung, mit der das gegenwärtige fran¬
zösische Kabinett in ständiger hitziger Fehde liegt, ans Ruder gelangte, die auch
ohne Vorwände Wege einer Gewaltpolitik einschlagen würde, die notgedrungen in
Deutschland einen Gegendruck auslösen müßte.

Frankreich dagegen bezweckte, die alte englische Einkreisungspolitik ganz
allein fortzusetzen: Deutschland im Westen zu schwächen, im Osten und Gegnern
zu umstellen, im Innern zu erdrücken, und seine Stellung als europäische Vor-
macht im vollsten Lichte erscheinen zu lassen. Dazu mußte vor allen Dingen


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grünt seiner Unzufriedenheit mit dem Friedensvertrag des sonst vergötterten
Clemenceau. Aber schon dieser hat zu seiner Verteidigung darauf hingewiesen:
Wir waren nicht allein! Und sein Gehilfe Tardieu hat in einem dickleibigen und
für Deutsche sehr lehrreichen Buche über den „Frieden" ausführlich erzählt, wie
Frankreichs Wünsche sich gegen amerikanische und namentlich englische Widerstände
nur teilweise durchsetzen konnten (und sich noch weniger durchgesetzt hätten, wäre
Deutschland während der Friedensverhandlungen fest geblieben). Schon damals
mögen die Engländer Bedenken getragen haben, daß das bisherige aus Revanche¬
durst zu allen Opfern willfährige Werkzeug ihrer überlegenen Kontinentalpolitik
sich eines Tages in einen neuen Gegner verwandelte, der nicht minder unbequem
werden könnte als der eben niedergerungene, und diese Bedenken haben sich
weiter verstärkt. Nicht Deutschland ist es. das die Verbündeten zu entzweien
sucht — jeder scheinbare oder wirkliche Widerstand Deutschlands, jedes Anzeichen
dafür, daß der einstige und mit so vieler Mühe unschädlich gemachte Gegner
rasch wieder erstarken könnte, führt, wie in London, sogleich wieder zu einer
Einigung —, sondern die Verschiedenheit ihrer Ziele und Anschauungen ist es,
die sie von Konferenz zu Konferenz in immer stärkere Gegensätze hineintreibe.

Diese Gegensätze nun sind zwar unvereinbar, aber einstweilen doch auch
nicht solcher Art, daß sie zum offenen Krieg führen müßten (den jede der beiden
Nationen gegen die andere nur führen würde, falls ihre Lebensinteressen unmittelbar
bedroht wären). Sie liaber bereits mehrfach auf Sondergebieten Eigenmächtig¬
keiten veranlaßt, — Wrangel, Frankfurt, der Handel mit Rußland — die den
Partner verdrossen, aber es blieben immer Möglichkeiten genug, den entstandenen
Verlust an anderen Stellen gleichwertig einzuholen oder einem entstehenden Druck
auszuweichen; sie haben zu Reibungen geführt wie in Syrien und Konstantinopel,
aber der Anlaß war niemals kritisch genug, es zum Bruch kommen zu lassen.
Aber je entschiedener nun, nach überwundener Gefahr, beide Mächte ihre eigene
Politik verfolgen, um so schärfer und bedrohlicher rücken beide Richtungen aneinander
und es war sicher mehr als ein bloßes Manöver und enthielt viel Wahrheit,
wenn französische Zeitungen kurz vor Lloyd Georges Ankunft in Paris schrieben,
daß der Verlauf der Pariser Konferenz die Festigkeit und weitere Möglichkeit
der Entente auf eine endgültige Probe stellen würde.

Welches waren die Ziele der beiden Kämpfer? England braucht und will
den Frieden in Europa. Zugleich muß es verhindern, daß das bereits mit
Belgien verbündete Frankreich in Europa übermächtig wird. Dazu bedarf es in
Deutschland einer Regierung, die einigermaßen imstande ist, die Ordnung
aufrecht zu erhalten und Deutschland wieder produktionsfähig zu machen, die
aber auch willens ist. den Friedensvertrag auszuführen und imstande, diese Aus¬
führung in die Wege zu leiten. Eine deutsche Regierung, die den Vertrag oder
das Londoner Ultimatum nicht ausführen wollte, würde sogleich den Franzosen
willkommene Vorwände zum Eingreifen, zu kriegerischen Matznahmen und zu
weiterer Festigung ihrer Macht liefern. Die Regierung Wirth also mußte ge¬
halten werden, denn eine weiter links gerichtete würde im Innern nicht Autorität
genug besitzen, eine weiter rechts gerichtete sich gegen feindliche Vergewaltigung
wehren. Da ohne Aufhebung der Sanktionen und eine günstige Ent¬
scheidung der Oberschlesien-Angelegenheit die Negierung Wirth sich nicht halten
konnte, mußte auf beiden Gebieten für Deutschland entschieden werden. Zugleich
aber galt es, und das erschwerte die Aufgabe bedeutend, zu verhindern, daß in
Frankreich die extrem chauvinistische Richtung, mit der das gegenwärtige fran¬
zösische Kabinett in ständiger hitziger Fehde liegt, ans Ruder gelangte, die auch
ohne Vorwände Wege einer Gewaltpolitik einschlagen würde, die notgedrungen in
Deutschland einen Gegendruck auslösen müßte.

Frankreich dagegen bezweckte, die alte englische Einkreisungspolitik ganz
allein fortzusetzen: Deutschland im Westen zu schwächen, im Osten und Gegnern
zu umstellen, im Innern zu erdrücken, und seine Stellung als europäische Vor-
macht im vollsten Lichte erscheinen zu lassen. Dazu mußte vor allen Dingen


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[0231] lveltspiegel grünt seiner Unzufriedenheit mit dem Friedensvertrag des sonst vergötterten Clemenceau. Aber schon dieser hat zu seiner Verteidigung darauf hingewiesen: Wir waren nicht allein! Und sein Gehilfe Tardieu hat in einem dickleibigen und für Deutsche sehr lehrreichen Buche über den „Frieden" ausführlich erzählt, wie Frankreichs Wünsche sich gegen amerikanische und namentlich englische Widerstände nur teilweise durchsetzen konnten (und sich noch weniger durchgesetzt hätten, wäre Deutschland während der Friedensverhandlungen fest geblieben). Schon damals mögen die Engländer Bedenken getragen haben, daß das bisherige aus Revanche¬ durst zu allen Opfern willfährige Werkzeug ihrer überlegenen Kontinentalpolitik sich eines Tages in einen neuen Gegner verwandelte, der nicht minder unbequem werden könnte als der eben niedergerungene, und diese Bedenken haben sich weiter verstärkt. Nicht Deutschland ist es. das die Verbündeten zu entzweien sucht — jeder scheinbare oder wirkliche Widerstand Deutschlands, jedes Anzeichen dafür, daß der einstige und mit so vieler Mühe unschädlich gemachte Gegner rasch wieder erstarken könnte, führt, wie in London, sogleich wieder zu einer Einigung —, sondern die Verschiedenheit ihrer Ziele und Anschauungen ist es, die sie von Konferenz zu Konferenz in immer stärkere Gegensätze hineintreibe. Diese Gegensätze nun sind zwar unvereinbar, aber einstweilen doch auch nicht solcher Art, daß sie zum offenen Krieg führen müßten (den jede der beiden Nationen gegen die andere nur führen würde, falls ihre Lebensinteressen unmittelbar bedroht wären). Sie liaber bereits mehrfach auf Sondergebieten Eigenmächtig¬ keiten veranlaßt, — Wrangel, Frankfurt, der Handel mit Rußland — die den Partner verdrossen, aber es blieben immer Möglichkeiten genug, den entstandenen Verlust an anderen Stellen gleichwertig einzuholen oder einem entstehenden Druck auszuweichen; sie haben zu Reibungen geführt wie in Syrien und Konstantinopel, aber der Anlaß war niemals kritisch genug, es zum Bruch kommen zu lassen. Aber je entschiedener nun, nach überwundener Gefahr, beide Mächte ihre eigene Politik verfolgen, um so schärfer und bedrohlicher rücken beide Richtungen aneinander und es war sicher mehr als ein bloßes Manöver und enthielt viel Wahrheit, wenn französische Zeitungen kurz vor Lloyd Georges Ankunft in Paris schrieben, daß der Verlauf der Pariser Konferenz die Festigkeit und weitere Möglichkeit der Entente auf eine endgültige Probe stellen würde. Welches waren die Ziele der beiden Kämpfer? England braucht und will den Frieden in Europa. Zugleich muß es verhindern, daß das bereits mit Belgien verbündete Frankreich in Europa übermächtig wird. Dazu bedarf es in Deutschland einer Regierung, die einigermaßen imstande ist, die Ordnung aufrecht zu erhalten und Deutschland wieder produktionsfähig zu machen, die aber auch willens ist. den Friedensvertrag auszuführen und imstande, diese Aus¬ führung in die Wege zu leiten. Eine deutsche Regierung, die den Vertrag oder das Londoner Ultimatum nicht ausführen wollte, würde sogleich den Franzosen willkommene Vorwände zum Eingreifen, zu kriegerischen Matznahmen und zu weiterer Festigung ihrer Macht liefern. Die Regierung Wirth also mußte ge¬ halten werden, denn eine weiter links gerichtete würde im Innern nicht Autorität genug besitzen, eine weiter rechts gerichtete sich gegen feindliche Vergewaltigung wehren. Da ohne Aufhebung der Sanktionen und eine günstige Ent¬ scheidung der Oberschlesien-Angelegenheit die Negierung Wirth sich nicht halten konnte, mußte auf beiden Gebieten für Deutschland entschieden werden. Zugleich aber galt es, und das erschwerte die Aufgabe bedeutend, zu verhindern, daß in Frankreich die extrem chauvinistische Richtung, mit der das gegenwärtige fran¬ zösische Kabinett in ständiger hitziger Fehde liegt, ans Ruder gelangte, die auch ohne Vorwände Wege einer Gewaltpolitik einschlagen würde, die notgedrungen in Deutschland einen Gegendruck auslösen müßte. Frankreich dagegen bezweckte, die alte englische Einkreisungspolitik ganz allein fortzusetzen: Deutschland im Westen zu schwächen, im Osten und Gegnern zu umstellen, im Innern zu erdrücken, und seine Stellung als europäische Vor- macht im vollsten Lichte erscheinen zu lassen. Dazu mußte vor allen Dingen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148/231>, abgerufen am 30.06.2024.