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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.

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Anthroposophie, Biologie und Christentum

bißchen hat. Und schließlich bleibt ihm immer noch der Rückzug auf den Vergleich
mit dem Blinden. Darum ist die Diskussion mit ihm gerade für den Gegner,
der ihm sachlich gerecht zu werden sucht, so schwierig.

In dem berühmten ersten Gespräch Goethes mit Schiller, das Goethe in
dem kleinen Aufsatz "Glücklichstes Ereignis" beschrieben hat, setzt Goethe seine
Metamorphose der Pflanze auseinander. Schiller, der Schüler Kants, erwidert
ihm: "Das ist nicht Erfahrung, das ist eine Idee", worauf Goethe etwas ver¬
stimmt: "Um so besser für mich, wenn ich meine Ideen mit Augen sehe".

Das meine ich, ist die Art geistigen Schaums, die auch zu jedem
originalen Forscher und Denker gehört, diese aber, die man gemeiniglich ja
"Intuition" nennt, verweist Steiner noch durchaus in die Anthropologie, in die
gewöhnliche Wissenschaft. Wenn ^er dann aber Goethe für seine Anthroposophie
beansprucht, so kann man ihm mit einer Stelle aus einem Briefe Goethes an
Magdalene Stadel vom 27. September 1815 antworten:


"Aus dem niedergesehriebenen aber ist ersichtlich, daß ich mit grund¬
gelehrten Leuten umgehe, welche sich zwar an dem, was uns mit äußeren
Sinnen zu fassen erlaubt ist, gerne ergötzen, zugleich aber behaupten, daß
hinter jenen Annehmlichkeiten sich noch ein tieferer Sinn verstecke/ woraus
ich, vielleicht zu voreilig, schließe, daß man am besten täte, etwas ganz
Unverständliches zu schreiben, damit erst Freunde und Liebende einen wahren
Sinn hineinzulegen völlige Freiheit hätten." --

Ich will noch eine sehr aufschlußreiche Briefstelle Goethes zitieren:

Goethe an C. H. Schlosser (5. Mai 1815):


", ... . so will ich mein allgemeines Glaubensbekenntnis hierher setzen.
"In der Natur ist alles, was im Subjekt ist
^ und etwas drüber.
d Im Subjekt ist alles, was in der Natur ist
x und etwas drüber,
>
b kann a erkennen, aber nur durch 2 geahndet werden. Hieraus entsteht
das Gleichgewicht der Welt und unser Lebenskreis, in den wir gewiesen
sind. Das Wesen, das in höchster Klarheit alle viere zusammenfaßte, haben
alle Völker von jeher Gott genannt. Ihre Stellung, mein Freund, gegen
die vier Buchstaben scheint mir folgende zu sein: Sie geben g, zu und hoffen
es durch d zu erkennen/ Sie leugnen aber das 7, indem Sie es durch eine
geheime Operation in das 2 verstecken. Die Notwendigkeit der Totalität
erkennen wir beide, aber der Träger dieser Totalität muß uns beiden ganz
verschieden vorkommen."

Der Adressat dieses Briefes erscheint jedenfalls den Anthrvposvphen näher
als der Absender.

Vielleicht habe ich mit dem Angeführten manchen Leser enttäuscht, der er¬
wartet hatte, daß ich in größerem Maße mit naturwissenschaftlichen Argumenten
die okkulte Wissenschaft kritisieren würde. Aber hätte ich das tun wollen, so wäre
ich mit ein paar Sätzen fertig gewesen, ein Physiologisches Problem kann höchstens
die Methode der seelischen Trainings, das Uoga sein.

Lassen Sie uns nur noch fragen, was die Verwendung biologischer Begriffe
wie der eines Organs für das Geistige für Konsequenzen hat. Organe, "eng man


Anthroposophie, Biologie und Christentum

bißchen hat. Und schließlich bleibt ihm immer noch der Rückzug auf den Vergleich
mit dem Blinden. Darum ist die Diskussion mit ihm gerade für den Gegner,
der ihm sachlich gerecht zu werden sucht, so schwierig.

In dem berühmten ersten Gespräch Goethes mit Schiller, das Goethe in
dem kleinen Aufsatz „Glücklichstes Ereignis" beschrieben hat, setzt Goethe seine
Metamorphose der Pflanze auseinander. Schiller, der Schüler Kants, erwidert
ihm: „Das ist nicht Erfahrung, das ist eine Idee", worauf Goethe etwas ver¬
stimmt: „Um so besser für mich, wenn ich meine Ideen mit Augen sehe".

Das meine ich, ist die Art geistigen Schaums, die auch zu jedem
originalen Forscher und Denker gehört, diese aber, die man gemeiniglich ja
„Intuition" nennt, verweist Steiner noch durchaus in die Anthropologie, in die
gewöhnliche Wissenschaft. Wenn ^er dann aber Goethe für seine Anthroposophie
beansprucht, so kann man ihm mit einer Stelle aus einem Briefe Goethes an
Magdalene Stadel vom 27. September 1815 antworten:


„Aus dem niedergesehriebenen aber ist ersichtlich, daß ich mit grund¬
gelehrten Leuten umgehe, welche sich zwar an dem, was uns mit äußeren
Sinnen zu fassen erlaubt ist, gerne ergötzen, zugleich aber behaupten, daß
hinter jenen Annehmlichkeiten sich noch ein tieferer Sinn verstecke/ woraus
ich, vielleicht zu voreilig, schließe, daß man am besten täte, etwas ganz
Unverständliches zu schreiben, damit erst Freunde und Liebende einen wahren
Sinn hineinzulegen völlige Freiheit hätten." —

Ich will noch eine sehr aufschlußreiche Briefstelle Goethes zitieren:

Goethe an C. H. Schlosser (5. Mai 1815):


„, ... . so will ich mein allgemeines Glaubensbekenntnis hierher setzen.
»In der Natur ist alles, was im Subjekt ist
^ und etwas drüber.
d Im Subjekt ist alles, was in der Natur ist
x und etwas drüber,
>
b kann a erkennen, aber nur durch 2 geahndet werden. Hieraus entsteht
das Gleichgewicht der Welt und unser Lebenskreis, in den wir gewiesen
sind. Das Wesen, das in höchster Klarheit alle viere zusammenfaßte, haben
alle Völker von jeher Gott genannt. Ihre Stellung, mein Freund, gegen
die vier Buchstaben scheint mir folgende zu sein: Sie geben g, zu und hoffen
es durch d zu erkennen/ Sie leugnen aber das 7, indem Sie es durch eine
geheime Operation in das 2 verstecken. Die Notwendigkeit der Totalität
erkennen wir beide, aber der Träger dieser Totalität muß uns beiden ganz
verschieden vorkommen."

Der Adressat dieses Briefes erscheint jedenfalls den Anthrvposvphen näher
als der Absender.

Vielleicht habe ich mit dem Angeführten manchen Leser enttäuscht, der er¬
wartet hatte, daß ich in größerem Maße mit naturwissenschaftlichen Argumenten
die okkulte Wissenschaft kritisieren würde. Aber hätte ich das tun wollen, so wäre
ich mit ein paar Sätzen fertig gewesen, ein Physiologisches Problem kann höchstens
die Methode der seelischen Trainings, das Uoga sein.

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wie der eines Organs für das Geistige für Konsequenzen hat. Organe, »eng man


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[0318] Anthroposophie, Biologie und Christentum bißchen hat. Und schließlich bleibt ihm immer noch der Rückzug auf den Vergleich mit dem Blinden. Darum ist die Diskussion mit ihm gerade für den Gegner, der ihm sachlich gerecht zu werden sucht, so schwierig. In dem berühmten ersten Gespräch Goethes mit Schiller, das Goethe in dem kleinen Aufsatz „Glücklichstes Ereignis" beschrieben hat, setzt Goethe seine Metamorphose der Pflanze auseinander. Schiller, der Schüler Kants, erwidert ihm: „Das ist nicht Erfahrung, das ist eine Idee", worauf Goethe etwas ver¬ stimmt: „Um so besser für mich, wenn ich meine Ideen mit Augen sehe". Das meine ich, ist die Art geistigen Schaums, die auch zu jedem originalen Forscher und Denker gehört, diese aber, die man gemeiniglich ja „Intuition" nennt, verweist Steiner noch durchaus in die Anthropologie, in die gewöhnliche Wissenschaft. Wenn ^er dann aber Goethe für seine Anthroposophie beansprucht, so kann man ihm mit einer Stelle aus einem Briefe Goethes an Magdalene Stadel vom 27. September 1815 antworten: „Aus dem niedergesehriebenen aber ist ersichtlich, daß ich mit grund¬ gelehrten Leuten umgehe, welche sich zwar an dem, was uns mit äußeren Sinnen zu fassen erlaubt ist, gerne ergötzen, zugleich aber behaupten, daß hinter jenen Annehmlichkeiten sich noch ein tieferer Sinn verstecke/ woraus ich, vielleicht zu voreilig, schließe, daß man am besten täte, etwas ganz Unverständliches zu schreiben, damit erst Freunde und Liebende einen wahren Sinn hineinzulegen völlige Freiheit hätten." — Ich will noch eine sehr aufschlußreiche Briefstelle Goethes zitieren: Goethe an C. H. Schlosser (5. Mai 1815): „, ... . so will ich mein allgemeines Glaubensbekenntnis hierher setzen. »In der Natur ist alles, was im Subjekt ist ^ und etwas drüber. d Im Subjekt ist alles, was in der Natur ist x und etwas drüber, > b kann a erkennen, aber nur durch 2 geahndet werden. Hieraus entsteht das Gleichgewicht der Welt und unser Lebenskreis, in den wir gewiesen sind. Das Wesen, das in höchster Klarheit alle viere zusammenfaßte, haben alle Völker von jeher Gott genannt. Ihre Stellung, mein Freund, gegen die vier Buchstaben scheint mir folgende zu sein: Sie geben g, zu und hoffen es durch d zu erkennen/ Sie leugnen aber das 7, indem Sie es durch eine geheime Operation in das 2 verstecken. Die Notwendigkeit der Totalität erkennen wir beide, aber der Träger dieser Totalität muß uns beiden ganz verschieden vorkommen." Der Adressat dieses Briefes erscheint jedenfalls den Anthrvposvphen näher als der Absender. Vielleicht habe ich mit dem Angeführten manchen Leser enttäuscht, der er¬ wartet hatte, daß ich in größerem Maße mit naturwissenschaftlichen Argumenten die okkulte Wissenschaft kritisieren würde. Aber hätte ich das tun wollen, so wäre ich mit ein paar Sätzen fertig gewesen, ein Physiologisches Problem kann höchstens die Methode der seelischen Trainings, das Uoga sein. Lassen Sie uns nur noch fragen, was die Verwendung biologischer Begriffe wie der eines Organs für das Geistige für Konsequenzen hat. Organe, »eng man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338432/318>, abgerufen am 24.07.2024.