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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr.

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Aus Geheimberichten an den Grafen Hertling

auf den sich die Erwartungen der Entente hinsichtlich Rußlands reduziert haben,
der aber für uns immer noch groß genug ist, um uns zur Vorsicht zu nötigen.

Die Aussichten auf einen baldigen Friedensschluß sind unter diesen Um¬
ständen zur Zeit nicht groß. Solange wir uns nicht entschließen können, ordnungs-
und übungsgemäß den Weg streng vertraulicher diplomatischer Verhandlungen
zu beschreiten und auf die bisher gebrauchten untauglichen Mittel des Ver¬
Handelns durch unverantwortliche Parlamentarier und Industrielle zu ver¬
zichten, wird es auch kaum anders werden. Unseren sämtlichen Unterhändlern
fehlt die verantwortliche Deckung durch die Zentralstelle, sie werden daher nicht
als ernst zu nehmende Verhandlungsgegner angesehen.




Bern, den 12. Juni 1917.

(Telegramm.) Sicherste Quelle meldet: Ribot hat in letzter Geheim¬
sitzung französischen Abgeordnetenkammer den zwischen Frankreich und Ru߬
land im Januar 1917 abgeschlossenen Geheimvertrag verlesen, durch den sich
das damalige Rußland Frankreich gegenüber zu voller diplomatischer Unter¬
stützung nachstehender Forderungen im Laufe der Friedensverhandlungen
verpflichtete:

1. Elsaß-Lothringen im Umfang des Gebietsbestandes von 1730.
2. Das Saargebiet.
3. Das linke Rheinufer, einschließlich bayerische Pfalz, insoweit Frankreich
im Laufe der- Verhandlungen daran Interesse bezeigt.
4. Die vom linken Rheinufer übrigbleibenden Gebietsteile werden Puffer¬
staaten.



Zürich, den 19. Juni 1917.

Wie ich Euer Exzellenz unter dem 16. Mai zu melden die Ehre gehabt
hatte, erschien auf Grund der mir von verlässiger amerikanischer Seite gewordenen
Aufklärung die mir aus Berlin übermittelte Nachricht, die russische Regierung
werde am 26. Mai einen Waffenstillstand abschließen, nicht glaublich. Ich hatte
damals es als meine persönliche Anschauung bezeichnet, daß die Entente im Ver¬
trauen auf die Unterstützung Amerikas den Kampf vorerst fortsetzen wird, da
man in Paris und London von der Anschauung ausgehe, daß die Zentral¬
mächte auch nach Abschluß eines Waffenstillstandes, ja selbst eines Separat¬
friedens mit Rußland nicht in der Lage sein werden, ihre Ostfront zu degarnieren,
da die Verhältnisse in Rußland zu unsicher seien, um sich auf mit einer dortigen
Regierung abgeschlossene Vereinbarungen verlassen zu können.

Der Waffenstillstand ist nicht abgeschlossen worden und es mehren sich im
Gegenteil die Anzeichen, daß die russische Armee sich neuerdings wieder im
Sattel zurechtzusetzen beginnt. Die Rachrichten, die über das Scheitern der
Mission des Schweizer Pazifisten und Sozialisten Grimm heute Hieher gelangt
sind, bestätigen diese Wahrnehmungen. Herr Grimm, der als enragierter Anti-
militarist nicht gerade zum Vertreter der deutschen Interessen prädestiniert
schien, hat mit seinen Vorschlägen in Petersburg kein Gehör gefunden. Er


Aus Geheimberichten an den Grafen Hertling

auf den sich die Erwartungen der Entente hinsichtlich Rußlands reduziert haben,
der aber für uns immer noch groß genug ist, um uns zur Vorsicht zu nötigen.

Die Aussichten auf einen baldigen Friedensschluß sind unter diesen Um¬
ständen zur Zeit nicht groß. Solange wir uns nicht entschließen können, ordnungs-
und übungsgemäß den Weg streng vertraulicher diplomatischer Verhandlungen
zu beschreiten und auf die bisher gebrauchten untauglichen Mittel des Ver¬
Handelns durch unverantwortliche Parlamentarier und Industrielle zu ver¬
zichten, wird es auch kaum anders werden. Unseren sämtlichen Unterhändlern
fehlt die verantwortliche Deckung durch die Zentralstelle, sie werden daher nicht
als ernst zu nehmende Verhandlungsgegner angesehen.




Bern, den 12. Juni 1917.

(Telegramm.) Sicherste Quelle meldet: Ribot hat in letzter Geheim¬
sitzung französischen Abgeordnetenkammer den zwischen Frankreich und Ru߬
land im Januar 1917 abgeschlossenen Geheimvertrag verlesen, durch den sich
das damalige Rußland Frankreich gegenüber zu voller diplomatischer Unter¬
stützung nachstehender Forderungen im Laufe der Friedensverhandlungen
verpflichtete:

1. Elsaß-Lothringen im Umfang des Gebietsbestandes von 1730.
2. Das Saargebiet.
3. Das linke Rheinufer, einschließlich bayerische Pfalz, insoweit Frankreich
im Laufe der- Verhandlungen daran Interesse bezeigt.
4. Die vom linken Rheinufer übrigbleibenden Gebietsteile werden Puffer¬
staaten.



Zürich, den 19. Juni 1917.

Wie ich Euer Exzellenz unter dem 16. Mai zu melden die Ehre gehabt
hatte, erschien auf Grund der mir von verlässiger amerikanischer Seite gewordenen
Aufklärung die mir aus Berlin übermittelte Nachricht, die russische Regierung
werde am 26. Mai einen Waffenstillstand abschließen, nicht glaublich. Ich hatte
damals es als meine persönliche Anschauung bezeichnet, daß die Entente im Ver¬
trauen auf die Unterstützung Amerikas den Kampf vorerst fortsetzen wird, da
man in Paris und London von der Anschauung ausgehe, daß die Zentral¬
mächte auch nach Abschluß eines Waffenstillstandes, ja selbst eines Separat¬
friedens mit Rußland nicht in der Lage sein werden, ihre Ostfront zu degarnieren,
da die Verhältnisse in Rußland zu unsicher seien, um sich auf mit einer dortigen
Regierung abgeschlossene Vereinbarungen verlassen zu können.

Der Waffenstillstand ist nicht abgeschlossen worden und es mehren sich im
Gegenteil die Anzeichen, daß die russische Armee sich neuerdings wieder im
Sattel zurechtzusetzen beginnt. Die Rachrichten, die über das Scheitern der
Mission des Schweizer Pazifisten und Sozialisten Grimm heute Hieher gelangt
sind, bestätigen diese Wahrnehmungen. Herr Grimm, der als enragierter Anti-
militarist nicht gerade zum Vertreter der deutschen Interessen prädestiniert
schien, hat mit seinen Vorschlägen in Petersburg kein Gehör gefunden. Er


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337640/272>, abgerufen am 03.07.2024.