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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr.

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Aus Geheimberichten an den Grafen Hertling

über unsere Fühler in Rußland verbreiteten Zeitungsnachrichten stand. Es ist
das reine Verhängnis, daß, sooft wir etwas Derartiges unternehmen, die Sache
in die Presse kommt. Der Hauptübeltäter ist diesmal die^) Zeitung "Neue
Zürcher Nachrichten", die vor einiger Zeit mit geheimnisvollen Andeutungen
davon sprachen, daß zwischen Nußland und Deutschland etwas vorgehe. Selbst¬
verständlich haben die Russen, als die Sache weiter um sich griff,sofort dementiert,
und wir mußten wohl oder übel in der "Kölnischen Zeitung" nachfolgen. Ich
sah, daß Graf L. über die Ungeschicklichkeit unserer Preßgebarung sich seine
ganz bestimmte Meinung gebildet hat, wenn er sie allerdings entsprechend seiner
gemessenen und abgewogenen Art für sich behält.




Zürich, den 23. Oktober 1916,

Ich hatte letzter Tage Gelegenheit, einen hier lebenden, mir bestens bekannten
Freund des Schweizer Generalstabschefs Sprecher von Berneck zu treffen. Mein
Gewährsmann hat den Generalstabschef in den letzten Wochen wiederholt gesehen.
Er ist Deutscher, sein Zeugnis über Sprecher ist verlässig. Oberst Sprecher hat
diesem Herrn gegenüber seine Ansicht vertraulich dahin ausgesprochen, daß er unsere
Lage militärisch für gut halte, daß er dagegen in Sorge sei, ob wir die Sache wirt¬
schaftlich bis zu dem von der Entente vorläufig in Aussicht genommenen Termin
aushalten. Welchen Termin Sprecher meint, vermochte mein Gewährsmann mit
Sicherheit nicht zu ermitteln; er hatte den Eindruck, daß der Generalstabschef eher
mit 1918 als mit 1917 rechnet.




Zürich, den 28. Oktober 1916.

Bedeutungsvoll ist die Hieher gelangte Meldung über die Absicht des
Herrn Briand, demnächst, wohl in erster Linie zum Zweck der Hochhaltung der
Stimmung im Lande, eine Wahlrechtsreform auf breitester Grundlage anzu¬
kündigen, die von dem Gedanken beherrscht ist, die ungeheuerlichen Lücken, die
der Krieg in die Wählermassen vorzugsweise des Radikalismus gerissen hat, aus¬
zufüllen, und zwar unter Heranziehung aller irgendwie stimmfähigen
Elemente. Es ist dies eine Sache, die in Preußen zu denken geben könnte.
Exzellenz M., der sich gegenwärtig hier zwecks Besprechungen aufhält, hat mir
auseinandergesetzt, daß angesichts der großen neuen Opfer, die die Nation in
nicht ferner Zeit mit der Erhöhung der Jahresgrenze von 45 auf SO Jahre und
mit der zwangsweisen Beschäftigung der verwendbaren Frauen in der Er¬
zeugung von Munition und sonstigem Kriegsbedarf auf sich nehmen müsse,
die Reichsleitung auf Preußen im Sinne einer Demokratisierung des Wahlrechts
einwirken müsse, widrigenfalls die Arbeiter, soweit sie politisch und wirtschaftlich
organisiert seien, nicht mehr zu halten seien. Merkwürdigerweise hat Prälat
Sk. gestern bei mir denselben Faden gesponnen und gesagt, daß eine Änderung
des,preußischen Wahlrechts einer der wichtigsten Faktoren für eine Beschleunigung
des Friedens sein würde, da, wie er auf Grund der von ihm gewonnenen Ein¬
drücke behaupten zu können glaubt, gegen das ausschließlich von der preußischen



l" Von Erzberger beeinflußte. A. d. R.
Aus Geheimberichten an den Grafen Hertling

über unsere Fühler in Rußland verbreiteten Zeitungsnachrichten stand. Es ist
das reine Verhängnis, daß, sooft wir etwas Derartiges unternehmen, die Sache
in die Presse kommt. Der Hauptübeltäter ist diesmal die^) Zeitung „Neue
Zürcher Nachrichten", die vor einiger Zeit mit geheimnisvollen Andeutungen
davon sprachen, daß zwischen Nußland und Deutschland etwas vorgehe. Selbst¬
verständlich haben die Russen, als die Sache weiter um sich griff,sofort dementiert,
und wir mußten wohl oder übel in der „Kölnischen Zeitung" nachfolgen. Ich
sah, daß Graf L. über die Ungeschicklichkeit unserer Preßgebarung sich seine
ganz bestimmte Meinung gebildet hat, wenn er sie allerdings entsprechend seiner
gemessenen und abgewogenen Art für sich behält.




Zürich, den 23. Oktober 1916,

Ich hatte letzter Tage Gelegenheit, einen hier lebenden, mir bestens bekannten
Freund des Schweizer Generalstabschefs Sprecher von Berneck zu treffen. Mein
Gewährsmann hat den Generalstabschef in den letzten Wochen wiederholt gesehen.
Er ist Deutscher, sein Zeugnis über Sprecher ist verlässig. Oberst Sprecher hat
diesem Herrn gegenüber seine Ansicht vertraulich dahin ausgesprochen, daß er unsere
Lage militärisch für gut halte, daß er dagegen in Sorge sei, ob wir die Sache wirt¬
schaftlich bis zu dem von der Entente vorläufig in Aussicht genommenen Termin
aushalten. Welchen Termin Sprecher meint, vermochte mein Gewährsmann mit
Sicherheit nicht zu ermitteln; er hatte den Eindruck, daß der Generalstabschef eher
mit 1918 als mit 1917 rechnet.




Zürich, den 28. Oktober 1916.

Bedeutungsvoll ist die Hieher gelangte Meldung über die Absicht des
Herrn Briand, demnächst, wohl in erster Linie zum Zweck der Hochhaltung der
Stimmung im Lande, eine Wahlrechtsreform auf breitester Grundlage anzu¬
kündigen, die von dem Gedanken beherrscht ist, die ungeheuerlichen Lücken, die
der Krieg in die Wählermassen vorzugsweise des Radikalismus gerissen hat, aus¬
zufüllen, und zwar unter Heranziehung aller irgendwie stimmfähigen
Elemente. Es ist dies eine Sache, die in Preußen zu denken geben könnte.
Exzellenz M., der sich gegenwärtig hier zwecks Besprechungen aufhält, hat mir
auseinandergesetzt, daß angesichts der großen neuen Opfer, die die Nation in
nicht ferner Zeit mit der Erhöhung der Jahresgrenze von 45 auf SO Jahre und
mit der zwangsweisen Beschäftigung der verwendbaren Frauen in der Er¬
zeugung von Munition und sonstigem Kriegsbedarf auf sich nehmen müsse,
die Reichsleitung auf Preußen im Sinne einer Demokratisierung des Wahlrechts
einwirken müsse, widrigenfalls die Arbeiter, soweit sie politisch und wirtschaftlich
organisiert seien, nicht mehr zu halten seien. Merkwürdigerweise hat Prälat
Sk. gestern bei mir denselben Faden gesponnen und gesagt, daß eine Änderung
des,preußischen Wahlrechts einer der wichtigsten Faktoren für eine Beschleunigung
des Friedens sein würde, da, wie er auf Grund der von ihm gewonnenen Ein¬
drücke behaupten zu können glaubt, gegen das ausschließlich von der preußischen



l» Von Erzberger beeinflußte. A. d. R.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337640/146>, abgerufen am 01.07.2024.