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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr.

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Kritik des Weltkrieges

Beurteilung einzelner Teilsührer Maßnahmen zustande kamen, die dem Gegner
den Erfolg verschafften. Der Obersten Heeresleitung waren die Zügel entglitten,
der tatsächlich vorhandene Erfolg des deutschen rechten Flügels konnte nicht aus¬
genutzt werden, und das Hilfsmittel, welches von dem immer noch viel zu weit
vom Schauplatz der Ereignisse entfernt befindlichen Chef des Generalstabes
angewendet wurde, um seinen Einfluß durchzudrücken, versagte und vermehrte
nur das Unheil, welches nicht zu entstehen brauchte.

So fand der Rückzug der umgeschlagenen deutschen Heere statt und endete
in der allgemeinen Linie, in welcher vier Jahre hindurch die Westfront er¬
starren sollte.

Daß der französischen Heeresleitung bei Ausnutzung der deutschen Mißgriffe
durch energisches Handeln und geschicktes Operieren ein großes Verdienst bei-
zumessen ist, verdient volle Anerkennung.

Der Schwerkranke Chef des Generalstabes trat von seiner Stelle zurück.
Die Versuche.seines Nachfolgers, mit neuen Truppen den alten Umfnssungsplcm
noch durchzuführen, scheiterten an den Gegenzügen des Feindes, wie es ganz
selbstverständlich war.

Während so im Westen die Operationen im freien Felde, der Bewegungs¬
krieg für die Dauer des Krieges ihr Ende fanden, hatte im Osten in der Hand
genialer Schüler des Grafen Schliessen seine Lehre zum vollen Erfolgs geführt.

Die Schlacht bei Tannenberg brachte die volle doppelte Umfassung, das
"Ccmncie" für eine russische Armee, die Schlachten an den Masurischen Seen, bei
Lodz und die Winterschlacht in Masuren waren Umfassungsschlachten mit den
daraus sich ergebenden Erfolgen, und konnten nur zur endgültigen Entscheidung im
Osten nicht führen, weil die deutschen Kräfte im Verhältnis zu den Russen zu
gering, und die verbündeten Oesterreicher zu wenig leistungsfähig waren.

So war am Ende des Winters 1914/15 auch im Osten der Stillstand ein¬
getreten. Aber die Möglichkeit zu Operationen großen Stils war immer noch
gegeben und wurde von deutscher Seite genutzt.

Die Rücksicht auf die Verbündeten, der Unsegen jedes Koalitionskrieges,
führte zum Frontalangriff in Galizien, der nach großen Erfolgen sich schließlich
wie immer tot laufen mußte und nun doch eine Ergänzung durch Umfassung
gebieterisch verlangte. Während nun der deutsche Führer im Osten, der Feld¬
marschall Hindenburg, energisch eine großzügige Flankenoperation befürwortete,
die vom linken Flügel in der Richtung auf Minsk geführt werden mußte und
ganz im Sinne der Schlicffenschcn Lehre gedacht war, glaubte die damalige Oberste
Heeresleitung zu so weit greifenden Kräften nicht die genügende Truppenzahl zur
Verfügung stellen zu können, und befahl die kleinere Operation, den Übergang
über den Narew. Auch hier waren große Erfolge zu hundelt, aber keine Ent¬
scheidung! wieder wurde dieser Angriff ein Frontalstoß; die nun doch noch
angesetzte Umfassung im weiteren Rahmen kam zu spät.

Auch im Osten erstarrte die Front Ende 1915 zum Stellungskrieg.

Eins ruhmvolle Episode für die deutsche Führung bedeutete die Nieder-
ringung Serbiens. Im kleinen Rahmen war hier eine volle Entscheidung durch
Umfassung angestrebt und gelungen. Sie hatte aber nur wirtschaftliche Ziele, die
ungestörte Verbindung mit der Türkei, im Auge.


Kritik des Weltkrieges

Beurteilung einzelner Teilsührer Maßnahmen zustande kamen, die dem Gegner
den Erfolg verschafften. Der Obersten Heeresleitung waren die Zügel entglitten,
der tatsächlich vorhandene Erfolg des deutschen rechten Flügels konnte nicht aus¬
genutzt werden, und das Hilfsmittel, welches von dem immer noch viel zu weit
vom Schauplatz der Ereignisse entfernt befindlichen Chef des Generalstabes
angewendet wurde, um seinen Einfluß durchzudrücken, versagte und vermehrte
nur das Unheil, welches nicht zu entstehen brauchte.

So fand der Rückzug der umgeschlagenen deutschen Heere statt und endete
in der allgemeinen Linie, in welcher vier Jahre hindurch die Westfront er¬
starren sollte.

Daß der französischen Heeresleitung bei Ausnutzung der deutschen Mißgriffe
durch energisches Handeln und geschicktes Operieren ein großes Verdienst bei-
zumessen ist, verdient volle Anerkennung.

Der Schwerkranke Chef des Generalstabes trat von seiner Stelle zurück.
Die Versuche.seines Nachfolgers, mit neuen Truppen den alten Umfnssungsplcm
noch durchzuführen, scheiterten an den Gegenzügen des Feindes, wie es ganz
selbstverständlich war.

Während so im Westen die Operationen im freien Felde, der Bewegungs¬
krieg für die Dauer des Krieges ihr Ende fanden, hatte im Osten in der Hand
genialer Schüler des Grafen Schliessen seine Lehre zum vollen Erfolgs geführt.

Die Schlacht bei Tannenberg brachte die volle doppelte Umfassung, das
„Ccmncie" für eine russische Armee, die Schlachten an den Masurischen Seen, bei
Lodz und die Winterschlacht in Masuren waren Umfassungsschlachten mit den
daraus sich ergebenden Erfolgen, und konnten nur zur endgültigen Entscheidung im
Osten nicht führen, weil die deutschen Kräfte im Verhältnis zu den Russen zu
gering, und die verbündeten Oesterreicher zu wenig leistungsfähig waren.

So war am Ende des Winters 1914/15 auch im Osten der Stillstand ein¬
getreten. Aber die Möglichkeit zu Operationen großen Stils war immer noch
gegeben und wurde von deutscher Seite genutzt.

Die Rücksicht auf die Verbündeten, der Unsegen jedes Koalitionskrieges,
führte zum Frontalangriff in Galizien, der nach großen Erfolgen sich schließlich
wie immer tot laufen mußte und nun doch eine Ergänzung durch Umfassung
gebieterisch verlangte. Während nun der deutsche Führer im Osten, der Feld¬
marschall Hindenburg, energisch eine großzügige Flankenoperation befürwortete,
die vom linken Flügel in der Richtung auf Minsk geführt werden mußte und
ganz im Sinne der Schlicffenschcn Lehre gedacht war, glaubte die damalige Oberste
Heeresleitung zu so weit greifenden Kräften nicht die genügende Truppenzahl zur
Verfügung stellen zu können, und befahl die kleinere Operation, den Übergang
über den Narew. Auch hier waren große Erfolge zu hundelt, aber keine Ent¬
scheidung! wieder wurde dieser Angriff ein Frontalstoß; die nun doch noch
angesetzte Umfassung im weiteren Rahmen kam zu spät.

Auch im Osten erstarrte die Front Ende 1915 zum Stellungskrieg.

Eins ruhmvolle Episode für die deutsche Führung bedeutete die Nieder-
ringung Serbiens. Im kleinen Rahmen war hier eine volle Entscheidung durch
Umfassung angestrebt und gelungen. Sie hatte aber nur wirtschaftliche Ziele, die
ungestörte Verbindung mit der Türkei, im Auge.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337236/318>, abgerufen am 26.08.2024.