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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.

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Erzberger und kein Ende

(Lrzberger und kein Gute
Dr. Eduard Stabeler von

er Neichscmsschuß der Zentrumspartei, der am 23. Juni in Berlin-
zwecks Erledigung des "Falles Erzberger" tagte, hat sich zu einer
kraftvollen Entscheidung nicht aufschwingen können. Nach ein¬
gehenden Beratungen, an denen anch Erzberger entgegen¬
kommenderweise teilnehmen durfte, kam man zu einem mehr als>
schwächlichen Kompromiß. Da am gleichen Tage die Gerichtserklärung veröffent¬
licht wurde, in der die Einstellung des gegen Erzbcrger schwebenden Meincids-
verfahrens bekannt gegeben wurde, nahm der Rcichsausschnß eine Art Resolution
an, in der den Freunden Erzbergers zulieb die Genugtuung der Partei über dew
Beschluß des Gerichts ausgesprochen wurde. Ju der politisch entscheidenden Frage
der weiteren Teilnahme Erzbergers am öffentlichen Leben sah der Reichsausschuß
von einer eigenen Beschlußfassung ab. Erzberger bequemte sich zu einer Er¬
klärung, in der er Wert auf die Feststellung legte, daß er seinen Wiedereintritt
in die parlamentarische Politik von der Gesamtlage abhängig machen und im
übrigen alle nötige Rücksicht auf die Einigkeit der Partei nehmen werde.

Will man die Haltung des Reichsausschusses verstehen, will man die poli¬
tische Tragweite der neuesten Erzbergerkrise ermessen, dann bedarf es zunächst
einer kurzen zusammenfassenden'Betrachtung über die Entstehung und den Ver¬
lauf der Krise.




Am 12. März 1920 wurde vom Moabiter Gericht das Arten im Prozeß
Helfferich-Erzberger gesprochen. In diesem Urteil hieß es: "Die vom Angeklagten
(Helfferich) erhobenen Beschuldigungen (gegen Erzberger) gliedern sich in 4 Grup¬
pen: 1. Vermischung politischer Tätigkeit und eigener geschäftlichen Interessen,.
2. UnWahrhaftigkeit, Z. Unanständigkeit, 4. Politische Tätigkeit zum Nachteil
Deutschlands. Der Angeklagte hat den Wahrheitsbeweis angetreten. Das Gericht
hatte daher die Berechtigung, diese Vorwürfe zu prüfen. Der Wahrheitsbeweis
ist im wesentlichen gelungen." In der Begründung wurde Erzberger als ein
Mann "von bedauerlichen Mangel an Urteilskraft und erstaunlicher Ungenauigkeit
in allen Dingen" bezeichnet. Es wurde ihm in mehreren Fällen "unzulässige Ver¬
mischung der parlamentarischen Tätigkeit mit eigenen Geldinteressen" vorgeworfen.
Es wurde ihm bescheinigt, daß er "offenbar seine amtlichen Kenntnisse benutzt habe,
um Vorteile zu erreichen". Es wurde ihm an vielen Einzelheiten nachgewiesen,
daß er "nnwahrhaftig" sei. Und auch "Unanständigkeit" ward Erzberger
bescheinigt.

Das war im Grunde genommen das Todesurteil für den Zentrnmspolitikcr
Erzberger. Leider fand die öffentliche Meinung keine Zeit, das moralische Ver-
nichtungsnrteil mit ihrer eigenen, auch einem Erzberger imponierender Wucht,
zu unterstreichen. Denn am Tage nach dem Gerichtsurteil, am 13. Mürz, brach
der Kapp-Pulses aus. Ein Ereignis, das in sich selbst und durch seiue Folge¬
wirkung alles Vorhergehende überschattete und somit auch den Fall Erzberger'
aus dem Gesichtskreis des deutschen Volkes verdrängte. Ja, der mißlungene
Staatsstreich der Extremen rechts hatte einen Stimmnngsumschlag zur "deino-


Erzberger und kein Ende

(Lrzberger und kein Gute
Dr. Eduard Stabeler von

er Neichscmsschuß der Zentrumspartei, der am 23. Juni in Berlin-
zwecks Erledigung des „Falles Erzberger" tagte, hat sich zu einer
kraftvollen Entscheidung nicht aufschwingen können. Nach ein¬
gehenden Beratungen, an denen anch Erzberger entgegen¬
kommenderweise teilnehmen durfte, kam man zu einem mehr als>
schwächlichen Kompromiß. Da am gleichen Tage die Gerichtserklärung veröffent¬
licht wurde, in der die Einstellung des gegen Erzbcrger schwebenden Meincids-
verfahrens bekannt gegeben wurde, nahm der Rcichsausschnß eine Art Resolution
an, in der den Freunden Erzbergers zulieb die Genugtuung der Partei über dew
Beschluß des Gerichts ausgesprochen wurde. Ju der politisch entscheidenden Frage
der weiteren Teilnahme Erzbergers am öffentlichen Leben sah der Reichsausschuß
von einer eigenen Beschlußfassung ab. Erzberger bequemte sich zu einer Er¬
klärung, in der er Wert auf die Feststellung legte, daß er seinen Wiedereintritt
in die parlamentarische Politik von der Gesamtlage abhängig machen und im
übrigen alle nötige Rücksicht auf die Einigkeit der Partei nehmen werde.

Will man die Haltung des Reichsausschusses verstehen, will man die poli¬
tische Tragweite der neuesten Erzbergerkrise ermessen, dann bedarf es zunächst
einer kurzen zusammenfassenden'Betrachtung über die Entstehung und den Ver¬
lauf der Krise.




Am 12. März 1920 wurde vom Moabiter Gericht das Arten im Prozeß
Helfferich-Erzberger gesprochen. In diesem Urteil hieß es: „Die vom Angeklagten
(Helfferich) erhobenen Beschuldigungen (gegen Erzberger) gliedern sich in 4 Grup¬
pen: 1. Vermischung politischer Tätigkeit und eigener geschäftlichen Interessen,.
2. UnWahrhaftigkeit, Z. Unanständigkeit, 4. Politische Tätigkeit zum Nachteil
Deutschlands. Der Angeklagte hat den Wahrheitsbeweis angetreten. Das Gericht
hatte daher die Berechtigung, diese Vorwürfe zu prüfen. Der Wahrheitsbeweis
ist im wesentlichen gelungen." In der Begründung wurde Erzberger als ein
Mann „von bedauerlichen Mangel an Urteilskraft und erstaunlicher Ungenauigkeit
in allen Dingen" bezeichnet. Es wurde ihm in mehreren Fällen „unzulässige Ver¬
mischung der parlamentarischen Tätigkeit mit eigenen Geldinteressen" vorgeworfen.
Es wurde ihm bescheinigt, daß er „offenbar seine amtlichen Kenntnisse benutzt habe,
um Vorteile zu erreichen". Es wurde ihm an vielen Einzelheiten nachgewiesen,
daß er „nnwahrhaftig" sei. Und auch „Unanständigkeit" ward Erzberger
bescheinigt.

Das war im Grunde genommen das Todesurteil für den Zentrnmspolitikcr
Erzberger. Leider fand die öffentliche Meinung keine Zeit, das moralische Ver-
nichtungsnrteil mit ihrer eigenen, auch einem Erzberger imponierender Wucht,
zu unterstreichen. Denn am Tage nach dem Gerichtsurteil, am 13. Mürz, brach
der Kapp-Pulses aus. Ein Ereignis, das in sich selbst und durch seiue Folge¬
wirkung alles Vorhergehende überschattete und somit auch den Fall Erzberger'
aus dem Gesichtskreis des deutschen Volkes verdrängte. Ja, der mißlungene
Staatsstreich der Extremen rechts hatte einen Stimmnngsumschlag zur „deino-


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[0105] Erzberger und kein Ende (Lrzberger und kein Gute Dr. Eduard Stabeler von er Neichscmsschuß der Zentrumspartei, der am 23. Juni in Berlin- zwecks Erledigung des „Falles Erzberger" tagte, hat sich zu einer kraftvollen Entscheidung nicht aufschwingen können. Nach ein¬ gehenden Beratungen, an denen anch Erzberger entgegen¬ kommenderweise teilnehmen durfte, kam man zu einem mehr als> schwächlichen Kompromiß. Da am gleichen Tage die Gerichtserklärung veröffent¬ licht wurde, in der die Einstellung des gegen Erzbcrger schwebenden Meincids- verfahrens bekannt gegeben wurde, nahm der Rcichsausschnß eine Art Resolution an, in der den Freunden Erzbergers zulieb die Genugtuung der Partei über dew Beschluß des Gerichts ausgesprochen wurde. Ju der politisch entscheidenden Frage der weiteren Teilnahme Erzbergers am öffentlichen Leben sah der Reichsausschuß von einer eigenen Beschlußfassung ab. Erzberger bequemte sich zu einer Er¬ klärung, in der er Wert auf die Feststellung legte, daß er seinen Wiedereintritt in die parlamentarische Politik von der Gesamtlage abhängig machen und im übrigen alle nötige Rücksicht auf die Einigkeit der Partei nehmen werde. Will man die Haltung des Reichsausschusses verstehen, will man die poli¬ tische Tragweite der neuesten Erzbergerkrise ermessen, dann bedarf es zunächst einer kurzen zusammenfassenden'Betrachtung über die Entstehung und den Ver¬ lauf der Krise. Am 12. März 1920 wurde vom Moabiter Gericht das Arten im Prozeß Helfferich-Erzberger gesprochen. In diesem Urteil hieß es: „Die vom Angeklagten (Helfferich) erhobenen Beschuldigungen (gegen Erzberger) gliedern sich in 4 Grup¬ pen: 1. Vermischung politischer Tätigkeit und eigener geschäftlichen Interessen,. 2. UnWahrhaftigkeit, Z. Unanständigkeit, 4. Politische Tätigkeit zum Nachteil Deutschlands. Der Angeklagte hat den Wahrheitsbeweis angetreten. Das Gericht hatte daher die Berechtigung, diese Vorwürfe zu prüfen. Der Wahrheitsbeweis ist im wesentlichen gelungen." In der Begründung wurde Erzberger als ein Mann „von bedauerlichen Mangel an Urteilskraft und erstaunlicher Ungenauigkeit in allen Dingen" bezeichnet. Es wurde ihm in mehreren Fällen „unzulässige Ver¬ mischung der parlamentarischen Tätigkeit mit eigenen Geldinteressen" vorgeworfen. Es wurde ihm bescheinigt, daß er „offenbar seine amtlichen Kenntnisse benutzt habe, um Vorteile zu erreichen". Es wurde ihm an vielen Einzelheiten nachgewiesen, daß er „nnwahrhaftig" sei. Und auch „Unanständigkeit" ward Erzberger bescheinigt. Das war im Grunde genommen das Todesurteil für den Zentrnmspolitikcr Erzberger. Leider fand die öffentliche Meinung keine Zeit, das moralische Ver- nichtungsnrteil mit ihrer eigenen, auch einem Erzberger imponierender Wucht, zu unterstreichen. Denn am Tage nach dem Gerichtsurteil, am 13. Mürz, brach der Kapp-Pulses aus. Ein Ereignis, das in sich selbst und durch seiue Folge¬ wirkung alles Vorhergehende überschattete und somit auch den Fall Erzberger' aus dem Gesichtskreis des deutschen Volkes verdrängte. Ja, der mißlungene Staatsstreich der Extremen rechts hatte einen Stimmnngsumschlag zur „deino-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148/105>, abgerufen am 22.12.2024.