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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.

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Ein weiterer Grund für berufsständische Vertretungen ist die Notwendigkeit,
die Berufs- und Klassenorganisationen/ die sich zu Trägern selbständiger Macht
entwickelt haben, so in den Staatsbäu einzugliedern, dasz sie sich in ihrem eigenen
Interesse in den Dienst des Staates stellen können und keinen Anlaß mehr haben,
ihre Macht gegen den Staat auszuwirken. Insoweit findet heutzutage der
entgegengesetzte Prozeß statt wie Mitte des 19. Jahrhunderts. Damals gruppierten
sich die Massen unter der Herrschaft großer politischer Ideen, heute gruppieren
sie sich beruflich und gewerkschaftlich. Herrsahrdt gibt diesbezüglich eine Schilderung
unserer heutigen Lage, aus der folgende Sätze wiedergegeben seien:

"Je mehr die Regierung dem Druck der Arbeiterschaft nachgibt, um so mehr
verliert sie auch in den Augen der übrigen Bevölkerung das Ansehen einer ver¬
fassungsmäßigen Gewalt. Bei den bürgerlichen Berufsständen wächst die Neigung,
ebenso wie die Arbeiterschaft ihre eigene wirtschaftliche Macht politisch zur Geltung
zu bringen. Das Parlamentarische System wird nur noch als eine äußere Hülle
empfunden, hinter der jeder Volksteil unter Entfaltung seiner wirtschaftlichen oder
gesellschaftlichen Macht einen möglichst großen Teil der Staatsgewalt unter seinen
Einfluß zu bringen versucht. Landwirtschaft, Industriekapital, Beamtentum und
Reichswehr stehen nicht mehr mit Selbstverständlichkeit hinter der verfassungs¬
mäßigen Gewalt, sondern stützen sie nur insofern, als sie in ihr das kleinere
Übel gegenüber der Diktatur des Proletariats sehen. -- In dem bisherigen
Fehlen einer Form, in der die wirtschaftlichen Machtgruppen zur Grundlage des
Staates werden können, liegt wiederum die einzige wesentliche Stärke der
Regierung und des parlamentarischen Systems überhaupt. Nach Zertrümmerung
der Monarchie wird die parlamentarische Demokratie vom größten Teil des
Volkes wenigstens in der Theorie als einzig mögliche Staatsform empfunden,
weil für eine Verfassung, die die modernen Träger wirtschaftlicher Macht in den
Staat eingliedert, vorläufig noch jegliches Vorbild fehlt.

Die gegenwärtige Lage können wir hiernach kennzeichnen als ein Mi߬
verhältnis zwischen Staatsform und Bau des Volkskörpers. Um dies zu über¬
winden, sind zwei Wege denkbar. Der eine, vollkommenere Weg wäre der, daß
es wieder gelänge, große politische Ideale lebendig zu machen. Der gegen¬
wärtige seelische Zustand des deutschen Volkes ist jedenfalls in dieser Hinsicht so
ungünstig, daß wir nicht ohne weiteres auf ein baldiges Wiedererwachen des
Idealismus in den breiten Massen hoffen können, solange die schwerste wirtschaft¬
liche Notlage nicht überwunden ist. -- In unserem Zusammenhang handelt es
sich um den anderen möglichen Weg, der darin besteht, die wirtschaftlichen Berufs-,
Klassen- und Jnteressenverbände, in denen heute die lebendige Kraft des Volkes
zum Ausdruck kommt, durch Eingliederung in die Verfassung zur Mitarbeit am
Staatsleben zu veranlassen." Herrsahrdt wendet sich dann insbesondere gegen
die Anwendung des Mehrheitsprinzips in einer berufsständischen Vertretung.

Herrsahrdt untersucht weiter die Gründe gegen berufsständische Vertretungen.
Hier ist in erster Linie der von verschiedenen Seiten erhobene Einwand zu be¬
rücksichtigen, daß künstlich geschaffene Berussvertretungen kein Ausdruck des wirk¬
lichen Lebens seien. Dieser Einwand ist aber nicht stichhaltig, wenn einerseits die
frei gewachsenen Verbände in der berussständischen Vertretung in erster Linie
berücksichtigt werden, während die staatlich ins Leben gerufenen nur eine Er¬
gänzung für diese bilden und andererseits der berufsständischen Vertretung nur
eine beratende Stellung eingeräumt wird. Dasselbe gilt von den Vorwürfen,
daß ein Parlament, in dem alle einzelnen Berufe vertreten seien, zu groß werden
würde, um arbeitsfähig zu sein (vgl. oben). Erheblicher als diese Vorwürfe sind
die grundsätzlichen Erwägungen, ob sich nicht in einer körperschaftlichen Interessen¬
vertretung ein Krieg aller gegen alle abspiele, bei der der Staat unbedingt zu
kurz komme.- Dies Bedenken ist nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen,
wenn es zur Förderung eines alleinigen souveränen Wirtschaftsparlaments fuhrt.
Steht aber neben diesem, insbesondere wenn es nur beratende Funktionen ausübt,
eine andere Stelle, in der die staatlichen Belange nach allgemeinen politischen


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Ein weiterer Grund für berufsständische Vertretungen ist die Notwendigkeit,
die Berufs- und Klassenorganisationen/ die sich zu Trägern selbständiger Macht
entwickelt haben, so in den Staatsbäu einzugliedern, dasz sie sich in ihrem eigenen
Interesse in den Dienst des Staates stellen können und keinen Anlaß mehr haben,
ihre Macht gegen den Staat auszuwirken. Insoweit findet heutzutage der
entgegengesetzte Prozeß statt wie Mitte des 19. Jahrhunderts. Damals gruppierten
sich die Massen unter der Herrschaft großer politischer Ideen, heute gruppieren
sie sich beruflich und gewerkschaftlich. Herrsahrdt gibt diesbezüglich eine Schilderung
unserer heutigen Lage, aus der folgende Sätze wiedergegeben seien:

„Je mehr die Regierung dem Druck der Arbeiterschaft nachgibt, um so mehr
verliert sie auch in den Augen der übrigen Bevölkerung das Ansehen einer ver¬
fassungsmäßigen Gewalt. Bei den bürgerlichen Berufsständen wächst die Neigung,
ebenso wie die Arbeiterschaft ihre eigene wirtschaftliche Macht politisch zur Geltung
zu bringen. Das Parlamentarische System wird nur noch als eine äußere Hülle
empfunden, hinter der jeder Volksteil unter Entfaltung seiner wirtschaftlichen oder
gesellschaftlichen Macht einen möglichst großen Teil der Staatsgewalt unter seinen
Einfluß zu bringen versucht. Landwirtschaft, Industriekapital, Beamtentum und
Reichswehr stehen nicht mehr mit Selbstverständlichkeit hinter der verfassungs¬
mäßigen Gewalt, sondern stützen sie nur insofern, als sie in ihr das kleinere
Übel gegenüber der Diktatur des Proletariats sehen. — In dem bisherigen
Fehlen einer Form, in der die wirtschaftlichen Machtgruppen zur Grundlage des
Staates werden können, liegt wiederum die einzige wesentliche Stärke der
Regierung und des parlamentarischen Systems überhaupt. Nach Zertrümmerung
der Monarchie wird die parlamentarische Demokratie vom größten Teil des
Volkes wenigstens in der Theorie als einzig mögliche Staatsform empfunden,
weil für eine Verfassung, die die modernen Träger wirtschaftlicher Macht in den
Staat eingliedert, vorläufig noch jegliches Vorbild fehlt.

Die gegenwärtige Lage können wir hiernach kennzeichnen als ein Mi߬
verhältnis zwischen Staatsform und Bau des Volkskörpers. Um dies zu über¬
winden, sind zwei Wege denkbar. Der eine, vollkommenere Weg wäre der, daß
es wieder gelänge, große politische Ideale lebendig zu machen. Der gegen¬
wärtige seelische Zustand des deutschen Volkes ist jedenfalls in dieser Hinsicht so
ungünstig, daß wir nicht ohne weiteres auf ein baldiges Wiedererwachen des
Idealismus in den breiten Massen hoffen können, solange die schwerste wirtschaft¬
liche Notlage nicht überwunden ist. — In unserem Zusammenhang handelt es
sich um den anderen möglichen Weg, der darin besteht, die wirtschaftlichen Berufs-,
Klassen- und Jnteressenverbände, in denen heute die lebendige Kraft des Volkes
zum Ausdruck kommt, durch Eingliederung in die Verfassung zur Mitarbeit am
Staatsleben zu veranlassen." Herrsahrdt wendet sich dann insbesondere gegen
die Anwendung des Mehrheitsprinzips in einer berufsständischen Vertretung.

Herrsahrdt untersucht weiter die Gründe gegen berufsständische Vertretungen.
Hier ist in erster Linie der von verschiedenen Seiten erhobene Einwand zu be¬
rücksichtigen, daß künstlich geschaffene Berussvertretungen kein Ausdruck des wirk¬
lichen Lebens seien. Dieser Einwand ist aber nicht stichhaltig, wenn einerseits die
frei gewachsenen Verbände in der berussständischen Vertretung in erster Linie
berücksichtigt werden, während die staatlich ins Leben gerufenen nur eine Er¬
gänzung für diese bilden und andererseits der berufsständischen Vertretung nur
eine beratende Stellung eingeräumt wird. Dasselbe gilt von den Vorwürfen,
daß ein Parlament, in dem alle einzelnen Berufe vertreten seien, zu groß werden
würde, um arbeitsfähig zu sein (vgl. oben). Erheblicher als diese Vorwürfe sind
die grundsätzlichen Erwägungen, ob sich nicht in einer körperschaftlichen Interessen¬
vertretung ein Krieg aller gegen alle abspiele, bei der der Staat unbedingt zu
kurz komme.- Dies Bedenken ist nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen,
wenn es zur Förderung eines alleinigen souveränen Wirtschaftsparlaments fuhrt.
Steht aber neben diesem, insbesondere wenn es nur beratende Funktionen ausübt,
eine andere Stelle, in der die staatlichen Belange nach allgemeinen politischen


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[0330] Aus neuen Büchern Ein weiterer Grund für berufsständische Vertretungen ist die Notwendigkeit, die Berufs- und Klassenorganisationen/ die sich zu Trägern selbständiger Macht entwickelt haben, so in den Staatsbäu einzugliedern, dasz sie sich in ihrem eigenen Interesse in den Dienst des Staates stellen können und keinen Anlaß mehr haben, ihre Macht gegen den Staat auszuwirken. Insoweit findet heutzutage der entgegengesetzte Prozeß statt wie Mitte des 19. Jahrhunderts. Damals gruppierten sich die Massen unter der Herrschaft großer politischer Ideen, heute gruppieren sie sich beruflich und gewerkschaftlich. Herrsahrdt gibt diesbezüglich eine Schilderung unserer heutigen Lage, aus der folgende Sätze wiedergegeben seien: „Je mehr die Regierung dem Druck der Arbeiterschaft nachgibt, um so mehr verliert sie auch in den Augen der übrigen Bevölkerung das Ansehen einer ver¬ fassungsmäßigen Gewalt. Bei den bürgerlichen Berufsständen wächst die Neigung, ebenso wie die Arbeiterschaft ihre eigene wirtschaftliche Macht politisch zur Geltung zu bringen. Das Parlamentarische System wird nur noch als eine äußere Hülle empfunden, hinter der jeder Volksteil unter Entfaltung seiner wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Macht einen möglichst großen Teil der Staatsgewalt unter seinen Einfluß zu bringen versucht. Landwirtschaft, Industriekapital, Beamtentum und Reichswehr stehen nicht mehr mit Selbstverständlichkeit hinter der verfassungs¬ mäßigen Gewalt, sondern stützen sie nur insofern, als sie in ihr das kleinere Übel gegenüber der Diktatur des Proletariats sehen. — In dem bisherigen Fehlen einer Form, in der die wirtschaftlichen Machtgruppen zur Grundlage des Staates werden können, liegt wiederum die einzige wesentliche Stärke der Regierung und des parlamentarischen Systems überhaupt. Nach Zertrümmerung der Monarchie wird die parlamentarische Demokratie vom größten Teil des Volkes wenigstens in der Theorie als einzig mögliche Staatsform empfunden, weil für eine Verfassung, die die modernen Träger wirtschaftlicher Macht in den Staat eingliedert, vorläufig noch jegliches Vorbild fehlt. Die gegenwärtige Lage können wir hiernach kennzeichnen als ein Mi߬ verhältnis zwischen Staatsform und Bau des Volkskörpers. Um dies zu über¬ winden, sind zwei Wege denkbar. Der eine, vollkommenere Weg wäre der, daß es wieder gelänge, große politische Ideale lebendig zu machen. Der gegen¬ wärtige seelische Zustand des deutschen Volkes ist jedenfalls in dieser Hinsicht so ungünstig, daß wir nicht ohne weiteres auf ein baldiges Wiedererwachen des Idealismus in den breiten Massen hoffen können, solange die schwerste wirtschaft¬ liche Notlage nicht überwunden ist. — In unserem Zusammenhang handelt es sich um den anderen möglichen Weg, der darin besteht, die wirtschaftlichen Berufs-, Klassen- und Jnteressenverbände, in denen heute die lebendige Kraft des Volkes zum Ausdruck kommt, durch Eingliederung in die Verfassung zur Mitarbeit am Staatsleben zu veranlassen." Herrsahrdt wendet sich dann insbesondere gegen die Anwendung des Mehrheitsprinzips in einer berufsständischen Vertretung. Herrsahrdt untersucht weiter die Gründe gegen berufsständische Vertretungen. Hier ist in erster Linie der von verschiedenen Seiten erhobene Einwand zu be¬ rücksichtigen, daß künstlich geschaffene Berussvertretungen kein Ausdruck des wirk¬ lichen Lebens seien. Dieser Einwand ist aber nicht stichhaltig, wenn einerseits die frei gewachsenen Verbände in der berussständischen Vertretung in erster Linie berücksichtigt werden, während die staatlich ins Leben gerufenen nur eine Er¬ gänzung für diese bilden und andererseits der berufsständischen Vertretung nur eine beratende Stellung eingeräumt wird. Dasselbe gilt von den Vorwürfen, daß ein Parlament, in dem alle einzelnen Berufe vertreten seien, zu groß werden würde, um arbeitsfähig zu sein (vgl. oben). Erheblicher als diese Vorwürfe sind die grundsätzlichen Erwägungen, ob sich nicht in einer körperschaftlichen Interessen¬ vertretung ein Krieg aller gegen alle abspiele, bei der der Staat unbedingt zu kurz komme.- Dies Bedenken ist nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen, wenn es zur Förderung eines alleinigen souveränen Wirtschaftsparlaments fuhrt. Steht aber neben diesem, insbesondere wenn es nur beratende Funktionen ausübt, eine andere Stelle, in der die staatlichen Belange nach allgemeinen politischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338432/330>, abgerufen am 28.12.2024.