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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.

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Drinnen und draußen

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Haupt nicht begründet werden, die Absperrung
der Kreise vom übrigen Deutschland, die
heimliche Öffnung sogar der Privatpost,
die Überwachung der! Einwohnerschaft durch
ein ganzes Heer von Spionen, die über die
Kreise verteilt sind und selbst vor den Inti¬
mitäten des Familienlebens nicht Halt
machen. Dies ist in großen Zügen das
Bild der heutigen Zustände in Eupsn und
Malmedv. Man könnte dies Bild noch
durch die Wiedergabe einiger Anekdoten
ausschmücken, von denen wir aber schweigen
wollen, z. B. von einem belgischen Ver¬
waltungskontrolleur, der sich in die Zivil¬
gerichtsbarkeit einmischt, wofür sie den
treffenden Ausdruck "clütoumement clef
pouvoirs" besitzen, und dem nachts das
Schreibmaschinenfräulein des preußischen
Landrath Einlaß gewähren muß, von einem
belgischen Miliicirpfarrer, der in eine" deut¬
schen Gottesdienst mit einer Musikkapelle
eindringt und aus der Kirche einen Jahr¬
markt macht, von einem belgischen Agenten,
der zwei Mädchen wegen Hamstern von
Lebensmitteln einsperrt, sie am nächsten Tage
vergewaltigt und trotz Anzeige noch heute
frei umherläuft usw.

Im ganzen ist es ja ein recht trübes
Bild, das die Kreise Eupen und Malmedy
bieten: teils durch Versprechungen materieller
Vorteile gewonnen, teils durch monatelangen
Terror eingeschüchtert, soll die Bewohner¬
schaft zur Abstimmung schreiten? glauben Sie
wirklich, Herr Senator, daß diese Abstim¬
mung etwas anderes sein kann als eine
Koniödie? Die Alliierten haben zwar durch
den Mund des Herrn Clomenceau mehr¬
mals versichert, es werde für eine völlig
freie Stimmabgabe gesorgt werden, und der
Völkerbund werde seine schützende Hand über
die Abstimmung halten. Aber welchen Wert
haben diese Versicherungen? Wenn man
die Note des Herrn Clemenccau vom 10. No¬
vember liest, mit der die wohlbegründeten
Ausführungen der deutschen Negierung be¬
antwortet worden sind, könnte man fast auf
den Gedanken kommen, all diese Versiche¬
rungen seien von vornherein in der Absicht
gemacht worden, um hinterher mit den
Kniffen eines Varietükünstlers hinweg¬
jongliert zu werden; seien wir einmal ganz

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ehrlich, Herr Senator: Glauben Sie wirk¬
lich, daß Belgien diese Kreise, die es nur
mit einer nichtswürdigen Komödie erwerbe"
könnte, wirklich "besitzen" würde und wirk¬
lich mit dem übrigen Belgien zu einem
homogenen, fest geschlossenen Ganzen ver¬
einigen könnte? Darauf kann die Antwort
nur lauten: Niemals! Ueber den Beginn
dieses Besitzes müßte man die Worte Gewalt
und Lüge schreiben, und Lügen haben nach
einem deutschen sehr wahren Sprichwort
immer noch kurze Beine. Wenn die bel¬
gischen Staatsmänner die Gewalt, die man
einer anders denkenden Bevölkerung arent,
und den Spott, der mit dem Selbst-
bestimmungsrecht hier getrieben wird, mit
ihrem Gewissen vereinbaren können, so ist
das ihre Sache. Wenn sie aber glauben,
damit etwa dem belgischen Staat einen
Dienst zu erweisen, so irren sie sich von
Grund auf. Die Bevölkerung von Eupen-
Malmedy fühlt deutsch und wird immer
deutsch bleiben, und je mehr man versuche"
Wird, sie zu bclgisieren, desto hartnäckiger
wird der Widerstand dagegen sein. Es ge"
hört wenig politische Schulung dazu, um
vorauszusagen, daß diese Kreise Belgien
viel zu schaffen machen werden, daß
hier eine Jrredenta entstehen wird,
die in die inneren belgischen Verhält¬
nisse dauernd ein Moment der U""
ruhe und Unsicherheit hineintragen wird.
Dabei wird es keinen Unterschied machen,
ob Belgien in diesen Gebieten das Regime
des Zuckerbrotes oder das der Peitsche hand¬
haben wird. Die Frage von Eupen-MalmedY
wird aber auch für Belgiens äußere Stellung
große Bedeutung gewinnen. Das deutsche
Volk wird den Raub dieser Kreise nie ver¬
gessen können, der Gedanke an eine Wieder¬
vereinigung mit den deutschen Brüdern
unter belgischer Herrschaft wird immer mehr
Fuß fassen, und Sie können sicher sein, Herr
Senator, daß sich immer Männer und
Frauen finden werden, die diesen Gedanken
Pflegen werden, ganz ohne Rücksicht auf die
Stellung, die die deutsche Negierung dazu
einnehmen wird. Der Skandal von Eupen
und Malmedy wird auch über Deutschlands
Grenzen hinaus Wirkung üben. Schon M
geißelt die schweizerische, holländische un"

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Drinnen und draußen

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Haupt nicht begründet werden, die Absperrung
der Kreise vom übrigen Deutschland, die
heimliche Öffnung sogar der Privatpost,
die Überwachung der! Einwohnerschaft durch
ein ganzes Heer von Spionen, die über die
Kreise verteilt sind und selbst vor den Inti¬
mitäten des Familienlebens nicht Halt
machen. Dies ist in großen Zügen das
Bild der heutigen Zustände in Eupsn und
Malmedv. Man könnte dies Bild noch
durch die Wiedergabe einiger Anekdoten
ausschmücken, von denen wir aber schweigen
wollen, z. B. von einem belgischen Ver¬
waltungskontrolleur, der sich in die Zivil¬
gerichtsbarkeit einmischt, wofür sie den
treffenden Ausdruck „clütoumement clef
pouvoirs" besitzen, und dem nachts das
Schreibmaschinenfräulein des preußischen
Landrath Einlaß gewähren muß, von einem
belgischen Miliicirpfarrer, der in eine» deut¬
schen Gottesdienst mit einer Musikkapelle
eindringt und aus der Kirche einen Jahr¬
markt macht, von einem belgischen Agenten,
der zwei Mädchen wegen Hamstern von
Lebensmitteln einsperrt, sie am nächsten Tage
vergewaltigt und trotz Anzeige noch heute
frei umherläuft usw.

Im ganzen ist es ja ein recht trübes
Bild, das die Kreise Eupen und Malmedy
bieten: teils durch Versprechungen materieller
Vorteile gewonnen, teils durch monatelangen
Terror eingeschüchtert, soll die Bewohner¬
schaft zur Abstimmung schreiten? glauben Sie
wirklich, Herr Senator, daß diese Abstim¬
mung etwas anderes sein kann als eine
Koniödie? Die Alliierten haben zwar durch
den Mund des Herrn Clomenceau mehr¬
mals versichert, es werde für eine völlig
freie Stimmabgabe gesorgt werden, und der
Völkerbund werde seine schützende Hand über
die Abstimmung halten. Aber welchen Wert
haben diese Versicherungen? Wenn man
die Note des Herrn Clemenccau vom 10. No¬
vember liest, mit der die wohlbegründeten
Ausführungen der deutschen Negierung be¬
antwortet worden sind, könnte man fast auf
den Gedanken kommen, all diese Versiche¬
rungen seien von vornherein in der Absicht
gemacht worden, um hinterher mit den
Kniffen eines Varietükünstlers hinweg¬
jongliert zu werden; seien wir einmal ganz

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ehrlich, Herr Senator: Glauben Sie wirk¬
lich, daß Belgien diese Kreise, die es nur
mit einer nichtswürdigen Komödie erwerbe»
könnte, wirklich „besitzen" würde und wirk¬
lich mit dem übrigen Belgien zu einem
homogenen, fest geschlossenen Ganzen ver¬
einigen könnte? Darauf kann die Antwort
nur lauten: Niemals! Ueber den Beginn
dieses Besitzes müßte man die Worte Gewalt
und Lüge schreiben, und Lügen haben nach
einem deutschen sehr wahren Sprichwort
immer noch kurze Beine. Wenn die bel¬
gischen Staatsmänner die Gewalt, die man
einer anders denkenden Bevölkerung arent,
und den Spott, der mit dem Selbst-
bestimmungsrecht hier getrieben wird, mit
ihrem Gewissen vereinbaren können, so ist
das ihre Sache. Wenn sie aber glauben,
damit etwa dem belgischen Staat einen
Dienst zu erweisen, so irren sie sich von
Grund auf. Die Bevölkerung von Eupen-
Malmedy fühlt deutsch und wird immer
deutsch bleiben, und je mehr man versuche»
Wird, sie zu bclgisieren, desto hartnäckiger
wird der Widerstand dagegen sein. Es ge"
hört wenig politische Schulung dazu, um
vorauszusagen, daß diese Kreise Belgien
viel zu schaffen machen werden, daß
hier eine Jrredenta entstehen wird,
die in die inneren belgischen Verhält¬
nisse dauernd ein Moment der U»"
ruhe und Unsicherheit hineintragen wird.
Dabei wird es keinen Unterschied machen,
ob Belgien in diesen Gebieten das Regime
des Zuckerbrotes oder das der Peitsche hand¬
haben wird. Die Frage von Eupen-MalmedY
wird aber auch für Belgiens äußere Stellung
große Bedeutung gewinnen. Das deutsche
Volk wird den Raub dieser Kreise nie ver¬
gessen können, der Gedanke an eine Wieder¬
vereinigung mit den deutschen Brüdern
unter belgischer Herrschaft wird immer mehr
Fuß fassen, und Sie können sicher sein, Herr
Senator, daß sich immer Männer und
Frauen finden werden, die diesen Gedanken
Pflegen werden, ganz ohne Rücksicht auf die
Stellung, die die deutsche Negierung dazu
einnehmen wird. Der Skandal von Eupen
und Malmedy wird auch über Deutschlands
Grenzen hinaus Wirkung üben. Schon M
geißelt die schweizerische, holländische un»

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[0322] Drinnen und draußen Haupt nicht begründet werden, die Absperrung der Kreise vom übrigen Deutschland, die heimliche Öffnung sogar der Privatpost, die Überwachung der! Einwohnerschaft durch ein ganzes Heer von Spionen, die über die Kreise verteilt sind und selbst vor den Inti¬ mitäten des Familienlebens nicht Halt machen. Dies ist in großen Zügen das Bild der heutigen Zustände in Eupsn und Malmedv. Man könnte dies Bild noch durch die Wiedergabe einiger Anekdoten ausschmücken, von denen wir aber schweigen wollen, z. B. von einem belgischen Ver¬ waltungskontrolleur, der sich in die Zivil¬ gerichtsbarkeit einmischt, wofür sie den treffenden Ausdruck „clütoumement clef pouvoirs" besitzen, und dem nachts das Schreibmaschinenfräulein des preußischen Landrath Einlaß gewähren muß, von einem belgischen Miliicirpfarrer, der in eine» deut¬ schen Gottesdienst mit einer Musikkapelle eindringt und aus der Kirche einen Jahr¬ markt macht, von einem belgischen Agenten, der zwei Mädchen wegen Hamstern von Lebensmitteln einsperrt, sie am nächsten Tage vergewaltigt und trotz Anzeige noch heute frei umherläuft usw. Im ganzen ist es ja ein recht trübes Bild, das die Kreise Eupen und Malmedy bieten: teils durch Versprechungen materieller Vorteile gewonnen, teils durch monatelangen Terror eingeschüchtert, soll die Bewohner¬ schaft zur Abstimmung schreiten? glauben Sie wirklich, Herr Senator, daß diese Abstim¬ mung etwas anderes sein kann als eine Koniödie? Die Alliierten haben zwar durch den Mund des Herrn Clomenceau mehr¬ mals versichert, es werde für eine völlig freie Stimmabgabe gesorgt werden, und der Völkerbund werde seine schützende Hand über die Abstimmung halten. Aber welchen Wert haben diese Versicherungen? Wenn man die Note des Herrn Clemenccau vom 10. No¬ vember liest, mit der die wohlbegründeten Ausführungen der deutschen Negierung be¬ antwortet worden sind, könnte man fast auf den Gedanken kommen, all diese Versiche¬ rungen seien von vornherein in der Absicht gemacht worden, um hinterher mit den Kniffen eines Varietükünstlers hinweg¬ jongliert zu werden; seien wir einmal ganz ehrlich, Herr Senator: Glauben Sie wirk¬ lich, daß Belgien diese Kreise, die es nur mit einer nichtswürdigen Komödie erwerbe» könnte, wirklich „besitzen" würde und wirk¬ lich mit dem übrigen Belgien zu einem homogenen, fest geschlossenen Ganzen ver¬ einigen könnte? Darauf kann die Antwort nur lauten: Niemals! Ueber den Beginn dieses Besitzes müßte man die Worte Gewalt und Lüge schreiben, und Lügen haben nach einem deutschen sehr wahren Sprichwort immer noch kurze Beine. Wenn die bel¬ gischen Staatsmänner die Gewalt, die man einer anders denkenden Bevölkerung arent, und den Spott, der mit dem Selbst- bestimmungsrecht hier getrieben wird, mit ihrem Gewissen vereinbaren können, so ist das ihre Sache. Wenn sie aber glauben, damit etwa dem belgischen Staat einen Dienst zu erweisen, so irren sie sich von Grund auf. Die Bevölkerung von Eupen- Malmedy fühlt deutsch und wird immer deutsch bleiben, und je mehr man versuche» Wird, sie zu bclgisieren, desto hartnäckiger wird der Widerstand dagegen sein. Es ge" hört wenig politische Schulung dazu, um vorauszusagen, daß diese Kreise Belgien viel zu schaffen machen werden, daß hier eine Jrredenta entstehen wird, die in die inneren belgischen Verhält¬ nisse dauernd ein Moment der U»" ruhe und Unsicherheit hineintragen wird. Dabei wird es keinen Unterschied machen, ob Belgien in diesen Gebieten das Regime des Zuckerbrotes oder das der Peitsche hand¬ haben wird. Die Frage von Eupen-MalmedY wird aber auch für Belgiens äußere Stellung große Bedeutung gewinnen. Das deutsche Volk wird den Raub dieser Kreise nie ver¬ gessen können, der Gedanke an eine Wieder¬ vereinigung mit den deutschen Brüdern unter belgischer Herrschaft wird immer mehr Fuß fassen, und Sie können sicher sein, Herr Senator, daß sich immer Männer und Frauen finden werden, die diesen Gedanken Pflegen werden, ganz ohne Rücksicht auf die Stellung, die die deutsche Negierung dazu einnehmen wird. Der Skandal von Eupen und Malmedy wird auch über Deutschlands Grenzen hinaus Wirkung üben. Schon M geißelt die schweizerische, holländische un»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/322>, abgerufen am 28.07.2024.