Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr.Weltspiegel Weltspiegel Amerikanische Präsidentschaftskandidaten. Daß ein Orakeln über ameri¬ "Bei Eröffnung der Wahlkampagne, schrieb unlängst die "Washington Man weiß, daß die Bezeichnung der beiden großen sogenannten Parteien Es ist demnach immer noch praktisch, sich die einzelnen Kandidaten nach dem Weltspiegel Weltspiegel Amerikanische Präsidentschaftskandidaten. Daß ein Orakeln über ameri¬ „Bei Eröffnung der Wahlkampagne, schrieb unlängst die „Washington Man weiß, daß die Bezeichnung der beiden großen sogenannten Parteien Es ist demnach immer noch praktisch, sich die einzelnen Kandidaten nach dem <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0275" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/337512"/> <fw type="header" place="top"> Weltspiegel</fw><lb/> </div> <div n="1"> <head> Weltspiegel</head><lb/> <p xml:id="ID_932"> Amerikanische Präsidentschaftskandidaten. Daß ein Orakeln über ameri¬<lb/> kanische Präsidentschastswahlen müßig ist, weiß jeder Unterrichtete. Weder die<lb/> derzeitigen Parteiverhältnisse noch die sogenannte Stimmung sind ausschlaggebend,<lb/> weder Programmpunkte noch Vorwahlen. Ein Präsident, zum Beispiel Wilson<lb/> 1912, kann schließlich «us der Wahl als Sieger hervorgehen, obwohl er die<lb/> Majorität gegen sich hat, und immer besteht, zumal bei scharfer Gegnerschaft, die<lb/> Möglichkeit, daß noch im letzten Augenblick die Wähler sich auf einen bisher<lb/> wenig beachteten Kandidaten, ein sogenanntes „dunkles Pferd" einigen. Dennoch<lb/> bieten wenig Vorgänge so günstige Einblicke in die inneren Verhältnisse der<lb/> Vereinigten Staaten, wie grade die Vorbereitungen zur Präsidentenwahl, und<lb/> einige Bemerkungen darüber werden trotz ihres 'naturgemäß fragmentarischen<lb/> Charakters dem deutschen Leser immer willkommen sein.<lb/> "</p><lb/> <p xml:id="ID_933"> „Bei Eröffnung der Wahlkampagne, schrieb unlängst die „Washington<lb/> Post", „sehen die Vereinigten Staaten sich in einer mit Problemen derart belasteten<lb/> Situation wie sie seit dem Bürgerkrieg nicht mehr bestanden hat." In der Tat<lb/> leben die Vereinigten Staaten seit dein Krieg in einer llbergangskrise, die sich<lb/> nach Abschluß des Waffenstillstandes außerordentlich verschärft hat. (Vgl. Grenz¬<lb/> boten 1918, Heft 47 und 52). Es geht um die Entscheidung in der äußeren<lb/> Politik, es gilt die auch in Amerika unangenehm sich bemerkbar machender-<lb/> Nachkriegserscheinungen zu neutralisieren, es gilt der Finanz- und sozialen Krisis<lb/> Herr zu werden, die bolschewistische Bewegung abzuwürgen, und die ständig sich<lb/> verschärfenden Konflikte zwischen Staats- und Privaiunternchmertum, .Kapital und<lb/> .Konsumenten zu einer gedeihlichen Lösung zu bringen. Ans dieser Mannigfaltig¬<lb/> keit der aktuellen Probleme ergibt sich aber zugleich die außerordentliche Schwierig¬<lb/> keit der Programm- und Parteienbildung und die große Zahl der möglichen<lb/> Kandidaten.</p><lb/> <p xml:id="ID_934"> Man weiß, daß die Bezeichnung der beiden großen sogenannten Parteien<lb/> der Demokraten und Republikaner Bedeutung nnr insofern Hut, als hinter beiden<lb/> mächtige Interessentengruppen stehen, die aber innerpolitisch keineswegs eindeutig<lb/> bestimmt werden können. Nichts ist bezeichnender für diesen Umstand, als die<lb/> Antwort des Kandidaten Hoover auf die Frage, welcher der beiden Parteien er<lb/> sich anzuschließen gedenke. Er äußerte nämlich, er würde sich für die Partei<lb/> entscheiden, die ihm das vernünftigste und brauchbarste Programm vorlegen<lb/> würde. Daraus geht klar hervor, daß die Parteien eben kein Programm<lb/> haben, daß vielmehr jeder Kandidat erst sein Programm act Iioe je nach Ansicht<lb/> der Kreise, auf die er rechnet, aufstellt. Dennoch haben die Parteien insofern<lb/> Bedeutung, als sie über eine mit großen Mitteln arbeitende Wahlvrganisation<lb/> verfügen, ohne dis schwer hochzukommen ist. Trotzdem bestehen innerhalb der<lb/> beiven Parteien sowohl was einzelne Kandidaten wie was wichtige Probleme<lb/> betrifft, Gegensätze oder mindestens Meinungsverschiedenheiten, die auch einem<lb/> von den Partsigrößeu unterstützten Kandidaten gefährlich werden können. Es<lb/> fehlt nicht an Versuchen, die Wahlorganisationen dieser undeutlich gewordenen<lb/> Parteikonstellation beiseite zuschieben, sei es durch Gründung einer völlig neuen<lb/> dritten Partei, wie das 1912 Noosevelt versucht hat, sei es durch eine weitgehende<lb/> Verfassungsänderung. Aber es scheint, als ob alle derartigen Versuche gegen die<lb/> bestehende Wahlmaschinerie, die ja eine große praktische Bedeutung hat, nicht<lb/> auszukommen vermögen. Die Mehrzahl der Amerikaner nimmt offenbar lieber<lb/> Programmatische Unzulänglichkeiten als Zersplitterung dee Wahlmechanismus mit<lb/> in Kauf.</p><lb/> <p xml:id="ID_935" next="#ID_936"> Es ist demnach immer noch praktisch, sich die einzelnen Kandidaten nach dem<lb/> Parteienschema anzuordnen, vorausgesetzt, daß man immer im Auge behält, daß<lb/> sowohl demokratisch wie republikanisch unendlich viel Verschiedenes bedeuten kann,<lb/> daß beide Begriffe zwar eine Gegnerschaft ausdrücken, die jedoch auf den<lb/> verschiedensten sehr wichtigen Gebieten zurücktreten und bedeutungslos werden</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0275]
Weltspiegel
Weltspiegel
Amerikanische Präsidentschaftskandidaten. Daß ein Orakeln über ameri¬
kanische Präsidentschastswahlen müßig ist, weiß jeder Unterrichtete. Weder die
derzeitigen Parteiverhältnisse noch die sogenannte Stimmung sind ausschlaggebend,
weder Programmpunkte noch Vorwahlen. Ein Präsident, zum Beispiel Wilson
1912, kann schließlich «us der Wahl als Sieger hervorgehen, obwohl er die
Majorität gegen sich hat, und immer besteht, zumal bei scharfer Gegnerschaft, die
Möglichkeit, daß noch im letzten Augenblick die Wähler sich auf einen bisher
wenig beachteten Kandidaten, ein sogenanntes „dunkles Pferd" einigen. Dennoch
bieten wenig Vorgänge so günstige Einblicke in die inneren Verhältnisse der
Vereinigten Staaten, wie grade die Vorbereitungen zur Präsidentenwahl, und
einige Bemerkungen darüber werden trotz ihres 'naturgemäß fragmentarischen
Charakters dem deutschen Leser immer willkommen sein.
"
„Bei Eröffnung der Wahlkampagne, schrieb unlängst die „Washington
Post", „sehen die Vereinigten Staaten sich in einer mit Problemen derart belasteten
Situation wie sie seit dem Bürgerkrieg nicht mehr bestanden hat." In der Tat
leben die Vereinigten Staaten seit dein Krieg in einer llbergangskrise, die sich
nach Abschluß des Waffenstillstandes außerordentlich verschärft hat. (Vgl. Grenz¬
boten 1918, Heft 47 und 52). Es geht um die Entscheidung in der äußeren
Politik, es gilt die auch in Amerika unangenehm sich bemerkbar machender-
Nachkriegserscheinungen zu neutralisieren, es gilt der Finanz- und sozialen Krisis
Herr zu werden, die bolschewistische Bewegung abzuwürgen, und die ständig sich
verschärfenden Konflikte zwischen Staats- und Privaiunternchmertum, .Kapital und
.Konsumenten zu einer gedeihlichen Lösung zu bringen. Ans dieser Mannigfaltig¬
keit der aktuellen Probleme ergibt sich aber zugleich die außerordentliche Schwierig¬
keit der Programm- und Parteienbildung und die große Zahl der möglichen
Kandidaten.
Man weiß, daß die Bezeichnung der beiden großen sogenannten Parteien
der Demokraten und Republikaner Bedeutung nnr insofern Hut, als hinter beiden
mächtige Interessentengruppen stehen, die aber innerpolitisch keineswegs eindeutig
bestimmt werden können. Nichts ist bezeichnender für diesen Umstand, als die
Antwort des Kandidaten Hoover auf die Frage, welcher der beiden Parteien er
sich anzuschließen gedenke. Er äußerte nämlich, er würde sich für die Partei
entscheiden, die ihm das vernünftigste und brauchbarste Programm vorlegen
würde. Daraus geht klar hervor, daß die Parteien eben kein Programm
haben, daß vielmehr jeder Kandidat erst sein Programm act Iioe je nach Ansicht
der Kreise, auf die er rechnet, aufstellt. Dennoch haben die Parteien insofern
Bedeutung, als sie über eine mit großen Mitteln arbeitende Wahlvrganisation
verfügen, ohne dis schwer hochzukommen ist. Trotzdem bestehen innerhalb der
beiven Parteien sowohl was einzelne Kandidaten wie was wichtige Probleme
betrifft, Gegensätze oder mindestens Meinungsverschiedenheiten, die auch einem
von den Partsigrößeu unterstützten Kandidaten gefährlich werden können. Es
fehlt nicht an Versuchen, die Wahlorganisationen dieser undeutlich gewordenen
Parteikonstellation beiseite zuschieben, sei es durch Gründung einer völlig neuen
dritten Partei, wie das 1912 Noosevelt versucht hat, sei es durch eine weitgehende
Verfassungsänderung. Aber es scheint, als ob alle derartigen Versuche gegen die
bestehende Wahlmaschinerie, die ja eine große praktische Bedeutung hat, nicht
auszukommen vermögen. Die Mehrzahl der Amerikaner nimmt offenbar lieber
Programmatische Unzulänglichkeiten als Zersplitterung dee Wahlmechanismus mit
in Kauf.
Es ist demnach immer noch praktisch, sich die einzelnen Kandidaten nach dem
Parteienschema anzuordnen, vorausgesetzt, daß man immer im Auge behält, daß
sowohl demokratisch wie republikanisch unendlich viel Verschiedenes bedeuten kann,
daß beide Begriffe zwar eine Gegnerschaft ausdrücken, die jedoch auf den
verschiedensten sehr wichtigen Gebieten zurücktreten und bedeutungslos werden
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