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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr.

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Rußlands neuer Arieg

ähnlich muß der Plan sein, den sich Brussilow für den Sommer zurechtgelegt hat.
Ob ihm die Kräfte hierzu zur Verfügung gestellt werden und die Mittel, die zur
Bewegung solcher Kräfte erforderlich sind, vorhanden sind, entzieht sich der Beur¬
teilung. Wir können nur die Perspektiven ermessen, die sich aus dem polnischen
Unternehmen nach der Mraina ergeben, und daran die Schlußfolgerung knüpfen,
daß die Fernwirkung der jetzigen Kämpfe in Wolhhnien noch in diesem Sommer
mit dem Erscheinen bolschewistischer Truppen an unseren Grenzen enden kann.
Vielleicht war Sowjetrußland noch nicht bereit zu einer Operation großen Stiles
gegen Warschau, bei der es sich um Sein oder Nichtsein Polens handelt; vielleicht
war die Atempause noch zu kurz; vielleicht wollte man sich politisch gegen Finn¬
land und Rumänien eist sichern. Polens Initiative zwingt aber Moskau zu
einem Entschluß, und der kann nur in dem oben ausgeführten Sinne füllen --
es sei denn, die Sowjetrepublik ist nicht in der Lage zu einem Kriege gegen Polen.
Dann aber wird Polen triumphieren und in seinem Übermut keine Schranken
mehr finden und die Grenzen im Westen ebenso wenig respektieren wie im Osten.
In diesem Falle wie in jenem, wo wir Erfolge der Bolschewiften erwarten,
können wir uns vor der zwingenden Notwendigkeit sehen, unsere Grenzen mit
bewaffneter Hand zu schlitzen.

Wie im vorigen Jahre bei den russischen reaktionären Gruppen, die z-var
an der Peripherie aber noch auf russischem Boden entstanden waren, so sucht
jetzt die Entente bei den vom alten Reiche abgetrennten Randvölkern im Kampfe
gegen das bolschewistische Moskau die politische und militärische Regie zu über¬
nehmen. Während wir daran zweifeln müssen, ob im vorigen Jahre der ehrliche
Wille zur Zertrümmerung der Sowjetherrschaft vorhanden war, müssen wir nun¬
mehr glauben, daß die der Welt von Moskau drohende Gefahr voll erkannt ist.
Aber zweifelhaft ist es, ob sich dieses Jahr Figuren finden lassen werden; außer
Polen kommt nur noch Finnland und Rumänien in Betracht. Beider Neigung
zu bewaffnetem Eingreifen ist sicher nicht groß; gegen beide aber hat die Entente
genügend Druckmittel; in Polen kann die verblendete, nach Westen und Osten
aggressive Politik eine frühzeitige Katastrophe hervorrufen.




Rußlands neuer Arieg

ähnlich muß der Plan sein, den sich Brussilow für den Sommer zurechtgelegt hat.
Ob ihm die Kräfte hierzu zur Verfügung gestellt werden und die Mittel, die zur
Bewegung solcher Kräfte erforderlich sind, vorhanden sind, entzieht sich der Beur¬
teilung. Wir können nur die Perspektiven ermessen, die sich aus dem polnischen
Unternehmen nach der Mraina ergeben, und daran die Schlußfolgerung knüpfen,
daß die Fernwirkung der jetzigen Kämpfe in Wolhhnien noch in diesem Sommer
mit dem Erscheinen bolschewistischer Truppen an unseren Grenzen enden kann.
Vielleicht war Sowjetrußland noch nicht bereit zu einer Operation großen Stiles
gegen Warschau, bei der es sich um Sein oder Nichtsein Polens handelt; vielleicht
war die Atempause noch zu kurz; vielleicht wollte man sich politisch gegen Finn¬
land und Rumänien eist sichern. Polens Initiative zwingt aber Moskau zu
einem Entschluß, und der kann nur in dem oben ausgeführten Sinne füllen —
es sei denn, die Sowjetrepublik ist nicht in der Lage zu einem Kriege gegen Polen.
Dann aber wird Polen triumphieren und in seinem Übermut keine Schranken
mehr finden und die Grenzen im Westen ebenso wenig respektieren wie im Osten.
In diesem Falle wie in jenem, wo wir Erfolge der Bolschewiften erwarten,
können wir uns vor der zwingenden Notwendigkeit sehen, unsere Grenzen mit
bewaffneter Hand zu schlitzen.

Wie im vorigen Jahre bei den russischen reaktionären Gruppen, die z-var
an der Peripherie aber noch auf russischem Boden entstanden waren, so sucht
jetzt die Entente bei den vom alten Reiche abgetrennten Randvölkern im Kampfe
gegen das bolschewistische Moskau die politische und militärische Regie zu über¬
nehmen. Während wir daran zweifeln müssen, ob im vorigen Jahre der ehrliche
Wille zur Zertrümmerung der Sowjetherrschaft vorhanden war, müssen wir nun¬
mehr glauben, daß die der Welt von Moskau drohende Gefahr voll erkannt ist.
Aber zweifelhaft ist es, ob sich dieses Jahr Figuren finden lassen werden; außer
Polen kommt nur noch Finnland und Rumänien in Betracht. Beider Neigung
zu bewaffnetem Eingreifen ist sicher nicht groß; gegen beide aber hat die Entente
genügend Druckmittel; in Polen kann die verblendete, nach Westen und Osten
aggressive Politik eine frühzeitige Katastrophe hervorrufen.




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[0274] Rußlands neuer Arieg ähnlich muß der Plan sein, den sich Brussilow für den Sommer zurechtgelegt hat. Ob ihm die Kräfte hierzu zur Verfügung gestellt werden und die Mittel, die zur Bewegung solcher Kräfte erforderlich sind, vorhanden sind, entzieht sich der Beur¬ teilung. Wir können nur die Perspektiven ermessen, die sich aus dem polnischen Unternehmen nach der Mraina ergeben, und daran die Schlußfolgerung knüpfen, daß die Fernwirkung der jetzigen Kämpfe in Wolhhnien noch in diesem Sommer mit dem Erscheinen bolschewistischer Truppen an unseren Grenzen enden kann. Vielleicht war Sowjetrußland noch nicht bereit zu einer Operation großen Stiles gegen Warschau, bei der es sich um Sein oder Nichtsein Polens handelt; vielleicht war die Atempause noch zu kurz; vielleicht wollte man sich politisch gegen Finn¬ land und Rumänien eist sichern. Polens Initiative zwingt aber Moskau zu einem Entschluß, und der kann nur in dem oben ausgeführten Sinne füllen — es sei denn, die Sowjetrepublik ist nicht in der Lage zu einem Kriege gegen Polen. Dann aber wird Polen triumphieren und in seinem Übermut keine Schranken mehr finden und die Grenzen im Westen ebenso wenig respektieren wie im Osten. In diesem Falle wie in jenem, wo wir Erfolge der Bolschewiften erwarten, können wir uns vor der zwingenden Notwendigkeit sehen, unsere Grenzen mit bewaffneter Hand zu schlitzen. Wie im vorigen Jahre bei den russischen reaktionären Gruppen, die z-var an der Peripherie aber noch auf russischem Boden entstanden waren, so sucht jetzt die Entente bei den vom alten Reiche abgetrennten Randvölkern im Kampfe gegen das bolschewistische Moskau die politische und militärische Regie zu über¬ nehmen. Während wir daran zweifeln müssen, ob im vorigen Jahre der ehrliche Wille zur Zertrümmerung der Sowjetherrschaft vorhanden war, müssen wir nun¬ mehr glauben, daß die der Welt von Moskau drohende Gefahr voll erkannt ist. Aber zweifelhaft ist es, ob sich dieses Jahr Figuren finden lassen werden; außer Polen kommt nur noch Finnland und Rumänien in Betracht. Beider Neigung zu bewaffnetem Eingreifen ist sicher nicht groß; gegen beide aber hat die Entente genügend Druckmittel; in Polen kann die verblendete, nach Westen und Osten aggressive Politik eine frühzeitige Katastrophe hervorrufen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337236/274>, abgerufen am 22.07.2024.