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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr.

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Die soziale Weltkrise

Es wäre wahrscheinlich richtiger, mit der Festsetzung unserer Schuld an die
Entente noch ein Jahr zu warten, denn noch verhüllen die Reste unseres erst seit
sechs Jahren sich aufzehrenden einstigen Wohlstandes den nackten Anblick unserer
Armut; noch stehen uns eine Reihe neuer ^ Enttäuschungen bevor, das Zerfließen
der Hoffnungen, die sich an das Erzbergersche Steuerprogramm, an das Steigen
der Mark, an die Senkung der Preise, an die internationale Anleihe knüpfen, Man
muß sich völlig klarmachen, was es bedeutet, wenn ein Volk einmal den Weg der
Notenpresse beschütten hat und zwar in einem Zeitpunkt überwältigender Passiva
und geschwächten aktiven Leiswngsvermögens. Es bedeutet nichts anderes als ein
Scheinleben, unter dem. sich der wirtschaftliche Tod langsam vollzieht. Kann dies
zum Stillstand gebracht werden, so wird der geschwächte Körper sich regenerieren,
wenn auch unter großen und dauernden Kraftverlusten. Manches könnte uns
dann emporhelfen; sofortige Mittel, wie z. B. eine Zwangsanleihe, die unent¬
behrlich ist, obwohl kein Minister und keine Partei das Wort auszusprechen
wagt, würden dann positiv wirken können. Solange aber, wie in unserem
Fall, noch keine nahe Aussicht auf einen Stillstand der Notenpresse besteht,
so lange setzt sich das verhüllte, später offene Absterben fort und führt zum Tod
zahlloser Einzelwirtschaften und Existenzen, der wiederum die Lebensfähigkeit des
Gesamtorganismus von allen Seiten her angreift. Man muß sich schonungslos ver¬
gegenwärtigen, was es eigentlich heißt, einem zur Zeit absterbenden Wirtschafts¬
körper anzugehören. Das vielfach hypertrophische Wachstum und schmarotzerhafte
Gedeihen einzelner Glieder des in Unordnung geratenen Organismus kann die
Auflösung auf die Länge nur beschleunigen statt sie hintanzuhalten.

Unsere Kriegsschuld dürfte erst festgelegt werden., wenn einmal die Fieberröte
des heutigen Notenpressenwohlstandes verflogen ist. Dann wird der hohläugige Blick
Deutschlands auf seine Peiniger stumm mehr sagen als vieles Reden in Spaa.




Die soziale Weltkrise
Max Hildebert Bochen von

WW
U^<^um ersten Male jährt sich der Tag, da der Zusammenbruch des
deutschen Volkes in einem Friedenspakt besiegelt wurde, der über
ein Millionenvolk das furchtbarste Verhängnis breitete, das die Ge¬
schichte kennt. Dieser "Friedensvertrag" wurde zwischen Ahnungs¬
losen und Unverantwortlichen geschlossen. Er wurde von Männern
unterfertigt, die sich nicht einzugestehen wagten, daß hier eine elementare Weltkrise
nicht gelöst, sondern vertieft wurde. Vor der Geschichte war soviel frevle Ahnungs-
losigkeit nicht zu verantworten. Auf der einen Seite standen Männer, die der
Siegestaumel blind machte, auf der anderen Seite betrogene Jllusionspolitikcr, die
nie Augen besessen hatten. Der gefürchtetste Staatsmann der Zeit, der dem Welt¬
proletariat als Heiland, der Wcltoourgeoisie als böser Dämon gilt, fehlte.


Die soziale Weltkrise

Es wäre wahrscheinlich richtiger, mit der Festsetzung unserer Schuld an die
Entente noch ein Jahr zu warten, denn noch verhüllen die Reste unseres erst seit
sechs Jahren sich aufzehrenden einstigen Wohlstandes den nackten Anblick unserer
Armut; noch stehen uns eine Reihe neuer ^ Enttäuschungen bevor, das Zerfließen
der Hoffnungen, die sich an das Erzbergersche Steuerprogramm, an das Steigen
der Mark, an die Senkung der Preise, an die internationale Anleihe knüpfen, Man
muß sich völlig klarmachen, was es bedeutet, wenn ein Volk einmal den Weg der
Notenpresse beschütten hat und zwar in einem Zeitpunkt überwältigender Passiva
und geschwächten aktiven Leiswngsvermögens. Es bedeutet nichts anderes als ein
Scheinleben, unter dem. sich der wirtschaftliche Tod langsam vollzieht. Kann dies
zum Stillstand gebracht werden, so wird der geschwächte Körper sich regenerieren,
wenn auch unter großen und dauernden Kraftverlusten. Manches könnte uns
dann emporhelfen; sofortige Mittel, wie z. B. eine Zwangsanleihe, die unent¬
behrlich ist, obwohl kein Minister und keine Partei das Wort auszusprechen
wagt, würden dann positiv wirken können. Solange aber, wie in unserem
Fall, noch keine nahe Aussicht auf einen Stillstand der Notenpresse besteht,
so lange setzt sich das verhüllte, später offene Absterben fort und führt zum Tod
zahlloser Einzelwirtschaften und Existenzen, der wiederum die Lebensfähigkeit des
Gesamtorganismus von allen Seiten her angreift. Man muß sich schonungslos ver¬
gegenwärtigen, was es eigentlich heißt, einem zur Zeit absterbenden Wirtschafts¬
körper anzugehören. Das vielfach hypertrophische Wachstum und schmarotzerhafte
Gedeihen einzelner Glieder des in Unordnung geratenen Organismus kann die
Auflösung auf die Länge nur beschleunigen statt sie hintanzuhalten.

Unsere Kriegsschuld dürfte erst festgelegt werden., wenn einmal die Fieberröte
des heutigen Notenpressenwohlstandes verflogen ist. Dann wird der hohläugige Blick
Deutschlands auf seine Peiniger stumm mehr sagen als vieles Reden in Spaa.




Die soziale Weltkrise
Max Hildebert Bochen von

WW
U^<^um ersten Male jährt sich der Tag, da der Zusammenbruch des
deutschen Volkes in einem Friedenspakt besiegelt wurde, der über
ein Millionenvolk das furchtbarste Verhängnis breitete, das die Ge¬
schichte kennt. Dieser „Friedensvertrag" wurde zwischen Ahnungs¬
losen und Unverantwortlichen geschlossen. Er wurde von Männern
unterfertigt, die sich nicht einzugestehen wagten, daß hier eine elementare Weltkrise
nicht gelöst, sondern vertieft wurde. Vor der Geschichte war soviel frevle Ahnungs-
losigkeit nicht zu verantworten. Auf der einen Seite standen Männer, die der
Siegestaumel blind machte, auf der anderen Seite betrogene Jllusionspolitikcr, die
nie Augen besessen hatten. Der gefürchtetste Staatsmann der Zeit, der dem Welt¬
proletariat als Heiland, der Wcltoourgeoisie als böser Dämon gilt, fehlte.


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[0375] Die soziale Weltkrise Es wäre wahrscheinlich richtiger, mit der Festsetzung unserer Schuld an die Entente noch ein Jahr zu warten, denn noch verhüllen die Reste unseres erst seit sechs Jahren sich aufzehrenden einstigen Wohlstandes den nackten Anblick unserer Armut; noch stehen uns eine Reihe neuer ^ Enttäuschungen bevor, das Zerfließen der Hoffnungen, die sich an das Erzbergersche Steuerprogramm, an das Steigen der Mark, an die Senkung der Preise, an die internationale Anleihe knüpfen, Man muß sich völlig klarmachen, was es bedeutet, wenn ein Volk einmal den Weg der Notenpresse beschütten hat und zwar in einem Zeitpunkt überwältigender Passiva und geschwächten aktiven Leiswngsvermögens. Es bedeutet nichts anderes als ein Scheinleben, unter dem. sich der wirtschaftliche Tod langsam vollzieht. Kann dies zum Stillstand gebracht werden, so wird der geschwächte Körper sich regenerieren, wenn auch unter großen und dauernden Kraftverlusten. Manches könnte uns dann emporhelfen; sofortige Mittel, wie z. B. eine Zwangsanleihe, die unent¬ behrlich ist, obwohl kein Minister und keine Partei das Wort auszusprechen wagt, würden dann positiv wirken können. Solange aber, wie in unserem Fall, noch keine nahe Aussicht auf einen Stillstand der Notenpresse besteht, so lange setzt sich das verhüllte, später offene Absterben fort und führt zum Tod zahlloser Einzelwirtschaften und Existenzen, der wiederum die Lebensfähigkeit des Gesamtorganismus von allen Seiten her angreift. Man muß sich schonungslos ver¬ gegenwärtigen, was es eigentlich heißt, einem zur Zeit absterbenden Wirtschafts¬ körper anzugehören. Das vielfach hypertrophische Wachstum und schmarotzerhafte Gedeihen einzelner Glieder des in Unordnung geratenen Organismus kann die Auflösung auf die Länge nur beschleunigen statt sie hintanzuhalten. Unsere Kriegsschuld dürfte erst festgelegt werden., wenn einmal die Fieberröte des heutigen Notenpressenwohlstandes verflogen ist. Dann wird der hohläugige Blick Deutschlands auf seine Peiniger stumm mehr sagen als vieles Reden in Spaa. Die soziale Weltkrise Max Hildebert Bochen von WW U^<^um ersten Male jährt sich der Tag, da der Zusammenbruch des deutschen Volkes in einem Friedenspakt besiegelt wurde, der über ein Millionenvolk das furchtbarste Verhängnis breitete, das die Ge¬ schichte kennt. Dieser „Friedensvertrag" wurde zwischen Ahnungs¬ losen und Unverantwortlichen geschlossen. Er wurde von Männern unterfertigt, die sich nicht einzugestehen wagten, daß hier eine elementare Weltkrise nicht gelöst, sondern vertieft wurde. Vor der Geschichte war soviel frevle Ahnungs- losigkeit nicht zu verantworten. Auf der einen Seite standen Männer, die der Siegestaumel blind machte, auf der anderen Seite betrogene Jllusionspolitikcr, die nie Augen besessen hatten. Der gefürchtetste Staatsmann der Zeit, der dem Welt¬ proletariat als Heiland, der Wcltoourgeoisie als böser Dämon gilt, fehlte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337236/375>, abgerufen am 22.07.2024.