Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr.Gedanken eines Monarchisten Sich "eins den Boden der vollzogenen Tatsachen stellen", ist im Laufe der Das verflossene monarchische System in Deutschland war nicht, wie die Gedanken eines Monarchisten Sich „eins den Boden der vollzogenen Tatsachen stellen", ist im Laufe der Das verflossene monarchische System in Deutschland war nicht, wie die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0152" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/337389"/> <fw type="header" place="top"> Gedanken eines Monarchisten</fw><lb/> <p xml:id="ID_554"> Sich „eins den Boden der vollzogenen Tatsachen stellen", ist im Laufe der<lb/> vergangenen anderthalb Jahre zur ironischen Charakteristik charakterloser<lb/> Menschen geworden, die sich nach eiuer Änderung der politischen Machtverhält¬<lb/> nisse, welche für sie in irgend einem Sinne Gewinnverhältnisse bedeuten, sofort<lb/> auf die Seite legen, welche sie für die stärkere halten. Die Erklärung ihres<lb/> Stellungswechsels pflegt mit jener Wendung begründet zu werden. Die Be¬<lb/> rechtigung des ironischen Gepräges dieser Charakteristik ist unzweifelhaft und in<lb/> traurig hohem Maße vorhanden, in der Hauptsache aber für die Richtungen,<lb/> welche man früher unter der „bürgerlichen Linken" verstand, einschließlich eines<lb/> Teiles des Zentrums, außerdem eines erheblichen Teiles der deutschen Diplomatie,<lb/> der Beamtenschaft und anch der Offiziere. Im allgemeinen kann man der<lb/> Rechten den Vorwurf, sich charakterlos auf deu Boden der Tatsachen gestellt zu<lb/> haben, nicht machen, sondern vielfach den entgegengesetzten, der freilich weniger<lb/> den Charakter als die Politische Urteilskraft betrifft: den tatsächlichen Stand der<lb/> Dinge nicht genügend und nicht schnell genug erkannt zu haben und noch bellte<lb/> zu einem großen Teile in einer Stellung zu verharren, die kein tatsächliches,<lb/> wirkliches Fundament mehr besitzt, also Dogmatiker, ja Doktrinäre zu werden,<lb/> jedenfalls sich als solche zu betätigen. Man kann und muß auch vollkommen be¬<lb/> greifen, wenn ein Mann, sagen wir ein Monarchist der alten Schule, die innere<lb/> Notwendigkeit empfindet, den Standpunkt einzunehmen: ich kann von meinen<lb/> früheren Ansichten und Überzeugungen nicht lassen. Die frühere Monarchie ent¬<lb/> sprach meinen Idealen, ich sehe mich auch nicht imstande, heute für eine Halb¬<lb/> heit, für ein Surrogat der Monarchie einzutreten, welches ich, als diese noch<lb/> bestand, unbedingt verwarf und als verhängnisvoll für Deutschland betrachtete! —<lb/> Ein solcher Mann kann sicher sehr achtungswert fein, aber er setzt sich, wie die<lb/> Dinge in Deutschland liegen und liegen werden, in die Unmöglichkeit positiven<lb/> politischen Wirkens, ja er wirkt in der politischen Praxis negativ, er mag wollen<lb/> oder nicht. Für diese Behauptung liefern besonders auch die Urteile der Poli¬<lb/> tische» Gegner des monarchischen Gedankens interessante Beweise. Sie haben<lb/> ,seit Aem November 1918 in ihrer Presse unaufhörlich ihre Achtung, ihren<lb/> Respekt allen den Monarchisten in Deutschland gegenüber öffentlich zum Aus¬<lb/> druck gebracht, welche erklärten: Kaiser Wilhelm muß wiederkommen, alles<lb/> muß wieder werden, wie es war, sonst ist kein Heil für Deutschland möglich.<lb/> Wo die gleiche Presse eine andere Auffassung und eine Fähigkeit zur Beurteilung<lb/> der tatsächlichen Verhältnisse witterte, fand sie nicht Worte genug, um solches<lb/> Verhalten als „bewundernswerte Wandlungsfähigkeit", als Untreue und ähn¬<lb/> liches zu kennzeichnen. Die Antimonarchislen kennen die Werbekraft des mon¬<lb/> archischen Gedankens und fürchten sie. Ungefährlich scheint er ihnen nur in<lb/> einer Gestalt, wie sie nach Lage der tatsächlichen Verhältnisse von einer Ver¬<lb/> wirklichung völlig ausgeschlossen ist. Deshalb erkennt man lobend die Charakter¬<lb/> festigkeit monarchischer Utopisten an und macht größtes Aufsehen von ihren<lb/> Äußerungen, während man monarchische Realisten schmäht und angreift: der<lb/> beste Beweis, daß man sie, ihre Mittel und Ziele für Werbekräfte, also für ge¬<lb/> fährlich hält.</p><lb/> <p xml:id="ID_555" next="#ID_556"> Das verflossene monarchische System in Deutschland war nicht, wie die<lb/> AntiMonarchisten behaupten, verrottet, sondern es war fest und in der Haupt-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0152]
Gedanken eines Monarchisten
Sich „eins den Boden der vollzogenen Tatsachen stellen", ist im Laufe der
vergangenen anderthalb Jahre zur ironischen Charakteristik charakterloser
Menschen geworden, die sich nach eiuer Änderung der politischen Machtverhält¬
nisse, welche für sie in irgend einem Sinne Gewinnverhältnisse bedeuten, sofort
auf die Seite legen, welche sie für die stärkere halten. Die Erklärung ihres
Stellungswechsels pflegt mit jener Wendung begründet zu werden. Die Be¬
rechtigung des ironischen Gepräges dieser Charakteristik ist unzweifelhaft und in
traurig hohem Maße vorhanden, in der Hauptsache aber für die Richtungen,
welche man früher unter der „bürgerlichen Linken" verstand, einschließlich eines
Teiles des Zentrums, außerdem eines erheblichen Teiles der deutschen Diplomatie,
der Beamtenschaft und anch der Offiziere. Im allgemeinen kann man der
Rechten den Vorwurf, sich charakterlos auf deu Boden der Tatsachen gestellt zu
haben, nicht machen, sondern vielfach den entgegengesetzten, der freilich weniger
den Charakter als die Politische Urteilskraft betrifft: den tatsächlichen Stand der
Dinge nicht genügend und nicht schnell genug erkannt zu haben und noch bellte
zu einem großen Teile in einer Stellung zu verharren, die kein tatsächliches,
wirkliches Fundament mehr besitzt, also Dogmatiker, ja Doktrinäre zu werden,
jedenfalls sich als solche zu betätigen. Man kann und muß auch vollkommen be¬
greifen, wenn ein Mann, sagen wir ein Monarchist der alten Schule, die innere
Notwendigkeit empfindet, den Standpunkt einzunehmen: ich kann von meinen
früheren Ansichten und Überzeugungen nicht lassen. Die frühere Monarchie ent¬
sprach meinen Idealen, ich sehe mich auch nicht imstande, heute für eine Halb¬
heit, für ein Surrogat der Monarchie einzutreten, welches ich, als diese noch
bestand, unbedingt verwarf und als verhängnisvoll für Deutschland betrachtete! —
Ein solcher Mann kann sicher sehr achtungswert fein, aber er setzt sich, wie die
Dinge in Deutschland liegen und liegen werden, in die Unmöglichkeit positiven
politischen Wirkens, ja er wirkt in der politischen Praxis negativ, er mag wollen
oder nicht. Für diese Behauptung liefern besonders auch die Urteile der Poli¬
tische» Gegner des monarchischen Gedankens interessante Beweise. Sie haben
,seit Aem November 1918 in ihrer Presse unaufhörlich ihre Achtung, ihren
Respekt allen den Monarchisten in Deutschland gegenüber öffentlich zum Aus¬
druck gebracht, welche erklärten: Kaiser Wilhelm muß wiederkommen, alles
muß wieder werden, wie es war, sonst ist kein Heil für Deutschland möglich.
Wo die gleiche Presse eine andere Auffassung und eine Fähigkeit zur Beurteilung
der tatsächlichen Verhältnisse witterte, fand sie nicht Worte genug, um solches
Verhalten als „bewundernswerte Wandlungsfähigkeit", als Untreue und ähn¬
liches zu kennzeichnen. Die Antimonarchislen kennen die Werbekraft des mon¬
archischen Gedankens und fürchten sie. Ungefährlich scheint er ihnen nur in
einer Gestalt, wie sie nach Lage der tatsächlichen Verhältnisse von einer Ver¬
wirklichung völlig ausgeschlossen ist. Deshalb erkennt man lobend die Charakter¬
festigkeit monarchischer Utopisten an und macht größtes Aufsehen von ihren
Äußerungen, während man monarchische Realisten schmäht und angreift: der
beste Beweis, daß man sie, ihre Mittel und Ziele für Werbekräfte, also für ge¬
fährlich hält.
Das verflossene monarchische System in Deutschland war nicht, wie die
AntiMonarchisten behaupten, verrottet, sondern es war fest und in der Haupt-
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