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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr.

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Parteipolitische Verhältnisse in der südafrikanischen Union

Lassen Sie mich abbrechen. Das, was zum Ende führte, ist ja noch in frischer,
blutender Erinnerung: die planmäßige Vorbereitung der Niederlage durch Zersetzung
der bewaffneten Macht, deren sich Wortführer der Unabhängigen öffentlich gerühmt
haben; der "Dolchstoß in den Rücken" des Heeres im Augenblick, als es nach Er¬
löschen der Siegeshoffnung galt, einen Diktatfrieden abzuwehren; die Erdrosselung
des letzten Willens zur Verteidigung, der Druck auf Annahme der vernichtenden
Wasfcnstillstandsbedingungen, die Deutschland wehrlos der Raub- und Rachgier
seiner Feinde überantwortete; endlich die Umwälzung selbst, die im Augenblicke
äußerster Not des Vaterlandes alle Autorität, allen Zusammenhalt, alle Möglichkeit'
zum Widerstande vernichtete. Über diese Bergeslast von Schuld, die sich die Sozial¬
demokratie aufgeladen hat die Sozialdemokratie in ihrer Gesamtheit! Denn ihre
Saat, jahrzehntelang in einmütiger Arbeit gestreut, wenn auch durch zahllose Fehler
der Negierung und der anderen Parteien gedüngt, ist es gewesen, die in jenen
schwarzen Herbsttagen aufging, und was die Radikalen mit Vorbedacht herbeiführten,
haben die Mehrheitssozialisten, um nicht unter die Räder zu kommen, wenigstens
nachträglich gedeckt und mitgemacht -- über all dies Unnennbare kann ich beim besten
Willen nicht mit der Gelassenheit reden, die zu wahren ich mir alle Mühe gebe, um
brennende Streitfragen mit einem alten Freunde in Freundschaft zu besprechen.




parteipolitische
Verhältnisse in der südafrikanischen Union
Africanus von

ach Verhandlungen, die viele Monate dauerten und oft zu scheitern
drohten, schlossen sich am 31. Mai 1910 die vier britischen Kolonien
in Südafrika: Kapkolonie, Natal, Oranjefreistaatkolonie und Trans¬
vaal, zur südafrikanischen Union ("Union of South Africa" lautet
die amtliche englische Bezeichnung) zusammen. Die zu über¬
windenden Schwierigkeiten waren ungeheure gewesen. Um nur eine davon zu er¬
wähnen: Jede der vier Kolonien hatte ihr eigenes Ministerium, und die Zustimmung
?um Zusammenschluß bedeutete für die große Mehrzahl der Minister das politische
Harakiri. Die Selbstverleugnung und politische Einsicht dieser Männer verdient
Bewunderung. Ein großer Teil des Verdienstes am Zustandekommen dieses für
Südafrika so wichtigen Werkes gebührt übrigens der Staatskunst und dem Takt
eines Mannes, dem die Geschichte bisher noch nicht den gebührenden Tribut zollt,
vielleicht weil seine Bescheidenheit einen der stärksten Züge seines vornehmen
Charakters bildet. Es ist dies Lord Selborne, wohl der größte und sähigste General¬
gouvemeur, den Südafrika je gehabt hat.

Ein weiterer Mann, der an dem Zustandekommen der Union hervorragend
beteiligt war, ohne in der Öffentlichkeit sehr hervorzutreten, war Jan Hendrik
Hofmeyr, einer der bedeutendsten Führer der Burenpartei in der Kapkolonie und
Gründer des "Afrikanderbond", des Bundes der Afrikaner, der im politischen Leben
Südafrikas während einiger Jahrzehnte eine wichtige Rolle spielte und in der:


Parteipolitische Verhältnisse in der südafrikanischen Union

Lassen Sie mich abbrechen. Das, was zum Ende führte, ist ja noch in frischer,
blutender Erinnerung: die planmäßige Vorbereitung der Niederlage durch Zersetzung
der bewaffneten Macht, deren sich Wortführer der Unabhängigen öffentlich gerühmt
haben; der „Dolchstoß in den Rücken" des Heeres im Augenblick, als es nach Er¬
löschen der Siegeshoffnung galt, einen Diktatfrieden abzuwehren; die Erdrosselung
des letzten Willens zur Verteidigung, der Druck auf Annahme der vernichtenden
Wasfcnstillstandsbedingungen, die Deutschland wehrlos der Raub- und Rachgier
seiner Feinde überantwortete; endlich die Umwälzung selbst, die im Augenblicke
äußerster Not des Vaterlandes alle Autorität, allen Zusammenhalt, alle Möglichkeit'
zum Widerstande vernichtete. Über diese Bergeslast von Schuld, die sich die Sozial¬
demokratie aufgeladen hat die Sozialdemokratie in ihrer Gesamtheit! Denn ihre
Saat, jahrzehntelang in einmütiger Arbeit gestreut, wenn auch durch zahllose Fehler
der Negierung und der anderen Parteien gedüngt, ist es gewesen, die in jenen
schwarzen Herbsttagen aufging, und was die Radikalen mit Vorbedacht herbeiführten,
haben die Mehrheitssozialisten, um nicht unter die Räder zu kommen, wenigstens
nachträglich gedeckt und mitgemacht — über all dies Unnennbare kann ich beim besten
Willen nicht mit der Gelassenheit reden, die zu wahren ich mir alle Mühe gebe, um
brennende Streitfragen mit einem alten Freunde in Freundschaft zu besprechen.




parteipolitische
Verhältnisse in der südafrikanischen Union
Africanus von

ach Verhandlungen, die viele Monate dauerten und oft zu scheitern
drohten, schlossen sich am 31. Mai 1910 die vier britischen Kolonien
in Südafrika: Kapkolonie, Natal, Oranjefreistaatkolonie und Trans¬
vaal, zur südafrikanischen Union („Union of South Africa" lautet
die amtliche englische Bezeichnung) zusammen. Die zu über¬
windenden Schwierigkeiten waren ungeheure gewesen. Um nur eine davon zu er¬
wähnen: Jede der vier Kolonien hatte ihr eigenes Ministerium, und die Zustimmung
?um Zusammenschluß bedeutete für die große Mehrzahl der Minister das politische
Harakiri. Die Selbstverleugnung und politische Einsicht dieser Männer verdient
Bewunderung. Ein großer Teil des Verdienstes am Zustandekommen dieses für
Südafrika so wichtigen Werkes gebührt übrigens der Staatskunst und dem Takt
eines Mannes, dem die Geschichte bisher noch nicht den gebührenden Tribut zollt,
vielleicht weil seine Bescheidenheit einen der stärksten Züge seines vornehmen
Charakters bildet. Es ist dies Lord Selborne, wohl der größte und sähigste General¬
gouvemeur, den Südafrika je gehabt hat.

Ein weiterer Mann, der an dem Zustandekommen der Union hervorragend
beteiligt war, ohne in der Öffentlichkeit sehr hervorzutreten, war Jan Hendrik
Hofmeyr, einer der bedeutendsten Führer der Burenpartei in der Kapkolonie und
Gründer des „Afrikanderbond", des Bundes der Afrikaner, der im politischen Leben
Südafrikas während einiger Jahrzehnte eine wichtige Rolle spielte und in der:


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[0329] Parteipolitische Verhältnisse in der südafrikanischen Union Lassen Sie mich abbrechen. Das, was zum Ende führte, ist ja noch in frischer, blutender Erinnerung: die planmäßige Vorbereitung der Niederlage durch Zersetzung der bewaffneten Macht, deren sich Wortführer der Unabhängigen öffentlich gerühmt haben; der „Dolchstoß in den Rücken" des Heeres im Augenblick, als es nach Er¬ löschen der Siegeshoffnung galt, einen Diktatfrieden abzuwehren; die Erdrosselung des letzten Willens zur Verteidigung, der Druck auf Annahme der vernichtenden Wasfcnstillstandsbedingungen, die Deutschland wehrlos der Raub- und Rachgier seiner Feinde überantwortete; endlich die Umwälzung selbst, die im Augenblicke äußerster Not des Vaterlandes alle Autorität, allen Zusammenhalt, alle Möglichkeit' zum Widerstande vernichtete. Über diese Bergeslast von Schuld, die sich die Sozial¬ demokratie aufgeladen hat die Sozialdemokratie in ihrer Gesamtheit! Denn ihre Saat, jahrzehntelang in einmütiger Arbeit gestreut, wenn auch durch zahllose Fehler der Negierung und der anderen Parteien gedüngt, ist es gewesen, die in jenen schwarzen Herbsttagen aufging, und was die Radikalen mit Vorbedacht herbeiführten, haben die Mehrheitssozialisten, um nicht unter die Räder zu kommen, wenigstens nachträglich gedeckt und mitgemacht — über all dies Unnennbare kann ich beim besten Willen nicht mit der Gelassenheit reden, die zu wahren ich mir alle Mühe gebe, um brennende Streitfragen mit einem alten Freunde in Freundschaft zu besprechen. parteipolitische Verhältnisse in der südafrikanischen Union Africanus von ach Verhandlungen, die viele Monate dauerten und oft zu scheitern drohten, schlossen sich am 31. Mai 1910 die vier britischen Kolonien in Südafrika: Kapkolonie, Natal, Oranjefreistaatkolonie und Trans¬ vaal, zur südafrikanischen Union („Union of South Africa" lautet die amtliche englische Bezeichnung) zusammen. Die zu über¬ windenden Schwierigkeiten waren ungeheure gewesen. Um nur eine davon zu er¬ wähnen: Jede der vier Kolonien hatte ihr eigenes Ministerium, und die Zustimmung ?um Zusammenschluß bedeutete für die große Mehrzahl der Minister das politische Harakiri. Die Selbstverleugnung und politische Einsicht dieser Männer verdient Bewunderung. Ein großer Teil des Verdienstes am Zustandekommen dieses für Südafrika so wichtigen Werkes gebührt übrigens der Staatskunst und dem Takt eines Mannes, dem die Geschichte bisher noch nicht den gebührenden Tribut zollt, vielleicht weil seine Bescheidenheit einen der stärksten Züge seines vornehmen Charakters bildet. Es ist dies Lord Selborne, wohl der größte und sähigste General¬ gouvemeur, den Südafrika je gehabt hat. Ein weiterer Mann, der an dem Zustandekommen der Union hervorragend beteiligt war, ohne in der Öffentlichkeit sehr hervorzutreten, war Jan Hendrik Hofmeyr, einer der bedeutendsten Führer der Burenpartei in der Kapkolonie und Gründer des „Afrikanderbond", des Bundes der Afrikaner, der im politischen Leben Südafrikas während einiger Jahrzehnte eine wichtige Rolle spielte und in der:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_338022/329>, abgerufen am 27.06.2024.