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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.

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Das deutscheste Ziel

Preußen, liquidiert hat und gar nicht mehr imstande ist, die anderen zu "der-
gewaltigen" und "auszunutzen". Dieser letzte Gesichtspunkt wurde besonders in
Bayern dem gutgläubigen Volke vorgespiegelt!

Über diese Dinge werden wir hinwegkommen. Der Einheitsstaat soll allen
gerecht werden, wie das in Italien, Frankreich, Spanien der Fall ist. Wie wäre
das auch anders denkbar?

Denkbar ist das Gegenteil nur in solchen Köpfen, die eben im Nachbarn,
und besonders in Preußen, etwas Feindliches sehen. Gerade dies aber soll die
sittliche Wirkung deS Einheitsstaates sein: ein engeres Sichzusammenschließen, ein
besseres Sichverstehen, ein gründlicheres Sichkennenlernen. Daran fehlt es viel
mehr in Deutschland, als man denken sollte. Es muß nicht nur mit den zu
unglaublichen Hinderungen führenden und scharf trennenden einzelnen Staats-
bürgcrrechten gebrochen werden, es müssen nicht nur die einzelnen bunten Stcmls-
grenzpfähle an der Reichsgrenze fallen, sondern sie müssen auch im Innern fallen,
und es muß die Freizügigkeit der Beamten im Reiche gewährleistet werden. Es
muß ein einiger Geist ganz Deutschland durchziehen: obschon das Stammliche
nicht verschwinden soll, so soll doch die große Kluft zwischen Nord und Süd aus-
geglichen werden. Das wird geschehen, wenn man auch wieder von mittel¬
deutschen Elementen hört, die aus unserer Betrachtungsweise fast völlig aus¬
geschaltet worden sind: teils durch das Vorrücken Preußens von Norden her und
Bayerns und Badens von Süden her gegen den Main und Neckar, teils durch
die Unbedeutendheit Darmhessens und der Thüringischen Herrlichkeiten.

Um aber zu dieser, unser nationales Gefüge sittlich festigenden Einheit
des Bewußtseins zu kommen, muß es ein Gebot im neuen Reiche werden, daß
die Erziehung entsprechend gestaltet werde.

Ich habe stets den Standpunkt vertreten, daß der deutsche Partikularismus
-- allen Behauptungen zum Trotz -- nichts "echt deutsches", kein deutscher
"Instinkt" sei, sondern Erziehungssache: dynastische, obrigkeitliche, familiäre
Erziehung.

Gerade im Süden ist das deutlich. Im Gegensatz zu Preußen, dem Popanz,
den so viele gar nicht kennen, blieb die Stimmung von 1866 die herrschende bis
auf den heutigen Tag. Vom Großvater ererbt, ging sie auf den Enkel über, ging
sie weg über das 1871 so glorreich Geschaffene. So ist es auch in Hannover
geblieben: so ist es, aus unpolitischen Gründen vielfach im Rheinland zu be¬
klagen. So ist die neuerdings erwachte Hinneigung Bayerns zu Österreich
(wenigstens teilweise) zu erklären.

Darüber müssen wir wegkommen. In den bestehenden Landesgrenzen aber
ist das ausgeschlossen. Preußens Übergewicht ist ein schwerer Schaden im
bundesstaatlichen Reich gewesen. Nun es ins Einheitsreich aufgehen will, ist die
Zeit gekommen zu unserer nationalen Einigung. '

Sie hat für viele -- aber nicht nur für den Süddeutschen I -- etwas Tragisches.
Was sie aber für unsere nationale Erstarkung bedeutet, liegt -- abgesehen von
wirtschaftlichem Ausgleich und hoffentlich neuem Aufschwung -- auf dem idealen
Gebiet: auf dem Gebiet bewußter, nationaler Erziehung, unter Wahrung des
kulturell Wertvollen und selbstverständlichen in den einzelnen Gebieten.


Das deutscheste Ziel

Preußen, liquidiert hat und gar nicht mehr imstande ist, die anderen zu „der-
gewaltigen" und „auszunutzen". Dieser letzte Gesichtspunkt wurde besonders in
Bayern dem gutgläubigen Volke vorgespiegelt!

Über diese Dinge werden wir hinwegkommen. Der Einheitsstaat soll allen
gerecht werden, wie das in Italien, Frankreich, Spanien der Fall ist. Wie wäre
das auch anders denkbar?

Denkbar ist das Gegenteil nur in solchen Köpfen, die eben im Nachbarn,
und besonders in Preußen, etwas Feindliches sehen. Gerade dies aber soll die
sittliche Wirkung deS Einheitsstaates sein: ein engeres Sichzusammenschließen, ein
besseres Sichverstehen, ein gründlicheres Sichkennenlernen. Daran fehlt es viel
mehr in Deutschland, als man denken sollte. Es muß nicht nur mit den zu
unglaublichen Hinderungen führenden und scharf trennenden einzelnen Staats-
bürgcrrechten gebrochen werden, es müssen nicht nur die einzelnen bunten Stcmls-
grenzpfähle an der Reichsgrenze fallen, sondern sie müssen auch im Innern fallen,
und es muß die Freizügigkeit der Beamten im Reiche gewährleistet werden. Es
muß ein einiger Geist ganz Deutschland durchziehen: obschon das Stammliche
nicht verschwinden soll, so soll doch die große Kluft zwischen Nord und Süd aus-
geglichen werden. Das wird geschehen, wenn man auch wieder von mittel¬
deutschen Elementen hört, die aus unserer Betrachtungsweise fast völlig aus¬
geschaltet worden sind: teils durch das Vorrücken Preußens von Norden her und
Bayerns und Badens von Süden her gegen den Main und Neckar, teils durch
die Unbedeutendheit Darmhessens und der Thüringischen Herrlichkeiten.

Um aber zu dieser, unser nationales Gefüge sittlich festigenden Einheit
des Bewußtseins zu kommen, muß es ein Gebot im neuen Reiche werden, daß
die Erziehung entsprechend gestaltet werde.

Ich habe stets den Standpunkt vertreten, daß der deutsche Partikularismus
— allen Behauptungen zum Trotz — nichts „echt deutsches", kein deutscher
„Instinkt" sei, sondern Erziehungssache: dynastische, obrigkeitliche, familiäre
Erziehung.

Gerade im Süden ist das deutlich. Im Gegensatz zu Preußen, dem Popanz,
den so viele gar nicht kennen, blieb die Stimmung von 1866 die herrschende bis
auf den heutigen Tag. Vom Großvater ererbt, ging sie auf den Enkel über, ging
sie weg über das 1871 so glorreich Geschaffene. So ist es auch in Hannover
geblieben: so ist es, aus unpolitischen Gründen vielfach im Rheinland zu be¬
klagen. So ist die neuerdings erwachte Hinneigung Bayerns zu Österreich
(wenigstens teilweise) zu erklären.

Darüber müssen wir wegkommen. In den bestehenden Landesgrenzen aber
ist das ausgeschlossen. Preußens Übergewicht ist ein schwerer Schaden im
bundesstaatlichen Reich gewesen. Nun es ins Einheitsreich aufgehen will, ist die
Zeit gekommen zu unserer nationalen Einigung. '

Sie hat für viele — aber nicht nur für den Süddeutschen I — etwas Tragisches.
Was sie aber für unsere nationale Erstarkung bedeutet, liegt — abgesehen von
wirtschaftlichem Ausgleich und hoffentlich neuem Aufschwung — auf dem idealen
Gebiet: auf dem Gebiet bewußter, nationaler Erziehung, unter Wahrung des
kulturell Wertvollen und selbstverständlichen in den einzelnen Gebieten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/52>, abgerufen am 28.07.2024.