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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.

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Richard Wagner im Lichts älterer und neuerer biographischer Forschung

tuenden Lokalpatriotismus des Müncheners herauszuhören, dem in diesem Teile
des Werkes auch unverhältnismäßig viel neues, oder doch altes in neuer Be¬
leuchtung, zu verdanken ist.

In seiner Vorrede zum zweiten Bande sagt Koch selbst von seinem Werke:
"Die Einordnung der gewaltigen Persönlichkeit in einen weiteren literar- und
kulturgeschichtlichen Rahmen gibt meiner Darstellung ihr Gepräge und ihre selbst-
siöndige Berechtigung gegenüber den anderen Biographien." Er hat damit in
der Tat den Schwerpunkt treffend herausgefunden. Die geschichtliche Stellung
und Aufgabe Wagners finden wir in seinem Buche mehrfach meisterlich präzisiert.
der Zusammenhang seiner Schriftstellerei mit seiner Kunst wird betont und er¬
klärt, so zwar, daß -- mit Recht -- der Nachdruck auf der letzteren liegt und
namentlich kein Zweifel darüber gelassen wird, daß Wagners Hauptwirkungen
von ihr ausgehen und neben ihr zum Beispiel die Regenerationsanwandlungen
der letzten Jahre einfach verklingen. Mit besonderer Liebe -- die übrigens auch
in der literarhistorischen Zergliederung und der Entwicklung der Vorgeschichte von
Wagners Dichtungen zutage tritt -- wird dargetan, wie die drei maßgebenden
Grundelemente, das griechische Theater, die germanische Sagenwelt und die Musik
in Wagners künstlerischer Persönlichkeit zu einheitlicher Wirkung gelangen. Sehr
schön sind die Ausführungen über Wagner und das Wissen im zweiten Bande
(Seite 26--28): wenn je, wird uns gerade aus dem Kochschen Buche
wieder klar, wie imponierend zum Beispiel die Fülle seiner Kenntnisse auf dem
Gebiete der Geschichte, wie groß in jedem Falle sein historischer Blick bleibt,
wenn er sich auch mit Vorliebe alles Geschichtliche im Sinne seiner Kunst
(richtiger: des deutschen Geistes überhaupt) und der ihr gewidmeten Bestrebungen
zmechtlegt.

Die musikalische Seite von Wagners Kunstwerk tritt bei Koch stark zurück,
und er erwähnt in einer seiner Vorreden, daß das gleiche bei allen seinen Vor¬
gängern der Fall sei. Dem liegt ganz gewiß eine tiefinnerliche Berechtigung zu¬
grunde. Gerade Wagners Musik hat vom ersten Tage an mit so überwältigender
Macht in die Volksseele hineingeklungen, daß hierauf vornehmlich seine Volks¬
tümlichkeit beruht, durch die er nun wiederum Schiller weit hinter sich laß!.
Breitspurige musiktechnischc Kommentare werden hinter den Wunderwerken seiner
Töne immer nur einhcrwcmken können wie der tote Schatten hinter dem lebens.
warmen Menschenleibe. Der Biograph Wagners darf ruhig gerade den Ton¬
künstler als eine gegebene, geliebte, vertraute Größe voraussetzen, die er nun nur
durch den Dichter, den Denker, den Menschen zu ergänzen hat. Gleich gewaltig
steht dann Wagner vor uns da, ob wir seine erschütternden Tragödien auf uns
einwirken, oder sein unermeßliches Wissen uns belehren, seine kunstpädagogische
Glut uns mit fortreißen lassen. Alles das hat der große Mensch in sich ver¬
einigt, dessen Bild alle, die ihn erlebt, unzerstörbar im Herzen tragen. Hat
Glasenapp tausend Einzelzüge zusammengetragen, um es zu gestalten, so hat
Max Koch jetzt in dankenswertester Weise dazu beigetragen, es uns für immer
lebendig zu erhalten.




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Richard Wagner im Lichts älterer und neuerer biographischer Forschung

tuenden Lokalpatriotismus des Müncheners herauszuhören, dem in diesem Teile
des Werkes auch unverhältnismäßig viel neues, oder doch altes in neuer Be¬
leuchtung, zu verdanken ist.

In seiner Vorrede zum zweiten Bande sagt Koch selbst von seinem Werke:
„Die Einordnung der gewaltigen Persönlichkeit in einen weiteren literar- und
kulturgeschichtlichen Rahmen gibt meiner Darstellung ihr Gepräge und ihre selbst-
siöndige Berechtigung gegenüber den anderen Biographien." Er hat damit in
der Tat den Schwerpunkt treffend herausgefunden. Die geschichtliche Stellung
und Aufgabe Wagners finden wir in seinem Buche mehrfach meisterlich präzisiert.
der Zusammenhang seiner Schriftstellerei mit seiner Kunst wird betont und er¬
klärt, so zwar, daß — mit Recht — der Nachdruck auf der letzteren liegt und
namentlich kein Zweifel darüber gelassen wird, daß Wagners Hauptwirkungen
von ihr ausgehen und neben ihr zum Beispiel die Regenerationsanwandlungen
der letzten Jahre einfach verklingen. Mit besonderer Liebe — die übrigens auch
in der literarhistorischen Zergliederung und der Entwicklung der Vorgeschichte von
Wagners Dichtungen zutage tritt — wird dargetan, wie die drei maßgebenden
Grundelemente, das griechische Theater, die germanische Sagenwelt und die Musik
in Wagners künstlerischer Persönlichkeit zu einheitlicher Wirkung gelangen. Sehr
schön sind die Ausführungen über Wagner und das Wissen im zweiten Bande
(Seite 26—28): wenn je, wird uns gerade aus dem Kochschen Buche
wieder klar, wie imponierend zum Beispiel die Fülle seiner Kenntnisse auf dem
Gebiete der Geschichte, wie groß in jedem Falle sein historischer Blick bleibt,
wenn er sich auch mit Vorliebe alles Geschichtliche im Sinne seiner Kunst
(richtiger: des deutschen Geistes überhaupt) und der ihr gewidmeten Bestrebungen
zmechtlegt.

Die musikalische Seite von Wagners Kunstwerk tritt bei Koch stark zurück,
und er erwähnt in einer seiner Vorreden, daß das gleiche bei allen seinen Vor¬
gängern der Fall sei. Dem liegt ganz gewiß eine tiefinnerliche Berechtigung zu¬
grunde. Gerade Wagners Musik hat vom ersten Tage an mit so überwältigender
Macht in die Volksseele hineingeklungen, daß hierauf vornehmlich seine Volks¬
tümlichkeit beruht, durch die er nun wiederum Schiller weit hinter sich laß!.
Breitspurige musiktechnischc Kommentare werden hinter den Wunderwerken seiner
Töne immer nur einhcrwcmken können wie der tote Schatten hinter dem lebens.
warmen Menschenleibe. Der Biograph Wagners darf ruhig gerade den Ton¬
künstler als eine gegebene, geliebte, vertraute Größe voraussetzen, die er nun nur
durch den Dichter, den Denker, den Menschen zu ergänzen hat. Gleich gewaltig
steht dann Wagner vor uns da, ob wir seine erschütternden Tragödien auf uns
einwirken, oder sein unermeßliches Wissen uns belehren, seine kunstpädagogische
Glut uns mit fortreißen lassen. Alles das hat der große Mensch in sich ver¬
einigt, dessen Bild alle, die ihn erlebt, unzerstörbar im Herzen tragen. Hat
Glasenapp tausend Einzelzüge zusammengetragen, um es zu gestalten, so hat
Max Koch jetzt in dankenswertester Weise dazu beigetragen, es uns für immer
lebendig zu erhalten.




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[0129] Richard Wagner im Lichts älterer und neuerer biographischer Forschung tuenden Lokalpatriotismus des Müncheners herauszuhören, dem in diesem Teile des Werkes auch unverhältnismäßig viel neues, oder doch altes in neuer Be¬ leuchtung, zu verdanken ist. In seiner Vorrede zum zweiten Bande sagt Koch selbst von seinem Werke: „Die Einordnung der gewaltigen Persönlichkeit in einen weiteren literar- und kulturgeschichtlichen Rahmen gibt meiner Darstellung ihr Gepräge und ihre selbst- siöndige Berechtigung gegenüber den anderen Biographien." Er hat damit in der Tat den Schwerpunkt treffend herausgefunden. Die geschichtliche Stellung und Aufgabe Wagners finden wir in seinem Buche mehrfach meisterlich präzisiert. der Zusammenhang seiner Schriftstellerei mit seiner Kunst wird betont und er¬ klärt, so zwar, daß — mit Recht — der Nachdruck auf der letzteren liegt und namentlich kein Zweifel darüber gelassen wird, daß Wagners Hauptwirkungen von ihr ausgehen und neben ihr zum Beispiel die Regenerationsanwandlungen der letzten Jahre einfach verklingen. Mit besonderer Liebe — die übrigens auch in der literarhistorischen Zergliederung und der Entwicklung der Vorgeschichte von Wagners Dichtungen zutage tritt — wird dargetan, wie die drei maßgebenden Grundelemente, das griechische Theater, die germanische Sagenwelt und die Musik in Wagners künstlerischer Persönlichkeit zu einheitlicher Wirkung gelangen. Sehr schön sind die Ausführungen über Wagner und das Wissen im zweiten Bande (Seite 26—28): wenn je, wird uns gerade aus dem Kochschen Buche wieder klar, wie imponierend zum Beispiel die Fülle seiner Kenntnisse auf dem Gebiete der Geschichte, wie groß in jedem Falle sein historischer Blick bleibt, wenn er sich auch mit Vorliebe alles Geschichtliche im Sinne seiner Kunst (richtiger: des deutschen Geistes überhaupt) und der ihr gewidmeten Bestrebungen zmechtlegt. Die musikalische Seite von Wagners Kunstwerk tritt bei Koch stark zurück, und er erwähnt in einer seiner Vorreden, daß das gleiche bei allen seinen Vor¬ gängern der Fall sei. Dem liegt ganz gewiß eine tiefinnerliche Berechtigung zu¬ grunde. Gerade Wagners Musik hat vom ersten Tage an mit so überwältigender Macht in die Volksseele hineingeklungen, daß hierauf vornehmlich seine Volks¬ tümlichkeit beruht, durch die er nun wiederum Schiller weit hinter sich laß!. Breitspurige musiktechnischc Kommentare werden hinter den Wunderwerken seiner Töne immer nur einhcrwcmken können wie der tote Schatten hinter dem lebens. warmen Menschenleibe. Der Biograph Wagners darf ruhig gerade den Ton¬ künstler als eine gegebene, geliebte, vertraute Größe voraussetzen, die er nun nur durch den Dichter, den Denker, den Menschen zu ergänzen hat. Gleich gewaltig steht dann Wagner vor uns da, ob wir seine erschütternden Tragödien auf uns einwirken, oder sein unermeßliches Wissen uns belehren, seine kunstpädagogische Glut uns mit fortreißen lassen. Alles das hat der große Mensch in sich ver¬ einigt, dessen Bild alle, die ihn erlebt, unzerstörbar im Herzen tragen. Hat Glasenapp tausend Einzelzüge zusammengetragen, um es zu gestalten, so hat Max Koch jetzt in dankenswertester Weise dazu beigetragen, es uns für immer lebendig zu erhalten. 8"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/129>, abgerufen am 27.07.2024.