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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.

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Die völkischen Minderheiten und die deutsch-polnische Politik

Parteien bei den unbestreitbar sehr großen Schwierigkeiten gescheut, eine positive
Lösung in Angriff zu nehmen. Nun ist die Lage des Deutschen Reiches allerdings
eigenartig genug. Ganz abgesehen davon, daß innerpolitisch gesehen die
Nationalitätenfrage in Deutschland eine ganz andere ist als in Polen, besteht nach
Artikel 93 des Friedensvertrages und den: im Verfolg dieses Artikels zwischen Polen
und den alliierten und assoziierten Hauptmächten abgeschlossenen Minderheiten¬
schutzvertrages für Polen eine einseitige Verpflichtung zum Schutze der deutschen
Minderheiten in ganz bestimmtem Umfange. Auch wenn Deutschland zu einer
Gegenseitigkeitspolitik bereit ist, bleibt es berechtigt, auf Grund des Minderheiten¬
schutzvertrages Vorleistungen von Polen zu verlangen. Aber gerade in dieser Lage
ist es das Gegebene, daß Deutschland die Initiative zu einer Gegenseitigkeitspolitik
ergreift. Deutschland darf nicht, wie es das in den Jahren 1918 und 1919 getan
hat, wieder den rechten Augenblick für die Aufstellung eines Programms seiner
Nationalitätenpolitik versäumen. Denn nur so kann es verhindern, daß alles,,
was auf diesem Gebiet geschieht, nutzlos verpufft und weder zugunsten des
Deutschtums in Polen noch zugunsten seiner allgemeinen Politik Polen gegenüber
verwertet wird. Gewiß ist das Interesse Polens, durch eine Sicherstellung des
deutschen Elements gleichzeitig die Grundlage seiner eignen staatlichen Zukunft zu
sichern, ungleich größer als das staatspolitische Interesse Deutschlands daran,
durch die Art, wie eS das polnische Element stellt, an einer deutsch-polnischen
Annäherung zu arbeiten. Aber eine Politik nach dem Motto: "Es ist meinem
Vater ganz recht, wenn nur die Finger erfrieren, warum kauft er mir keine
Handschuhe!" ist kurzsichtig, weil das zuerst erfrierende Glied das Deutschtum in
Polen ist.

Die Bedeutung der völkischen Minderheiten für die deutsch-polnische Politik
besteht nicht nur darin, daß sie Ziele und Mittel staatlicher Politik sind. Der
Kampf, den das Deutschtum in Polen uni seine Erhaltung und sein ungestörtes
Wachstum führt, ist eine Arbeit zu dein Ziele, die Entwicklung in eine Bahn zu
bringen, welche für Polen eine Minderung der aus der Lage zwischen Deutschland
und Rußland und aus dem Bestehen des Korridors sich ergebenden Schwierigkeiten
bedeutet, und für Deutschland die Aussicht auf einen Ausweg aus der Not des
Versailler Friedens eröffnet, der an dem unübersehbaren Ausgang einer europäischen
Katastrophe vorbeiführt. Mehr als bisher muß das Deutschtum in Polen sich
mit dem Bewußtsein durchdringen, daß eS dazu berufen ist, im tapferen Einstehen
für sein eignes völkisches Recht an der Lösung weltgeschichtlicher Aufgaben mit¬
zuarbeiten.




Die völkischen Minderheiten und die deutsch-polnische Politik

Parteien bei den unbestreitbar sehr großen Schwierigkeiten gescheut, eine positive
Lösung in Angriff zu nehmen. Nun ist die Lage des Deutschen Reiches allerdings
eigenartig genug. Ganz abgesehen davon, daß innerpolitisch gesehen die
Nationalitätenfrage in Deutschland eine ganz andere ist als in Polen, besteht nach
Artikel 93 des Friedensvertrages und den: im Verfolg dieses Artikels zwischen Polen
und den alliierten und assoziierten Hauptmächten abgeschlossenen Minderheiten¬
schutzvertrages für Polen eine einseitige Verpflichtung zum Schutze der deutschen
Minderheiten in ganz bestimmtem Umfange. Auch wenn Deutschland zu einer
Gegenseitigkeitspolitik bereit ist, bleibt es berechtigt, auf Grund des Minderheiten¬
schutzvertrages Vorleistungen von Polen zu verlangen. Aber gerade in dieser Lage
ist es das Gegebene, daß Deutschland die Initiative zu einer Gegenseitigkeitspolitik
ergreift. Deutschland darf nicht, wie es das in den Jahren 1918 und 1919 getan
hat, wieder den rechten Augenblick für die Aufstellung eines Programms seiner
Nationalitätenpolitik versäumen. Denn nur so kann es verhindern, daß alles,,
was auf diesem Gebiet geschieht, nutzlos verpufft und weder zugunsten des
Deutschtums in Polen noch zugunsten seiner allgemeinen Politik Polen gegenüber
verwertet wird. Gewiß ist das Interesse Polens, durch eine Sicherstellung des
deutschen Elements gleichzeitig die Grundlage seiner eignen staatlichen Zukunft zu
sichern, ungleich größer als das staatspolitische Interesse Deutschlands daran,
durch die Art, wie eS das polnische Element stellt, an einer deutsch-polnischen
Annäherung zu arbeiten. Aber eine Politik nach dem Motto: „Es ist meinem
Vater ganz recht, wenn nur die Finger erfrieren, warum kauft er mir keine
Handschuhe!" ist kurzsichtig, weil das zuerst erfrierende Glied das Deutschtum in
Polen ist.

Die Bedeutung der völkischen Minderheiten für die deutsch-polnische Politik
besteht nicht nur darin, daß sie Ziele und Mittel staatlicher Politik sind. Der
Kampf, den das Deutschtum in Polen uni seine Erhaltung und sein ungestörtes
Wachstum führt, ist eine Arbeit zu dein Ziele, die Entwicklung in eine Bahn zu
bringen, welche für Polen eine Minderung der aus der Lage zwischen Deutschland
und Rußland und aus dem Bestehen des Korridors sich ergebenden Schwierigkeiten
bedeutet, und für Deutschland die Aussicht auf einen Ausweg aus der Not des
Versailler Friedens eröffnet, der an dem unübersehbaren Ausgang einer europäischen
Katastrophe vorbeiführt. Mehr als bisher muß das Deutschtum in Polen sich
mit dem Bewußtsein durchdringen, daß eS dazu berufen ist, im tapferen Einstehen
für sein eignes völkisches Recht an der Lösung weltgeschichtlicher Aufgaben mit¬
zuarbeiten.




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[0126] Die völkischen Minderheiten und die deutsch-polnische Politik Parteien bei den unbestreitbar sehr großen Schwierigkeiten gescheut, eine positive Lösung in Angriff zu nehmen. Nun ist die Lage des Deutschen Reiches allerdings eigenartig genug. Ganz abgesehen davon, daß innerpolitisch gesehen die Nationalitätenfrage in Deutschland eine ganz andere ist als in Polen, besteht nach Artikel 93 des Friedensvertrages und den: im Verfolg dieses Artikels zwischen Polen und den alliierten und assoziierten Hauptmächten abgeschlossenen Minderheiten¬ schutzvertrages für Polen eine einseitige Verpflichtung zum Schutze der deutschen Minderheiten in ganz bestimmtem Umfange. Auch wenn Deutschland zu einer Gegenseitigkeitspolitik bereit ist, bleibt es berechtigt, auf Grund des Minderheiten¬ schutzvertrages Vorleistungen von Polen zu verlangen. Aber gerade in dieser Lage ist es das Gegebene, daß Deutschland die Initiative zu einer Gegenseitigkeitspolitik ergreift. Deutschland darf nicht, wie es das in den Jahren 1918 und 1919 getan hat, wieder den rechten Augenblick für die Aufstellung eines Programms seiner Nationalitätenpolitik versäumen. Denn nur so kann es verhindern, daß alles,, was auf diesem Gebiet geschieht, nutzlos verpufft und weder zugunsten des Deutschtums in Polen noch zugunsten seiner allgemeinen Politik Polen gegenüber verwertet wird. Gewiß ist das Interesse Polens, durch eine Sicherstellung des deutschen Elements gleichzeitig die Grundlage seiner eignen staatlichen Zukunft zu sichern, ungleich größer als das staatspolitische Interesse Deutschlands daran, durch die Art, wie eS das polnische Element stellt, an einer deutsch-polnischen Annäherung zu arbeiten. Aber eine Politik nach dem Motto: „Es ist meinem Vater ganz recht, wenn nur die Finger erfrieren, warum kauft er mir keine Handschuhe!" ist kurzsichtig, weil das zuerst erfrierende Glied das Deutschtum in Polen ist. Die Bedeutung der völkischen Minderheiten für die deutsch-polnische Politik besteht nicht nur darin, daß sie Ziele und Mittel staatlicher Politik sind. Der Kampf, den das Deutschtum in Polen uni seine Erhaltung und sein ungestörtes Wachstum führt, ist eine Arbeit zu dein Ziele, die Entwicklung in eine Bahn zu bringen, welche für Polen eine Minderung der aus der Lage zwischen Deutschland und Rußland und aus dem Bestehen des Korridors sich ergebenden Schwierigkeiten bedeutet, und für Deutschland die Aussicht auf einen Ausweg aus der Not des Versailler Friedens eröffnet, der an dem unübersehbaren Ausgang einer europäischen Katastrophe vorbeiführt. Mehr als bisher muß das Deutschtum in Polen sich mit dem Bewußtsein durchdringen, daß eS dazu berufen ist, im tapferen Einstehen für sein eignes völkisches Recht an der Lösung weltgeschichtlicher Aufgaben mit¬ zuarbeiten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338432/126>, abgerufen am 01.07.2024.