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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.

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Bülow in Rom

gebaut wurde. Bismarck ehrte im Feinde die Größe und konnte mit Brutus
in Shakespeares Julius Cäsar von sich jagen: "Notwendig wird unser Werk
und nicht gehässig." Europa blühte auf, Frankreich erwarb in Nordasrika
oas zweitgrößte Kolonialreich der Erde. Heute ist die Zukunft Europas
dunkel. Frankreich aber rühmt sich jeiner "Mäßigung" und erklärt gleich¬
zeitig durch seinen Ministerpräsidenten seine Bereitschaft zu neuen "Sank¬
tionen".

Frankreich hält Europa in Gärung, um zu herrschen. Es naße sich an,
Richter zu sein über alle anderen. Nicht Deutschland ist die Gefahr für den
Weltfrieden und den Wiederaufbau Europas. Aber in Frankreich lebt der
Geist Ludwigs XIV. und Napoleons I. und bedroht die Freiheit der Völker
Europas.




Bülow in Rom
Fritz Aem von

u den niederdrückenden Symptomen unserer Lage gehört die geringe
Neigung der Gebildeten unseres Volkes, aus der Geschichte zu
lernen. Was haben die Franzosen in Zeiten des Unglücks Ge¬
schichte studiert, um ihre Fehler zu entdecken und auszugleichen!
Die Deutschen unseres Jahrhunderts haben sich nicht nur wie die
Blinden des Breughelschen Bildes von blinden Führern ahnungslos in den
Abgrund führen lassen? sondern anch jetzt, da wir im Graben liegen, reiben wir
uns nicht die Augen aus, vielmehr sucht der eine den Schlummer des Vergessens,
der andere die Wohltat des Schnupfens, der dritte erklärt den Graben für das
Wahre. Wir Hütten vielen Anlaß, uns mit dem Wenigen zu beschäftigen, was
uns in der Düsternis als Fünklein politisch-geschichtlicher Einsicht geblieben ist.
Eines der erfreulichsten Bücher erscheint mir unter diesem Gesichtspunkt die
Arbeit, in welcher Dr. Wilhelm Spielern agel die Persönlichkeit, die aus¬
wärtige und innere Politik des Fürsten Bülow während seiner Kcmzlcrzeit, seine
'Beziehungen zu Wassermann, die Novembertage 1908, die Kanzlcrkrisis von 1917
und, worauf ich hier allein eingehen möchte, die römische Mission des Fürsten
im Winter 1914/15 behandelt.") Wie man sieht, kein abschließendes Werk, aber
eine Heraushebung wichtigster Knotenpunkte aus Bülows Geschichte, und trotz
skizzenhafter Behandlung von außergewöhnlichem politischen Verständnis ge¬
tragen. Es darf daran erinnert werden, daß die erste wirkliche Geschichte Bülows
seinerzeit von einem Franzosen geschrieben wurde. Ihr Verfasser, Tardien, ist



Dr. Wilhelm Spickernagel, Fürst Bülow. 1.-S. Tausend. Älster-Verlag, Ham¬
burg. 1921,.
Bülow in Rom

gebaut wurde. Bismarck ehrte im Feinde die Größe und konnte mit Brutus
in Shakespeares Julius Cäsar von sich jagen: „Notwendig wird unser Werk
und nicht gehässig." Europa blühte auf, Frankreich erwarb in Nordasrika
oas zweitgrößte Kolonialreich der Erde. Heute ist die Zukunft Europas
dunkel. Frankreich aber rühmt sich jeiner „Mäßigung" und erklärt gleich¬
zeitig durch seinen Ministerpräsidenten seine Bereitschaft zu neuen „Sank¬
tionen".

Frankreich hält Europa in Gärung, um zu herrschen. Es naße sich an,
Richter zu sein über alle anderen. Nicht Deutschland ist die Gefahr für den
Weltfrieden und den Wiederaufbau Europas. Aber in Frankreich lebt der
Geist Ludwigs XIV. und Napoleons I. und bedroht die Freiheit der Völker
Europas.




Bülow in Rom
Fritz Aem von

u den niederdrückenden Symptomen unserer Lage gehört die geringe
Neigung der Gebildeten unseres Volkes, aus der Geschichte zu
lernen. Was haben die Franzosen in Zeiten des Unglücks Ge¬
schichte studiert, um ihre Fehler zu entdecken und auszugleichen!
Die Deutschen unseres Jahrhunderts haben sich nicht nur wie die
Blinden des Breughelschen Bildes von blinden Führern ahnungslos in den
Abgrund führen lassen? sondern anch jetzt, da wir im Graben liegen, reiben wir
uns nicht die Augen aus, vielmehr sucht der eine den Schlummer des Vergessens,
der andere die Wohltat des Schnupfens, der dritte erklärt den Graben für das
Wahre. Wir Hütten vielen Anlaß, uns mit dem Wenigen zu beschäftigen, was
uns in der Düsternis als Fünklein politisch-geschichtlicher Einsicht geblieben ist.
Eines der erfreulichsten Bücher erscheint mir unter diesem Gesichtspunkt die
Arbeit, in welcher Dr. Wilhelm Spielern agel die Persönlichkeit, die aus¬
wärtige und innere Politik des Fürsten Bülow während seiner Kcmzlcrzeit, seine
'Beziehungen zu Wassermann, die Novembertage 1908, die Kanzlcrkrisis von 1917
und, worauf ich hier allein eingehen möchte, die römische Mission des Fürsten
im Winter 1914/15 behandelt.») Wie man sieht, kein abschließendes Werk, aber
eine Heraushebung wichtigster Knotenpunkte aus Bülows Geschichte, und trotz
skizzenhafter Behandlung von außergewöhnlichem politischen Verständnis ge¬
tragen. Es darf daran erinnert werden, daß die erste wirkliche Geschichte Bülows
seinerzeit von einem Franzosen geschrieben wurde. Ihr Verfasser, Tardien, ist



Dr. Wilhelm Spickernagel, Fürst Bülow. 1.-S. Tausend. Älster-Verlag, Ham¬
burg. 1921,.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148/179>, abgerufen am 04.07.2024.