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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.

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Der französische Rcvcmchegedanke und deutsche Französelei

Jahr Anhänger verloren hat und dafür die Friedensbewegung wachsende
Erfolge verzeichnen konnte, bis die Politik Deutschlands, besonders seit
der Marokkoaffäre von 1905, einen Umschwung herbeiführte, weil Frank¬
reich sich bedroht fühlte und immer ernster an die Möglichkeit eines
deutschen Angriffs glaubte."

Hier zeigt sich Feldmann französischer als sein Franzose! Denn dieser hat zwar
jeden Zusammenhang zwischen Kriegsausbruch und Revanchegedanken bestritten,
aber nichts über den französischen Revanchegedanken im allgemeinen gesagt
Feldmann jedoch malt letzteren als ein hinwelkendes Pflänzchen, das erst durch
deutsche Schuld, besonders unter den Güssen des Marokkohandels, von neuem
ausgelebt sei. Wie lieblich muß den Franzosen aus deutschem Munde solche
Bescheinigung ihrer Lammnatur trotz der gleichzeitigen Feststellung eines "Um¬
schwunges" klingen! Hätte Feldmann diese Feststellung, mit Rücksicht auf den von
ihm selbst gebilligten Gedankengang seines Franzosen, als einen rollenwidrigen
Seitensprung empfunden, zu dessen schleuniger "Wiedergutmachung" er verpflichtet
sei, dann würde er sich nicht anders haben verhalten können, als er sich tatsächlich
verhalten hat. Zum ersten nämlich führt er, Feldmann der Deutsche, die Sache
der Deutschenhasser Poincarö und Millerand Wider die französisch-sozialistischen
Gegner ihrer Nüstungspolitik, indem er beiden nur Verteidigungsabsichten zuschreibt.
Zum zweiten verkehrt er den Zweifel an der Friedfertigkeit Frankreichs, den die
deutsche Regierung 1914 handgreiflich mit dem Verlangen nach Auslieferung
französischer Festungen bekundete, ganz einfach in sein Gegenteil. Zum dritten
deutet er an, daß man ihm jenes oben erwähnte Material nicht zurückgebe, weil
es das Schwinden des Nevanchegedankens unanfechtbar beweise. Zum vierten
verteidigt er den französischen Geschichtsschreiber Ernest Lapisse (auf den es ihm
scheinbar hauptsächlich ankommt) u. a. gegen den Vorwurf einer deutschen
Propaqandaschrifr, in den Schulen der Revanchehetze gehuldigt zu haben.

Auf diese vier Punkte soll jetzt rrcht näher eingegangen werden, sie mögen
als gaumenkitzelnde Würze zu dem politischen Leckerbissen, den Feldmann in
Gestalt seiner Ansicht von der Entwicklung des Revanchegedankens in Frankreich
den Franzosen vorsetzt, auf sich beruhen bleiben. ^) Den Leckerbissen selbst aber
wollen wir schärfer ins Auge fassen, weil er einerseits weder ohne Ver¬
gewaltigung der wirklichen Begebenheiten, noch ohne Mißachtung
früherer Urteile der "Vossischen Zeitung" selbst serviert werden kann,
und weil er andererseits, wie am Schlüsse darzulegen ist, einer wahrhaften
deutsch-französischen Verständigung nicht nur nicht dient, sondern
vielmehr entgegenwirkt.


II. Bekundungen des französischen Revanchegedankens
^893 -- ^905.
1. Die Pariser Negierung.

Wäre Feldmanns Ansicht von der Entwicklung des Nevanchegedankens in
Frankreich zutreffend, so müßten auch die sieben Jahre, die, rund gerechnet, dem



In Ur. 4S0 der "Täglichen Rundschau" vom 3. September 1920 habe ich urkundlich
D. Verf. nachgewiesen, daß Lapisse Erzieher zum Revanchegedanken in Frankreich war.
Der französische Rcvcmchegedanke und deutsche Französelei

Jahr Anhänger verloren hat und dafür die Friedensbewegung wachsende
Erfolge verzeichnen konnte, bis die Politik Deutschlands, besonders seit
der Marokkoaffäre von 1905, einen Umschwung herbeiführte, weil Frank¬
reich sich bedroht fühlte und immer ernster an die Möglichkeit eines
deutschen Angriffs glaubte."

Hier zeigt sich Feldmann französischer als sein Franzose! Denn dieser hat zwar
jeden Zusammenhang zwischen Kriegsausbruch und Revanchegedanken bestritten,
aber nichts über den französischen Revanchegedanken im allgemeinen gesagt
Feldmann jedoch malt letzteren als ein hinwelkendes Pflänzchen, das erst durch
deutsche Schuld, besonders unter den Güssen des Marokkohandels, von neuem
ausgelebt sei. Wie lieblich muß den Franzosen aus deutschem Munde solche
Bescheinigung ihrer Lammnatur trotz der gleichzeitigen Feststellung eines „Um¬
schwunges" klingen! Hätte Feldmann diese Feststellung, mit Rücksicht auf den von
ihm selbst gebilligten Gedankengang seines Franzosen, als einen rollenwidrigen
Seitensprung empfunden, zu dessen schleuniger „Wiedergutmachung" er verpflichtet
sei, dann würde er sich nicht anders haben verhalten können, als er sich tatsächlich
verhalten hat. Zum ersten nämlich führt er, Feldmann der Deutsche, die Sache
der Deutschenhasser Poincarö und Millerand Wider die französisch-sozialistischen
Gegner ihrer Nüstungspolitik, indem er beiden nur Verteidigungsabsichten zuschreibt.
Zum zweiten verkehrt er den Zweifel an der Friedfertigkeit Frankreichs, den die
deutsche Regierung 1914 handgreiflich mit dem Verlangen nach Auslieferung
französischer Festungen bekundete, ganz einfach in sein Gegenteil. Zum dritten
deutet er an, daß man ihm jenes oben erwähnte Material nicht zurückgebe, weil
es das Schwinden des Nevanchegedankens unanfechtbar beweise. Zum vierten
verteidigt er den französischen Geschichtsschreiber Ernest Lapisse (auf den es ihm
scheinbar hauptsächlich ankommt) u. a. gegen den Vorwurf einer deutschen
Propaqandaschrifr, in den Schulen der Revanchehetze gehuldigt zu haben.

Auf diese vier Punkte soll jetzt rrcht näher eingegangen werden, sie mögen
als gaumenkitzelnde Würze zu dem politischen Leckerbissen, den Feldmann in
Gestalt seiner Ansicht von der Entwicklung des Revanchegedankens in Frankreich
den Franzosen vorsetzt, auf sich beruhen bleiben. ^) Den Leckerbissen selbst aber
wollen wir schärfer ins Auge fassen, weil er einerseits weder ohne Ver¬
gewaltigung der wirklichen Begebenheiten, noch ohne Mißachtung
früherer Urteile der „Vossischen Zeitung" selbst serviert werden kann,
und weil er andererseits, wie am Schlüsse darzulegen ist, einer wahrhaften
deutsch-französischen Verständigung nicht nur nicht dient, sondern
vielmehr entgegenwirkt.


II. Bekundungen des französischen Revanchegedankens
^893 — ^905.
1. Die Pariser Negierung.

Wäre Feldmanns Ansicht von der Entwicklung des Nevanchegedankens in
Frankreich zutreffend, so müßten auch die sieben Jahre, die, rund gerechnet, dem



In Ur. 4S0 der „Täglichen Rundschau" vom 3. September 1920 habe ich urkundlich
D. Verf. nachgewiesen, daß Lapisse Erzieher zum Revanchegedanken in Frankreich war.
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[0102] Der französische Rcvcmchegedanke und deutsche Französelei Jahr Anhänger verloren hat und dafür die Friedensbewegung wachsende Erfolge verzeichnen konnte, bis die Politik Deutschlands, besonders seit der Marokkoaffäre von 1905, einen Umschwung herbeiführte, weil Frank¬ reich sich bedroht fühlte und immer ernster an die Möglichkeit eines deutschen Angriffs glaubte." Hier zeigt sich Feldmann französischer als sein Franzose! Denn dieser hat zwar jeden Zusammenhang zwischen Kriegsausbruch und Revanchegedanken bestritten, aber nichts über den französischen Revanchegedanken im allgemeinen gesagt Feldmann jedoch malt letzteren als ein hinwelkendes Pflänzchen, das erst durch deutsche Schuld, besonders unter den Güssen des Marokkohandels, von neuem ausgelebt sei. Wie lieblich muß den Franzosen aus deutschem Munde solche Bescheinigung ihrer Lammnatur trotz der gleichzeitigen Feststellung eines „Um¬ schwunges" klingen! Hätte Feldmann diese Feststellung, mit Rücksicht auf den von ihm selbst gebilligten Gedankengang seines Franzosen, als einen rollenwidrigen Seitensprung empfunden, zu dessen schleuniger „Wiedergutmachung" er verpflichtet sei, dann würde er sich nicht anders haben verhalten können, als er sich tatsächlich verhalten hat. Zum ersten nämlich führt er, Feldmann der Deutsche, die Sache der Deutschenhasser Poincarö und Millerand Wider die französisch-sozialistischen Gegner ihrer Nüstungspolitik, indem er beiden nur Verteidigungsabsichten zuschreibt. Zum zweiten verkehrt er den Zweifel an der Friedfertigkeit Frankreichs, den die deutsche Regierung 1914 handgreiflich mit dem Verlangen nach Auslieferung französischer Festungen bekundete, ganz einfach in sein Gegenteil. Zum dritten deutet er an, daß man ihm jenes oben erwähnte Material nicht zurückgebe, weil es das Schwinden des Nevanchegedankens unanfechtbar beweise. Zum vierten verteidigt er den französischen Geschichtsschreiber Ernest Lapisse (auf den es ihm scheinbar hauptsächlich ankommt) u. a. gegen den Vorwurf einer deutschen Propaqandaschrifr, in den Schulen der Revanchehetze gehuldigt zu haben. Auf diese vier Punkte soll jetzt rrcht näher eingegangen werden, sie mögen als gaumenkitzelnde Würze zu dem politischen Leckerbissen, den Feldmann in Gestalt seiner Ansicht von der Entwicklung des Revanchegedankens in Frankreich den Franzosen vorsetzt, auf sich beruhen bleiben. ^) Den Leckerbissen selbst aber wollen wir schärfer ins Auge fassen, weil er einerseits weder ohne Ver¬ gewaltigung der wirklichen Begebenheiten, noch ohne Mißachtung früherer Urteile der „Vossischen Zeitung" selbst serviert werden kann, und weil er andererseits, wie am Schlüsse darzulegen ist, einer wahrhaften deutsch-französischen Verständigung nicht nur nicht dient, sondern vielmehr entgegenwirkt. II. Bekundungen des französischen Revanchegedankens ^893 — ^905. 1. Die Pariser Negierung. Wäre Feldmanns Ansicht von der Entwicklung des Nevanchegedankens in Frankreich zutreffend, so müßten auch die sieben Jahre, die, rund gerechnet, dem In Ur. 4S0 der „Täglichen Rundschau" vom 3. September 1920 habe ich urkundlich D. Verf. nachgewiesen, daß Lapisse Erzieher zum Revanchegedanken in Frankreich war.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338432/102>, abgerufen am 04.07.2024.