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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.

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Bülow, Tirpitz, Wirth und Rosen

Ich freue mich, aus Ihren Mienen zu lesen, daß Sie das Lügnerische
dieser abgedroschenen Phrasen, durch lange Leiden und viele Enttäuschungen be¬
lehrt, so klar erkennen wie ich. Ich freue mich, daß mir gestern "Vorwärts" und
"Frankfurter Zeitung" erklärt haben, sie würden diesmal und in Zukunft diese
Einladungen des "Temps" zum deutschen Bürgerkrieg nicht mehr nachdrucken.
Ich segne mich, den Tag erlebt zu haben, an dem Sie alle, meine Herren, der
querelies allemancles müde, nur noch diedeutscheFrage kennen. (Zwischen¬
rufe,) Ja, Sie Herr Ledebour bleiben uns freilich erhalten, Sie werden sogar
morgen an meinem Platze stehen, wenn die Trikolore über diesem Hohen Hause
weht. Aber da uns dieser Tag nicht erspart bleiben konnte und zu unserer
Genesung gehört, wie der Eiter in der Wunde, so tröstet es mich, daß der Augen¬
blick schon heute gekommen ist, da Sie mit Ihren Parteifunktionären als
französische Angestellte allein, auch von dem erdrückenden Teil der deutschen
Arbeiterschaft und ihrer Vertreter mit Ekel betrachtet, die vom ganzen deutschen
Reichstag einmütig abgelehnten Schergendienste übernehmen.

Sie aber, meine Herren von der Linken und Rechten, die mit mir dieses
Haus jetzt verlassen werden, um es nie wieder, es sei denn in einem freien
Deutschland zu betreten, fordere ich auf, entblößten Hauptes mit mir ein's
Brandenburger Tor zu treten, wo in dieser Stunde unter den Klängen des
Andreas Hofer-Liedes ein unbekannter Soldat, der irgendwo im Elsaß, Tirol oder
Masuren fürs Vaterland gestorben ist, bestattet wird. Denn der Held unseres
Volkes ist nicht der oder jener, sondern die namenlose, leidende, opfernde Seele
des Geringsten unter uns, aus der allein auch unser künftiges Glück ersprießen
wird, wenn die Zeit erfüllt ist und die Gräber der Helden aufbrechen. Jahrelang
mußten wir dulden, bis wir reif waren zu einer Vaterlandsfeier ohne Hader und
Mißklang. Wir konnten den unbekannten Soldaten nicht finden, wir mußten ihn
immerzu sezieren, ob sein Herz deutschnational, sozialdemokratsch, ob er Preuße oder
Bayer wäre. Wir haben den Deutschen endlich gefunden, und
wir bestatten ihn, damit in uns allen seine Seele auferstehe und damit dieser
letzte Tag des alten freien Deutschlands zugleich späteren Geschlechtern als der
erste der neuen, fernen Freiheit erscheine. Lassen sie uns gehen, meine Herren."

Der Tag dieser Rede ist noch nicht gekommen. Aber wir möchten wissen,
ob es möglich ist, ihn zu umgehen. Früher oder später kommt er nach unserem
Gefühl, und je früher, desto besser.




Bülow, Tirpitz, Wirth und Rosen

Ich freue mich, aus Ihren Mienen zu lesen, daß Sie das Lügnerische
dieser abgedroschenen Phrasen, durch lange Leiden und viele Enttäuschungen be¬
lehrt, so klar erkennen wie ich. Ich freue mich, daß mir gestern „Vorwärts" und
„Frankfurter Zeitung" erklärt haben, sie würden diesmal und in Zukunft diese
Einladungen des „Temps" zum deutschen Bürgerkrieg nicht mehr nachdrucken.
Ich segne mich, den Tag erlebt zu haben, an dem Sie alle, meine Herren, der
querelies allemancles müde, nur noch diedeutscheFrage kennen. (Zwischen¬
rufe,) Ja, Sie Herr Ledebour bleiben uns freilich erhalten, Sie werden sogar
morgen an meinem Platze stehen, wenn die Trikolore über diesem Hohen Hause
weht. Aber da uns dieser Tag nicht erspart bleiben konnte und zu unserer
Genesung gehört, wie der Eiter in der Wunde, so tröstet es mich, daß der Augen¬
blick schon heute gekommen ist, da Sie mit Ihren Parteifunktionären als
französische Angestellte allein, auch von dem erdrückenden Teil der deutschen
Arbeiterschaft und ihrer Vertreter mit Ekel betrachtet, die vom ganzen deutschen
Reichstag einmütig abgelehnten Schergendienste übernehmen.

Sie aber, meine Herren von der Linken und Rechten, die mit mir dieses
Haus jetzt verlassen werden, um es nie wieder, es sei denn in einem freien
Deutschland zu betreten, fordere ich auf, entblößten Hauptes mit mir ein's
Brandenburger Tor zu treten, wo in dieser Stunde unter den Klängen des
Andreas Hofer-Liedes ein unbekannter Soldat, der irgendwo im Elsaß, Tirol oder
Masuren fürs Vaterland gestorben ist, bestattet wird. Denn der Held unseres
Volkes ist nicht der oder jener, sondern die namenlose, leidende, opfernde Seele
des Geringsten unter uns, aus der allein auch unser künftiges Glück ersprießen
wird, wenn die Zeit erfüllt ist und die Gräber der Helden aufbrechen. Jahrelang
mußten wir dulden, bis wir reif waren zu einer Vaterlandsfeier ohne Hader und
Mißklang. Wir konnten den unbekannten Soldaten nicht finden, wir mußten ihn
immerzu sezieren, ob sein Herz deutschnational, sozialdemokratsch, ob er Preuße oder
Bayer wäre. Wir haben den Deutschen endlich gefunden, und
wir bestatten ihn, damit in uns allen seine Seele auferstehe und damit dieser
letzte Tag des alten freien Deutschlands zugleich späteren Geschlechtern als der
erste der neuen, fernen Freiheit erscheine. Lassen sie uns gehen, meine Herren."

Der Tag dieser Rede ist noch nicht gekommen. Aber wir möchten wissen,
ob es möglich ist, ihn zu umgehen. Früher oder später kommt er nach unserem
Gefühl, und je früher, desto besser.




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[0104] Bülow, Tirpitz, Wirth und Rosen Ich freue mich, aus Ihren Mienen zu lesen, daß Sie das Lügnerische dieser abgedroschenen Phrasen, durch lange Leiden und viele Enttäuschungen be¬ lehrt, so klar erkennen wie ich. Ich freue mich, daß mir gestern „Vorwärts" und „Frankfurter Zeitung" erklärt haben, sie würden diesmal und in Zukunft diese Einladungen des „Temps" zum deutschen Bürgerkrieg nicht mehr nachdrucken. Ich segne mich, den Tag erlebt zu haben, an dem Sie alle, meine Herren, der querelies allemancles müde, nur noch diedeutscheFrage kennen. (Zwischen¬ rufe,) Ja, Sie Herr Ledebour bleiben uns freilich erhalten, Sie werden sogar morgen an meinem Platze stehen, wenn die Trikolore über diesem Hohen Hause weht. Aber da uns dieser Tag nicht erspart bleiben konnte und zu unserer Genesung gehört, wie der Eiter in der Wunde, so tröstet es mich, daß der Augen¬ blick schon heute gekommen ist, da Sie mit Ihren Parteifunktionären als französische Angestellte allein, auch von dem erdrückenden Teil der deutschen Arbeiterschaft und ihrer Vertreter mit Ekel betrachtet, die vom ganzen deutschen Reichstag einmütig abgelehnten Schergendienste übernehmen. Sie aber, meine Herren von der Linken und Rechten, die mit mir dieses Haus jetzt verlassen werden, um es nie wieder, es sei denn in einem freien Deutschland zu betreten, fordere ich auf, entblößten Hauptes mit mir ein's Brandenburger Tor zu treten, wo in dieser Stunde unter den Klängen des Andreas Hofer-Liedes ein unbekannter Soldat, der irgendwo im Elsaß, Tirol oder Masuren fürs Vaterland gestorben ist, bestattet wird. Denn der Held unseres Volkes ist nicht der oder jener, sondern die namenlose, leidende, opfernde Seele des Geringsten unter uns, aus der allein auch unser künftiges Glück ersprießen wird, wenn die Zeit erfüllt ist und die Gräber der Helden aufbrechen. Jahrelang mußten wir dulden, bis wir reif waren zu einer Vaterlandsfeier ohne Hader und Mißklang. Wir konnten den unbekannten Soldaten nicht finden, wir mußten ihn immerzu sezieren, ob sein Herz deutschnational, sozialdemokratsch, ob er Preuße oder Bayer wäre. Wir haben den Deutschen endlich gefunden, und wir bestatten ihn, damit in uns allen seine Seele auferstehe und damit dieser letzte Tag des alten freien Deutschlands zugleich späteren Geschlechtern als der erste der neuen, fernen Freiheit erscheine. Lassen sie uns gehen, meine Herren." Der Tag dieser Rede ist noch nicht gekommen. Aber wir möchten wissen, ob es möglich ist, ihn zu umgehen. Früher oder später kommt er nach unserem Gefühl, und je früher, desto besser.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148/104>, abgerufen am 22.12.2024.