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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr.

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Saburow und die russische" Staatsakten usw.

Unterhaltung mit dem Pariser Botschafter Baron Mohrenheim setzte der neue
Minister deS Äußeren, Flourens, auseinander, Frankreich sei auf alles gefaßt,
müsse aber zugleich alles vermeiden, was wie kriegerische Absichten gedeutet
werden könnte. Frankreich werde Deutschland nicht angreifen, es sei denn, daß
dieses anderwärts stark engagiert wäre.-") Es rechne aber auf die moralische
Unterstützung Rußlands für den Fall, daß Deutschland von ihm Abrüstung fordern
sollte. Zu Mohrenheims Bericht über diese Unterredung machte Alexander III.
die Randbemerkung, daß Frankreich in dem vorgenannten Fall auf Rußland
rechnen dürfe. Giers aber schrieb am 22. Januar 1887 an Mvhrenheim, die
Besorgnis deS französischen Ministers vor Angriffsabsichten Bismarcks sei über¬
trieben. Dieser habe in letzter Zeit wiederholt versichert, daß Deutschland
Frankreich nicht angreifen werde. Giers vertrat die Ansicht, daß die russisch¬
deutsche Freundschaft die beste Sicherung für Frankreich und ganz Europa sei.
Er instruierte daher Mohrenheiu, Flourens beizubringen, daß eine russisch-franzö¬
sische Entente die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich verschlechtern
würde. Die französische Regierung nahm davon Kenntnis und machte sich die
Ansicht zu eigen (soesptscl elf vivo), daß Bismarck gute Beziehungen zu Rußland
allein zur Sicherung der friedlichen Entwicklung seiner Schöpfung benutzen werde.

Als Flourens die Entsendung einer Vertrauensperson nach Petersburg ins
Auge faßte, machte Alexander III. zu Mohrenheims Telegramm die Randbemerkung:
"Das könnte uns sehr nützlich sein in einem gegebenen Augenblicke, und wir sollten
sie nicht entmutigen." Zu dieser Sendung war Vicomte Melchior de Vogue aus¬
ersehen. Mohrenheim hielt sie jedoch nicht für angezeigt.

Trotz diesem Zwischenfall blieb es bei der schon im November 1886 an
Schuwalow weitergegebenen Weisung Alexanders III., er lege Wert auf ein Ein¬
vernehmen mit Deutschland, wünsche aber, daß es ernst, aufrichtig und vollständig
sei. Die erste Konferenz Schuwalows mit Bismarck über diese Frage fand am
11. Mai 1887 statt. Schuwalow erinnerte Bismarck an seine Worte: "Wenn
Frankreich uns angreift, werden wir uns verteidigen, aber wir werden nicht gegen
die befestigten französischen Linien anrennen." Bismarck: "Im Falle eines
französischen Angriffs haben wir Eure wohlwollende Neutralität. Ihr habt die
unsrige im Falle eines Krieges mit einer dritten Macht, England, der Türkei oder
Osterreich. Der Kriegsfall zwischen Euch und Österreich würde mich in außer¬
ordentliche Verlegenheit bringen wegen gewisser Verpflichtungen, die uns an diese
Macht binden. Was wollt Ihr haben? Sie sind so beschaffen, daß sie uns nicht




W) Man vergleiche damit Jswolskys Bericht an Sascmow vom Is. September 1912:
"Frankreich -- fügte Herr Poineare hinzu -- ist unzweifelhaft friedlich gesinnt und sucht und
wünscht keinen Krieg, doch Deutschlands Auftreten gegen Rußland wird diese Gesinnung sofort
andern , . ." Deutsches Weißbuch über die Verantwortlichkeit der Urheber des Krieges 1914.
"") Ugt. hierzu Jules Hansens, Diplomatische Enthüllungen uns der Botschaftcrzcit des
Anrons von Mvhrenheim, der zwar Wahres mit Falschen reichlich vermischt, hier jedoch
Goriainow in einigen Punkten ergänzt und berichtigt. Der Mission Vvguö ist aus Petersburg
nbgcwinkt worden, Mvhrenheim hatte sie als Wvrtredncr der Entente betrieben. Die ganze
Episode ist auch von Goriainow schlampig und nicht ohne Parteilichkeit für Giers behandelt.
ES versteht sich von selbst, daß die russischen Staatsakten über die Antngonisten deS Ministers
mehr enthalten, als er gibt.
Saburow und die russische» Staatsakten usw.

Unterhaltung mit dem Pariser Botschafter Baron Mohrenheim setzte der neue
Minister deS Äußeren, Flourens, auseinander, Frankreich sei auf alles gefaßt,
müsse aber zugleich alles vermeiden, was wie kriegerische Absichten gedeutet
werden könnte. Frankreich werde Deutschland nicht angreifen, es sei denn, daß
dieses anderwärts stark engagiert wäre.-") Es rechne aber auf die moralische
Unterstützung Rußlands für den Fall, daß Deutschland von ihm Abrüstung fordern
sollte. Zu Mohrenheims Bericht über diese Unterredung machte Alexander III.
die Randbemerkung, daß Frankreich in dem vorgenannten Fall auf Rußland
rechnen dürfe. Giers aber schrieb am 22. Januar 1887 an Mvhrenheim, die
Besorgnis deS französischen Ministers vor Angriffsabsichten Bismarcks sei über¬
trieben. Dieser habe in letzter Zeit wiederholt versichert, daß Deutschland
Frankreich nicht angreifen werde. Giers vertrat die Ansicht, daß die russisch¬
deutsche Freundschaft die beste Sicherung für Frankreich und ganz Europa sei.
Er instruierte daher Mohrenheiu, Flourens beizubringen, daß eine russisch-franzö¬
sische Entente die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich verschlechtern
würde. Die französische Regierung nahm davon Kenntnis und machte sich die
Ansicht zu eigen (soesptscl elf vivo), daß Bismarck gute Beziehungen zu Rußland
allein zur Sicherung der friedlichen Entwicklung seiner Schöpfung benutzen werde.

Als Flourens die Entsendung einer Vertrauensperson nach Petersburg ins
Auge faßte, machte Alexander III. zu Mohrenheims Telegramm die Randbemerkung:
„Das könnte uns sehr nützlich sein in einem gegebenen Augenblicke, und wir sollten
sie nicht entmutigen." Zu dieser Sendung war Vicomte Melchior de Vogue aus¬
ersehen. Mohrenheim hielt sie jedoch nicht für angezeigt.

Trotz diesem Zwischenfall blieb es bei der schon im November 1886 an
Schuwalow weitergegebenen Weisung Alexanders III., er lege Wert auf ein Ein¬
vernehmen mit Deutschland, wünsche aber, daß es ernst, aufrichtig und vollständig
sei. Die erste Konferenz Schuwalows mit Bismarck über diese Frage fand am
11. Mai 1887 statt. Schuwalow erinnerte Bismarck an seine Worte: „Wenn
Frankreich uns angreift, werden wir uns verteidigen, aber wir werden nicht gegen
die befestigten französischen Linien anrennen." Bismarck: „Im Falle eines
französischen Angriffs haben wir Eure wohlwollende Neutralität. Ihr habt die
unsrige im Falle eines Krieges mit einer dritten Macht, England, der Türkei oder
Osterreich. Der Kriegsfall zwischen Euch und Österreich würde mich in außer¬
ordentliche Verlegenheit bringen wegen gewisser Verpflichtungen, die uns an diese
Macht binden. Was wollt Ihr haben? Sie sind so beschaffen, daß sie uns nicht




W) Man vergleiche damit Jswolskys Bericht an Sascmow vom Is. September 1912:
„Frankreich — fügte Herr Poineare hinzu — ist unzweifelhaft friedlich gesinnt und sucht und
wünscht keinen Krieg, doch Deutschlands Auftreten gegen Rußland wird diese Gesinnung sofort
andern , . ." Deutsches Weißbuch über die Verantwortlichkeit der Urheber des Krieges 1914.
»«) Ugt. hierzu Jules Hansens, Diplomatische Enthüllungen uns der Botschaftcrzcit des
Anrons von Mvhrenheim, der zwar Wahres mit Falschen reichlich vermischt, hier jedoch
Goriainow in einigen Punkten ergänzt und berichtigt. Der Mission Vvguö ist aus Petersburg
nbgcwinkt worden, Mvhrenheim hatte sie als Wvrtredncr der Entente betrieben. Die ganze
Episode ist auch von Goriainow schlampig und nicht ohne Parteilichkeit für Giers behandelt.
ES versteht sich von selbst, daß die russischen Staatsakten über die Antngonisten deS Ministers
mehr enthalten, als er gibt.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338800/97>, abgerufen am 23.11.2024.