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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.

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Das Rappsche Abenteuer

Neigung gegen Reichshauptstadt und Prcußentum hervor, wie an den trübsten
Tagen unserer Geschichte. Ich muß es meinen süddeutschen Landsleuten ins
Gesicht sagen, daß sie sich wenig mit Ruhm bedeckt haben. als sie in Stuttgart
voll dröhnenden Pathos die Furcht vor einer möglichen Trennung des Südens
vom Norden bei manchen Zuhörern weckten, für den Fall, daß die Negierung
mit Berlin versandete. Mit solchen Ausblicken würden Kapp und Traub trotz
aller ihrer sonstigen Kurzsicht nie gespielt haben. Und wäre ein ähnlicher Ge-
danke, wenn er wirklich ernst gemeint und ausgeführt werden könnte, weniger
Hochverrat als der Döberitzer Streich? Frankreich horchte auf.

Die norddeutschen Minister und Offiziere hinwiederum, die der Pulses
plötzlich nach Stuttgart geweht hatte, nahmen dieses Winken mit der Mainlinie
viel zu ernst. Großenteils fremd in dieser Umwelt und mit den erforderlichen
Abstrichen an unserer kräftigen schwabischen Redeweise weniger vertraut,
waren sie förmlich erschreckt durch Zorn und Haß, der sie selbst, soweit sie
Preußen waren, in diesen Ministerredcn zu umtosen schien. Sie meinten nun
erst recht, schon um die Einheit des Reichs, ja ihren, eigenen derzeitigen
Standort zu retten. Kapp auch die geringste Riickzugshilfe verweigern zu müssen.
Diese Starrheit in Stuttgart wie in Berlin hat dem deutschen Gesamtvolk
schon viel gekostet und wird ihm noch mehr kosten an Zerspaltung und
Schwächung, schleichenden und offenen Krisen -- wo doch ein großmütiger
und gewinnender Sieg der Demokratie so nahe lag an Stelle eines solchen
Diktatfriedens mit zwei Besiegten.

Roste und sein Stabschef v. Gilsa machten geltend, daß, wenn auch
Verhandlungen ausgeschlossen wären, man mit Kapp doch irgendwie sprechen
müßte. Es könnte doch nicht endlos Bürgerkrieg geführt werden. Major
v- Gilsa, der ebenfalls aufs entschiedenste eigentliche Verhandlungen ablehnte,
regte die Aufstellung von Mindestforderungen an, welche von Kapp anzunehmen
wären ohne jede Gegenleistung der Regierung, welche dieser aber die Rückkehr
nach Berlin ermöglichen sollten.

Roste griff den Gedanken auf und formulierte am Dienstag im Ein¬
verständnis mit dem Reichspräsidenten, um die Lösung der Krisis zu beschleunigen
und eine Basis für das Weitere zu gewinnen, folgende Mindestforderungen:
Rücktritt Kapps und Lüttwitz'. Ersetzung des letzteren durch einen regierungs-
treuen General, etwa Seeckt. Abstoppen der Aufstellung einer Eisernen Drvchon
uno von Offizierskompagnien, sofortiger Abtransport der Marinebrigade unter
anderen Führern zwecks Entwaffnung und Entlassung.

General Märcker. der ebenfalls durch die süddeutschen Drohungen stark
erschüttert war. gab diese Forderungen an das Berliner Reichswehrministerium
weiter. Auf Veranlassung Bergers rief Gilsa telephonisch auch den Hauptmann
Pabst in der Reichskanzlei an, der ein "Unannehmbar" zurückrief. Die jungen
Offiziere der Reichskanzlei, die sich in Bismarcks Wintergarten an diesem Abend
Zur Feldküchensuppe vereinigten, unter ihnen kaum einer ohne Kriegsverletzung,


Das Rappsche Abenteuer

Neigung gegen Reichshauptstadt und Prcußentum hervor, wie an den trübsten
Tagen unserer Geschichte. Ich muß es meinen süddeutschen Landsleuten ins
Gesicht sagen, daß sie sich wenig mit Ruhm bedeckt haben. als sie in Stuttgart
voll dröhnenden Pathos die Furcht vor einer möglichen Trennung des Südens
vom Norden bei manchen Zuhörern weckten, für den Fall, daß die Negierung
mit Berlin versandete. Mit solchen Ausblicken würden Kapp und Traub trotz
aller ihrer sonstigen Kurzsicht nie gespielt haben. Und wäre ein ähnlicher Ge-
danke, wenn er wirklich ernst gemeint und ausgeführt werden könnte, weniger
Hochverrat als der Döberitzer Streich? Frankreich horchte auf.

Die norddeutschen Minister und Offiziere hinwiederum, die der Pulses
plötzlich nach Stuttgart geweht hatte, nahmen dieses Winken mit der Mainlinie
viel zu ernst. Großenteils fremd in dieser Umwelt und mit den erforderlichen
Abstrichen an unserer kräftigen schwabischen Redeweise weniger vertraut,
waren sie förmlich erschreckt durch Zorn und Haß, der sie selbst, soweit sie
Preußen waren, in diesen Ministerredcn zu umtosen schien. Sie meinten nun
erst recht, schon um die Einheit des Reichs, ja ihren, eigenen derzeitigen
Standort zu retten. Kapp auch die geringste Riickzugshilfe verweigern zu müssen.
Diese Starrheit in Stuttgart wie in Berlin hat dem deutschen Gesamtvolk
schon viel gekostet und wird ihm noch mehr kosten an Zerspaltung und
Schwächung, schleichenden und offenen Krisen — wo doch ein großmütiger
und gewinnender Sieg der Demokratie so nahe lag an Stelle eines solchen
Diktatfriedens mit zwei Besiegten.

Roste und sein Stabschef v. Gilsa machten geltend, daß, wenn auch
Verhandlungen ausgeschlossen wären, man mit Kapp doch irgendwie sprechen
müßte. Es könnte doch nicht endlos Bürgerkrieg geführt werden. Major
v- Gilsa, der ebenfalls aufs entschiedenste eigentliche Verhandlungen ablehnte,
regte die Aufstellung von Mindestforderungen an, welche von Kapp anzunehmen
wären ohne jede Gegenleistung der Regierung, welche dieser aber die Rückkehr
nach Berlin ermöglichen sollten.

Roste griff den Gedanken auf und formulierte am Dienstag im Ein¬
verständnis mit dem Reichspräsidenten, um die Lösung der Krisis zu beschleunigen
und eine Basis für das Weitere zu gewinnen, folgende Mindestforderungen:
Rücktritt Kapps und Lüttwitz'. Ersetzung des letzteren durch einen regierungs-
treuen General, etwa Seeckt. Abstoppen der Aufstellung einer Eisernen Drvchon
uno von Offizierskompagnien, sofortiger Abtransport der Marinebrigade unter
anderen Führern zwecks Entwaffnung und Entlassung.

General Märcker. der ebenfalls durch die süddeutschen Drohungen stark
erschüttert war. gab diese Forderungen an das Berliner Reichswehrministerium
weiter. Auf Veranlassung Bergers rief Gilsa telephonisch auch den Hauptmann
Pabst in der Reichskanzlei an, der ein „Unannehmbar" zurückrief. Die jungen
Offiziere der Reichskanzlei, die sich in Bismarcks Wintergarten an diesem Abend
Zur Feldküchensuppe vereinigten, unter ihnen kaum einer ohne Kriegsverletzung,


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[0355] Das Rappsche Abenteuer Neigung gegen Reichshauptstadt und Prcußentum hervor, wie an den trübsten Tagen unserer Geschichte. Ich muß es meinen süddeutschen Landsleuten ins Gesicht sagen, daß sie sich wenig mit Ruhm bedeckt haben. als sie in Stuttgart voll dröhnenden Pathos die Furcht vor einer möglichen Trennung des Südens vom Norden bei manchen Zuhörern weckten, für den Fall, daß die Negierung mit Berlin versandete. Mit solchen Ausblicken würden Kapp und Traub trotz aller ihrer sonstigen Kurzsicht nie gespielt haben. Und wäre ein ähnlicher Ge- danke, wenn er wirklich ernst gemeint und ausgeführt werden könnte, weniger Hochverrat als der Döberitzer Streich? Frankreich horchte auf. Die norddeutschen Minister und Offiziere hinwiederum, die der Pulses plötzlich nach Stuttgart geweht hatte, nahmen dieses Winken mit der Mainlinie viel zu ernst. Großenteils fremd in dieser Umwelt und mit den erforderlichen Abstrichen an unserer kräftigen schwabischen Redeweise weniger vertraut, waren sie förmlich erschreckt durch Zorn und Haß, der sie selbst, soweit sie Preußen waren, in diesen Ministerredcn zu umtosen schien. Sie meinten nun erst recht, schon um die Einheit des Reichs, ja ihren, eigenen derzeitigen Standort zu retten. Kapp auch die geringste Riickzugshilfe verweigern zu müssen. Diese Starrheit in Stuttgart wie in Berlin hat dem deutschen Gesamtvolk schon viel gekostet und wird ihm noch mehr kosten an Zerspaltung und Schwächung, schleichenden und offenen Krisen — wo doch ein großmütiger und gewinnender Sieg der Demokratie so nahe lag an Stelle eines solchen Diktatfriedens mit zwei Besiegten. Roste und sein Stabschef v. Gilsa machten geltend, daß, wenn auch Verhandlungen ausgeschlossen wären, man mit Kapp doch irgendwie sprechen müßte. Es könnte doch nicht endlos Bürgerkrieg geführt werden. Major v- Gilsa, der ebenfalls aufs entschiedenste eigentliche Verhandlungen ablehnte, regte die Aufstellung von Mindestforderungen an, welche von Kapp anzunehmen wären ohne jede Gegenleistung der Regierung, welche dieser aber die Rückkehr nach Berlin ermöglichen sollten. Roste griff den Gedanken auf und formulierte am Dienstag im Ein¬ verständnis mit dem Reichspräsidenten, um die Lösung der Krisis zu beschleunigen und eine Basis für das Weitere zu gewinnen, folgende Mindestforderungen: Rücktritt Kapps und Lüttwitz'. Ersetzung des letzteren durch einen regierungs- treuen General, etwa Seeckt. Abstoppen der Aufstellung einer Eisernen Drvchon uno von Offizierskompagnien, sofortiger Abtransport der Marinebrigade unter anderen Führern zwecks Entwaffnung und Entlassung. General Märcker. der ebenfalls durch die süddeutschen Drohungen stark erschüttert war. gab diese Forderungen an das Berliner Reichswehrministerium weiter. Auf Veranlassung Bergers rief Gilsa telephonisch auch den Hauptmann Pabst in der Reichskanzlei an, der ein „Unannehmbar" zurückrief. Die jungen Offiziere der Reichskanzlei, die sich in Bismarcks Wintergarten an diesem Abend Zur Feldküchensuppe vereinigten, unter ihnen kaum einer ohne Kriegsverletzung,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/355>, abgerufen am 22.12.2024.