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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.

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Zukunftsstaat und Zukunstsmensch

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den Angehörigen der früheren Oberschicht gebildet wird. Und alle Elemente der
animalischen, egoistischen Menschennatur toben sich in der durch diese Umschichtung
geschaffenen Atmosphäre um so rücksichtsloser aus, als sie dunkel oder klar emp¬
finden, daß ein ideales Ziel nicht erreicht wird.

Eine Reihe der eingangs gestellten Fragen vermag schon dieses Schul¬
beispiel zu beantworten:

1. Das Neue, was da werden will, ist in erster Linie eine ethische, davon
abhängig eine soziale und wirtschaftliche Neuordnung, wenn anders der Beweis
Ä posteriori, der sich hier auf das Mißlingen der sozialen und wirtschaftlichen
Versuche bei fortbestehender, ja trotz des Mißerfolges verstärkter Wirksamkeit der
kommunistischen Idee stützt, als richtig angesehen wird.

2. Die erstrebte Neuordnung verwirft den Glauben an die Unabänderlichkeit,
in der sich seit Jahrtausenden die Interessen -- in weitesten Sinne I -- großer
Menschheitsteile von denen anderer, gewöhnlich kleinerer befinden, dergestalt, daß
die letzteren aus den ersteren mehr Vorteile ziehen, als umgekehrt. Dabei ist den
neuerem der Irrtum unterlaufen, daß sie die Regierungs-, das heißt Ordnungs¬
form, die "kapitalistische" Wirtschaftsform, den nationalen (Schutzgemeinschafts-)
Egoismus mit dem natürlichen -- animalischen -- Egoismus in einen Topf ge¬
worfen und durch den kindlichen Versuch, diesen letzteren zugleich mit den sozialen,
also von Menschen geschaffenen und deshalb von Menschen zerstörbaren Lebens¬
formen auszutilgen, selber das Sprengpulver in gelöster und deshalb gefährlichster
Verfassung in ihren Neubau eingeführt haben. Eine dunkle Spur von Erkenntnis
dieser Tatsache ergibt sich aus dem Versuch, diesen Naturtrieb mit aus der zer¬
störten Gesellschaftsordnung übernommenen Mitteln der Belohnung oder Be¬
strafung zu bändigen.

3. Das Ziel, dem diese Neuordnung freilich nicht oder höchstens halb be¬
wußt zusteuert, ist eine Gemeinschaft, die den Wert des Menschen an sich, also
ohne Beziehung zu seiner Familie, seiner Nation, seinem Geschlecht, Beruf,
Können, ja seiner Bildungsstufe, Rasse oder Nützlichkeit für die Mitmenschen an¬
erkennt, ihm die größten gemäßen Wirkungsmöglichkeiten schafft und ihn dann
nach dem Maß des auf ihre Erfüllung verwandten guten Willens -- also keines¬
wegs des Erfolges I -- wertet. Diese Wertung soll sich aber nicht in materiellen
Vorteilen ausdrücken, die allen in gleichem Maße zu Gebote stehen, sondern in
einer Form der Anerkennung, für die die bisherige Ordnung der Dinge noch
keinen Ausdruck gefunden hat, die aber in jedem Falle rein ethisch bleiben muß.
In fortgeschrittenen Stadium der "neuen Ordnung" kann sie wegfallen, weil die
Tat für den Idealmenschen den Lohn in sich trägt.

4. Das wichtigste Mittel zur Erreichung einer solchen Weltordnung ist die
Zerstörung des Geldes. Da das Geld das bequemste Tauschmittel und zugleich
der vollkommenste Wertmaßstab für die auf einer Klassifizierung der Menschen
beruhende Form des menschlichen Zusammenlebens ist, wird dieser das Hand¬
werkszeug zum Wiederaufbau des schwer erschütterten Autoritätsturmes entzogen
wenn das Geld versagt. Nicht in klarer Erkenntnis dieser Tatsache, sondern
zwangläufig als Folge ihres zeitweiligen Ausscheidens aus dem gesamtmensch¬
lichen Zusammenhang haben die Bolschewisten diesen Weg gefunden und in der
"Entwertung durch Vermehrung" (nicht nur bei sich, sondern übergreifend aus


Zukunftsstaat und Zukunstsmensch

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den Angehörigen der früheren Oberschicht gebildet wird. Und alle Elemente der
animalischen, egoistischen Menschennatur toben sich in der durch diese Umschichtung
geschaffenen Atmosphäre um so rücksichtsloser aus, als sie dunkel oder klar emp¬
finden, daß ein ideales Ziel nicht erreicht wird.

Eine Reihe der eingangs gestellten Fragen vermag schon dieses Schul¬
beispiel zu beantworten:

1. Das Neue, was da werden will, ist in erster Linie eine ethische, davon
abhängig eine soziale und wirtschaftliche Neuordnung, wenn anders der Beweis
Ä posteriori, der sich hier auf das Mißlingen der sozialen und wirtschaftlichen
Versuche bei fortbestehender, ja trotz des Mißerfolges verstärkter Wirksamkeit der
kommunistischen Idee stützt, als richtig angesehen wird.

2. Die erstrebte Neuordnung verwirft den Glauben an die Unabänderlichkeit,
in der sich seit Jahrtausenden die Interessen — in weitesten Sinne I — großer
Menschheitsteile von denen anderer, gewöhnlich kleinerer befinden, dergestalt, daß
die letzteren aus den ersteren mehr Vorteile ziehen, als umgekehrt. Dabei ist den
neuerem der Irrtum unterlaufen, daß sie die Regierungs-, das heißt Ordnungs¬
form, die „kapitalistische" Wirtschaftsform, den nationalen (Schutzgemeinschafts-)
Egoismus mit dem natürlichen — animalischen — Egoismus in einen Topf ge¬
worfen und durch den kindlichen Versuch, diesen letzteren zugleich mit den sozialen,
also von Menschen geschaffenen und deshalb von Menschen zerstörbaren Lebens¬
formen auszutilgen, selber das Sprengpulver in gelöster und deshalb gefährlichster
Verfassung in ihren Neubau eingeführt haben. Eine dunkle Spur von Erkenntnis
dieser Tatsache ergibt sich aus dem Versuch, diesen Naturtrieb mit aus der zer¬
störten Gesellschaftsordnung übernommenen Mitteln der Belohnung oder Be¬
strafung zu bändigen.

3. Das Ziel, dem diese Neuordnung freilich nicht oder höchstens halb be¬
wußt zusteuert, ist eine Gemeinschaft, die den Wert des Menschen an sich, also
ohne Beziehung zu seiner Familie, seiner Nation, seinem Geschlecht, Beruf,
Können, ja seiner Bildungsstufe, Rasse oder Nützlichkeit für die Mitmenschen an¬
erkennt, ihm die größten gemäßen Wirkungsmöglichkeiten schafft und ihn dann
nach dem Maß des auf ihre Erfüllung verwandten guten Willens — also keines¬
wegs des Erfolges I — wertet. Diese Wertung soll sich aber nicht in materiellen
Vorteilen ausdrücken, die allen in gleichem Maße zu Gebote stehen, sondern in
einer Form der Anerkennung, für die die bisherige Ordnung der Dinge noch
keinen Ausdruck gefunden hat, die aber in jedem Falle rein ethisch bleiben muß.
In fortgeschrittenen Stadium der „neuen Ordnung" kann sie wegfallen, weil die
Tat für den Idealmenschen den Lohn in sich trägt.

4. Das wichtigste Mittel zur Erreichung einer solchen Weltordnung ist die
Zerstörung des Geldes. Da das Geld das bequemste Tauschmittel und zugleich
der vollkommenste Wertmaßstab für die auf einer Klassifizierung der Menschen
beruhende Form des menschlichen Zusammenlebens ist, wird dieser das Hand¬
werkszeug zum Wiederaufbau des schwer erschütterten Autoritätsturmes entzogen
wenn das Geld versagt. Nicht in klarer Erkenntnis dieser Tatsache, sondern
zwangläufig als Folge ihres zeitweiligen Ausscheidens aus dem gesamtmensch¬
lichen Zusammenhang haben die Bolschewisten diesen Weg gefunden und in der
„Entwertung durch Vermehrung" (nicht nur bei sich, sondern übergreifend aus


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[0124] Zukunftsstaat und Zukunstsmensch 110 den Angehörigen der früheren Oberschicht gebildet wird. Und alle Elemente der animalischen, egoistischen Menschennatur toben sich in der durch diese Umschichtung geschaffenen Atmosphäre um so rücksichtsloser aus, als sie dunkel oder klar emp¬ finden, daß ein ideales Ziel nicht erreicht wird. Eine Reihe der eingangs gestellten Fragen vermag schon dieses Schul¬ beispiel zu beantworten: 1. Das Neue, was da werden will, ist in erster Linie eine ethische, davon abhängig eine soziale und wirtschaftliche Neuordnung, wenn anders der Beweis Ä posteriori, der sich hier auf das Mißlingen der sozialen und wirtschaftlichen Versuche bei fortbestehender, ja trotz des Mißerfolges verstärkter Wirksamkeit der kommunistischen Idee stützt, als richtig angesehen wird. 2. Die erstrebte Neuordnung verwirft den Glauben an die Unabänderlichkeit, in der sich seit Jahrtausenden die Interessen — in weitesten Sinne I — großer Menschheitsteile von denen anderer, gewöhnlich kleinerer befinden, dergestalt, daß die letzteren aus den ersteren mehr Vorteile ziehen, als umgekehrt. Dabei ist den neuerem der Irrtum unterlaufen, daß sie die Regierungs-, das heißt Ordnungs¬ form, die „kapitalistische" Wirtschaftsform, den nationalen (Schutzgemeinschafts-) Egoismus mit dem natürlichen — animalischen — Egoismus in einen Topf ge¬ worfen und durch den kindlichen Versuch, diesen letzteren zugleich mit den sozialen, also von Menschen geschaffenen und deshalb von Menschen zerstörbaren Lebens¬ formen auszutilgen, selber das Sprengpulver in gelöster und deshalb gefährlichster Verfassung in ihren Neubau eingeführt haben. Eine dunkle Spur von Erkenntnis dieser Tatsache ergibt sich aus dem Versuch, diesen Naturtrieb mit aus der zer¬ störten Gesellschaftsordnung übernommenen Mitteln der Belohnung oder Be¬ strafung zu bändigen. 3. Das Ziel, dem diese Neuordnung freilich nicht oder höchstens halb be¬ wußt zusteuert, ist eine Gemeinschaft, die den Wert des Menschen an sich, also ohne Beziehung zu seiner Familie, seiner Nation, seinem Geschlecht, Beruf, Können, ja seiner Bildungsstufe, Rasse oder Nützlichkeit für die Mitmenschen an¬ erkennt, ihm die größten gemäßen Wirkungsmöglichkeiten schafft und ihn dann nach dem Maß des auf ihre Erfüllung verwandten guten Willens — also keines¬ wegs des Erfolges I — wertet. Diese Wertung soll sich aber nicht in materiellen Vorteilen ausdrücken, die allen in gleichem Maße zu Gebote stehen, sondern in einer Form der Anerkennung, für die die bisherige Ordnung der Dinge noch keinen Ausdruck gefunden hat, die aber in jedem Falle rein ethisch bleiben muß. In fortgeschrittenen Stadium der „neuen Ordnung" kann sie wegfallen, weil die Tat für den Idealmenschen den Lohn in sich trägt. 4. Das wichtigste Mittel zur Erreichung einer solchen Weltordnung ist die Zerstörung des Geldes. Da das Geld das bequemste Tauschmittel und zugleich der vollkommenste Wertmaßstab für die auf einer Klassifizierung der Menschen beruhende Form des menschlichen Zusammenlebens ist, wird dieser das Hand¬ werkszeug zum Wiederaufbau des schwer erschütterten Autoritätsturmes entzogen wenn das Geld versagt. Nicht in klarer Erkenntnis dieser Tatsache, sondern zwangläufig als Folge ihres zeitweiligen Ausscheidens aus dem gesamtmensch¬ lichen Zusammenhang haben die Bolschewisten diesen Weg gefunden und in der „Entwertung durch Vermehrung" (nicht nur bei sich, sondern übergreifend aus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148/124>, abgerufen am 23.12.2024.