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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.

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^>ozialisieru"g der Justiz und der Rechtspflege?

Revolution von 1848 beseitigen wollen. Denn aus dieser stammt die Unabsetzbar-
keit der deutschen Richter, und bei der Schaffung des GerichtsversassungsgesetzeS
hat der Abgeordnete Laster, dem man keine reaktionäre Gesinnung vorwerfen
kann, den ersten Titel dieses Gesetzes gerade gegen den Willen der Regierung
durchgesetzt.

Aber ob man sich für die Wählbarkeit auf Zeit oder die Ernennung der
Richter auf Lebensdauer entscheiden will, ist in letzter Linie eine Frage, die davon
abhängt, ob man mehr Vertrauen zur Objektivität aller einzelnen Volksgenossen
oder zu der der Berufsrichter hat. Der erstere Standpunkt wird ungefähr
mit den Worten des Simplizisstmus verteidigt:

Allerdings denkt das Erfurter Programm wohl nicht an Schöffen und
Geschworene im heutigen Sinne, sondern an Volksgerichte, wie sie etwa die
französische Revolution gezeitigt hatte. Daß man zu deren Unparteilichkeit kein
Vertrauen haben könnte, darüber braucht wohl kein Wort verloren zu werden.
Es soll durchaus nicht bestritten werden, daß Berufsrichter bisweilen in Politischen
Prozessen und in der Frage des Koalitionsrechts der Arbeiter anfechtbare Urteile
gefällt haben. Aber man glaube doch bloß nicht, daß dies bei Vo.lksgerichten
besser würde. Wenn schon der zur Objektivität erzogene Bcrufsrichter, welchem
die Unparteilichkeit eine Berufs- und Standespflicht geworden ist, bisweilen
strauchelt, um wie viel mehr sind die auf diesem Gebiet ohne Tradition herab¬
gewachsenen und ungeschulten Laien dieser Gefahr ausgesetzt. Man lese einmal
nach, wie die berühmte englische Jury, die doch allen Anhängern der Volksgerichte
als Vorbild dient, sich nach der Darlegung Franquevilleszur Käuflichkeit und
Parteilichkeit in schlimmster Weise herabgewürdigt hat, so daß Edikte der englischen
Könige mit schärfsten Mitteln gegen sie vorgehen mußten.

Diese vorvertretene Auffassung besteht keineswegs nur in Richterkreisen,
zahlreiche Rechtsanwälte mit reicher Erfahrung teilen diesen Standpunkt. Justizrat
Silberstein ^) schließt einen Artikel zur Reform des Strafprozesses mit den Worten:
"Die richtige Urteilsfindung ist eine wissenschaftliche Aufgabe, und diese sollte den
Vertretern der Wissenschaft vorbehalten bleiben. Das ist unpopulär, aber deshalb
nicht weniger wahr".

Rechtsanwalt und Unterstaatssekretär Heinemann schrieb kurz vor seinem
Tode/) daß die Einführung der Richterwahl eine Sabotage des Rechts bedeuten würde-





t) Franqueville, "Mdmo .luclivi^ir als I" (Zr-i-mein! NrowAno 1393 Bd. II Kap. 2>? it.
") Jur. Wochcnschr. 1920 S. 811/17.
Jur. Wochenschr. 1919 S. 172
^>ozialisieru»g der Justiz und der Rechtspflege?

Revolution von 1848 beseitigen wollen. Denn aus dieser stammt die Unabsetzbar-
keit der deutschen Richter, und bei der Schaffung des GerichtsversassungsgesetzeS
hat der Abgeordnete Laster, dem man keine reaktionäre Gesinnung vorwerfen
kann, den ersten Titel dieses Gesetzes gerade gegen den Willen der Regierung
durchgesetzt.

Aber ob man sich für die Wählbarkeit auf Zeit oder die Ernennung der
Richter auf Lebensdauer entscheiden will, ist in letzter Linie eine Frage, die davon
abhängt, ob man mehr Vertrauen zur Objektivität aller einzelnen Volksgenossen
oder zu der der Berufsrichter hat. Der erstere Standpunkt wird ungefähr
mit den Worten des Simplizisstmus verteidigt:

Allerdings denkt das Erfurter Programm wohl nicht an Schöffen und
Geschworene im heutigen Sinne, sondern an Volksgerichte, wie sie etwa die
französische Revolution gezeitigt hatte. Daß man zu deren Unparteilichkeit kein
Vertrauen haben könnte, darüber braucht wohl kein Wort verloren zu werden.
Es soll durchaus nicht bestritten werden, daß Berufsrichter bisweilen in Politischen
Prozessen und in der Frage des Koalitionsrechts der Arbeiter anfechtbare Urteile
gefällt haben. Aber man glaube doch bloß nicht, daß dies bei Vo.lksgerichten
besser würde. Wenn schon der zur Objektivität erzogene Bcrufsrichter, welchem
die Unparteilichkeit eine Berufs- und Standespflicht geworden ist, bisweilen
strauchelt, um wie viel mehr sind die auf diesem Gebiet ohne Tradition herab¬
gewachsenen und ungeschulten Laien dieser Gefahr ausgesetzt. Man lese einmal
nach, wie die berühmte englische Jury, die doch allen Anhängern der Volksgerichte
als Vorbild dient, sich nach der Darlegung Franquevilleszur Käuflichkeit und
Parteilichkeit in schlimmster Weise herabgewürdigt hat, so daß Edikte der englischen
Könige mit schärfsten Mitteln gegen sie vorgehen mußten.

Diese vorvertretene Auffassung besteht keineswegs nur in Richterkreisen,
zahlreiche Rechtsanwälte mit reicher Erfahrung teilen diesen Standpunkt. Justizrat
Silberstein ^) schließt einen Artikel zur Reform des Strafprozesses mit den Worten:
„Die richtige Urteilsfindung ist eine wissenschaftliche Aufgabe, und diese sollte den
Vertretern der Wissenschaft vorbehalten bleiben. Das ist unpopulär, aber deshalb
nicht weniger wahr".

Rechtsanwalt und Unterstaatssekretär Heinemann schrieb kurz vor seinem
Tode/) daß die Einführung der Richterwahl eine Sabotage des Rechts bedeuten würde-





t) Franqueville, »Mdmo .luclivi^ir als I» (Zr-i-mein! NrowAno 1393 Bd. II Kap. 2>? it.
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[0310] ^>ozialisieru»g der Justiz und der Rechtspflege? Revolution von 1848 beseitigen wollen. Denn aus dieser stammt die Unabsetzbar- keit der deutschen Richter, und bei der Schaffung des GerichtsversassungsgesetzeS hat der Abgeordnete Laster, dem man keine reaktionäre Gesinnung vorwerfen kann, den ersten Titel dieses Gesetzes gerade gegen den Willen der Regierung durchgesetzt. Aber ob man sich für die Wählbarkeit auf Zeit oder die Ernennung der Richter auf Lebensdauer entscheiden will, ist in letzter Linie eine Frage, die davon abhängt, ob man mehr Vertrauen zur Objektivität aller einzelnen Volksgenossen oder zu der der Berufsrichter hat. Der erstere Standpunkt wird ungefähr mit den Worten des Simplizisstmus verteidigt: Allerdings denkt das Erfurter Programm wohl nicht an Schöffen und Geschworene im heutigen Sinne, sondern an Volksgerichte, wie sie etwa die französische Revolution gezeitigt hatte. Daß man zu deren Unparteilichkeit kein Vertrauen haben könnte, darüber braucht wohl kein Wort verloren zu werden. Es soll durchaus nicht bestritten werden, daß Berufsrichter bisweilen in Politischen Prozessen und in der Frage des Koalitionsrechts der Arbeiter anfechtbare Urteile gefällt haben. Aber man glaube doch bloß nicht, daß dies bei Vo.lksgerichten besser würde. Wenn schon der zur Objektivität erzogene Bcrufsrichter, welchem die Unparteilichkeit eine Berufs- und Standespflicht geworden ist, bisweilen strauchelt, um wie viel mehr sind die auf diesem Gebiet ohne Tradition herab¬ gewachsenen und ungeschulten Laien dieser Gefahr ausgesetzt. Man lese einmal nach, wie die berühmte englische Jury, die doch allen Anhängern der Volksgerichte als Vorbild dient, sich nach der Darlegung Franquevilleszur Käuflichkeit und Parteilichkeit in schlimmster Weise herabgewürdigt hat, so daß Edikte der englischen Könige mit schärfsten Mitteln gegen sie vorgehen mußten. Diese vorvertretene Auffassung besteht keineswegs nur in Richterkreisen, zahlreiche Rechtsanwälte mit reicher Erfahrung teilen diesen Standpunkt. Justizrat Silberstein ^) schließt einen Artikel zur Reform des Strafprozesses mit den Worten: „Die richtige Urteilsfindung ist eine wissenschaftliche Aufgabe, und diese sollte den Vertretern der Wissenschaft vorbehalten bleiben. Das ist unpopulär, aber deshalb nicht weniger wahr". Rechtsanwalt und Unterstaatssekretär Heinemann schrieb kurz vor seinem Tode/) daß die Einführung der Richterwahl eine Sabotage des Rechts bedeuten würde- t) Franqueville, »Mdmo .luclivi^ir als I» (Zr-i-mein! NrowAno 1393 Bd. II Kap. 2>? it. ") Jur. Wochcnschr. 1920 S. 811/17. Jur. Wochenschr. 1919 S. 172

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338432/310>, abgerufen am 24.07.2024.