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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr.

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Gffenherzigkeiten

Erzberger ein langes Leben voraussagen. Wir beglückwünschen dazu im voraus die
politischen Talente Deutschlands, die hierdurch wie bisher noch weitere Gelegenheit
erhalten, völlig unentdeckt und unerkennbar in der Stille zu wachsen und zu gedeihen.
Wir Verfasser von "Offenherzigkeiten" werden freilich unser undankbares Handwerk
vollends aufgeben müssen. Die Revolution und die Republik hatten uns neue Zeiten,
neue Männer verheißen. In Wirklichkeit sehen wir seit zwei Jahren mit Ausnahme
der Hölz und Toller, lauter alte Figuren aufziehen, wie Zinnsoldaten, die auf
einem ewigen Band aufgeklebt über eine Brücke gekurbelt werden, um eine uner¬
schöpfliche Armee vorzutäuschen. Um Abwechslung in das Spiel zu bringen, sollte
Dr. Simons für das prophezeite Erzbergerkabinett wenigstens Zehngebote-Hoff¬
mann vorschlagen, der unter den jüngeren Talenten des Parlaments hervorragt und
den wir nur zu kurze Zeit genossen haben, so daß er wohl schon wegen der Pensions¬
berechtigung und der erst halbfertigen Marmorbüste in Haenischs Vestibül noch
einmal Minister werden müßte.


Deutsche unter sich.

Die französischen und englischen Könige, Richelieu und Cromwell haben jeden
selbständigen Willen gebrochen, der sich in den Provinzen regte. Die Nation hat in
Paris oder London ihren Kopf, der allein politisch disponiert und befiehlt. Das
findet der Deutsche öde und starr, er will aus Berlin schimpfen und mit seinem
besseren Pfälzer oder thüringischen Menschentum eigene Politik machen. Wir haben
an Stelle eines Zentrums noch viele Dutzende von Zentren, die Politik machen.
Darum haben wir keine gute und große Zmtralpolttik, sondern sich gegenseitig
reihende und aufreibende Partikularenergien, die in ihrer Eigenbedeutung die Freude
Frankreichs sind.

Aber sowie der Deutsche in fremde Dienste tritt, und er allein ist dazu so richtig
imstande, wird er bedingungslos zentralistisch, fanatisch. Der "Franzose" Weygand,
der "Pole" Haller und der "Russe" Wrangel beeifern sich jetzt mit deutscher Erb¬
tüchtigkeit, nebst ungezählten anderen Deutschgeborenen, das Werk Bethmann-
Hollwegs in Warschau zu sichern und sein Wort aus dem Jahr 1915 wahr zu machen:
"Nie wieder darf der Kosak und der russische Tschinownik nach Polen zurückkehren,
das wir von russischer Mißwirtschaft befreit haben." Ein preußischer Offizier, der
im November 1918 in meinem Wohnort die rote Fahne als mit der Ehre eines vor¬
beimarschierenden preußischen Soldaten unvereinbar herabgerissen hat, verteidigte im
August 1920 den Warschauer Brückenkopf unter Oberst Burckhard mit deutsch er¬
zogenen Posener Truppen, so daß sich der russische Ansturm brach. Deutsche schützen
die polnische Mißwirtschaft gegen die russische, dienen Großfrankreich am Rhein
und Kleinfrankreich an der Weichsel, und vergeblich warten Graudenz, Bromberg und
Thorn -- deutsche Städte und polnisch-französische Zwinguris -- auf den
russischen Befreier, der sich totläuft an Warschau, das von den Russen selbst befestigt,
von den Deutschen verstärkt und ausgebaut, heute gegen beide dient.


Was heißt neutral?

Der Begriff der Neutralität wird allem Anschein nach dem deutschen Volk, das
jetzt waffenlos zwischen dem waffenstarrenden Osten und dem waffenstarrenden
Westen liegt, noch viele Trübsal bereiten. Es wäre deshalb gut, wenn wir
endlich erführen, was Neutralität eigentlich ist. Vor dem Krieg wußten
es unsere deutschen Völkerrechtslehrer genau und ließen jeden im Nigorosum
durchfallen, der es nicht wußte. Dann erfuhren wir aber im Krieg so Wider¬
sprechendes, und die belgischen Heckenschützen, Weniselos, die N01'., die LSS.
und Wilson gewöhnten uns an so eigenartige Neutralitätsbegriffe, daß wir gerne
wenigstens nach dem Krieg etwas Authentisches erfahren hätten. Jetzt erleben wir
aber im polnisch-russischen Krieg wieder, daß jeder diejenigen Handlungen neutral
nennt, die seinen Freunden nützen und seinen Feinden schaden. Im Brüsseler
Kabinett ist großer Streit. Der franzosen- und polenfreundliche Außenminister
erklärt, Durchgangsverkehr der Munition für Polen wäre neutral, und der bolsche-


Gffenherzigkeiten

Erzberger ein langes Leben voraussagen. Wir beglückwünschen dazu im voraus die
politischen Talente Deutschlands, die hierdurch wie bisher noch weitere Gelegenheit
erhalten, völlig unentdeckt und unerkennbar in der Stille zu wachsen und zu gedeihen.
Wir Verfasser von „Offenherzigkeiten" werden freilich unser undankbares Handwerk
vollends aufgeben müssen. Die Revolution und die Republik hatten uns neue Zeiten,
neue Männer verheißen. In Wirklichkeit sehen wir seit zwei Jahren mit Ausnahme
der Hölz und Toller, lauter alte Figuren aufziehen, wie Zinnsoldaten, die auf
einem ewigen Band aufgeklebt über eine Brücke gekurbelt werden, um eine uner¬
schöpfliche Armee vorzutäuschen. Um Abwechslung in das Spiel zu bringen, sollte
Dr. Simons für das prophezeite Erzbergerkabinett wenigstens Zehngebote-Hoff¬
mann vorschlagen, der unter den jüngeren Talenten des Parlaments hervorragt und
den wir nur zu kurze Zeit genossen haben, so daß er wohl schon wegen der Pensions¬
berechtigung und der erst halbfertigen Marmorbüste in Haenischs Vestibül noch
einmal Minister werden müßte.


Deutsche unter sich.

Die französischen und englischen Könige, Richelieu und Cromwell haben jeden
selbständigen Willen gebrochen, der sich in den Provinzen regte. Die Nation hat in
Paris oder London ihren Kopf, der allein politisch disponiert und befiehlt. Das
findet der Deutsche öde und starr, er will aus Berlin schimpfen und mit seinem
besseren Pfälzer oder thüringischen Menschentum eigene Politik machen. Wir haben
an Stelle eines Zentrums noch viele Dutzende von Zentren, die Politik machen.
Darum haben wir keine gute und große Zmtralpolttik, sondern sich gegenseitig
reihende und aufreibende Partikularenergien, die in ihrer Eigenbedeutung die Freude
Frankreichs sind.

Aber sowie der Deutsche in fremde Dienste tritt, und er allein ist dazu so richtig
imstande, wird er bedingungslos zentralistisch, fanatisch. Der „Franzose" Weygand,
der „Pole" Haller und der „Russe" Wrangel beeifern sich jetzt mit deutscher Erb¬
tüchtigkeit, nebst ungezählten anderen Deutschgeborenen, das Werk Bethmann-
Hollwegs in Warschau zu sichern und sein Wort aus dem Jahr 1915 wahr zu machen:
„Nie wieder darf der Kosak und der russische Tschinownik nach Polen zurückkehren,
das wir von russischer Mißwirtschaft befreit haben." Ein preußischer Offizier, der
im November 1918 in meinem Wohnort die rote Fahne als mit der Ehre eines vor¬
beimarschierenden preußischen Soldaten unvereinbar herabgerissen hat, verteidigte im
August 1920 den Warschauer Brückenkopf unter Oberst Burckhard mit deutsch er¬
zogenen Posener Truppen, so daß sich der russische Ansturm brach. Deutsche schützen
die polnische Mißwirtschaft gegen die russische, dienen Großfrankreich am Rhein
und Kleinfrankreich an der Weichsel, und vergeblich warten Graudenz, Bromberg und
Thorn — deutsche Städte und polnisch-französische Zwinguris — auf den
russischen Befreier, der sich totläuft an Warschau, das von den Russen selbst befestigt,
von den Deutschen verstärkt und ausgebaut, heute gegen beide dient.


Was heißt neutral?

Der Begriff der Neutralität wird allem Anschein nach dem deutschen Volk, das
jetzt waffenlos zwischen dem waffenstarrenden Osten und dem waffenstarrenden
Westen liegt, noch viele Trübsal bereiten. Es wäre deshalb gut, wenn wir
endlich erführen, was Neutralität eigentlich ist. Vor dem Krieg wußten
es unsere deutschen Völkerrechtslehrer genau und ließen jeden im Nigorosum
durchfallen, der es nicht wußte. Dann erfuhren wir aber im Krieg so Wider¬
sprechendes, und die belgischen Heckenschützen, Weniselos, die N01'., die LSS.
und Wilson gewöhnten uns an so eigenartige Neutralitätsbegriffe, daß wir gerne
wenigstens nach dem Krieg etwas Authentisches erfahren hätten. Jetzt erleben wir
aber im polnisch-russischen Krieg wieder, daß jeder diejenigen Handlungen neutral
nennt, die seinen Freunden nützen und seinen Feinden schaden. Im Brüsseler
Kabinett ist großer Streit. Der franzosen- und polenfreundliche Außenminister
erklärt, Durchgangsverkehr der Munition für Polen wäre neutral, und der bolsche-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337640/288>, abgerufen am 03.07.2024.