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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.

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Drinnen und draußen

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And Wasser herzustellen. Glauben Sie uns,
Herr Senator, es würde keine so große
Empörung verursachen, wenn die Kreise
Eupen und Malmedy ohne weiteres Belgien
zugesprochen worden waren, wie zum Bei¬
spiel die Gegend von Hultschin, die ohne
Abstimmung tschechisch wird, obwohl dort
93 Prozent der Bewohner deutsch gesinnt
find. Gewiß, eine solche Bestimmung würde
sehr merklich nach "Gewalt" riechen, aber in
diesem Musterbeispiel eines Gewaltfriedens,
wie es der Vertrag von Versailles darstellt,
würde sie sich keineswegs als Fremdkörper
ausnehmen, und vor allem wäre sie wenig¬
stens ehrlich. So aber, wie jetzt der
Artikel 3t dasteht, ist die "Gewalt" nicht
um nicht beseitigt, sondern noch ver¬
schlimmert, weil sie mit Unaufrichtigkeit ge¬
paart geht, und in diesem Gewände muß
die Gewalt bei jedem rechtlich denkenden
Menschen doppelte Empörung hervorrufen.

Wir wollen indes diese Erörterungen nicht
weiter ausspinnen, sondern uns der Ge¬
staltung der tatsächlichen Verhältnisse in
unserer Heimat zuwenden. Viele Monate
hat sich das Land unter belgischer Kontrolle
und belgischer Besetzung befunden. Die
Belgier müssen des Ergebnisses der vor¬
gesehenen Abstimmung doch nicht sicher sein,
denn sonst hätten sie nicht mit so zähem
Eiser die Besetzungszeit ausgenutzt, um für
^re Zi^e ^ arbeiten. Sie haben alle zu
Gebote stehenden Mittel angewandt:
Lockungen, Versprechungen, Irreführungen,
Drohungen und Gewalt. Es läßt sich nicht
leugnen, daß gewisse Gemüter durch die an-
Ziehenden Versprechungen gewonnen worden
sind. -- Auch ist ja begreiflich, daß bei den
schlimmen Ernährungsverhältnissen Deutsch¬
lands mancher der Stimme seines Magens
folgt, daß bei den gewaltigen Steuerkasten,
die das deutsche Volk auf Grund des Friedens¬
vertrages zu jagen haben wird, mancher
fich seine politischen Direktiven von den
Interessen seines Geldbeutels diktieren läßt,
Zumal wenn ihm der Umtausch seines jetzt
entwerteten deutschen Geldes in belgische
Währung zum Friedenskurse zugesagt wird.
Die Zahl dieser Elemente ist indes nicht
beträchtlich und über ihren moralischen Wert
wird wohl auch bei den Belgiern kein

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Zweifel herrschen. Viel weniger erfolgreich
war die mit Eifer und mit großem Geld¬
aufwand betriebene belgische Aufklärungs¬
propaganda. Eine wahre Hochflut von Flug¬
blättern, Broschüren und selbst dicken kost¬
spieligen Büchern hat die Bevölkerung über
sich ergehen lassen müssen. Aber zumeist
war der rein Propagandistische Zweck dieser
Schriften so deutlich erkennbar, daß selbst
der einfachste Mann stutzig werden mußte.
Dies gilt namentlich von all den Schriften
über deutsche Kriegsgreuel, die fast auf jeder
Seite deutlich den Stempel der Erfindung
tragen. Außerdem war es ein Psycho¬
logischer Irrtum, wenn man von solchen
Greuelgeschichten Erfolg erwartete. Die Be¬
wohner der beiden Kreise haben in der
langen Zeit der Besetzung Vonseiten des
belgischen Militärs zu viel erdulden müssen.
Viel ernster zu nehmen ist die Art und
Weise, wie die Bewohner terrorisiert und
eingeschüchtert worden sind. -- Halten Sie,
Herr Senator, es beispielsweise für vertret¬
bar, wenn belgische Funktionäre wiederholt
erklären, sie würden jeden, der zur Abstim¬
mung komme, einsperren, oder, wenn Auf¬
enthaltsscheine nur an Personen ausgegeben
werden, die sich schriftlich verpflichten, nicht
gegen Belgien zu stimmen? Und was sagen
Sie vor allem dazu, daß belgische Beamte
und Offiziere die Bewohner belehren, wer
seine Stimme für Deutschland abgebe, der
optiere damit gleichzeitig für Deutschland
und müsse daher nach dem Friedensvertrag
auswandern. Der Unterschied zwischen
Option und Abstimmung ist ja selbst vn-im
Gebildeten nicht ohne weiteres verständlich,
und vom einfachen Manne kann eine solche
juristische Unterscheidung überhaupt nicht er¬
wartet werden. Welche Wirkung muß aber
auf die Bewohner, von denen gerade in
diesen beiden Kreisen ein großer Teil auf
eigenem Grund und Boden sitzt, der Gedanke
ausüben, daß sie Haus und Hof verlassen
müssen, wenn sie sich an der Abstimmung
beteiligen. Häufig haben sich auch die bel¬
gischen Beamten nicht einmal des Tricks mit
der Option bedient, sondern schlechthin jeden
mit Ausweisung bedroht, der für Deutsch¬
land zu stimmen wage. Zu alledem kommen
die zahlreichen Ausweisungen, die oft über-

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Drinnen und draußen

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And Wasser herzustellen. Glauben Sie uns,
Herr Senator, es würde keine so große
Empörung verursachen, wenn die Kreise
Eupen und Malmedy ohne weiteres Belgien
zugesprochen worden waren, wie zum Bei¬
spiel die Gegend von Hultschin, die ohne
Abstimmung tschechisch wird, obwohl dort
93 Prozent der Bewohner deutsch gesinnt
find. Gewiß, eine solche Bestimmung würde
sehr merklich nach „Gewalt" riechen, aber in
diesem Musterbeispiel eines Gewaltfriedens,
wie es der Vertrag von Versailles darstellt,
würde sie sich keineswegs als Fremdkörper
ausnehmen, und vor allem wäre sie wenig¬
stens ehrlich. So aber, wie jetzt der
Artikel 3t dasteht, ist die „Gewalt" nicht
um nicht beseitigt, sondern noch ver¬
schlimmert, weil sie mit Unaufrichtigkeit ge¬
paart geht, und in diesem Gewände muß
die Gewalt bei jedem rechtlich denkenden
Menschen doppelte Empörung hervorrufen.

Wir wollen indes diese Erörterungen nicht
weiter ausspinnen, sondern uns der Ge¬
staltung der tatsächlichen Verhältnisse in
unserer Heimat zuwenden. Viele Monate
hat sich das Land unter belgischer Kontrolle
und belgischer Besetzung befunden. Die
Belgier müssen des Ergebnisses der vor¬
gesehenen Abstimmung doch nicht sicher sein,
denn sonst hätten sie nicht mit so zähem
Eiser die Besetzungszeit ausgenutzt, um für
^re Zi^e ^ arbeiten. Sie haben alle zu
Gebote stehenden Mittel angewandt:
Lockungen, Versprechungen, Irreführungen,
Drohungen und Gewalt. Es läßt sich nicht
leugnen, daß gewisse Gemüter durch die an-
Ziehenden Versprechungen gewonnen worden
sind. — Auch ist ja begreiflich, daß bei den
schlimmen Ernährungsverhältnissen Deutsch¬
lands mancher der Stimme seines Magens
folgt, daß bei den gewaltigen Steuerkasten,
die das deutsche Volk auf Grund des Friedens¬
vertrages zu jagen haben wird, mancher
fich seine politischen Direktiven von den
Interessen seines Geldbeutels diktieren läßt,
Zumal wenn ihm der Umtausch seines jetzt
entwerteten deutschen Geldes in belgische
Währung zum Friedenskurse zugesagt wird.
Die Zahl dieser Elemente ist indes nicht
beträchtlich und über ihren moralischen Wert
wird wohl auch bei den Belgiern kein

[Spaltenumbruch]

Zweifel herrschen. Viel weniger erfolgreich
war die mit Eifer und mit großem Geld¬
aufwand betriebene belgische Aufklärungs¬
propaganda. Eine wahre Hochflut von Flug¬
blättern, Broschüren und selbst dicken kost¬
spieligen Büchern hat die Bevölkerung über
sich ergehen lassen müssen. Aber zumeist
war der rein Propagandistische Zweck dieser
Schriften so deutlich erkennbar, daß selbst
der einfachste Mann stutzig werden mußte.
Dies gilt namentlich von all den Schriften
über deutsche Kriegsgreuel, die fast auf jeder
Seite deutlich den Stempel der Erfindung
tragen. Außerdem war es ein Psycho¬
logischer Irrtum, wenn man von solchen
Greuelgeschichten Erfolg erwartete. Die Be¬
wohner der beiden Kreise haben in der
langen Zeit der Besetzung Vonseiten des
belgischen Militärs zu viel erdulden müssen.
Viel ernster zu nehmen ist die Art und
Weise, wie die Bewohner terrorisiert und
eingeschüchtert worden sind. — Halten Sie,
Herr Senator, es beispielsweise für vertret¬
bar, wenn belgische Funktionäre wiederholt
erklären, sie würden jeden, der zur Abstim¬
mung komme, einsperren, oder, wenn Auf¬
enthaltsscheine nur an Personen ausgegeben
werden, die sich schriftlich verpflichten, nicht
gegen Belgien zu stimmen? Und was sagen
Sie vor allem dazu, daß belgische Beamte
und Offiziere die Bewohner belehren, wer
seine Stimme für Deutschland abgebe, der
optiere damit gleichzeitig für Deutschland
und müsse daher nach dem Friedensvertrag
auswandern. Der Unterschied zwischen
Option und Abstimmung ist ja selbst vn-im
Gebildeten nicht ohne weiteres verständlich,
und vom einfachen Manne kann eine solche
juristische Unterscheidung überhaupt nicht er¬
wartet werden. Welche Wirkung muß aber
auf die Bewohner, von denen gerade in
diesen beiden Kreisen ein großer Teil auf
eigenem Grund und Boden sitzt, der Gedanke
ausüben, daß sie Haus und Hof verlassen
müssen, wenn sie sich an der Abstimmung
beteiligen. Häufig haben sich auch die bel¬
gischen Beamten nicht einmal des Tricks mit
der Option bedient, sondern schlechthin jeden
mit Ausweisung bedroht, der für Deutsch¬
land zu stimmen wage. Zu alledem kommen
die zahlreichen Ausweisungen, die oft über-

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[0321] Drinnen und draußen And Wasser herzustellen. Glauben Sie uns, Herr Senator, es würde keine so große Empörung verursachen, wenn die Kreise Eupen und Malmedy ohne weiteres Belgien zugesprochen worden waren, wie zum Bei¬ spiel die Gegend von Hultschin, die ohne Abstimmung tschechisch wird, obwohl dort 93 Prozent der Bewohner deutsch gesinnt find. Gewiß, eine solche Bestimmung würde sehr merklich nach „Gewalt" riechen, aber in diesem Musterbeispiel eines Gewaltfriedens, wie es der Vertrag von Versailles darstellt, würde sie sich keineswegs als Fremdkörper ausnehmen, und vor allem wäre sie wenig¬ stens ehrlich. So aber, wie jetzt der Artikel 3t dasteht, ist die „Gewalt" nicht um nicht beseitigt, sondern noch ver¬ schlimmert, weil sie mit Unaufrichtigkeit ge¬ paart geht, und in diesem Gewände muß die Gewalt bei jedem rechtlich denkenden Menschen doppelte Empörung hervorrufen. Wir wollen indes diese Erörterungen nicht weiter ausspinnen, sondern uns der Ge¬ staltung der tatsächlichen Verhältnisse in unserer Heimat zuwenden. Viele Monate hat sich das Land unter belgischer Kontrolle und belgischer Besetzung befunden. Die Belgier müssen des Ergebnisses der vor¬ gesehenen Abstimmung doch nicht sicher sein, denn sonst hätten sie nicht mit so zähem Eiser die Besetzungszeit ausgenutzt, um für ^re Zi^e ^ arbeiten. Sie haben alle zu Gebote stehenden Mittel angewandt: Lockungen, Versprechungen, Irreführungen, Drohungen und Gewalt. Es läßt sich nicht leugnen, daß gewisse Gemüter durch die an- Ziehenden Versprechungen gewonnen worden sind. — Auch ist ja begreiflich, daß bei den schlimmen Ernährungsverhältnissen Deutsch¬ lands mancher der Stimme seines Magens folgt, daß bei den gewaltigen Steuerkasten, die das deutsche Volk auf Grund des Friedens¬ vertrages zu jagen haben wird, mancher fich seine politischen Direktiven von den Interessen seines Geldbeutels diktieren läßt, Zumal wenn ihm der Umtausch seines jetzt entwerteten deutschen Geldes in belgische Währung zum Friedenskurse zugesagt wird. Die Zahl dieser Elemente ist indes nicht beträchtlich und über ihren moralischen Wert wird wohl auch bei den Belgiern kein Zweifel herrschen. Viel weniger erfolgreich war die mit Eifer und mit großem Geld¬ aufwand betriebene belgische Aufklärungs¬ propaganda. Eine wahre Hochflut von Flug¬ blättern, Broschüren und selbst dicken kost¬ spieligen Büchern hat die Bevölkerung über sich ergehen lassen müssen. Aber zumeist war der rein Propagandistische Zweck dieser Schriften so deutlich erkennbar, daß selbst der einfachste Mann stutzig werden mußte. Dies gilt namentlich von all den Schriften über deutsche Kriegsgreuel, die fast auf jeder Seite deutlich den Stempel der Erfindung tragen. Außerdem war es ein Psycho¬ logischer Irrtum, wenn man von solchen Greuelgeschichten Erfolg erwartete. Die Be¬ wohner der beiden Kreise haben in der langen Zeit der Besetzung Vonseiten des belgischen Militärs zu viel erdulden müssen. Viel ernster zu nehmen ist die Art und Weise, wie die Bewohner terrorisiert und eingeschüchtert worden sind. — Halten Sie, Herr Senator, es beispielsweise für vertret¬ bar, wenn belgische Funktionäre wiederholt erklären, sie würden jeden, der zur Abstim¬ mung komme, einsperren, oder, wenn Auf¬ enthaltsscheine nur an Personen ausgegeben werden, die sich schriftlich verpflichten, nicht gegen Belgien zu stimmen? Und was sagen Sie vor allem dazu, daß belgische Beamte und Offiziere die Bewohner belehren, wer seine Stimme für Deutschland abgebe, der optiere damit gleichzeitig für Deutschland und müsse daher nach dem Friedensvertrag auswandern. Der Unterschied zwischen Option und Abstimmung ist ja selbst vn-im Gebildeten nicht ohne weiteres verständlich, und vom einfachen Manne kann eine solche juristische Unterscheidung überhaupt nicht er¬ wartet werden. Welche Wirkung muß aber auf die Bewohner, von denen gerade in diesen beiden Kreisen ein großer Teil auf eigenem Grund und Boden sitzt, der Gedanke ausüben, daß sie Haus und Hof verlassen müssen, wenn sie sich an der Abstimmung beteiligen. Häufig haben sich auch die bel¬ gischen Beamten nicht einmal des Tricks mit der Option bedient, sondern schlechthin jeden mit Ausweisung bedroht, der für Deutsch¬ land zu stimmen wage. Zu alledem kommen die zahlreichen Ausweisungen, die oft über-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/321>, abgerufen am 27.07.2024.