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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr.

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Finanzpolitik ist Wirtschaftspolitik

bewußt davon abgesehen, sich den Bestrebungen seines Kollegen vom Wirtschafts¬
ministerium irgendwie anzunähern. Darin scheint es nun anders werden zu
sollen oder richtiger zu müssen.

Die eingangs erwähnte Rede des neuen Neichsfinanzministers Wirth mutet
erfrischend an. Wenn er das Wirtschafts- und Schatzministerium mit sich reißt
und sie zu organischer Zusammenarbeit bringt, läßt sich viel erhoffen. Nur darf
man sich darüber nicht im unklaren bleiben: Mit papiernen Vorschriften und
wohlüberlegten Organisationen allein ist es jetzt nicht mehr getan. Die Zer¬
störung an ethischen und sachlichen Gütern ist so ungeheuerlich, die Verwirrung
der Begriffe auch hinsichtlich des Werth und Zwecks der Arbeit so furchtbar, daß
es einer harten Erziehungsarbeit bedarf, um die Menschen für die neuen Formen
geeignet zu machen. Es bedarf der sittlichen "Ertüchtigung", wie sie -Dietrich
Schäfer in zündenden Worten unlängst gefordert hat. Eine andere Einstellung
zur Arbeit, ein Abrücken von der "unsozialistischen Konsumentengesinnung", wie
Peus sagt, ein Bekenntnis zu dem Gedanken, daß das deutsche Volk nur als
Arbeitsgemeinschaft weiter bestehen kann, ist unerläßlich. Soweit eine sinanz- und
wirtschaftspolitische Gesetzgebung an diesen vorwiegend ethischen Problemen mit¬
arbeiten kann, wird sie den Gesichtspunkt der Gleichstellung von Kapital und
Arbeit in den obersten Stellen der neuen autonomen Wirtschaftsgebilde wahren
müssen und dann nicht ängstlich sein dürfen mit der Uebertragung von Verant¬
wortung, von Rechten, die man bis dahin als dem Staat allein zustehend anzu¬
sehen gewohnt war. Die Abgaben werden die Wirtschaftsverbände weiter festigen
wie jeder Druck Gegendruck erzeugt. So können sie das Verständnis für die
Notwendigkeit der Arbeitsgemeinschaft fördern. Eine so in beruflichen Selbst¬
verwaltungsverbänden neu aufgebaute Wirtschaft wird die uns aufgepack-en
Lasten vielleicht noch tragen können. Ohne den Neubau bleibt es bei der Finanz¬
politik alten Stils und damit bei den Papierfluten unserer bedauernswerten
Neichsbcmk. Hoffentlich kommt diese Erkenntnis nicht zu spät.




Finanzpolitik ist Wirtschaftspolitik

bewußt davon abgesehen, sich den Bestrebungen seines Kollegen vom Wirtschafts¬
ministerium irgendwie anzunähern. Darin scheint es nun anders werden zu
sollen oder richtiger zu müssen.

Die eingangs erwähnte Rede des neuen Neichsfinanzministers Wirth mutet
erfrischend an. Wenn er das Wirtschafts- und Schatzministerium mit sich reißt
und sie zu organischer Zusammenarbeit bringt, läßt sich viel erhoffen. Nur darf
man sich darüber nicht im unklaren bleiben: Mit papiernen Vorschriften und
wohlüberlegten Organisationen allein ist es jetzt nicht mehr getan. Die Zer¬
störung an ethischen und sachlichen Gütern ist so ungeheuerlich, die Verwirrung
der Begriffe auch hinsichtlich des Werth und Zwecks der Arbeit so furchtbar, daß
es einer harten Erziehungsarbeit bedarf, um die Menschen für die neuen Formen
geeignet zu machen. Es bedarf der sittlichen „Ertüchtigung", wie sie -Dietrich
Schäfer in zündenden Worten unlängst gefordert hat. Eine andere Einstellung
zur Arbeit, ein Abrücken von der „unsozialistischen Konsumentengesinnung", wie
Peus sagt, ein Bekenntnis zu dem Gedanken, daß das deutsche Volk nur als
Arbeitsgemeinschaft weiter bestehen kann, ist unerläßlich. Soweit eine sinanz- und
wirtschaftspolitische Gesetzgebung an diesen vorwiegend ethischen Problemen mit¬
arbeiten kann, wird sie den Gesichtspunkt der Gleichstellung von Kapital und
Arbeit in den obersten Stellen der neuen autonomen Wirtschaftsgebilde wahren
müssen und dann nicht ängstlich sein dürfen mit der Uebertragung von Verant¬
wortung, von Rechten, die man bis dahin als dem Staat allein zustehend anzu¬
sehen gewohnt war. Die Abgaben werden die Wirtschaftsverbände weiter festigen
wie jeder Druck Gegendruck erzeugt. So können sie das Verständnis für die
Notwendigkeit der Arbeitsgemeinschaft fördern. Eine so in beruflichen Selbst¬
verwaltungsverbänden neu aufgebaute Wirtschaft wird die uns aufgepack-en
Lasten vielleicht noch tragen können. Ohne den Neubau bleibt es bei der Finanz¬
politik alten Stils und damit bei den Papierfluten unserer bedauernswerten
Neichsbcmk. Hoffentlich kommt diese Erkenntnis nicht zu spät.




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[0218] Finanzpolitik ist Wirtschaftspolitik bewußt davon abgesehen, sich den Bestrebungen seines Kollegen vom Wirtschafts¬ ministerium irgendwie anzunähern. Darin scheint es nun anders werden zu sollen oder richtiger zu müssen. Die eingangs erwähnte Rede des neuen Neichsfinanzministers Wirth mutet erfrischend an. Wenn er das Wirtschafts- und Schatzministerium mit sich reißt und sie zu organischer Zusammenarbeit bringt, läßt sich viel erhoffen. Nur darf man sich darüber nicht im unklaren bleiben: Mit papiernen Vorschriften und wohlüberlegten Organisationen allein ist es jetzt nicht mehr getan. Die Zer¬ störung an ethischen und sachlichen Gütern ist so ungeheuerlich, die Verwirrung der Begriffe auch hinsichtlich des Werth und Zwecks der Arbeit so furchtbar, daß es einer harten Erziehungsarbeit bedarf, um die Menschen für die neuen Formen geeignet zu machen. Es bedarf der sittlichen „Ertüchtigung", wie sie -Dietrich Schäfer in zündenden Worten unlängst gefordert hat. Eine andere Einstellung zur Arbeit, ein Abrücken von der „unsozialistischen Konsumentengesinnung", wie Peus sagt, ein Bekenntnis zu dem Gedanken, daß das deutsche Volk nur als Arbeitsgemeinschaft weiter bestehen kann, ist unerläßlich. Soweit eine sinanz- und wirtschaftspolitische Gesetzgebung an diesen vorwiegend ethischen Problemen mit¬ arbeiten kann, wird sie den Gesichtspunkt der Gleichstellung von Kapital und Arbeit in den obersten Stellen der neuen autonomen Wirtschaftsgebilde wahren müssen und dann nicht ängstlich sein dürfen mit der Uebertragung von Verant¬ wortung, von Rechten, die man bis dahin als dem Staat allein zustehend anzu¬ sehen gewohnt war. Die Abgaben werden die Wirtschaftsverbände weiter festigen wie jeder Druck Gegendruck erzeugt. So können sie das Verständnis für die Notwendigkeit der Arbeitsgemeinschaft fördern. Eine so in beruflichen Selbst¬ verwaltungsverbänden neu aufgebaute Wirtschaft wird die uns aufgepack-en Lasten vielleicht noch tragen können. Ohne den Neubau bleibt es bei der Finanz¬ politik alten Stils und damit bei den Papierfluten unserer bedauernswerten Neichsbcmk. Hoffentlich kommt diese Erkenntnis nicht zu spät.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337236/218>, abgerufen am 22.07.2024.