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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.

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Anthroposophie, Biologie und Christentum

Hauptsache eine kosmische Tatsache, eine reine Zeitenwende zu sein. Da die
Summe aller Erkenntnis ja auch für jeden, der den anthroposvphischen Erkenntnis¬
weg geht, gewinnbar ist, wäre nicht gut zu begreifen, was da noch fehlen s ville. --
Aber ich kann mir in dieser Frage um so weniger ein abschließendes Urteil beilegen,
als die Mehrzahl der einschlägigen Schriften Steiners nur Mitgliedern der
anthroposvphischen Gesellschaft zugänglich ist.

Die Anthroposophie entwertet den Tod. Es geht ja eine glatte Ent¬
wicklungslinie durch ihn hindurch, er endet nur die diesmalige Arbeit im Sinne
der Weiterentwicklung, und das nicht einmal ganz, denn Steiner hat auch eine
Art Fegefeuer, einen Ort der Läuterung der Seele von Erdenresten, ehe der
Geist selbst in seine entsprechende Region wandert und auf die nächste Inkarnation
wartet. Der Tod entlastet nur von dem leiblichen Ballast und mich das nur
für einige Zeit. Daß gerade in dem radikalen Bruch jeder Linie von
hier nach dort, in dem total anders von Diesseits und Jenseits, das
der Tod bedeutet, die Hoffnung auf eine total andere Lebensform
beruht, das ahnen diese Menschen nicht. Sonst könnten sie auch die Grenze
nach unten nicht so fließend lassen. -- Mora kaeit, saltus. Es ist nicht wahr,
daß die Natur keine Sprünge macht. Nur weil wir überall Abgründe sehen,
über die keine Brücken führen, nur weil nirgends das Physische in das Seelische
allmählich übergeht, nur deshalb können wir an das Jenseits des Todes glauben.
Nur weil der Tod gleichnishaft überall auftritt, nur darum können wir glauben,
daß auch der wirkliche Tod nur ein Gleichnis ist.

So paradox es klingt: wer mich glauben machen würde, daß ein Sterb¬
licher aus eigener Kraft das Jenseits erkennen könnte, der würde mir den Un¬
sterblichkeitsglauben, ja jeden Glauben an Gott, an Offenbarung und'Gnade un¬
möglich machen. Es ist gesorgt, daß auch die anthroposvphischen Bäume nicht in
den Himmel wachsen.




Es wird nicht verlangt werden, daß ich nun noch die ganze anthrvposophische
Weltkarte des Geistes hier vorlege und erläutere. Es gibt da verschiedene
Regionen, mannigfaltige Geistfvrmcn, Geistereignisse usw. -- Das Grundprinzip
ist immer das der Parallelität zu der physische" Welt, alles, was hier existiert
oder geschieht, hat dort sein geistiges Pendant. Es ist erstaunlich, mit welcher
Armut an Phantasie dieser farblose Abglanz des Lebens ausgemalt wird. --
Man kann die Menschen bedauern, die sich dadurch das wirkliche Leben un¬
interessant und überraschuugslos macheu. Die ganze individuelle Geschichte großer
Menschen und Zeiten wird bedeutungslos, da es ja doch nur Entladungen der in
der vierten Region des Geisterlandes eingesogenen Impulse siud. Ebenso be¬
deutungslos werden die physischen Eltern, der ganze unermeßliche Reichtum der
ewig neu hervorbrechenden Schöpfung wird daran gegeben für einen blutlosen
Rationalismus.

Das macht ja andererseits die Darstellung des authroposophischeu Systems
so schwierig, daß es ein so maßlos zusammengesetztes Dcnkgcbäude ist.

Überall findet der Anthropvsvph Bestätigungen, jeden größeren Denker aller
H'neu und Völker kann er als Kronzeugen heranziehen, weil er von jedem ein


Anthroposophie, Biologie und Christentum

Hauptsache eine kosmische Tatsache, eine reine Zeitenwende zu sein. Da die
Summe aller Erkenntnis ja auch für jeden, der den anthroposvphischen Erkenntnis¬
weg geht, gewinnbar ist, wäre nicht gut zu begreifen, was da noch fehlen s ville. —
Aber ich kann mir in dieser Frage um so weniger ein abschließendes Urteil beilegen,
als die Mehrzahl der einschlägigen Schriften Steiners nur Mitgliedern der
anthroposvphischen Gesellschaft zugänglich ist.

Die Anthroposophie entwertet den Tod. Es geht ja eine glatte Ent¬
wicklungslinie durch ihn hindurch, er endet nur die diesmalige Arbeit im Sinne
der Weiterentwicklung, und das nicht einmal ganz, denn Steiner hat auch eine
Art Fegefeuer, einen Ort der Läuterung der Seele von Erdenresten, ehe der
Geist selbst in seine entsprechende Region wandert und auf die nächste Inkarnation
wartet. Der Tod entlastet nur von dem leiblichen Ballast und mich das nur
für einige Zeit. Daß gerade in dem radikalen Bruch jeder Linie von
hier nach dort, in dem total anders von Diesseits und Jenseits, das
der Tod bedeutet, die Hoffnung auf eine total andere Lebensform
beruht, das ahnen diese Menschen nicht. Sonst könnten sie auch die Grenze
nach unten nicht so fließend lassen. — Mora kaeit, saltus. Es ist nicht wahr,
daß die Natur keine Sprünge macht. Nur weil wir überall Abgründe sehen,
über die keine Brücken führen, nur weil nirgends das Physische in das Seelische
allmählich übergeht, nur deshalb können wir an das Jenseits des Todes glauben.
Nur weil der Tod gleichnishaft überall auftritt, nur darum können wir glauben,
daß auch der wirkliche Tod nur ein Gleichnis ist.

So paradox es klingt: wer mich glauben machen würde, daß ein Sterb¬
licher aus eigener Kraft das Jenseits erkennen könnte, der würde mir den Un¬
sterblichkeitsglauben, ja jeden Glauben an Gott, an Offenbarung und'Gnade un¬
möglich machen. Es ist gesorgt, daß auch die anthroposvphischen Bäume nicht in
den Himmel wachsen.




Es wird nicht verlangt werden, daß ich nun noch die ganze anthrvposophische
Weltkarte des Geistes hier vorlege und erläutere. Es gibt da verschiedene
Regionen, mannigfaltige Geistfvrmcn, Geistereignisse usw. — Das Grundprinzip
ist immer das der Parallelität zu der physische« Welt, alles, was hier existiert
oder geschieht, hat dort sein geistiges Pendant. Es ist erstaunlich, mit welcher
Armut an Phantasie dieser farblose Abglanz des Lebens ausgemalt wird. —
Man kann die Menschen bedauern, die sich dadurch das wirkliche Leben un¬
interessant und überraschuugslos macheu. Die ganze individuelle Geschichte großer
Menschen und Zeiten wird bedeutungslos, da es ja doch nur Entladungen der in
der vierten Region des Geisterlandes eingesogenen Impulse siud. Ebenso be¬
deutungslos werden die physischen Eltern, der ganze unermeßliche Reichtum der
ewig neu hervorbrechenden Schöpfung wird daran gegeben für einen blutlosen
Rationalismus.

Das macht ja andererseits die Darstellung des authroposophischeu Systems
so schwierig, daß es ein so maßlos zusammengesetztes Dcnkgcbäude ist.

Überall findet der Anthropvsvph Bestätigungen, jeden größeren Denker aller
H'neu und Völker kann er als Kronzeugen heranziehen, weil er von jedem ein


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[0317] Anthroposophie, Biologie und Christentum Hauptsache eine kosmische Tatsache, eine reine Zeitenwende zu sein. Da die Summe aller Erkenntnis ja auch für jeden, der den anthroposvphischen Erkenntnis¬ weg geht, gewinnbar ist, wäre nicht gut zu begreifen, was da noch fehlen s ville. — Aber ich kann mir in dieser Frage um so weniger ein abschließendes Urteil beilegen, als die Mehrzahl der einschlägigen Schriften Steiners nur Mitgliedern der anthroposvphischen Gesellschaft zugänglich ist. Die Anthroposophie entwertet den Tod. Es geht ja eine glatte Ent¬ wicklungslinie durch ihn hindurch, er endet nur die diesmalige Arbeit im Sinne der Weiterentwicklung, und das nicht einmal ganz, denn Steiner hat auch eine Art Fegefeuer, einen Ort der Läuterung der Seele von Erdenresten, ehe der Geist selbst in seine entsprechende Region wandert und auf die nächste Inkarnation wartet. Der Tod entlastet nur von dem leiblichen Ballast und mich das nur für einige Zeit. Daß gerade in dem radikalen Bruch jeder Linie von hier nach dort, in dem total anders von Diesseits und Jenseits, das der Tod bedeutet, die Hoffnung auf eine total andere Lebensform beruht, das ahnen diese Menschen nicht. Sonst könnten sie auch die Grenze nach unten nicht so fließend lassen. — Mora kaeit, saltus. Es ist nicht wahr, daß die Natur keine Sprünge macht. Nur weil wir überall Abgründe sehen, über die keine Brücken führen, nur weil nirgends das Physische in das Seelische allmählich übergeht, nur deshalb können wir an das Jenseits des Todes glauben. Nur weil der Tod gleichnishaft überall auftritt, nur darum können wir glauben, daß auch der wirkliche Tod nur ein Gleichnis ist. So paradox es klingt: wer mich glauben machen würde, daß ein Sterb¬ licher aus eigener Kraft das Jenseits erkennen könnte, der würde mir den Un¬ sterblichkeitsglauben, ja jeden Glauben an Gott, an Offenbarung und'Gnade un¬ möglich machen. Es ist gesorgt, daß auch die anthroposvphischen Bäume nicht in den Himmel wachsen. Es wird nicht verlangt werden, daß ich nun noch die ganze anthrvposophische Weltkarte des Geistes hier vorlege und erläutere. Es gibt da verschiedene Regionen, mannigfaltige Geistfvrmcn, Geistereignisse usw. — Das Grundprinzip ist immer das der Parallelität zu der physische« Welt, alles, was hier existiert oder geschieht, hat dort sein geistiges Pendant. Es ist erstaunlich, mit welcher Armut an Phantasie dieser farblose Abglanz des Lebens ausgemalt wird. — Man kann die Menschen bedauern, die sich dadurch das wirkliche Leben un¬ interessant und überraschuugslos macheu. Die ganze individuelle Geschichte großer Menschen und Zeiten wird bedeutungslos, da es ja doch nur Entladungen der in der vierten Region des Geisterlandes eingesogenen Impulse siud. Ebenso be¬ deutungslos werden die physischen Eltern, der ganze unermeßliche Reichtum der ewig neu hervorbrechenden Schöpfung wird daran gegeben für einen blutlosen Rationalismus. Das macht ja andererseits die Darstellung des authroposophischeu Systems so schwierig, daß es ein so maßlos zusammengesetztes Dcnkgcbäude ist. Überall findet der Anthropvsvph Bestätigungen, jeden größeren Denker aller H'neu und Völker kann er als Kronzeugen heranziehen, weil er von jedem ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338432/317>, abgerufen am 24.07.2024.