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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.

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Die Friedensidce im alten Frankreich

welches mit den Interessen des eigenen Landes verträglich ist, auch anzuwenden",'
waren die Dilettanten getreten, die über die Schwierigkeiten und Gefahren hinweg¬
sahen. Es sind die kleinen Geister, die bisher im Schatten des Titanen gestanden
hatten und nun stolz und selbstbewußt ihr eigenes Licht leuchten ließen. Die ge¬
schwollene Selbstgefälligkeit, die sich nach Bismarcks Entlassung im Auswärtigen Amt
breit machte, ist jedem Beobachter aufgefallen. Sie konnte lange Zeit vom Erbe
Bismarcks leben. Aber schon der Einblick in ihre ersten selbständigen Handlungen
zeigt, daß sie von Anfang an vom Kapital gezehrt hat. Mit der Kündigung des
Nückvcrsichcrungsvertrags hat die Politik begonnen, die uns in die Einkreisung und
damit in ungünstigster diplomatischer Situation auch in den Weltkrieg geführt hat.
Es ist nicht die Machtpolitik Bismarcks gewesen, die das Verhängnis auf uns
herabgezogen hat, sondern die Unfähigkeit seiner Nachfolger, die die in Deutschlands
geographischer Lage gegebenen Schwierigkeiten nicht erkannt haben. Wir können
heute angesichts der Bedingungen des Verscnller Friedens nicht etwa Rückkehr zur
machtpolitischen Tradition Bismarcks als unser politisches Ziel hinstellen; aber den
Dilettantismus, der die bei der ungeordneten Staatenwelt Osteuropas vermehrte
Angreisvarkeit Deutschlands übersieht und alles Heil von einseitiger Festlegung
-- die nur zu leicht eine Bloßlegung nach den anderen Seiten wird -- erwartet,
den können und müssen wir bekämpfen.




Die Friedensidee im alten Frankreich
Prof. Dr. I. Hashagen, von

! er die Gegenwart trotz aller entgegenstehenden Erscheinungen weithin
beherrschende Pazifismus ist seinen Beweggründen und seiner Aus¬
gestaltung nach ein in allen Farben schillerndes Gebilde. Wer auf
ihn schwört, redet sich zwar selbst gern ein, daß der Pazifismus immer
nur als heilige Überzeugung, als Spezialfall eines allgemeinen
Idealismus, als eine Sammlung von festen, unverbrüchlichen Grundsätzen und als
eine den ganzen Menschen und sein Gemeinschaftsleben durchdringende sittliche Ge¬
sinnung auftrete. Kein Zweifel, daß das der Fall sein kann. Aber man wird dem
Pazifismus als einer allgemeinen Geistesgröße nicht gerecht, wenn man in ihm nur
einen Gcsinnungspazifismus erblickt. Er wählt auch andere Formen. Er erscheint nicht
nur als grundsätzliche Überzeugung und selbständige sittliche Triebkraft, sondern auch
als taktisches Mittel, besonders als Mittel im politischen und weltpolitischen Kampfe
um die Macht. Dieser "andere" Pazifismus ist als ein solches Mittel namentlich
in der angelsächsischen Welt von jeher meisterhaft gehandhabt worden, wobei auf
die ideale, mit Vorliebe religiöse Verbrämung keineswegs verzichtet wurde. Was
nur Kampfmittel war, wurde mit größtem Erfolge als Kampfziel und Siegespreis
ausgegeben. So konnten um der pazifistischen Ideale willen vermittels pazifistischer
Propaganda die blutigsten Kriege angestiftet und durchgefochten werden.


Grenzboten IV 1920 2
Die Friedensidce im alten Frankreich

welches mit den Interessen des eigenen Landes verträglich ist, auch anzuwenden",'
waren die Dilettanten getreten, die über die Schwierigkeiten und Gefahren hinweg¬
sahen. Es sind die kleinen Geister, die bisher im Schatten des Titanen gestanden
hatten und nun stolz und selbstbewußt ihr eigenes Licht leuchten ließen. Die ge¬
schwollene Selbstgefälligkeit, die sich nach Bismarcks Entlassung im Auswärtigen Amt
breit machte, ist jedem Beobachter aufgefallen. Sie konnte lange Zeit vom Erbe
Bismarcks leben. Aber schon der Einblick in ihre ersten selbständigen Handlungen
zeigt, daß sie von Anfang an vom Kapital gezehrt hat. Mit der Kündigung des
Nückvcrsichcrungsvertrags hat die Politik begonnen, die uns in die Einkreisung und
damit in ungünstigster diplomatischer Situation auch in den Weltkrieg geführt hat.
Es ist nicht die Machtpolitik Bismarcks gewesen, die das Verhängnis auf uns
herabgezogen hat, sondern die Unfähigkeit seiner Nachfolger, die die in Deutschlands
geographischer Lage gegebenen Schwierigkeiten nicht erkannt haben. Wir können
heute angesichts der Bedingungen des Verscnller Friedens nicht etwa Rückkehr zur
machtpolitischen Tradition Bismarcks als unser politisches Ziel hinstellen; aber den
Dilettantismus, der die bei der ungeordneten Staatenwelt Osteuropas vermehrte
Angreisvarkeit Deutschlands übersieht und alles Heil von einseitiger Festlegung
— die nur zu leicht eine Bloßlegung nach den anderen Seiten wird — erwartet,
den können und müssen wir bekämpfen.




Die Friedensidee im alten Frankreich
Prof. Dr. I. Hashagen, von

! er die Gegenwart trotz aller entgegenstehenden Erscheinungen weithin
beherrschende Pazifismus ist seinen Beweggründen und seiner Aus¬
gestaltung nach ein in allen Farben schillerndes Gebilde. Wer auf
ihn schwört, redet sich zwar selbst gern ein, daß der Pazifismus immer
nur als heilige Überzeugung, als Spezialfall eines allgemeinen
Idealismus, als eine Sammlung von festen, unverbrüchlichen Grundsätzen und als
eine den ganzen Menschen und sein Gemeinschaftsleben durchdringende sittliche Ge¬
sinnung auftrete. Kein Zweifel, daß das der Fall sein kann. Aber man wird dem
Pazifismus als einer allgemeinen Geistesgröße nicht gerecht, wenn man in ihm nur
einen Gcsinnungspazifismus erblickt. Er wählt auch andere Formen. Er erscheint nicht
nur als grundsätzliche Überzeugung und selbständige sittliche Triebkraft, sondern auch
als taktisches Mittel, besonders als Mittel im politischen und weltpolitischen Kampfe
um die Macht. Dieser „andere" Pazifismus ist als ein solches Mittel namentlich
in der angelsächsischen Welt von jeher meisterhaft gehandhabt worden, wobei auf
die ideale, mit Vorliebe religiöse Verbrämung keineswegs verzichtet wurde. Was
nur Kampfmittel war, wurde mit größtem Erfolge als Kampfziel und Siegespreis
ausgegeben. So konnten um der pazifistischen Ideale willen vermittels pazifistischer
Propaganda die blutigsten Kriege angestiftet und durchgefochten werden.


Grenzboten IV 1920 2
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[0031] Die Friedensidce im alten Frankreich welches mit den Interessen des eigenen Landes verträglich ist, auch anzuwenden",' waren die Dilettanten getreten, die über die Schwierigkeiten und Gefahren hinweg¬ sahen. Es sind die kleinen Geister, die bisher im Schatten des Titanen gestanden hatten und nun stolz und selbstbewußt ihr eigenes Licht leuchten ließen. Die ge¬ schwollene Selbstgefälligkeit, die sich nach Bismarcks Entlassung im Auswärtigen Amt breit machte, ist jedem Beobachter aufgefallen. Sie konnte lange Zeit vom Erbe Bismarcks leben. Aber schon der Einblick in ihre ersten selbständigen Handlungen zeigt, daß sie von Anfang an vom Kapital gezehrt hat. Mit der Kündigung des Nückvcrsichcrungsvertrags hat die Politik begonnen, die uns in die Einkreisung und damit in ungünstigster diplomatischer Situation auch in den Weltkrieg geführt hat. Es ist nicht die Machtpolitik Bismarcks gewesen, die das Verhängnis auf uns herabgezogen hat, sondern die Unfähigkeit seiner Nachfolger, die die in Deutschlands geographischer Lage gegebenen Schwierigkeiten nicht erkannt haben. Wir können heute angesichts der Bedingungen des Verscnller Friedens nicht etwa Rückkehr zur machtpolitischen Tradition Bismarcks als unser politisches Ziel hinstellen; aber den Dilettantismus, der die bei der ungeordneten Staatenwelt Osteuropas vermehrte Angreisvarkeit Deutschlands übersieht und alles Heil von einseitiger Festlegung — die nur zu leicht eine Bloßlegung nach den anderen Seiten wird — erwartet, den können und müssen wir bekämpfen. Die Friedensidee im alten Frankreich Prof. Dr. I. Hashagen, von ! er die Gegenwart trotz aller entgegenstehenden Erscheinungen weithin beherrschende Pazifismus ist seinen Beweggründen und seiner Aus¬ gestaltung nach ein in allen Farben schillerndes Gebilde. Wer auf ihn schwört, redet sich zwar selbst gern ein, daß der Pazifismus immer nur als heilige Überzeugung, als Spezialfall eines allgemeinen Idealismus, als eine Sammlung von festen, unverbrüchlichen Grundsätzen und als eine den ganzen Menschen und sein Gemeinschaftsleben durchdringende sittliche Ge¬ sinnung auftrete. Kein Zweifel, daß das der Fall sein kann. Aber man wird dem Pazifismus als einer allgemeinen Geistesgröße nicht gerecht, wenn man in ihm nur einen Gcsinnungspazifismus erblickt. Er wählt auch andere Formen. Er erscheint nicht nur als grundsätzliche Überzeugung und selbständige sittliche Triebkraft, sondern auch als taktisches Mittel, besonders als Mittel im politischen und weltpolitischen Kampfe um die Macht. Dieser „andere" Pazifismus ist als ein solches Mittel namentlich in der angelsächsischen Welt von jeher meisterhaft gehandhabt worden, wobei auf die ideale, mit Vorliebe religiöse Verbrämung keineswegs verzichtet wurde. Was nur Kampfmittel war, wurde mit größtem Erfolge als Kampfziel und Siegespreis ausgegeben. So konnten um der pazifistischen Ideale willen vermittels pazifistischer Propaganda die blutigsten Kriege angestiftet und durchgefochten werden. Grenzboten IV 1920 2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338432/31>, abgerufen am 28.12.2024.