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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.

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Bülow in Rom

uns jetzt als Redaktor des Friedensvertrages bitterlich bekannt geworden., Die
Franzosen haben Bülow von jeher studiert und kennen ihn besser, als wir selbst.

Trotz der nebelhaften Vorstellungen der meisten Deutschen über die Gründe
unseres Unglücks hat sich doch heute schon ziemlich allgemein die Überzeugung
festgesetzt, daß im Juli 1914 der Krieg vermieden worden wäre, wenn nicht der
Unverstand des Reichstages im Jahre 1909 den noch heute rüstigen einzigen
guten Reichskanzler, den wir nach Bismarck hatten, den Fürsten Bülow, aus
dem Amt getrieben hätte. Was weniger bekannt ist und erst durch das Spicker-
nagelsche Buch manchem anschaulich werden dürfte, ist die Tatsache, daß auch
noch im Winter 1914/15 eine ^,faire Chance" zu einer günstigen politischen Wen¬
dung des Krieges bestand. Die von Spickernagel abgedruckten Berichte unseres
damaligen Militärattaches in Rom^ v. Schwcinitz, geben zum erstenmal eine
gewisse Innenansicht der damaligen Vorgänge zwischen Rom und Berlin. Ich
kann diese Berichte und die Spickernagclsche Darstellung nicht lesen, ohne meine
eigenen Erinnerungen an den Römischen Winter 1914/15 hineinzuflechten.
Wir alle, die damals dem Palazzo Cassarelli nahestanden, fühlten, wie uns
Fortuna noch einmal ein paar Minuten zu aktiver Gestaltung unseres Geschickes
bot, wir fühlten mit zugeschnürter Kehle, wie die vollendete Passivität, Unklar¬
heit und Eifersüchtelei, die in der Wilhelmstraße "regierte", die Zukunft unseres
herrlichen, gläubig kämpfenden Volkes in Nichts zerrinnen ließ, und wir klam¬
merten uns mit unseren Hoffnungen einzig an die Persönlichkeit Bülows, die
mit äußerster Tatkraft, Fleiß, Beweglichkeit und klarer Einsicht daran arbeitete,
unser Geschick zu wenden. Bülow sah wohl den Weg, und wir mit ihm. Aber
ihm fehlte die Macht. Die Ohnmacht des allein Tüchtigen gegen stümperhafte
Inhaber der Macht, die sie vergeuden, in solcher Krise mitzuerleben war ein.
zermarterndes Drama. Und so wie hier, so wurde ja jede deutsche Angelegen¬
heit verpfuscht. Man sah den Glauben des Volkes, die Sie^e des Heeres, die
Möglichkeiten rettender Diplomatie, und alles dies war dem Untergang geweiht,
weil die amtierende Unfähigkeit nicht zu stürzen war. Denn das, was wohl in
der Verzweiflung einer damals ausrief: "Retten können uns nur Schützengräben
in der Wilhelmstraße", das war ja bei dem Vertrauen, des Reichstags und
Bundesrath in die dem deutschen Philister kongeniale Unheilsgestalt Bcthmcinns
nicht ausführbar. So erlebten wir im Winter 1914/15 in Rom das Vorspiel
des Zusammenbruchs, den die schlechtgeführte Kraft unseres in Kämpfen so
wundervollen Volkes noch vier Jahre hinausgeschoben hat.

Italien hatte sich seit der Tripolis-Aktion von 1911 dem Dreibund inner¬
lich wie äußerlich wieder weit enger angeschlossen. Aus dieser an sich günstigen
Entwicklung, die in. E. wesentlich mit der deutsch-englischen Entspannung seit
1912 zusammenhängt, folgerte Bethmann, dessen Erfahrung und Instinkt für
römische Politik, wie für Petersburg, Paris und London die Erfahrung und den
Instinkt eines durchschnittlichen, im inneren Dienst ergrauten Regierungspräsi¬
denten nicht überstieg, genau das Gegenteil vom Richtigen. Er schloß nämlich
daraus, daß von Italien nichts zu besorgen wäre und daß man europäische,
Politik auch ohne Benutzung des Kuriers zwischen der Wilhelmstraße und der
Konsulta treiben könne. Man schien ja Italiens Ungefährlichkeit sicher zu sein.
Fingerspitzen für den Dreibnndvertrag, für die Abhängigkeit Italiens von der


Bülow in Rom

uns jetzt als Redaktor des Friedensvertrages bitterlich bekannt geworden., Die
Franzosen haben Bülow von jeher studiert und kennen ihn besser, als wir selbst.

Trotz der nebelhaften Vorstellungen der meisten Deutschen über die Gründe
unseres Unglücks hat sich doch heute schon ziemlich allgemein die Überzeugung
festgesetzt, daß im Juli 1914 der Krieg vermieden worden wäre, wenn nicht der
Unverstand des Reichstages im Jahre 1909 den noch heute rüstigen einzigen
guten Reichskanzler, den wir nach Bismarck hatten, den Fürsten Bülow, aus
dem Amt getrieben hätte. Was weniger bekannt ist und erst durch das Spicker-
nagelsche Buch manchem anschaulich werden dürfte, ist die Tatsache, daß auch
noch im Winter 1914/15 eine ^,faire Chance" zu einer günstigen politischen Wen¬
dung des Krieges bestand. Die von Spickernagel abgedruckten Berichte unseres
damaligen Militärattaches in Rom^ v. Schwcinitz, geben zum erstenmal eine
gewisse Innenansicht der damaligen Vorgänge zwischen Rom und Berlin. Ich
kann diese Berichte und die Spickernagclsche Darstellung nicht lesen, ohne meine
eigenen Erinnerungen an den Römischen Winter 1914/15 hineinzuflechten.
Wir alle, die damals dem Palazzo Cassarelli nahestanden, fühlten, wie uns
Fortuna noch einmal ein paar Minuten zu aktiver Gestaltung unseres Geschickes
bot, wir fühlten mit zugeschnürter Kehle, wie die vollendete Passivität, Unklar¬
heit und Eifersüchtelei, die in der Wilhelmstraße „regierte", die Zukunft unseres
herrlichen, gläubig kämpfenden Volkes in Nichts zerrinnen ließ, und wir klam¬
merten uns mit unseren Hoffnungen einzig an die Persönlichkeit Bülows, die
mit äußerster Tatkraft, Fleiß, Beweglichkeit und klarer Einsicht daran arbeitete,
unser Geschick zu wenden. Bülow sah wohl den Weg, und wir mit ihm. Aber
ihm fehlte die Macht. Die Ohnmacht des allein Tüchtigen gegen stümperhafte
Inhaber der Macht, die sie vergeuden, in solcher Krise mitzuerleben war ein.
zermarterndes Drama. Und so wie hier, so wurde ja jede deutsche Angelegen¬
heit verpfuscht. Man sah den Glauben des Volkes, die Sie^e des Heeres, die
Möglichkeiten rettender Diplomatie, und alles dies war dem Untergang geweiht,
weil die amtierende Unfähigkeit nicht zu stürzen war. Denn das, was wohl in
der Verzweiflung einer damals ausrief: „Retten können uns nur Schützengräben
in der Wilhelmstraße", das war ja bei dem Vertrauen, des Reichstags und
Bundesrath in die dem deutschen Philister kongeniale Unheilsgestalt Bcthmcinns
nicht ausführbar. So erlebten wir im Winter 1914/15 in Rom das Vorspiel
des Zusammenbruchs, den die schlechtgeführte Kraft unseres in Kämpfen so
wundervollen Volkes noch vier Jahre hinausgeschoben hat.

Italien hatte sich seit der Tripolis-Aktion von 1911 dem Dreibund inner¬
lich wie äußerlich wieder weit enger angeschlossen. Aus dieser an sich günstigen
Entwicklung, die in. E. wesentlich mit der deutsch-englischen Entspannung seit
1912 zusammenhängt, folgerte Bethmann, dessen Erfahrung und Instinkt für
römische Politik, wie für Petersburg, Paris und London die Erfahrung und den
Instinkt eines durchschnittlichen, im inneren Dienst ergrauten Regierungspräsi¬
denten nicht überstieg, genau das Gegenteil vom Richtigen. Er schloß nämlich
daraus, daß von Italien nichts zu besorgen wäre und daß man europäische,
Politik auch ohne Benutzung des Kuriers zwischen der Wilhelmstraße und der
Konsulta treiben könne. Man schien ja Italiens Ungefährlichkeit sicher zu sein.
Fingerspitzen für den Dreibnndvertrag, für die Abhängigkeit Italiens von der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148/180>, abgerufen am 22.12.2024.