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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.

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Das Kappsche Abenteuer

zu werden, Verhandlungen wünschten. In Wirklichkeit beharrten seit jener
Freitag nacht die Negierungsmitglieder starr bei der Weigerung, mit den
Rebellen zu verhandeln, da darin Anerkennung einer gewissen Gleich¬
berechtigung läge. Sie rechneten auf ein Niederbrechen des Aufstandes;
besonders wirkten auch die Demokraten unter Führung des Ministers Koch
gegen jedes Verhandeln. Gewiß hätte es im Interesse der Wiederaufrichtung
der schwer geschädigten Staatsautorität gelegen, wenn die Stuttgarter Regierung,
wirklich so stark gewesen wäre, bedingungslose Unterwerfung ohne Verhandlungen
zu erzielen. Da sie aber, wie sich bald herausgestellt hat, und wie nach den Vor¬
gängen des Jahres 1319 jedem Unbefangenen klar sein mußte, ohne eigene Kapitu¬
lation nach links keinen Unterwerfuugsfrieden nach rechts diktieren konnte, so fragt es
sich doch angesichts der weiteren Ereignisse, ob diese ihre Unversöhnlichkeit nach
rechts politisch klug gewesen ist. Großherzig, überlegen war sie gewiß nicht,
wie denn das deutsche Volk jetzt, eben so wie im Kriege, schwer an dem Mangel
überragender Charaktere in allgemein anerkannten Stellungen gelitten hat.

Das war auch die bange Sorge aller derer, die in der Reichskanzlei zu
Berlin gegen die Unvernunft des Lüttwitz-Stabes ankämpften: würde von
Stuttgart aus maßvolle Klarheit Deutschland einen wahren Frieden bescheren,
oder würde auch dort, wie hier, kurzsichtiges Trachten nach augenblicklichen
Vorteilen die Entschlüsse führen? Eine Negierung, die wie die Stuttgarter
selbst durch eine Revolution geschaffen war und die gegen die Propaganda der
Tat, wenn sie von links kam, häufig ein Auge zudrücken mußte, durfte wohl
den durch Kapp und Lüttwitz Mitgerissenen Brücken bauen, um Werte zu
erhalten, die für den Staat auf die Länge unentbehrlicher find als alles, was
die äußerste Linke ihm jemals bieten kann. Ich bin überzeugt, daß die Stutt¬
garter Negierung durch das verschiedene Maß, mit welchem sie die Verfehlungen
der Weißen und der Noten maß, sich selbst mehr geschadet als genützt hat.
Es konnte für Deutschland in seiner jetzigen Lage eine Todesgefahr bedeuten,
wenn die Negierung der Hetze gegen die Armee durch übertriebene Schroffheit
gegen deren verführte Teile allzu starken Vorschub leistete. Die eigentlichen Ver¬
schwörer mußten sür ihr unsühnbares Verbrechen büßen; das verlangte das
Rechtsgefühl. Aber war nun auf einmal die ganze Volksschicht, der sie
entstammten, Feind des Staates geworden? Die später noch einmal zu er¬
wähnenden Kappschen sieben Bedingungen waren unbestreitbar inhaltlich ma߬
voll und annehmbar, ja im Grunde schon angenommen mit Ausnahme der für alle
politischen Verbrechen seit dem 9. November 1918 geforderten Amnestie. Sie waren
als bloße Verschleierung der Kapitulation gedacht. Aber gerade diese Ver¬
schleierung lehnte Stuttgart ab.

Durch unerweichliche Ablehnung jeder Rückzugsbrücke auch für die persön¬
lich Ehrenwertesten unter den Kappleuten taten sich die in Stuttgart versammelten
Vertreter der süddeutschen Regierungen hervor. Von Preußen ließen sie sich
nichts gefallen. Hier brach alter Pattikularismus und leidig sinnwidrige Ab-


Das Kappsche Abenteuer

zu werden, Verhandlungen wünschten. In Wirklichkeit beharrten seit jener
Freitag nacht die Negierungsmitglieder starr bei der Weigerung, mit den
Rebellen zu verhandeln, da darin Anerkennung einer gewissen Gleich¬
berechtigung läge. Sie rechneten auf ein Niederbrechen des Aufstandes;
besonders wirkten auch die Demokraten unter Führung des Ministers Koch
gegen jedes Verhandeln. Gewiß hätte es im Interesse der Wiederaufrichtung
der schwer geschädigten Staatsautorität gelegen, wenn die Stuttgarter Regierung,
wirklich so stark gewesen wäre, bedingungslose Unterwerfung ohne Verhandlungen
zu erzielen. Da sie aber, wie sich bald herausgestellt hat, und wie nach den Vor¬
gängen des Jahres 1319 jedem Unbefangenen klar sein mußte, ohne eigene Kapitu¬
lation nach links keinen Unterwerfuugsfrieden nach rechts diktieren konnte, so fragt es
sich doch angesichts der weiteren Ereignisse, ob diese ihre Unversöhnlichkeit nach
rechts politisch klug gewesen ist. Großherzig, überlegen war sie gewiß nicht,
wie denn das deutsche Volk jetzt, eben so wie im Kriege, schwer an dem Mangel
überragender Charaktere in allgemein anerkannten Stellungen gelitten hat.

Das war auch die bange Sorge aller derer, die in der Reichskanzlei zu
Berlin gegen die Unvernunft des Lüttwitz-Stabes ankämpften: würde von
Stuttgart aus maßvolle Klarheit Deutschland einen wahren Frieden bescheren,
oder würde auch dort, wie hier, kurzsichtiges Trachten nach augenblicklichen
Vorteilen die Entschlüsse führen? Eine Negierung, die wie die Stuttgarter
selbst durch eine Revolution geschaffen war und die gegen die Propaganda der
Tat, wenn sie von links kam, häufig ein Auge zudrücken mußte, durfte wohl
den durch Kapp und Lüttwitz Mitgerissenen Brücken bauen, um Werte zu
erhalten, die für den Staat auf die Länge unentbehrlicher find als alles, was
die äußerste Linke ihm jemals bieten kann. Ich bin überzeugt, daß die Stutt¬
garter Negierung durch das verschiedene Maß, mit welchem sie die Verfehlungen
der Weißen und der Noten maß, sich selbst mehr geschadet als genützt hat.
Es konnte für Deutschland in seiner jetzigen Lage eine Todesgefahr bedeuten,
wenn die Negierung der Hetze gegen die Armee durch übertriebene Schroffheit
gegen deren verführte Teile allzu starken Vorschub leistete. Die eigentlichen Ver¬
schwörer mußten sür ihr unsühnbares Verbrechen büßen; das verlangte das
Rechtsgefühl. Aber war nun auf einmal die ganze Volksschicht, der sie
entstammten, Feind des Staates geworden? Die später noch einmal zu er¬
wähnenden Kappschen sieben Bedingungen waren unbestreitbar inhaltlich ma߬
voll und annehmbar, ja im Grunde schon angenommen mit Ausnahme der für alle
politischen Verbrechen seit dem 9. November 1918 geforderten Amnestie. Sie waren
als bloße Verschleierung der Kapitulation gedacht. Aber gerade diese Ver¬
schleierung lehnte Stuttgart ab.

Durch unerweichliche Ablehnung jeder Rückzugsbrücke auch für die persön¬
lich Ehrenwertesten unter den Kappleuten taten sich die in Stuttgart versammelten
Vertreter der süddeutschen Regierungen hervor. Von Preußen ließen sie sich
nichts gefallen. Hier brach alter Pattikularismus und leidig sinnwidrige Ab-


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[0354] Das Kappsche Abenteuer zu werden, Verhandlungen wünschten. In Wirklichkeit beharrten seit jener Freitag nacht die Negierungsmitglieder starr bei der Weigerung, mit den Rebellen zu verhandeln, da darin Anerkennung einer gewissen Gleich¬ berechtigung läge. Sie rechneten auf ein Niederbrechen des Aufstandes; besonders wirkten auch die Demokraten unter Führung des Ministers Koch gegen jedes Verhandeln. Gewiß hätte es im Interesse der Wiederaufrichtung der schwer geschädigten Staatsautorität gelegen, wenn die Stuttgarter Regierung, wirklich so stark gewesen wäre, bedingungslose Unterwerfung ohne Verhandlungen zu erzielen. Da sie aber, wie sich bald herausgestellt hat, und wie nach den Vor¬ gängen des Jahres 1319 jedem Unbefangenen klar sein mußte, ohne eigene Kapitu¬ lation nach links keinen Unterwerfuugsfrieden nach rechts diktieren konnte, so fragt es sich doch angesichts der weiteren Ereignisse, ob diese ihre Unversöhnlichkeit nach rechts politisch klug gewesen ist. Großherzig, überlegen war sie gewiß nicht, wie denn das deutsche Volk jetzt, eben so wie im Kriege, schwer an dem Mangel überragender Charaktere in allgemein anerkannten Stellungen gelitten hat. Das war auch die bange Sorge aller derer, die in der Reichskanzlei zu Berlin gegen die Unvernunft des Lüttwitz-Stabes ankämpften: würde von Stuttgart aus maßvolle Klarheit Deutschland einen wahren Frieden bescheren, oder würde auch dort, wie hier, kurzsichtiges Trachten nach augenblicklichen Vorteilen die Entschlüsse führen? Eine Negierung, die wie die Stuttgarter selbst durch eine Revolution geschaffen war und die gegen die Propaganda der Tat, wenn sie von links kam, häufig ein Auge zudrücken mußte, durfte wohl den durch Kapp und Lüttwitz Mitgerissenen Brücken bauen, um Werte zu erhalten, die für den Staat auf die Länge unentbehrlicher find als alles, was die äußerste Linke ihm jemals bieten kann. Ich bin überzeugt, daß die Stutt¬ garter Negierung durch das verschiedene Maß, mit welchem sie die Verfehlungen der Weißen und der Noten maß, sich selbst mehr geschadet als genützt hat. Es konnte für Deutschland in seiner jetzigen Lage eine Todesgefahr bedeuten, wenn die Negierung der Hetze gegen die Armee durch übertriebene Schroffheit gegen deren verführte Teile allzu starken Vorschub leistete. Die eigentlichen Ver¬ schwörer mußten sür ihr unsühnbares Verbrechen büßen; das verlangte das Rechtsgefühl. Aber war nun auf einmal die ganze Volksschicht, der sie entstammten, Feind des Staates geworden? Die später noch einmal zu er¬ wähnenden Kappschen sieben Bedingungen waren unbestreitbar inhaltlich ma߬ voll und annehmbar, ja im Grunde schon angenommen mit Ausnahme der für alle politischen Verbrechen seit dem 9. November 1918 geforderten Amnestie. Sie waren als bloße Verschleierung der Kapitulation gedacht. Aber gerade diese Ver¬ schleierung lehnte Stuttgart ab. Durch unerweichliche Ablehnung jeder Rückzugsbrücke auch für die persön¬ lich Ehrenwertesten unter den Kappleuten taten sich die in Stuttgart versammelten Vertreter der süddeutschen Regierungen hervor. Von Preußen ließen sie sich nichts gefallen. Hier brach alter Pattikularismus und leidig sinnwidrige Ab-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/354>, abgerufen am 22.12.2024.