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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr.

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Offenherzigkeiten

wistenfreundliche Justizminister Vandervelde sieht darin eine Verletzung der Neu¬
tralität. Man einigte sich auf die Formel, vorläufig die Neutralität aufrechtzuerhalten,
d. h. jeder bleibt bei seinem gegensätzlichen Auffassen des ominösen Worts; die
Folge dieser "Einigung" war eine Käbinettskrisis. Die deutschen Arbeiter sehen im
Durchführen von Kriegsgerät an die Polen eine unneutrale Handlung, die Franzosen
im Verweigern der Durchfuhr. Der englische Statthalter der deutschen Stadt Danzig
verbietet zuerst, als das Kriegsglück den Russen lächelt, die Waffendurchfuhr, weil
England die Bolschewisten nicht reizen will, erlaubt sie dann, als es den Polen an¬
fängt gut zu gehen, als unneutral, und das "Journal des D6half" schreibt dazu:
"Während des ganzen Krieges konnten sich die Alliierten Munition von den Neu¬
tralen verschaffen, ohne daß sie dieserhalb ihre Neutralität verletzten. Als die Ver¬
einigten Staaten noch lange nicht im Krieg waren, haben wir uns Kriegsgerät aus
Amerika in größten Mengen kommen lassen und ebenso aus der Schweiz. Heute soll
diese ganze Taktik, aus der wir Nutzen gezogen haben, umgestoßen werden, damit
Polen in seinem Daseinskampf behindert werde."

Dagegen sieht Frankreich einen deutschen Neutralitätsbruch darin, wenn wir
den Russen Sensen oder Lokomotiven verkaufen wollen. Es ist also dringend er¬
forderlich, daß der Begriff der Neutralität endlich einmal klar definiert wird und
das AA., Rechtsabteilung (weiland or. Simons) könnte sich ein Verdienst erwerben,
indem es zur Bearbeitung der Preisaufgabe aufforderte, durch welche feinen Merkmale
sich der Begriff Neutralität eigentlich von dem des französischen oder je nachdem briti¬
Zibo. schen Staatsinteresses unterscheide?




Verantwortlich: i. V. Haus von Sodenstcrn in Berlin.
Schriftleitung und Verlag: Berlin SW 11, Tempelhofer Ufer S6s. Fernruf: Llltzow "vio.
Verlag: K> F. Koester, Abteilung Grenzboten, Berlin.
Druck W. Moeser Buchdruckerei, Berlin S it, Stallschreiberstr. Se/35.

Rücksendung von Manuskripten erfolgt nur gegen beigefügtes Rückporto.
Nachdruck sämtlicher Aufsätze ist nur mit ausdrücklicher Erlaubnis des Verlages gestattet




Offenherzigkeiten

wistenfreundliche Justizminister Vandervelde sieht darin eine Verletzung der Neu¬
tralität. Man einigte sich auf die Formel, vorläufig die Neutralität aufrechtzuerhalten,
d. h. jeder bleibt bei seinem gegensätzlichen Auffassen des ominösen Worts; die
Folge dieser „Einigung" war eine Käbinettskrisis. Die deutschen Arbeiter sehen im
Durchführen von Kriegsgerät an die Polen eine unneutrale Handlung, die Franzosen
im Verweigern der Durchfuhr. Der englische Statthalter der deutschen Stadt Danzig
verbietet zuerst, als das Kriegsglück den Russen lächelt, die Waffendurchfuhr, weil
England die Bolschewisten nicht reizen will, erlaubt sie dann, als es den Polen an¬
fängt gut zu gehen, als unneutral, und das „Journal des D6half" schreibt dazu:
„Während des ganzen Krieges konnten sich die Alliierten Munition von den Neu¬
tralen verschaffen, ohne daß sie dieserhalb ihre Neutralität verletzten. Als die Ver¬
einigten Staaten noch lange nicht im Krieg waren, haben wir uns Kriegsgerät aus
Amerika in größten Mengen kommen lassen und ebenso aus der Schweiz. Heute soll
diese ganze Taktik, aus der wir Nutzen gezogen haben, umgestoßen werden, damit
Polen in seinem Daseinskampf behindert werde."

Dagegen sieht Frankreich einen deutschen Neutralitätsbruch darin, wenn wir
den Russen Sensen oder Lokomotiven verkaufen wollen. Es ist also dringend er¬
forderlich, daß der Begriff der Neutralität endlich einmal klar definiert wird und
das AA., Rechtsabteilung (weiland or. Simons) könnte sich ein Verdienst erwerben,
indem es zur Bearbeitung der Preisaufgabe aufforderte, durch welche feinen Merkmale
sich der Begriff Neutralität eigentlich von dem des französischen oder je nachdem briti¬
Zibo. schen Staatsinteresses unterscheide?




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[0289] Offenherzigkeiten wistenfreundliche Justizminister Vandervelde sieht darin eine Verletzung der Neu¬ tralität. Man einigte sich auf die Formel, vorläufig die Neutralität aufrechtzuerhalten, d. h. jeder bleibt bei seinem gegensätzlichen Auffassen des ominösen Worts; die Folge dieser „Einigung" war eine Käbinettskrisis. Die deutschen Arbeiter sehen im Durchführen von Kriegsgerät an die Polen eine unneutrale Handlung, die Franzosen im Verweigern der Durchfuhr. Der englische Statthalter der deutschen Stadt Danzig verbietet zuerst, als das Kriegsglück den Russen lächelt, die Waffendurchfuhr, weil England die Bolschewisten nicht reizen will, erlaubt sie dann, als es den Polen an¬ fängt gut zu gehen, als unneutral, und das „Journal des D6half" schreibt dazu: „Während des ganzen Krieges konnten sich die Alliierten Munition von den Neu¬ tralen verschaffen, ohne daß sie dieserhalb ihre Neutralität verletzten. Als die Ver¬ einigten Staaten noch lange nicht im Krieg waren, haben wir uns Kriegsgerät aus Amerika in größten Mengen kommen lassen und ebenso aus der Schweiz. Heute soll diese ganze Taktik, aus der wir Nutzen gezogen haben, umgestoßen werden, damit Polen in seinem Daseinskampf behindert werde." Dagegen sieht Frankreich einen deutschen Neutralitätsbruch darin, wenn wir den Russen Sensen oder Lokomotiven verkaufen wollen. Es ist also dringend er¬ forderlich, daß der Begriff der Neutralität endlich einmal klar definiert wird und das AA., Rechtsabteilung (weiland or. Simons) könnte sich ein Verdienst erwerben, indem es zur Bearbeitung der Preisaufgabe aufforderte, durch welche feinen Merkmale sich der Begriff Neutralität eigentlich von dem des französischen oder je nachdem briti¬ Zibo. schen Staatsinteresses unterscheide? Verantwortlich: i. V. Haus von Sodenstcrn in Berlin. Schriftleitung und Verlag: Berlin SW 11, Tempelhofer Ufer S6s. Fernruf: Llltzow «vio. Verlag: K> F. Koester, Abteilung Grenzboten, Berlin. Druck W. Moeser Buchdruckerei, Berlin S it, Stallschreiberstr. Se/35. Rücksendung von Manuskripten erfolgt nur gegen beigefügtes Rückporto. Nachdruck sämtlicher Aufsätze ist nur mit ausdrücklicher Erlaubnis des Verlages gestattet

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337640/289>, abgerufen am 01.07.2024.