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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.

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Der französische Revanchegedanke und deutsche Französelci

Der französische Revanchegedanke und deutsche
Französelei
Dr. Ludwig Boas von
I. Franzose und Französling.

jie "Vossische Zeitung" hat sich am 7. September 1920 (Ur. 441)
zum Sprachrohr eines französischen "Versöhnungspolitikers" gemacht/
der ihren Berichterstatter Dr. Wilhelm Feldmann über die vor dem
Kriege in Frankreich herrschende "wahre Gesinnung" aufklärte, um
für die Aussöhnung Deutschlands und Frankreichs zu wirken. Nach
der "Überzeugung" jenes Franzosen wird die Verständigung dadurch erschwert,
daß große Teile des deutschen Volkes an der Ansicht festhalten, Frankreich habe
einen Revanchekrieg zur Rückeroberung Elsaß-Lothringens erstrebt und mache
Deutschland wider besseres Wissen für den Krieg von 1914 verantwortlich. "Wenn
es gelänge," folgert der Franzose, "das deutsche Volk davon zu überzeugen, daß
seine Ausfassung von der Schuld Frankreichs unhaltbar ist, würde es die gesamte
Schuldfrage und damit auch das Wiedergutmachungsproblem mit anderen
Augen betrachten und notwendig zu der Gesamteinstellung gelangen, die als
Voraussetzung für den aufrichtigen Willen zur Friedenserfüllung zu gelten hat."

Unser "Versöhnungspolitiker" streitet also jeden Zusammenhang zwischen
Frankreichs elsaß-lothringischen Revanchehoffnungen und dem Kriegsausbruche ab^
Der offen ausgesprochene Zweck dieser Darstellung ist, das deutsche Volk so bu߬
fertig und zerknirscht zu stimmen, daß es mit der ganzen Inbrunst des Reumütigen
aus die Erfüllung der Bestimmungen des Friedens von Versailles bedacht sei.
Je vollständiger eine derartige "Versöhnungs"-Taktik die Bestrebungen des amt¬
lichen, das Shhlockinstrumcnt des Gewaltfriedcns vorzeigenden Frankreichs zur
Richtschnur nimmt, desto eigenartiger erscheint sie als Ergebnis einer privaten
"Versöhnungspolitik". Unbekümmert um die Übereinstimmung, die zwischen den
Zielen der Shylockpolitik des Quai d'Orsay und jener "Bersöhnungspolitik"
besteht, erklärt Dr. Feldmann, sich dem Gedankengange seines Gewährsmannes
nicht entziehen zu können, weil er selbst überzeugt sei, daß Frankreich den Krieg
nicht gewollt habe. So unterstützt ein Deutscher und ein deutsches Blatt als sein
Auftraggeber die französischen Bemühungen um die Schaffung eines deutschen
Volkes, das sich in härenem Bußkleide widerspruchslos das Joch wirtschaftlicher
Versklavung auferlegen läßt! Nach Span und vor Genf, zu einer Zeit, wo das
Schlimmste droht und die Einhelligkeit der öffentlichen Meinung Deutschlands
nicht die schwächste unter den wenigen der Berliner Regierung zu Gebote stehenden
Waffen bildet, ist solche Unterstützung Frankreichs -- an sich unerhört -- wahrlich
keine belanglose Sache. Aber Dr. Feldmann begnügt sich damit nicht, sondern
geht in der Dienstbeflissenheit gegenüber Frankreich noch erheblich weiter. Mit
prahlerischer Weitschweifigkeit erzählend, daß er im Frühling 1919 von einer
-- nicht näher bezeichneten -- Berliner Stelle ersucht worden sei, Material für
eine Darstellung der Entwicklung des Revanchegedankens in Frankreich zu
sammeln, berichtet er:'


"Das Ergebnis meiner Sammeltätigkeit war der schlagende Beweis
dafür, daß der Gedanke des Rachekrieges in Frankreich von Jahr zu

Der französische Revanchegedanke und deutsche Französelci

Der französische Revanchegedanke und deutsche
Französelei
Dr. Ludwig Boas von
I. Franzose und Französling.

jie „Vossische Zeitung" hat sich am 7. September 1920 (Ur. 441)
zum Sprachrohr eines französischen „Versöhnungspolitikers" gemacht/
der ihren Berichterstatter Dr. Wilhelm Feldmann über die vor dem
Kriege in Frankreich herrschende „wahre Gesinnung" aufklärte, um
für die Aussöhnung Deutschlands und Frankreichs zu wirken. Nach
der „Überzeugung" jenes Franzosen wird die Verständigung dadurch erschwert,
daß große Teile des deutschen Volkes an der Ansicht festhalten, Frankreich habe
einen Revanchekrieg zur Rückeroberung Elsaß-Lothringens erstrebt und mache
Deutschland wider besseres Wissen für den Krieg von 1914 verantwortlich. „Wenn
es gelänge," folgert der Franzose, „das deutsche Volk davon zu überzeugen, daß
seine Ausfassung von der Schuld Frankreichs unhaltbar ist, würde es die gesamte
Schuldfrage und damit auch das Wiedergutmachungsproblem mit anderen
Augen betrachten und notwendig zu der Gesamteinstellung gelangen, die als
Voraussetzung für den aufrichtigen Willen zur Friedenserfüllung zu gelten hat."

Unser „Versöhnungspolitiker" streitet also jeden Zusammenhang zwischen
Frankreichs elsaß-lothringischen Revanchehoffnungen und dem Kriegsausbruche ab^
Der offen ausgesprochene Zweck dieser Darstellung ist, das deutsche Volk so bu߬
fertig und zerknirscht zu stimmen, daß es mit der ganzen Inbrunst des Reumütigen
aus die Erfüllung der Bestimmungen des Friedens von Versailles bedacht sei.
Je vollständiger eine derartige „Versöhnungs"-Taktik die Bestrebungen des amt¬
lichen, das Shhlockinstrumcnt des Gewaltfriedcns vorzeigenden Frankreichs zur
Richtschnur nimmt, desto eigenartiger erscheint sie als Ergebnis einer privaten
„Versöhnungspolitik". Unbekümmert um die Übereinstimmung, die zwischen den
Zielen der Shylockpolitik des Quai d'Orsay und jener „Bersöhnungspolitik"
besteht, erklärt Dr. Feldmann, sich dem Gedankengange seines Gewährsmannes
nicht entziehen zu können, weil er selbst überzeugt sei, daß Frankreich den Krieg
nicht gewollt habe. So unterstützt ein Deutscher und ein deutsches Blatt als sein
Auftraggeber die französischen Bemühungen um die Schaffung eines deutschen
Volkes, das sich in härenem Bußkleide widerspruchslos das Joch wirtschaftlicher
Versklavung auferlegen läßt! Nach Span und vor Genf, zu einer Zeit, wo das
Schlimmste droht und die Einhelligkeit der öffentlichen Meinung Deutschlands
nicht die schwächste unter den wenigen der Berliner Regierung zu Gebote stehenden
Waffen bildet, ist solche Unterstützung Frankreichs — an sich unerhört — wahrlich
keine belanglose Sache. Aber Dr. Feldmann begnügt sich damit nicht, sondern
geht in der Dienstbeflissenheit gegenüber Frankreich noch erheblich weiter. Mit
prahlerischer Weitschweifigkeit erzählend, daß er im Frühling 1919 von einer
— nicht näher bezeichneten — Berliner Stelle ersucht worden sei, Material für
eine Darstellung der Entwicklung des Revanchegedankens in Frankreich zu
sammeln, berichtet er:'


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[0101] Der französische Revanchegedanke und deutsche Französelci Der französische Revanchegedanke und deutsche Französelei Dr. Ludwig Boas von I. Franzose und Französling. jie „Vossische Zeitung" hat sich am 7. September 1920 (Ur. 441) zum Sprachrohr eines französischen „Versöhnungspolitikers" gemacht/ der ihren Berichterstatter Dr. Wilhelm Feldmann über die vor dem Kriege in Frankreich herrschende „wahre Gesinnung" aufklärte, um für die Aussöhnung Deutschlands und Frankreichs zu wirken. Nach der „Überzeugung" jenes Franzosen wird die Verständigung dadurch erschwert, daß große Teile des deutschen Volkes an der Ansicht festhalten, Frankreich habe einen Revanchekrieg zur Rückeroberung Elsaß-Lothringens erstrebt und mache Deutschland wider besseres Wissen für den Krieg von 1914 verantwortlich. „Wenn es gelänge," folgert der Franzose, „das deutsche Volk davon zu überzeugen, daß seine Ausfassung von der Schuld Frankreichs unhaltbar ist, würde es die gesamte Schuldfrage und damit auch das Wiedergutmachungsproblem mit anderen Augen betrachten und notwendig zu der Gesamteinstellung gelangen, die als Voraussetzung für den aufrichtigen Willen zur Friedenserfüllung zu gelten hat." Unser „Versöhnungspolitiker" streitet also jeden Zusammenhang zwischen Frankreichs elsaß-lothringischen Revanchehoffnungen und dem Kriegsausbruche ab^ Der offen ausgesprochene Zweck dieser Darstellung ist, das deutsche Volk so bu߬ fertig und zerknirscht zu stimmen, daß es mit der ganzen Inbrunst des Reumütigen aus die Erfüllung der Bestimmungen des Friedens von Versailles bedacht sei. Je vollständiger eine derartige „Versöhnungs"-Taktik die Bestrebungen des amt¬ lichen, das Shhlockinstrumcnt des Gewaltfriedcns vorzeigenden Frankreichs zur Richtschnur nimmt, desto eigenartiger erscheint sie als Ergebnis einer privaten „Versöhnungspolitik". Unbekümmert um die Übereinstimmung, die zwischen den Zielen der Shylockpolitik des Quai d'Orsay und jener „Bersöhnungspolitik" besteht, erklärt Dr. Feldmann, sich dem Gedankengange seines Gewährsmannes nicht entziehen zu können, weil er selbst überzeugt sei, daß Frankreich den Krieg nicht gewollt habe. So unterstützt ein Deutscher und ein deutsches Blatt als sein Auftraggeber die französischen Bemühungen um die Schaffung eines deutschen Volkes, das sich in härenem Bußkleide widerspruchslos das Joch wirtschaftlicher Versklavung auferlegen läßt! Nach Span und vor Genf, zu einer Zeit, wo das Schlimmste droht und die Einhelligkeit der öffentlichen Meinung Deutschlands nicht die schwächste unter den wenigen der Berliner Regierung zu Gebote stehenden Waffen bildet, ist solche Unterstützung Frankreichs — an sich unerhört — wahrlich keine belanglose Sache. Aber Dr. Feldmann begnügt sich damit nicht, sondern geht in der Dienstbeflissenheit gegenüber Frankreich noch erheblich weiter. Mit prahlerischer Weitschweifigkeit erzählend, daß er im Frühling 1919 von einer — nicht näher bezeichneten — Berliner Stelle ersucht worden sei, Material für eine Darstellung der Entwicklung des Revanchegedankens in Frankreich zu sammeln, berichtet er:' „Das Ergebnis meiner Sammeltätigkeit war der schlagende Beweis dafür, daß der Gedanke des Rachekrieges in Frankreich von Jahr zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338432/101>, abgerufen am 28.12.2024.