Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ans Geheimberichten an den Grafen Hertling

Wende ungefähr um die Zeit, in der der Abschluß des Waffenstillstandes erfolgen
sollte (2ö. Mai), in Petersburg; in diese Tage fällt auch der verhängnisvolle
Telegrammwechsel, den die Schweizerische Gesandtschaft in Petersburg zwischen
ihm und dem Herrn Bundesrat Hoffmann vermittelte.

Für die Sache des Friedens ist dieser Vorfall nach zwei Richtungen hin
verhängnisvoll. Zunächst erscheint mit Sicherheit festgestellt, daß die Entente
den Frieden nicht will, ferner ist für die Entente kein Zweifel mehr darüber,
daß wir den Frieden dringend wünschen. Für unsere Position bei künftigen
Verhandlungen bedeutet dies eine nicht erwünschte Verschlechterung.

Die Enttäuschung, die uns die Mission Grimm bereitet hat, ist nicht die
erste dieser Art. Es kann angesichts des Ernstes der Lage nur immer wiederholt
werden, was ich mir nochmals anzudeuten erlaube: Solange wir uns nicht
entschließen können, ordnungs- und übungsgemäß den Weg streng vertraulicher
diplomatischer Verhandlungen zu beschreiten und auf die bisher von uns
gebrauchten untauglichen Mittel des VerHandelns durch unverantwort¬
liche Parlamentarier und Industrielle zu verzichten,' wird es kaum anders
werden. Unseren sämtlichen Unterhändlern fehlt die verantwortliche Deckung
durch die Zentralstelle; sie werden daher nicht als ernst zu nehmende Ver¬
handlungsgegner angesehen.

Daß der Entschluß, diesen neuen Weg zu beschreiten, schwerfallen mag,
ist begreiflich; die Kluft, die zwischen den bisher künstlich genährten Hoffnungen
der Nation und der nackten Wirklichkeit besteht, ist zu groß, als daß es leicht
fallen könnte, das Volk darüber aufzuklären. Man wird aber nicht darum herum¬
kommen und die Lage kann durch Zögern nur schlimmer werden.




....., den 28. Juni 1917.

Es scheint nach den mir zugegangenen Nachrichten, daß man in England
und Frankreich die kritische Zeit mit Mitte Juli für überwunden hält, da von
dort an die Wirkungen der Beteiligung der amerikanischen Flotte an den Abwehr-
Maßnahmen der Engländer und Franzosen für hinreichend stark erachtet werden,
um weitere Befürchtungen auszuschließen.

Es ist von hier aus selbstverständlich unmöglich, die Richtigkeit dieser
Auffassungen nachzuprüfen; doch stimmen sie im allgemeinen mit den zahl¬
reichen Mitteilungen, die ich von anderer, englischen und amerikanischen Kreisen
nahestehender Seite erhalte, überein. Soweit der Unterseebootskrieg als ultima
ratio der Bezwingung Englands und der Beschleunigung des Kriegsendes ge¬
dacht war, dürfte er, so lästig er unseren Feinden auch fällt, und so sehr er ihre
inneren Schwierigkeiten vermehrt, seinen eigentlichen Zweck bereits verfehlt
haben. Hieran vermag auch die Veröffentlichung des Gesamtresultats aller
seit Kriegsausbruch erfolgten Versenkungen nichts zu ändern, da es in erster
Linie darauf ankommt, ob die Kurve der Versenkungen sich auch im gegen¬
wärtigen Zeitpunkt auf ihrer Höhe erhält, oder ob sie weiterhin absteigt.

Im einzelnen kann ich das Gesamturteil meiner Gewährsleute, wie nach¬
gehend, zusammenfassen:


Ans Geheimberichten an den Grafen Hertling

Wende ungefähr um die Zeit, in der der Abschluß des Waffenstillstandes erfolgen
sollte (2ö. Mai), in Petersburg; in diese Tage fällt auch der verhängnisvolle
Telegrammwechsel, den die Schweizerische Gesandtschaft in Petersburg zwischen
ihm und dem Herrn Bundesrat Hoffmann vermittelte.

Für die Sache des Friedens ist dieser Vorfall nach zwei Richtungen hin
verhängnisvoll. Zunächst erscheint mit Sicherheit festgestellt, daß die Entente
den Frieden nicht will, ferner ist für die Entente kein Zweifel mehr darüber,
daß wir den Frieden dringend wünschen. Für unsere Position bei künftigen
Verhandlungen bedeutet dies eine nicht erwünschte Verschlechterung.

Die Enttäuschung, die uns die Mission Grimm bereitet hat, ist nicht die
erste dieser Art. Es kann angesichts des Ernstes der Lage nur immer wiederholt
werden, was ich mir nochmals anzudeuten erlaube: Solange wir uns nicht
entschließen können, ordnungs- und übungsgemäß den Weg streng vertraulicher
diplomatischer Verhandlungen zu beschreiten und auf die bisher von uns
gebrauchten untauglichen Mittel des VerHandelns durch unverantwort¬
liche Parlamentarier und Industrielle zu verzichten,' wird es kaum anders
werden. Unseren sämtlichen Unterhändlern fehlt die verantwortliche Deckung
durch die Zentralstelle; sie werden daher nicht als ernst zu nehmende Ver¬
handlungsgegner angesehen.

Daß der Entschluß, diesen neuen Weg zu beschreiten, schwerfallen mag,
ist begreiflich; die Kluft, die zwischen den bisher künstlich genährten Hoffnungen
der Nation und der nackten Wirklichkeit besteht, ist zu groß, als daß es leicht
fallen könnte, das Volk darüber aufzuklären. Man wird aber nicht darum herum¬
kommen und die Lage kann durch Zögern nur schlimmer werden.




....., den 28. Juni 1917.

Es scheint nach den mir zugegangenen Nachrichten, daß man in England
und Frankreich die kritische Zeit mit Mitte Juli für überwunden hält, da von
dort an die Wirkungen der Beteiligung der amerikanischen Flotte an den Abwehr-
Maßnahmen der Engländer und Franzosen für hinreichend stark erachtet werden,
um weitere Befürchtungen auszuschließen.

Es ist von hier aus selbstverständlich unmöglich, die Richtigkeit dieser
Auffassungen nachzuprüfen; doch stimmen sie im allgemeinen mit den zahl¬
reichen Mitteilungen, die ich von anderer, englischen und amerikanischen Kreisen
nahestehender Seite erhalte, überein. Soweit der Unterseebootskrieg als ultima
ratio der Bezwingung Englands und der Beschleunigung des Kriegsendes ge¬
dacht war, dürfte er, so lästig er unseren Feinden auch fällt, und so sehr er ihre
inneren Schwierigkeiten vermehrt, seinen eigentlichen Zweck bereits verfehlt
haben. Hieran vermag auch die Veröffentlichung des Gesamtresultats aller
seit Kriegsausbruch erfolgten Versenkungen nichts zu ändern, da es in erster
Linie darauf ankommt, ob die Kurve der Versenkungen sich auch im gegen¬
wärtigen Zeitpunkt auf ihrer Höhe erhält, oder ob sie weiterhin absteigt.

Im einzelnen kann ich das Gesamturteil meiner Gewährsleute, wie nach¬
gehend, zusammenfassen:


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0273" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/337914"/>
          <fw type="header" place="top"> Ans Geheimberichten an den Grafen Hertling</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_976" prev="#ID_975"> Wende ungefähr um die Zeit, in der der Abschluß des Waffenstillstandes erfolgen<lb/>
sollte (2ö. Mai), in Petersburg; in diese Tage fällt auch der verhängnisvolle<lb/>
Telegrammwechsel, den die Schweizerische Gesandtschaft in Petersburg zwischen<lb/>
ihm und dem Herrn Bundesrat Hoffmann vermittelte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_977"> Für die Sache des Friedens ist dieser Vorfall nach zwei Richtungen hin<lb/>
verhängnisvoll. Zunächst erscheint mit Sicherheit festgestellt, daß die Entente<lb/>
den Frieden nicht will, ferner ist für die Entente kein Zweifel mehr darüber,<lb/>
daß wir den Frieden dringend wünschen. Für unsere Position bei künftigen<lb/>
Verhandlungen bedeutet dies eine nicht erwünschte Verschlechterung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_978"> Die Enttäuschung, die uns die Mission Grimm bereitet hat, ist nicht die<lb/>
erste dieser Art. Es kann angesichts des Ernstes der Lage nur immer wiederholt<lb/>
werden, was ich mir nochmals anzudeuten erlaube: Solange wir uns nicht<lb/>
entschließen können, ordnungs- und übungsgemäß den Weg streng vertraulicher<lb/>
diplomatischer Verhandlungen zu beschreiten und auf die bisher von uns<lb/>
gebrauchten untauglichen Mittel des VerHandelns durch unverantwort¬<lb/>
liche Parlamentarier und Industrielle zu verzichten,' wird es kaum anders<lb/>
werden. Unseren sämtlichen Unterhändlern fehlt die verantwortliche Deckung<lb/>
durch die Zentralstelle; sie werden daher nicht als ernst zu nehmende Ver¬<lb/>
handlungsgegner angesehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_979"> Daß der Entschluß, diesen neuen Weg zu beschreiten, schwerfallen mag,<lb/>
ist begreiflich; die Kluft, die zwischen den bisher künstlich genährten Hoffnungen<lb/>
der Nation und der nackten Wirklichkeit besteht, ist zu groß, als daß es leicht<lb/>
fallen könnte, das Volk darüber aufzuklären. Man wird aber nicht darum herum¬<lb/>
kommen und die Lage kann durch Zögern nur schlimmer werden.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p xml:id="ID_980"> ....., den 28. Juni 1917.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_981"> Es scheint nach den mir zugegangenen Nachrichten, daß man in England<lb/>
und Frankreich die kritische Zeit mit Mitte Juli für überwunden hält, da von<lb/>
dort an die Wirkungen der Beteiligung der amerikanischen Flotte an den Abwehr-<lb/>
Maßnahmen der Engländer und Franzosen für hinreichend stark erachtet werden,<lb/>
um weitere Befürchtungen auszuschließen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_982"> Es ist von hier aus selbstverständlich unmöglich, die Richtigkeit dieser<lb/>
Auffassungen nachzuprüfen; doch stimmen sie im allgemeinen mit den zahl¬<lb/>
reichen Mitteilungen, die ich von anderer, englischen und amerikanischen Kreisen<lb/>
nahestehender Seite erhalte, überein. Soweit der Unterseebootskrieg als ultima<lb/>
ratio der Bezwingung Englands und der Beschleunigung des Kriegsendes ge¬<lb/>
dacht war, dürfte er, so lästig er unseren Feinden auch fällt, und so sehr er ihre<lb/>
inneren Schwierigkeiten vermehrt, seinen eigentlichen Zweck bereits verfehlt<lb/>
haben. Hieran vermag auch die Veröffentlichung des Gesamtresultats aller<lb/>
seit Kriegsausbruch erfolgten Versenkungen nichts zu ändern, da es in erster<lb/>
Linie darauf ankommt, ob die Kurve der Versenkungen sich auch im gegen¬<lb/>
wärtigen Zeitpunkt auf ihrer Höhe erhält, oder ob sie weiterhin absteigt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_983" next="#ID_984"> Im einzelnen kann ich das Gesamturteil meiner Gewährsleute, wie nach¬<lb/>
gehend, zusammenfassen:</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0273] Ans Geheimberichten an den Grafen Hertling Wende ungefähr um die Zeit, in der der Abschluß des Waffenstillstandes erfolgen sollte (2ö. Mai), in Petersburg; in diese Tage fällt auch der verhängnisvolle Telegrammwechsel, den die Schweizerische Gesandtschaft in Petersburg zwischen ihm und dem Herrn Bundesrat Hoffmann vermittelte. Für die Sache des Friedens ist dieser Vorfall nach zwei Richtungen hin verhängnisvoll. Zunächst erscheint mit Sicherheit festgestellt, daß die Entente den Frieden nicht will, ferner ist für die Entente kein Zweifel mehr darüber, daß wir den Frieden dringend wünschen. Für unsere Position bei künftigen Verhandlungen bedeutet dies eine nicht erwünschte Verschlechterung. Die Enttäuschung, die uns die Mission Grimm bereitet hat, ist nicht die erste dieser Art. Es kann angesichts des Ernstes der Lage nur immer wiederholt werden, was ich mir nochmals anzudeuten erlaube: Solange wir uns nicht entschließen können, ordnungs- und übungsgemäß den Weg streng vertraulicher diplomatischer Verhandlungen zu beschreiten und auf die bisher von uns gebrauchten untauglichen Mittel des VerHandelns durch unverantwort¬ liche Parlamentarier und Industrielle zu verzichten,' wird es kaum anders werden. Unseren sämtlichen Unterhändlern fehlt die verantwortliche Deckung durch die Zentralstelle; sie werden daher nicht als ernst zu nehmende Ver¬ handlungsgegner angesehen. Daß der Entschluß, diesen neuen Weg zu beschreiten, schwerfallen mag, ist begreiflich; die Kluft, die zwischen den bisher künstlich genährten Hoffnungen der Nation und der nackten Wirklichkeit besteht, ist zu groß, als daß es leicht fallen könnte, das Volk darüber aufzuklären. Man wird aber nicht darum herum¬ kommen und die Lage kann durch Zögern nur schlimmer werden. ....., den 28. Juni 1917. Es scheint nach den mir zugegangenen Nachrichten, daß man in England und Frankreich die kritische Zeit mit Mitte Juli für überwunden hält, da von dort an die Wirkungen der Beteiligung der amerikanischen Flotte an den Abwehr- Maßnahmen der Engländer und Franzosen für hinreichend stark erachtet werden, um weitere Befürchtungen auszuschließen. Es ist von hier aus selbstverständlich unmöglich, die Richtigkeit dieser Auffassungen nachzuprüfen; doch stimmen sie im allgemeinen mit den zahl¬ reichen Mitteilungen, die ich von anderer, englischen und amerikanischen Kreisen nahestehender Seite erhalte, überein. Soweit der Unterseebootskrieg als ultima ratio der Bezwingung Englands und der Beschleunigung des Kriegsendes ge¬ dacht war, dürfte er, so lästig er unseren Feinden auch fällt, und so sehr er ihre inneren Schwierigkeiten vermehrt, seinen eigentlichen Zweck bereits verfehlt haben. Hieran vermag auch die Veröffentlichung des Gesamtresultats aller seit Kriegsausbruch erfolgten Versenkungen nichts zu ändern, da es in erster Linie darauf ankommt, ob die Kurve der Versenkungen sich auch im gegen¬ wärtigen Zeitpunkt auf ihrer Höhe erhält, oder ob sie weiterhin absteigt. Im einzelnen kann ich das Gesamturteil meiner Gewährsleute, wie nach¬ gehend, zusammenfassen:

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337640
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337640/273
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337640/273>, abgerufen am 01.10.2024.