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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.

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Drinnen und draußen

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Werden, denn die Bestimmungen dieses Ar¬
tikels sind so außerordentlich kurz, daß sie
in jedem Punkte der Ergänzung bedürfen.
Eine Nichtzulassung der aus den beiden
Kreisen stammenden würde bedeuten, daß
zahlreiche Personen, die mit den Gebieten
eng verwachsen sind, von der Mitbestimmung
über das Geschick ihrer Heimat ausgeschlossen
werden. Wir können nicht annehmen, daß
die Königlich Belgische Regierung die Besitz¬
ergreifung der beiden Kreise mit einer so
großen Ungerechtigkeit einleiten w.ni.

Aus diesen Erwägungen heraus bitten
wir Sie, Herr Senator, uns baldigst mitzu¬
teilen, ob und unter welchen näheren Vor¬
aussetzungen die aus den Kreisen Eupen
und Mcilmedy stammenden Personen an der
Volksabstimmung teilnehmen werden.

Wir benutzen die Gelegenheit, um Ihnen,
Herr Senator, noch folgendes auseinander¬
zusetzen:

Die wenigen, zum Teil recht unklaren
Worte, mit denen im Artikel 34 das für
unsere Heimat für gut befundene Ab-
stimmuugSverfahren angedeutet ist, fordern
zur Kritik heraus. Man vergegenwärtige
sich einmal die einfachen, jedermann be¬
kannten Tatsachen:

Der Kr:is Eupen hatte nach der letzten Zäh¬
lung 26 000 Einwohner, darunter 93 Wallonen,
der Kreis Malmeoy 37000 mit etwas mehr
als 9000 Wallonen. Fast sechs Siebentel der
Gesamtbevölkerung ist also rein deutsch. Be¬
strebungen auf Anschluß an Belgien, zu dem
das Gebiet in der Geschichte nie gehört hat,
haben nie bestanden, vor allem nicht unter
der wallonischen Minderheit. Einen Sprachen¬
oder Nationaliiätenkampf, eine Jrredenta
wie in anderen Grenzgebieten Europas,
kannte man in den Kreisen Eupen und
Malmedy niemals. Wenn sich nach dem
Waffenstillstand vereinzelte Stimmen für den
Anschluß an Belgien erhoben haben, so
gehen sie von Personen aus, die ihre natio¬
nalen Gefühle ihren egoistischen Interessen
unterordnen und zumeist erst von der ge¬
schickten belgischen Werbearbeit gewonnen
worden find. Wirtschaftlich find die Kreise
völlig nach Deutschland gerichtet, in kultureller
und sozialer Beziehung bestehen zwischen
ihnen und Belgien die größten Gegensätze.

[Spaltenumbruch]

Wozu also eine Abstimmung? Eine wirk¬
liche, in voller Freiheit vorgenommene Ab¬
stimmung würde -- das unterliegt nicht
dem geringsten Zweifel -- fast Einstimmig¬
keit für das Verbleiben bei Deutschland er¬
geben.

Die Freiheit der Abstimmung ist aber bei
der nach Artikel 3t vorgesehenen Form, die
so grundverschieden ist von der für alle
anderen Abstimmungsgebiete gewählten
Form, geradezu aufgehoben.

Was uns in Artikel 34 vorgesetzt wird
ist wirklich keine Abstimmung, Herr Sena¬
tor, sondern das gerade Gegenteil davo
Wir wollen ganz davon absehen, daß An¬
gehörige eines besiegten zu unerträglichen
Lasten verurteilten Volkes überhaupt nicht
in Freiheit an einer Volksabstimmung teil¬
nehmen können, und daß daher alle im
Friedensvertrag erzwungenen Volksbefragun¬
gen einen sehr zweifelhaften Wert haben.
Im Hinblick auf das besondere Abstimmungs-
verfahren für Eupen-Malmedy möchten wir
uns nur die Frage erlauben, ob irgend
jemand glaubt, daß eine nach dem Übergang
der Souveränität unter der Gewalt des
neuen Herrn vorgenommene Befragung der
Bevölkerung darüber, ob sie mit dem neuen
belgischen Herrn unzufrieden sei und lieber
den alten preußisch-deutschen wieder haben
wolle, jemals ein klares Bild von der wirk¬
lichen Siimmung der Bevölkerung ergeben
kann? Der Übergang der Souveränität vor
der Abstimmung ist eine Sabotierung des
Selbstbestimmungsrechts. Glauben Sie nicht,
Herr Senator, daß dies harte Urteil über
das Ziel hinausschießt, denn sogar aus
belgischen Munde wird es bestätigt, wie ein
Artikel des belgischen Deputierten Louis
de Broulöre beweist, den wir uns beizu¬
fügen beehren.

Wir möchten den Ausführungen dieses
Artikels nur noch eines hinzufügen:¬

Die Herren Verfasser des Friedensver
trages haben in Artikel 34 scheinbar "er¬
sucht, ihre auf gewaltsame Annexion ge¬
richteten Absichten in den Formen deS
Selbstbestimmungsrechtes der Völker oder
besser gesagt, dem Schein desselben, zu ver¬
wirklichen. Es ist ungefähr dasselbe w"
der Versuch, eine Verbindung zwischen F-ner

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Drinnen und draußen

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Werden, denn die Bestimmungen dieses Ar¬
tikels sind so außerordentlich kurz, daß sie
in jedem Punkte der Ergänzung bedürfen.
Eine Nichtzulassung der aus den beiden
Kreisen stammenden würde bedeuten, daß
zahlreiche Personen, die mit den Gebieten
eng verwachsen sind, von der Mitbestimmung
über das Geschick ihrer Heimat ausgeschlossen
werden. Wir können nicht annehmen, daß
die Königlich Belgische Regierung die Besitz¬
ergreifung der beiden Kreise mit einer so
großen Ungerechtigkeit einleiten w.ni.

Aus diesen Erwägungen heraus bitten
wir Sie, Herr Senator, uns baldigst mitzu¬
teilen, ob und unter welchen näheren Vor¬
aussetzungen die aus den Kreisen Eupen
und Mcilmedy stammenden Personen an der
Volksabstimmung teilnehmen werden.

Wir benutzen die Gelegenheit, um Ihnen,
Herr Senator, noch folgendes auseinander¬
zusetzen:

Die wenigen, zum Teil recht unklaren
Worte, mit denen im Artikel 34 das für
unsere Heimat für gut befundene Ab-
stimmuugSverfahren angedeutet ist, fordern
zur Kritik heraus. Man vergegenwärtige
sich einmal die einfachen, jedermann be¬
kannten Tatsachen:

Der Kr:is Eupen hatte nach der letzten Zäh¬
lung 26 000 Einwohner, darunter 93 Wallonen,
der Kreis Malmeoy 37000 mit etwas mehr
als 9000 Wallonen. Fast sechs Siebentel der
Gesamtbevölkerung ist also rein deutsch. Be¬
strebungen auf Anschluß an Belgien, zu dem
das Gebiet in der Geschichte nie gehört hat,
haben nie bestanden, vor allem nicht unter
der wallonischen Minderheit. Einen Sprachen¬
oder Nationaliiätenkampf, eine Jrredenta
wie in anderen Grenzgebieten Europas,
kannte man in den Kreisen Eupen und
Malmedy niemals. Wenn sich nach dem
Waffenstillstand vereinzelte Stimmen für den
Anschluß an Belgien erhoben haben, so
gehen sie von Personen aus, die ihre natio¬
nalen Gefühle ihren egoistischen Interessen
unterordnen und zumeist erst von der ge¬
schickten belgischen Werbearbeit gewonnen
worden find. Wirtschaftlich find die Kreise
völlig nach Deutschland gerichtet, in kultureller
und sozialer Beziehung bestehen zwischen
ihnen und Belgien die größten Gegensätze.

[Spaltenumbruch]

Wozu also eine Abstimmung? Eine wirk¬
liche, in voller Freiheit vorgenommene Ab¬
stimmung würde — das unterliegt nicht
dem geringsten Zweifel — fast Einstimmig¬
keit für das Verbleiben bei Deutschland er¬
geben.

Die Freiheit der Abstimmung ist aber bei
der nach Artikel 3t vorgesehenen Form, die
so grundverschieden ist von der für alle
anderen Abstimmungsgebiete gewählten
Form, geradezu aufgehoben.

Was uns in Artikel 34 vorgesetzt wird
ist wirklich keine Abstimmung, Herr Sena¬
tor, sondern das gerade Gegenteil davo
Wir wollen ganz davon absehen, daß An¬
gehörige eines besiegten zu unerträglichen
Lasten verurteilten Volkes überhaupt nicht
in Freiheit an einer Volksabstimmung teil¬
nehmen können, und daß daher alle im
Friedensvertrag erzwungenen Volksbefragun¬
gen einen sehr zweifelhaften Wert haben.
Im Hinblick auf das besondere Abstimmungs-
verfahren für Eupen-Malmedy möchten wir
uns nur die Frage erlauben, ob irgend
jemand glaubt, daß eine nach dem Übergang
der Souveränität unter der Gewalt des
neuen Herrn vorgenommene Befragung der
Bevölkerung darüber, ob sie mit dem neuen
belgischen Herrn unzufrieden sei und lieber
den alten preußisch-deutschen wieder haben
wolle, jemals ein klares Bild von der wirk¬
lichen Siimmung der Bevölkerung ergeben
kann? Der Übergang der Souveränität vor
der Abstimmung ist eine Sabotierung des
Selbstbestimmungsrechts. Glauben Sie nicht,
Herr Senator, daß dies harte Urteil über
das Ziel hinausschießt, denn sogar aus
belgischen Munde wird es bestätigt, wie ein
Artikel des belgischen Deputierten Louis
de Broulöre beweist, den wir uns beizu¬
fügen beehren.

Wir möchten den Ausführungen dieses
Artikels nur noch eines hinzufügen:¬

Die Herren Verfasser des Friedensver
trages haben in Artikel 34 scheinbar »er¬
sucht, ihre auf gewaltsame Annexion ge¬
richteten Absichten in den Formen deS
Selbstbestimmungsrechtes der Völker oder
besser gesagt, dem Schein desselben, zu ver¬
wirklichen. Es ist ungefähr dasselbe w"
der Versuch, eine Verbindung zwischen F-ner

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[0320] Drinnen und draußen Werden, denn die Bestimmungen dieses Ar¬ tikels sind so außerordentlich kurz, daß sie in jedem Punkte der Ergänzung bedürfen. Eine Nichtzulassung der aus den beiden Kreisen stammenden würde bedeuten, daß zahlreiche Personen, die mit den Gebieten eng verwachsen sind, von der Mitbestimmung über das Geschick ihrer Heimat ausgeschlossen werden. Wir können nicht annehmen, daß die Königlich Belgische Regierung die Besitz¬ ergreifung der beiden Kreise mit einer so großen Ungerechtigkeit einleiten w.ni. Aus diesen Erwägungen heraus bitten wir Sie, Herr Senator, uns baldigst mitzu¬ teilen, ob und unter welchen näheren Vor¬ aussetzungen die aus den Kreisen Eupen und Mcilmedy stammenden Personen an der Volksabstimmung teilnehmen werden. Wir benutzen die Gelegenheit, um Ihnen, Herr Senator, noch folgendes auseinander¬ zusetzen: Die wenigen, zum Teil recht unklaren Worte, mit denen im Artikel 34 das für unsere Heimat für gut befundene Ab- stimmuugSverfahren angedeutet ist, fordern zur Kritik heraus. Man vergegenwärtige sich einmal die einfachen, jedermann be¬ kannten Tatsachen: Der Kr:is Eupen hatte nach der letzten Zäh¬ lung 26 000 Einwohner, darunter 93 Wallonen, der Kreis Malmeoy 37000 mit etwas mehr als 9000 Wallonen. Fast sechs Siebentel der Gesamtbevölkerung ist also rein deutsch. Be¬ strebungen auf Anschluß an Belgien, zu dem das Gebiet in der Geschichte nie gehört hat, haben nie bestanden, vor allem nicht unter der wallonischen Minderheit. Einen Sprachen¬ oder Nationaliiätenkampf, eine Jrredenta wie in anderen Grenzgebieten Europas, kannte man in den Kreisen Eupen und Malmedy niemals. Wenn sich nach dem Waffenstillstand vereinzelte Stimmen für den Anschluß an Belgien erhoben haben, so gehen sie von Personen aus, die ihre natio¬ nalen Gefühle ihren egoistischen Interessen unterordnen und zumeist erst von der ge¬ schickten belgischen Werbearbeit gewonnen worden find. Wirtschaftlich find die Kreise völlig nach Deutschland gerichtet, in kultureller und sozialer Beziehung bestehen zwischen ihnen und Belgien die größten Gegensätze. Wozu also eine Abstimmung? Eine wirk¬ liche, in voller Freiheit vorgenommene Ab¬ stimmung würde — das unterliegt nicht dem geringsten Zweifel — fast Einstimmig¬ keit für das Verbleiben bei Deutschland er¬ geben. Die Freiheit der Abstimmung ist aber bei der nach Artikel 3t vorgesehenen Form, die so grundverschieden ist von der für alle anderen Abstimmungsgebiete gewählten Form, geradezu aufgehoben. Was uns in Artikel 34 vorgesetzt wird ist wirklich keine Abstimmung, Herr Sena¬ tor, sondern das gerade Gegenteil davo Wir wollen ganz davon absehen, daß An¬ gehörige eines besiegten zu unerträglichen Lasten verurteilten Volkes überhaupt nicht in Freiheit an einer Volksabstimmung teil¬ nehmen können, und daß daher alle im Friedensvertrag erzwungenen Volksbefragun¬ gen einen sehr zweifelhaften Wert haben. Im Hinblick auf das besondere Abstimmungs- verfahren für Eupen-Malmedy möchten wir uns nur die Frage erlauben, ob irgend jemand glaubt, daß eine nach dem Übergang der Souveränität unter der Gewalt des neuen Herrn vorgenommene Befragung der Bevölkerung darüber, ob sie mit dem neuen belgischen Herrn unzufrieden sei und lieber den alten preußisch-deutschen wieder haben wolle, jemals ein klares Bild von der wirk¬ lichen Siimmung der Bevölkerung ergeben kann? Der Übergang der Souveränität vor der Abstimmung ist eine Sabotierung des Selbstbestimmungsrechts. Glauben Sie nicht, Herr Senator, daß dies harte Urteil über das Ziel hinausschießt, denn sogar aus belgischen Munde wird es bestätigt, wie ein Artikel des belgischen Deputierten Louis de Broulöre beweist, den wir uns beizu¬ fügen beehren. Wir möchten den Ausführungen dieses Artikels nur noch eines hinzufügen:¬ Die Herren Verfasser des Friedensver trages haben in Artikel 34 scheinbar »er¬ sucht, ihre auf gewaltsame Annexion ge¬ richteten Absichten in den Formen deS Selbstbestimmungsrechtes der Völker oder besser gesagt, dem Schein desselben, zu ver¬ wirklichen. Es ist ungefähr dasselbe w" der Versuch, eine Verbindung zwischen F-ner

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/320>, abgerufen am 22.12.2024.