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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr.

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Aus Geheimberichten an den Grafen Hertling

scheint. Es wird wohl wenig deutsche Politiker geben, die ohne Lärm und Auf¬
sehen mit derartigem Erfolg in der Stille für die deutschen Interessen wirken,
wie dieser Mann.




Zürich, den 20. Mai 1917.

Ein hier welkender süddeutscher Politiker, der zum Berner Bundeshaus
gute Beziehungen unterhält, und in den letzten Tagen in Bern eine Reihe von
maßgebenden Persönlichkeiten gesehen hat, hat, wie ich Euer Exzellenz mit
der Bitte um strengvertrauliche Behandlung melden darf, mir gegenüber seine
Eindrücke in nachstehenden Darlegungen zusammengefaßt:

Die Kampfesstimmung in Frankreich ist ungebrochen. Hieran haben
weder die ungeheuerlichen Verluste der letzten Wochen, noch die zunehmenden
Schwierigkeiten der Verwundetenpflege etwas zu ändern vermocht. Eine von
der Schweiz und Spanien in behutsamer Form betätigte Fühlungnahme sei
glatt abgelehnt worden. Die politische Leitung liege derzeit in den Händen
Painlevss, der sich mit Petain gut versteht; Ribot beugt sich vor der Energie
beider. Sehr erheblich habe zur Hochhaltung der Kriegsstimmung in Frankreich
die Energie beigetragen, mit der Amerika ins Zeug gehe. Amerika komme
zunächst mit technischen Mitteln, Flugzeugen u. dergl. zu Hiffe; eine große
Zahl von Ingenieuren, Monteuren, Fliegern und Flugzeugen sei bereits unter¬
wegs. Die in Frankreich aus diesem Zuwachs neu zu formierenden Flug¬
geschwader würden ausschließlich zu "Verheerungszügen" durch Deutschland
verwendet werden. Man sei in Paris und London gleichmäßig überzeugt, daß
Amerika "aufs Ganze gehe"; die Stimmung in Amerika sei sehr hoch.

Die militärischen Reserven Frankreichs würden aller Voraussicht nach im
August zu Ende gehen; doch rechne man damit, daß bis dahin auch die deutschen
sich ihrem Ende näherten. Außerdem wird baldiges Erscheinen amerikanischer
Kontingente erwartet.

Die Ernteaussichten in Frankreich seien günstig, ernsthafte Versorgungs¬
schwierigkeiten bestünden nicht, lediglich die Brotfrage mache Sorgen, um so
mehr, als Lloyd George bei seiner letzten Anwesenheit in Paris in brüsker
Weise von Frankreich für die Zeit nach der Ernte Getreide gefordert habe.

Ein radike-sozialistischer französischer Politiker äußerte sich dahin, Frank¬
reich werde bis zum letzten Mann kämpfen, .es sei denn, Deutschland gebe
eine bündige antiannexionistische Erklärung ab, die zugleich hinsichtlich Elsaß''
Lothringens einen "bsau Zeste" darstelle. Niemand in Frankreich denke ernstlich
an eine Wiedereroberung von Elsaß-Lothringen, dagegen würde ein irgendwie
entgegenkommender Schritt Deutschlands die Situation wesentlich erleichtern-

Hauptmotiv, das Italien zum Durchhalten bestimme, sei die Furcht vor
dem Prädominieren des österreichischen Einflusses auf dem Balkan, weshalb
Italien, mit Ausnahme der gegen Griechenland gerichteten Tendenzen, die
Balkanpolitik der Entente akzeptiere. Wenn es möglich wäre, auf einem den
Vorwurf des Treubruches ausschließenden Wege ein russisch-italienisches Ab¬
kommen zu ermöglichen, bei dem die russischen und italienischen Balkaninteressen
in ehrlicher Weise gewahrt würden, würde Italien wohl der zweite Entente-
staat sein, der sich von der Kette lösen würde.


Aus Geheimberichten an den Grafen Hertling

scheint. Es wird wohl wenig deutsche Politiker geben, die ohne Lärm und Auf¬
sehen mit derartigem Erfolg in der Stille für die deutschen Interessen wirken,
wie dieser Mann.




Zürich, den 20. Mai 1917.

Ein hier welkender süddeutscher Politiker, der zum Berner Bundeshaus
gute Beziehungen unterhält, und in den letzten Tagen in Bern eine Reihe von
maßgebenden Persönlichkeiten gesehen hat, hat, wie ich Euer Exzellenz mit
der Bitte um strengvertrauliche Behandlung melden darf, mir gegenüber seine
Eindrücke in nachstehenden Darlegungen zusammengefaßt:

Die Kampfesstimmung in Frankreich ist ungebrochen. Hieran haben
weder die ungeheuerlichen Verluste der letzten Wochen, noch die zunehmenden
Schwierigkeiten der Verwundetenpflege etwas zu ändern vermocht. Eine von
der Schweiz und Spanien in behutsamer Form betätigte Fühlungnahme sei
glatt abgelehnt worden. Die politische Leitung liege derzeit in den Händen
Painlevss, der sich mit Petain gut versteht; Ribot beugt sich vor der Energie
beider. Sehr erheblich habe zur Hochhaltung der Kriegsstimmung in Frankreich
die Energie beigetragen, mit der Amerika ins Zeug gehe. Amerika komme
zunächst mit technischen Mitteln, Flugzeugen u. dergl. zu Hiffe; eine große
Zahl von Ingenieuren, Monteuren, Fliegern und Flugzeugen sei bereits unter¬
wegs. Die in Frankreich aus diesem Zuwachs neu zu formierenden Flug¬
geschwader würden ausschließlich zu „Verheerungszügen" durch Deutschland
verwendet werden. Man sei in Paris und London gleichmäßig überzeugt, daß
Amerika „aufs Ganze gehe"; die Stimmung in Amerika sei sehr hoch.

Die militärischen Reserven Frankreichs würden aller Voraussicht nach im
August zu Ende gehen; doch rechne man damit, daß bis dahin auch die deutschen
sich ihrem Ende näherten. Außerdem wird baldiges Erscheinen amerikanischer
Kontingente erwartet.

Die Ernteaussichten in Frankreich seien günstig, ernsthafte Versorgungs¬
schwierigkeiten bestünden nicht, lediglich die Brotfrage mache Sorgen, um so
mehr, als Lloyd George bei seiner letzten Anwesenheit in Paris in brüsker
Weise von Frankreich für die Zeit nach der Ernte Getreide gefordert habe.

Ein radike-sozialistischer französischer Politiker äußerte sich dahin, Frank¬
reich werde bis zum letzten Mann kämpfen, .es sei denn, Deutschland gebe
eine bündige antiannexionistische Erklärung ab, die zugleich hinsichtlich Elsaß''
Lothringens einen „bsau Zeste" darstelle. Niemand in Frankreich denke ernstlich
an eine Wiedereroberung von Elsaß-Lothringen, dagegen würde ein irgendwie
entgegenkommender Schritt Deutschlands die Situation wesentlich erleichtern-

Hauptmotiv, das Italien zum Durchhalten bestimme, sei die Furcht vor
dem Prädominieren des österreichischen Einflusses auf dem Balkan, weshalb
Italien, mit Ausnahme der gegen Griechenland gerichteten Tendenzen, die
Balkanpolitik der Entente akzeptiere. Wenn es möglich wäre, auf einem den
Vorwurf des Treubruches ausschließenden Wege ein russisch-italienisches Ab¬
kommen zu ermöglichen, bei dem die russischen und italienischen Balkaninteressen
in ehrlicher Weise gewahrt würden, würde Italien wohl der zweite Entente-
staat sein, der sich von der Kette lösen würde.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337640/270>, abgerufen am 29.06.2024.