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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.

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Iveltspiegsl

Weltspiegel

Frankreichs neue Millner. Daß Deschanel und nicht Clemenceau Präsident
der Republik geworden ist, ist sogar Kennern der Verhältnisse in Paris selbst
überraschend gekommen. Nur Clemenceau persönlich, der von jeher eine
journalistische Witterung für Stimmungsströmungen hatte, muß etwas dergleichen
geahnt haben. Sein geheimster Ehrgeiz ist es sicher und begreiflicherweise gewesen,
von der Woge der Siegesglorie zur höchsten Spitze des Staates emporgehoben
zu werden, und dies einmal, das letzte Mal, selbstverständlich und ohne darum,
wie stets in seinem Leben, hart kämpfen zu müssen. Es wär"? ein schöner und
organisch richtiger Lebensabschluß gewesen. Aber in der Oberschicht des Bewußt¬
seins ist Clemenceau doch als Politiker zu alt geworden, um an Durchhalten von
Stimmungen oder an nationale Dankbarkeit zu glauben. Er spürte, daß der
"Begeisterungsmechanismus", wie er sich als alter Skeptiker und Materialist
ohne Zweifel ausdrücken würde, nicht mehr ganz so sicher funktionieren würde,
wie etwa ein halbes Jahr zuvor. Und darum hat er es vorsichtig und beinahe
ängstlich vermieden, ein Programm zu ünßern, ja überhaupt, sich entschlossen als
Kandidat zu bekennen. Grade diese Zurückhaltung aber, die man hier und da
als greisenhafte Koketterie aufgefaßt hat, hat verstimmend gewirkt. Schon die
Bildung des nationalen Blocks mit der Einheitsfront gegen den innerpolitischen
Bolschewismus hat in Parlamentarierkreiscn eine unglaubliche Verwirrung
angerichtet, sie ist so groß, daß sich jetzt, zwei Monate nach den Wahlen, noch
immer keine klaren Parteien haben bilden können, was die Geschäftsführung der
Kammer, zum Beispiel die Bildung von Kommissionen usw., nicht eben erleichtert.
Jetzt machte der zukünftige Präsident Miene, diesen Zustand programmatischen
Durcheinanders zu verlängern, der dem Klarheit und Übersichtlichkeit liebenden
Franzosen anfängt, unerträglich zu werden. Aber das war bei weitem nicht der
einzige Grund, der gegen ihn sprach. Clemenceau ist persönlich unbeliebt. ^>eine
Dienste, seine Energie weiß mau zu schätzen, aber seine brüske Art. seine kalte
Gehässigkeit, die fürchterliche Gewandtheit, mit der er seine. Gegner schonungslos
mit einem seiner berühmten "mots". jenen kleinen blitzartig treffenden Äußerungen
abschlachtet, die einen Mann in Paris auf Jahre hinaus unmöglich machen
können, haben ihm viele persönliche Feinde erweckt. Dazu sein Alter, das
mannigfache Bedenken erregt. Er hat nicht eigentlich das Repräsentative, elegant
Abgerundete, das der Franzose an seinen politischen Vertretern gern sieht, alle
Konvention ist von ihm abgefallen, er ist nur noch ein persönlich starker, aber auch
furchtbarer Mensch. Besonders bezeichnend hierfür war die große Rede, mit der
er zum Schluß der Diskussion in der Kammer den Friedensvertrag verteidigte:
menschlich ein hochbedeutsames Dokument. Keine schwungvollen Tinten, und
die Stellen, mit denen er Virtuosenhaft Begeisterung erreichte, eigentümlich matt
und klanglos, statt dessen Schilderungen rein persönlicher Eindrücke seiner Ver¬
handlungen mit Lloyd George und Wilson, eine impressionistisch funkelnde Art,
die eigentümlich an die letzten Bilder Tizians oder an den Altersstil Rembrandts
erinnert. Das sind Dinge, die den Franzosen nicht liegen. Man will keine
Persönlichkeitspolitik und hat die Überraschungen und die diplomatische Geheimnis¬
tuerei der Friedenskonferenz satt. Hinzu kamen die Bedenken der liberalen Kreise,
namentlich der bei den Wahlen geschlagenen Radikalen und Radikal-Sozialisten,
daß die Fortsetzung einer Clemenceaupolitik gar zu stark nach rechts sichren würde.
Die Caillauxfreunde, die Geschäftspolitiker, die Börsenleute fürchteten, daß die
Präsidentschaft Clemenceau die Präsidentschaft Fons und damit die Umsteuerung
in der Kirchenpolitik vorbereite. ' Spricht man in Paris doch sogar davon, daß
der Durchfall Clemencecms aus eine freimaurerische Intrigue, die Deschanel
vorschob, um den Freimaurer-Bourgeois ans Ruder zu bringen, zurückzuführen
sei. Hinzu kam die Unzufriedenheit mit Clemencecms Mitarbeitern im Kabinett
Tardieu, Loucheur, Clareille, denen es nicht gelungen ist. die Transport- und
Kohlennot des Landes zu bewältigen. Hinzu kamen endlich die Bedenken, denen


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Frankreichs neue Millner. Daß Deschanel und nicht Clemenceau Präsident
der Republik geworden ist, ist sogar Kennern der Verhältnisse in Paris selbst
überraschend gekommen. Nur Clemenceau persönlich, der von jeher eine
journalistische Witterung für Stimmungsströmungen hatte, muß etwas dergleichen
geahnt haben. Sein geheimster Ehrgeiz ist es sicher und begreiflicherweise gewesen,
von der Woge der Siegesglorie zur höchsten Spitze des Staates emporgehoben
zu werden, und dies einmal, das letzte Mal, selbstverständlich und ohne darum,
wie stets in seinem Leben, hart kämpfen zu müssen. Es wär«? ein schöner und
organisch richtiger Lebensabschluß gewesen. Aber in der Oberschicht des Bewußt¬
seins ist Clemenceau doch als Politiker zu alt geworden, um an Durchhalten von
Stimmungen oder an nationale Dankbarkeit zu glauben. Er spürte, daß der
„Begeisterungsmechanismus", wie er sich als alter Skeptiker und Materialist
ohne Zweifel ausdrücken würde, nicht mehr ganz so sicher funktionieren würde,
wie etwa ein halbes Jahr zuvor. Und darum hat er es vorsichtig und beinahe
ängstlich vermieden, ein Programm zu ünßern, ja überhaupt, sich entschlossen als
Kandidat zu bekennen. Grade diese Zurückhaltung aber, die man hier und da
als greisenhafte Koketterie aufgefaßt hat, hat verstimmend gewirkt. Schon die
Bildung des nationalen Blocks mit der Einheitsfront gegen den innerpolitischen
Bolschewismus hat in Parlamentarierkreiscn eine unglaubliche Verwirrung
angerichtet, sie ist so groß, daß sich jetzt, zwei Monate nach den Wahlen, noch
immer keine klaren Parteien haben bilden können, was die Geschäftsführung der
Kammer, zum Beispiel die Bildung von Kommissionen usw., nicht eben erleichtert.
Jetzt machte der zukünftige Präsident Miene, diesen Zustand programmatischen
Durcheinanders zu verlängern, der dem Klarheit und Übersichtlichkeit liebenden
Franzosen anfängt, unerträglich zu werden. Aber das war bei weitem nicht der
einzige Grund, der gegen ihn sprach. Clemenceau ist persönlich unbeliebt. ^>eine
Dienste, seine Energie weiß mau zu schätzen, aber seine brüske Art. seine kalte
Gehässigkeit, die fürchterliche Gewandtheit, mit der er seine. Gegner schonungslos
mit einem seiner berühmten „mots". jenen kleinen blitzartig treffenden Äußerungen
abschlachtet, die einen Mann in Paris auf Jahre hinaus unmöglich machen
können, haben ihm viele persönliche Feinde erweckt. Dazu sein Alter, das
mannigfache Bedenken erregt. Er hat nicht eigentlich das Repräsentative, elegant
Abgerundete, das der Franzose an seinen politischen Vertretern gern sieht, alle
Konvention ist von ihm abgefallen, er ist nur noch ein persönlich starker, aber auch
furchtbarer Mensch. Besonders bezeichnend hierfür war die große Rede, mit der
er zum Schluß der Diskussion in der Kammer den Friedensvertrag verteidigte:
menschlich ein hochbedeutsames Dokument. Keine schwungvollen Tinten, und
die Stellen, mit denen er Virtuosenhaft Begeisterung erreichte, eigentümlich matt
und klanglos, statt dessen Schilderungen rein persönlicher Eindrücke seiner Ver¬
handlungen mit Lloyd George und Wilson, eine impressionistisch funkelnde Art,
die eigentümlich an die letzten Bilder Tizians oder an den Altersstil Rembrandts
erinnert. Das sind Dinge, die den Franzosen nicht liegen. Man will keine
Persönlichkeitspolitik und hat die Überraschungen und die diplomatische Geheimnis¬
tuerei der Friedenskonferenz satt. Hinzu kamen die Bedenken der liberalen Kreise,
namentlich der bei den Wahlen geschlagenen Radikalen und Radikal-Sozialisten,
daß die Fortsetzung einer Clemenceaupolitik gar zu stark nach rechts sichren würde.
Die Caillauxfreunde, die Geschäftspolitiker, die Börsenleute fürchteten, daß die
Präsidentschaft Clemenceau die Präsidentschaft Fons und damit die Umsteuerung
in der Kirchenpolitik vorbereite. ' Spricht man in Paris doch sogar davon, daß
der Durchfall Clemencecms aus eine freimaurerische Intrigue, die Deschanel
vorschob, um den Freimaurer-Bourgeois ans Ruder zu bringen, zurückzuführen
sei. Hinzu kam die Unzufriedenheit mit Clemencecms Mitarbeitern im Kabinett
Tardieu, Loucheur, Clareille, denen es nicht gelungen ist. die Transport- und
Kohlennot des Landes zu bewältigen. Hinzu kamen endlich die Bedenken, denen


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[0186] Iveltspiegsl Weltspiegel Frankreichs neue Millner. Daß Deschanel und nicht Clemenceau Präsident der Republik geworden ist, ist sogar Kennern der Verhältnisse in Paris selbst überraschend gekommen. Nur Clemenceau persönlich, der von jeher eine journalistische Witterung für Stimmungsströmungen hatte, muß etwas dergleichen geahnt haben. Sein geheimster Ehrgeiz ist es sicher und begreiflicherweise gewesen, von der Woge der Siegesglorie zur höchsten Spitze des Staates emporgehoben zu werden, und dies einmal, das letzte Mal, selbstverständlich und ohne darum, wie stets in seinem Leben, hart kämpfen zu müssen. Es wär«? ein schöner und organisch richtiger Lebensabschluß gewesen. Aber in der Oberschicht des Bewußt¬ seins ist Clemenceau doch als Politiker zu alt geworden, um an Durchhalten von Stimmungen oder an nationale Dankbarkeit zu glauben. Er spürte, daß der „Begeisterungsmechanismus", wie er sich als alter Skeptiker und Materialist ohne Zweifel ausdrücken würde, nicht mehr ganz so sicher funktionieren würde, wie etwa ein halbes Jahr zuvor. Und darum hat er es vorsichtig und beinahe ängstlich vermieden, ein Programm zu ünßern, ja überhaupt, sich entschlossen als Kandidat zu bekennen. Grade diese Zurückhaltung aber, die man hier und da als greisenhafte Koketterie aufgefaßt hat, hat verstimmend gewirkt. Schon die Bildung des nationalen Blocks mit der Einheitsfront gegen den innerpolitischen Bolschewismus hat in Parlamentarierkreiscn eine unglaubliche Verwirrung angerichtet, sie ist so groß, daß sich jetzt, zwei Monate nach den Wahlen, noch immer keine klaren Parteien haben bilden können, was die Geschäftsführung der Kammer, zum Beispiel die Bildung von Kommissionen usw., nicht eben erleichtert. Jetzt machte der zukünftige Präsident Miene, diesen Zustand programmatischen Durcheinanders zu verlängern, der dem Klarheit und Übersichtlichkeit liebenden Franzosen anfängt, unerträglich zu werden. Aber das war bei weitem nicht der einzige Grund, der gegen ihn sprach. Clemenceau ist persönlich unbeliebt. ^>eine Dienste, seine Energie weiß mau zu schätzen, aber seine brüske Art. seine kalte Gehässigkeit, die fürchterliche Gewandtheit, mit der er seine. Gegner schonungslos mit einem seiner berühmten „mots". jenen kleinen blitzartig treffenden Äußerungen abschlachtet, die einen Mann in Paris auf Jahre hinaus unmöglich machen können, haben ihm viele persönliche Feinde erweckt. Dazu sein Alter, das mannigfache Bedenken erregt. Er hat nicht eigentlich das Repräsentative, elegant Abgerundete, das der Franzose an seinen politischen Vertretern gern sieht, alle Konvention ist von ihm abgefallen, er ist nur noch ein persönlich starker, aber auch furchtbarer Mensch. Besonders bezeichnend hierfür war die große Rede, mit der er zum Schluß der Diskussion in der Kammer den Friedensvertrag verteidigte: menschlich ein hochbedeutsames Dokument. Keine schwungvollen Tinten, und die Stellen, mit denen er Virtuosenhaft Begeisterung erreichte, eigentümlich matt und klanglos, statt dessen Schilderungen rein persönlicher Eindrücke seiner Ver¬ handlungen mit Lloyd George und Wilson, eine impressionistisch funkelnde Art, die eigentümlich an die letzten Bilder Tizians oder an den Altersstil Rembrandts erinnert. Das sind Dinge, die den Franzosen nicht liegen. Man will keine Persönlichkeitspolitik und hat die Überraschungen und die diplomatische Geheimnis¬ tuerei der Friedenskonferenz satt. Hinzu kamen die Bedenken der liberalen Kreise, namentlich der bei den Wahlen geschlagenen Radikalen und Radikal-Sozialisten, daß die Fortsetzung einer Clemenceaupolitik gar zu stark nach rechts sichren würde. Die Caillauxfreunde, die Geschäftspolitiker, die Börsenleute fürchteten, daß die Präsidentschaft Clemenceau die Präsidentschaft Fons und damit die Umsteuerung in der Kirchenpolitik vorbereite. ' Spricht man in Paris doch sogar davon, daß der Durchfall Clemencecms aus eine freimaurerische Intrigue, die Deschanel vorschob, um den Freimaurer-Bourgeois ans Ruder zu bringen, zurückzuführen sei. Hinzu kam die Unzufriedenheit mit Clemencecms Mitarbeitern im Kabinett Tardieu, Loucheur, Clareille, denen es nicht gelungen ist. die Transport- und Kohlennot des Landes zu bewältigen. Hinzu kamen endlich die Bedenken, denen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/186>, abgerufen am 27.07.2024.