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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr.

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Die welche ihm unter den alten System zu Führern gesetzt waren, waren
allerdings nicht genügend mit der Zeit mitgegangen und hatten nicht begriffen,
daß die neue Zeit neuere Aufgaben stellie, als sie mit einem bloßen Traditiona¬
lismus zu lösen waren. Die konservativen Parteien, zu welchen sie größtenteils
gehörten, und welche Jahrzehnte lang durch ihren Einfluß in Preußen und bei
Hofe die Regierung tatsächlich in Händen hatten, zeigten schon gegen des Jahrhundert-
ende nicht mehr die geistige Beweglichkeit, die ihre Programme noch bis in die
Mitte deS Jahrhunderts aufwiesen. Schon Bismarck hatte oft mit konservativen
Widerständen zu kämpfen, so sehr er doch in seiner Person die besten konser¬
vativen Überlieferungen verkörperte. Sein großes Werk der sozialen Gesetzgebung,
das den Ansatz zu einer Versöhnung konservativer und sozialistischer Gedanken
bedeutete und einer Verjüngung durch den modernen Rätegedcmken durchaus
fähig ist, wurde in seiner ungeheuren weltgeschichtlichen Tragweite von den
führenden Schichten nicht genügend erkannt. Auch von der maßvollen und gerade
dadurch so überlegenen Führungskunst der englischen Torys ließ sich der deutsche
Konservatismus nur zu oft beschämen. Gerade durch einseitige Einstellung aus
Parteitaktik und parlamentarische Bedenklichkeiten, die sich infolge der freisinnigen
Opposition zunehmend durchsetzte, verpaßte der Konservatismus die Möglichkeiten,
die sein alter berufsständischer Gedanke in den neuen Verhältnissen und im Zu¬
sammenhange mit den staatssozialistischen Reformen bot. Trotz deren großen
organisatorischen Leistungen gelang eS deshalb nicht, auch in der Arbeiterschaft
die parlamentarische Einstellung zurückzudrängen und etwa durch eine Zusammen¬
arbeit mit den Gewerkschaften den Arbeiter mit dem Staate, seinen Einrichtungen
und Zielen auszusöhnen. Die Fehler liegen auf beiden Seiten, aber wenn man
die internationalistische Verhetzung der Arbeiterschaft durch den Marxismus ver-
urteilt, dürfte ehrliche Selbsterkenntnis von rechts her nicht an der provokatorischen
Haltung gewisser reaktionärer Heißsporne vorübergehen. Auch im Krieg hat der
Konservatismus über der Abwehr des aufwuchernden westlerischen Demokratismus
die positive Neuschöpfung des Siaatsganzen vernachlässigt. Er hat zum Beispiel
nicht die Möglichkeiten ausgenützt, die das preußische Herrenhaus für eine zeit¬
gemäße Reform auf berufsständischer Grundlage bot. Nach den Novemberereig¬
nissen freilich müße die äußerste Rechte naturgemäß in eine scharfe Opposition
gedrängt werden, und so sehr auch im einzelnen ihr Verhalten der Kritik noch
Blößen gibt, soll ihr heute nicht allzu feinfühlig nachgerechnet werden, daß sie die
Chancen in der Opposition ebenso skrupellos ausgenutzt hat, wie es nun einmal
dem allgemeinen trüben Zustand unseres Parteilebens entspricht. Auch seither
hat die Rechte der Versuchung allzusehr nachgegeben, sich in leerer Opposition
gegen die herrschende Mißwirtschaft zu erschöpfen und die vorbereitende Klein¬
arbeit an einem zukünftigen organischen Umbau auf verfassungsmäßiger Grundlage
zu vernachlässigen. Unbegreiflicherweise haben zum Beispiel die Deutschnationalen
in der Auswertung ihres ureigenen Gedankens einer berufsständischen Gliederung
und einer Kammer der schaffenden Stände der Deutschen Volkspartei den Vortritt
gelassen und erst Helfferich hat in seiner Rede in Hannover das Versäumte nach¬
geholt. Nicht der gewaltsame Sturz des Parlamentarismus durch unüberlegte
Putschversuche, sondern die organische körperschaftliche Durchgestaltung der nationalen
Arbeitsgemeinschaft wäre die wichtigste und zukunftsreichste Aufgabe der Rechten
gewesen. Auch die unschöpferische Kritik am Rätegedanken liegt in derselben
abwegigen Richtung. Wir glauben aus neuerlichen Anzeichen schließen zu dürfen,
daß sich hier eine Umkehr anbahnt. Wenn der Rechten auch im Rahmen de^
Parlamentarismus auf lange hin die Möglichkeit positiver Führung entglitten ist,
so läßt sich das verschmerzen, wenn in den neuentstehenden ständischen Orga"
nismen der ererbte Führerinstinkt und die gewaltige wirtschaftstechnische Ueber-
legenheit der Rechten sich wenigstens innerlich die Führung und damit die uner¬
läßliche Möglichkeit positiver Wirksamkeit zu sichern weiß. Auch darf nicht vergessen
werden, daß die Rechte allein imstande ist, gegen den überwuchernden großstädtischen
Geist das unveräußerliche Recht des Landes und seiner Sonderart im Staats¬
ganzen zur Geltung zu bringen.


Reichsspicgel

Die welche ihm unter den alten System zu Führern gesetzt waren, waren
allerdings nicht genügend mit der Zeit mitgegangen und hatten nicht begriffen,
daß die neue Zeit neuere Aufgaben stellie, als sie mit einem bloßen Traditiona¬
lismus zu lösen waren. Die konservativen Parteien, zu welchen sie größtenteils
gehörten, und welche Jahrzehnte lang durch ihren Einfluß in Preußen und bei
Hofe die Regierung tatsächlich in Händen hatten, zeigten schon gegen des Jahrhundert-
ende nicht mehr die geistige Beweglichkeit, die ihre Programme noch bis in die
Mitte deS Jahrhunderts aufwiesen. Schon Bismarck hatte oft mit konservativen
Widerständen zu kämpfen, so sehr er doch in seiner Person die besten konser¬
vativen Überlieferungen verkörperte. Sein großes Werk der sozialen Gesetzgebung,
das den Ansatz zu einer Versöhnung konservativer und sozialistischer Gedanken
bedeutete und einer Verjüngung durch den modernen Rätegedcmken durchaus
fähig ist, wurde in seiner ungeheuren weltgeschichtlichen Tragweite von den
führenden Schichten nicht genügend erkannt. Auch von der maßvollen und gerade
dadurch so überlegenen Führungskunst der englischen Torys ließ sich der deutsche
Konservatismus nur zu oft beschämen. Gerade durch einseitige Einstellung aus
Parteitaktik und parlamentarische Bedenklichkeiten, die sich infolge der freisinnigen
Opposition zunehmend durchsetzte, verpaßte der Konservatismus die Möglichkeiten,
die sein alter berufsständischer Gedanke in den neuen Verhältnissen und im Zu¬
sammenhange mit den staatssozialistischen Reformen bot. Trotz deren großen
organisatorischen Leistungen gelang eS deshalb nicht, auch in der Arbeiterschaft
die parlamentarische Einstellung zurückzudrängen und etwa durch eine Zusammen¬
arbeit mit den Gewerkschaften den Arbeiter mit dem Staate, seinen Einrichtungen
und Zielen auszusöhnen. Die Fehler liegen auf beiden Seiten, aber wenn man
die internationalistische Verhetzung der Arbeiterschaft durch den Marxismus ver-
urteilt, dürfte ehrliche Selbsterkenntnis von rechts her nicht an der provokatorischen
Haltung gewisser reaktionärer Heißsporne vorübergehen. Auch im Krieg hat der
Konservatismus über der Abwehr des aufwuchernden westlerischen Demokratismus
die positive Neuschöpfung des Siaatsganzen vernachlässigt. Er hat zum Beispiel
nicht die Möglichkeiten ausgenützt, die das preußische Herrenhaus für eine zeit¬
gemäße Reform auf berufsständischer Grundlage bot. Nach den Novemberereig¬
nissen freilich müße die äußerste Rechte naturgemäß in eine scharfe Opposition
gedrängt werden, und so sehr auch im einzelnen ihr Verhalten der Kritik noch
Blößen gibt, soll ihr heute nicht allzu feinfühlig nachgerechnet werden, daß sie die
Chancen in der Opposition ebenso skrupellos ausgenutzt hat, wie es nun einmal
dem allgemeinen trüben Zustand unseres Parteilebens entspricht. Auch seither
hat die Rechte der Versuchung allzusehr nachgegeben, sich in leerer Opposition
gegen die herrschende Mißwirtschaft zu erschöpfen und die vorbereitende Klein¬
arbeit an einem zukünftigen organischen Umbau auf verfassungsmäßiger Grundlage
zu vernachlässigen. Unbegreiflicherweise haben zum Beispiel die Deutschnationalen
in der Auswertung ihres ureigenen Gedankens einer berufsständischen Gliederung
und einer Kammer der schaffenden Stände der Deutschen Volkspartei den Vortritt
gelassen und erst Helfferich hat in seiner Rede in Hannover das Versäumte nach¬
geholt. Nicht der gewaltsame Sturz des Parlamentarismus durch unüberlegte
Putschversuche, sondern die organische körperschaftliche Durchgestaltung der nationalen
Arbeitsgemeinschaft wäre die wichtigste und zukunftsreichste Aufgabe der Rechten
gewesen. Auch die unschöpferische Kritik am Rätegedanken liegt in derselben
abwegigen Richtung. Wir glauben aus neuerlichen Anzeichen schließen zu dürfen,
daß sich hier eine Umkehr anbahnt. Wenn der Rechten auch im Rahmen de^
Parlamentarismus auf lange hin die Möglichkeit positiver Führung entglitten ist,
so läßt sich das verschmerzen, wenn in den neuentstehenden ständischen Orga«
nismen der ererbte Führerinstinkt und die gewaltige wirtschaftstechnische Ueber-
legenheit der Rechten sich wenigstens innerlich die Führung und damit die uner¬
läßliche Möglichkeit positiver Wirksamkeit zu sichern weiß. Auch darf nicht vergessen
werden, daß die Rechte allein imstande ist, gegen den überwuchernden großstädtischen
Geist das unveräußerliche Recht des Landes und seiner Sonderart im Staats¬
ganzen zur Geltung zu bringen.


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[0176] Reichsspicgel Die welche ihm unter den alten System zu Führern gesetzt waren, waren allerdings nicht genügend mit der Zeit mitgegangen und hatten nicht begriffen, daß die neue Zeit neuere Aufgaben stellie, als sie mit einem bloßen Traditiona¬ lismus zu lösen waren. Die konservativen Parteien, zu welchen sie größtenteils gehörten, und welche Jahrzehnte lang durch ihren Einfluß in Preußen und bei Hofe die Regierung tatsächlich in Händen hatten, zeigten schon gegen des Jahrhundert- ende nicht mehr die geistige Beweglichkeit, die ihre Programme noch bis in die Mitte deS Jahrhunderts aufwiesen. Schon Bismarck hatte oft mit konservativen Widerständen zu kämpfen, so sehr er doch in seiner Person die besten konser¬ vativen Überlieferungen verkörperte. Sein großes Werk der sozialen Gesetzgebung, das den Ansatz zu einer Versöhnung konservativer und sozialistischer Gedanken bedeutete und einer Verjüngung durch den modernen Rätegedcmken durchaus fähig ist, wurde in seiner ungeheuren weltgeschichtlichen Tragweite von den führenden Schichten nicht genügend erkannt. Auch von der maßvollen und gerade dadurch so überlegenen Führungskunst der englischen Torys ließ sich der deutsche Konservatismus nur zu oft beschämen. Gerade durch einseitige Einstellung aus Parteitaktik und parlamentarische Bedenklichkeiten, die sich infolge der freisinnigen Opposition zunehmend durchsetzte, verpaßte der Konservatismus die Möglichkeiten, die sein alter berufsständischer Gedanke in den neuen Verhältnissen und im Zu¬ sammenhange mit den staatssozialistischen Reformen bot. Trotz deren großen organisatorischen Leistungen gelang eS deshalb nicht, auch in der Arbeiterschaft die parlamentarische Einstellung zurückzudrängen und etwa durch eine Zusammen¬ arbeit mit den Gewerkschaften den Arbeiter mit dem Staate, seinen Einrichtungen und Zielen auszusöhnen. Die Fehler liegen auf beiden Seiten, aber wenn man die internationalistische Verhetzung der Arbeiterschaft durch den Marxismus ver- urteilt, dürfte ehrliche Selbsterkenntnis von rechts her nicht an der provokatorischen Haltung gewisser reaktionärer Heißsporne vorübergehen. Auch im Krieg hat der Konservatismus über der Abwehr des aufwuchernden westlerischen Demokratismus die positive Neuschöpfung des Siaatsganzen vernachlässigt. Er hat zum Beispiel nicht die Möglichkeiten ausgenützt, die das preußische Herrenhaus für eine zeit¬ gemäße Reform auf berufsständischer Grundlage bot. Nach den Novemberereig¬ nissen freilich müße die äußerste Rechte naturgemäß in eine scharfe Opposition gedrängt werden, und so sehr auch im einzelnen ihr Verhalten der Kritik noch Blößen gibt, soll ihr heute nicht allzu feinfühlig nachgerechnet werden, daß sie die Chancen in der Opposition ebenso skrupellos ausgenutzt hat, wie es nun einmal dem allgemeinen trüben Zustand unseres Parteilebens entspricht. Auch seither hat die Rechte der Versuchung allzusehr nachgegeben, sich in leerer Opposition gegen die herrschende Mißwirtschaft zu erschöpfen und die vorbereitende Klein¬ arbeit an einem zukünftigen organischen Umbau auf verfassungsmäßiger Grundlage zu vernachlässigen. Unbegreiflicherweise haben zum Beispiel die Deutschnationalen in der Auswertung ihres ureigenen Gedankens einer berufsständischen Gliederung und einer Kammer der schaffenden Stände der Deutschen Volkspartei den Vortritt gelassen und erst Helfferich hat in seiner Rede in Hannover das Versäumte nach¬ geholt. Nicht der gewaltsame Sturz des Parlamentarismus durch unüberlegte Putschversuche, sondern die organische körperschaftliche Durchgestaltung der nationalen Arbeitsgemeinschaft wäre die wichtigste und zukunftsreichste Aufgabe der Rechten gewesen. Auch die unschöpferische Kritik am Rätegedanken liegt in derselben abwegigen Richtung. Wir glauben aus neuerlichen Anzeichen schließen zu dürfen, daß sich hier eine Umkehr anbahnt. Wenn der Rechten auch im Rahmen de^ Parlamentarismus auf lange hin die Möglichkeit positiver Führung entglitten ist, so läßt sich das verschmerzen, wenn in den neuentstehenden ständischen Orga« nismen der ererbte Führerinstinkt und die gewaltige wirtschaftstechnische Ueber- legenheit der Rechten sich wenigstens innerlich die Führung und damit die uner¬ läßliche Möglichkeit positiver Wirksamkeit zu sichern weiß. Auch darf nicht vergessen werden, daß die Rechte allein imstande ist, gegen den überwuchernden großstädtischen Geist das unveräußerliche Recht des Landes und seiner Sonderart im Staats¬ ganzen zur Geltung zu bringen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337236/176>, abgerufen am 22.07.2024.