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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.

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eine zweite wegen Eröffnung der Netze¬
schiffahrt. Im Laufe der Erörterung über
diese Angelegenheit zeigte sich, daß keine
Partei zur vollen Erledigung der Angelegen¬
heiten entsprechende Vollmacht besaß. Auf
Antrag des Geheimen Rats Loches war
Kommissar Laszewstt mit einer neuen end¬
gültigen Zusammenkunft in Berlin einver¬
standen. Die Netzekommission beschloß eine
Zusammenkunft von Fachleuten in Thorn,
die Politische Kommission faßte einen grund¬
sätzlichen Beschluß betreffs der Beamten und
Ansiedler. Diese sind bekannt aus dem ver¬
öffentlichten amtlichen Sitzungsprotokoll. So
verbreitete sich die Angelegenheit, die durch
den Oberpräsidenten als Lokalsache begonnen
war, zu internationalen Ausmaßen. Die
Zusammenkunft in Berlin sollte am Mittwoch,
den 30. Juli, stattfinden. Sie wurde aber
im letzten Augenblick durch die deutsche
Regierung abgesagt, angeblich weil die Ver¬
bündeten Mächte die Teilnahme ihres Ver¬
treters an den Verhandlungen forderten.
Die deutschen hohen Beamten versicherten
ihrerseits, daß ihnen sehr daran liege, daß
die Verhandlungen möglichst schnell durch¬
geführt würden. Sie baten auch, die Ver¬
bündeten Staaten zu beeinflussen, den Ver¬
treter möglichst schnell zu bezeichnen. Die
Berliner Zusammenkunft soll wahrscheinlich
diese Woche stattfinden. Das Unterkom¬
missariat schickte Herrn P. nach Berlin, damit
er, bekannt mit den Verhältnissen der Pro¬
vinz, den Kommissar über die Wünsche der
Bevölkerung entsprechend informieren könne.
Der Referent war der Ansicht, daß man von
deutscher Seite bei diesen Verhandlungen
die Wünsche der Beamten und Kolonisten
durchzuführen wünsche. Er hält diesen Schritt
deshalb für gefährlich, da es eintreten könnte,
daß wir gegen untergeordnete Zugeständnisse
zu unserem Vorteil auf Dinge eingehen
müssen, die der ganzen Angelegenheit
Schaden bringen könnten. Er empfahl,
in dieser Hinsicht auf dem Standpunkte des
Friedensvertrages auszuharren, wenn dies
auch die deutsche Regierung zur Zurück¬
ziehung der versprochenen Erleichterungen
in der Provinz veranlassen sollte. -- In der
Erörterung über obiges Referat wurde dem
Thorner Volksrat der Vorwurf gemacht, daß
er, durch niemanden bevollmächtigt, die Ver¬

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handlungen zum Vorteil der Deutschen be¬
gann und sich in Sachen einließ, die ihm
nichts angingen. Man bemerkte, daß Rechts¬
anwalt Szuman diese Schritte auf eigene
Hand tat, daß man ihn aber dafür nicht
anklagen dürfe, da die politische Lage so
unsicher war, daß der Krieg drohte; obgleich
das deutsche Parlament in Weimar die
Unterschreibung des Friedensvertrages be¬
schlossen hatte, stand doch eine Parteigänger¬
tätigkeit der deutschen Truppen im Osten in
Aussicht. Gerade in diesem kritischen Augen¬
blick unternahm Thorn den Schritt, um
Blutvergießen vorzubeugen. Wegen dieser
Verhandlungen erschien in Warschau der be¬
kannte Aufruf vom 30. Juni, der in der
polnischen Gesellschaft viel böses Blut machte,
der aber vielleicht dazu beitrug, den kriege¬
rischen Eifer der westpreußischen Deutschen
zurückzuhalten. Weiter machte man der
polnischen Regierung den Vorwurf, daß sie
sich mit der Verlängerung der fiskalischen
Pachtungen (Domänen und Anstedlungen)
einverstanden erklärt haben solle. Der Vor¬
wurf wurde hinfällig, denn es wurde be¬
wiesen, daß die polnische Regierung weder
durch den Zusatzvertrag noch durch ihren
Aufruf vom 30. Juni diese Verpflichtungen
übernommen hatte. Endlich wurde die An¬
gelegenheit des Verbleibens der deutschen
Beamten auf ihrem Posten berührt. Allge¬
mein war das Gefühl, daß nach dem Auf¬
ruf vom 30. Juni die deutschen Beamten
übermütig wurden und meinen, daß sie hier
alle bleiben müssen, denn die polnische Re¬
gierung könne sie nicht abschieben. Es wurde
bemerkt, daß die Polnische Regierung solche
Verpflichtung nicht übernommen habe. Im
Danziger Protokoll ist angegeben, daß die
Beamten "nach Möglichkeit" bleiben. Natür¬
lich werden nur solche Beamte möglich sein,
für die eine entsprechende Stelle da ist und
die die Polnische Regierung für geeignte
hält. Es wurde auch berührt, daß die
deutsche Regierung ihren verbleibenden Be¬
amten ein fünfjähriges Gehalt sicherte, wenn
sie auch nicht amtieren wollten. Ein Mittel
gegen einen möglichen Streik wäre aber
nicht schwer, da wir von den Deutschen
Mittel gelernt haben, Widerspenstige zum
Gehorsam zu bringen, und der Kriegszustand,
der mit der Übernahme der Provinz durch-

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Pressestimmen

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eine zweite wegen Eröffnung der Netze¬
schiffahrt. Im Laufe der Erörterung über
diese Angelegenheit zeigte sich, daß keine
Partei zur vollen Erledigung der Angelegen¬
heiten entsprechende Vollmacht besaß. Auf
Antrag des Geheimen Rats Loches war
Kommissar Laszewstt mit einer neuen end¬
gültigen Zusammenkunft in Berlin einver¬
standen. Die Netzekommission beschloß eine
Zusammenkunft von Fachleuten in Thorn,
die Politische Kommission faßte einen grund¬
sätzlichen Beschluß betreffs der Beamten und
Ansiedler. Diese sind bekannt aus dem ver¬
öffentlichten amtlichen Sitzungsprotokoll. So
verbreitete sich die Angelegenheit, die durch
den Oberpräsidenten als Lokalsache begonnen
war, zu internationalen Ausmaßen. Die
Zusammenkunft in Berlin sollte am Mittwoch,
den 30. Juli, stattfinden. Sie wurde aber
im letzten Augenblick durch die deutsche
Regierung abgesagt, angeblich weil die Ver¬
bündeten Mächte die Teilnahme ihres Ver¬
treters an den Verhandlungen forderten.
Die deutschen hohen Beamten versicherten
ihrerseits, daß ihnen sehr daran liege, daß
die Verhandlungen möglichst schnell durch¬
geführt würden. Sie baten auch, die Ver¬
bündeten Staaten zu beeinflussen, den Ver¬
treter möglichst schnell zu bezeichnen. Die
Berliner Zusammenkunft soll wahrscheinlich
diese Woche stattfinden. Das Unterkom¬
missariat schickte Herrn P. nach Berlin, damit
er, bekannt mit den Verhältnissen der Pro¬
vinz, den Kommissar über die Wünsche der
Bevölkerung entsprechend informieren könne.
Der Referent war der Ansicht, daß man von
deutscher Seite bei diesen Verhandlungen
die Wünsche der Beamten und Kolonisten
durchzuführen wünsche. Er hält diesen Schritt
deshalb für gefährlich, da es eintreten könnte,
daß wir gegen untergeordnete Zugeständnisse
zu unserem Vorteil auf Dinge eingehen
müssen, die der ganzen Angelegenheit
Schaden bringen könnten. Er empfahl,
in dieser Hinsicht auf dem Standpunkte des
Friedensvertrages auszuharren, wenn dies
auch die deutsche Regierung zur Zurück¬
ziehung der versprochenen Erleichterungen
in der Provinz veranlassen sollte. — In der
Erörterung über obiges Referat wurde dem
Thorner Volksrat der Vorwurf gemacht, daß
er, durch niemanden bevollmächtigt, die Ver¬

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handlungen zum Vorteil der Deutschen be¬
gann und sich in Sachen einließ, die ihm
nichts angingen. Man bemerkte, daß Rechts¬
anwalt Szuman diese Schritte auf eigene
Hand tat, daß man ihn aber dafür nicht
anklagen dürfe, da die politische Lage so
unsicher war, daß der Krieg drohte; obgleich
das deutsche Parlament in Weimar die
Unterschreibung des Friedensvertrages be¬
schlossen hatte, stand doch eine Parteigänger¬
tätigkeit der deutschen Truppen im Osten in
Aussicht. Gerade in diesem kritischen Augen¬
blick unternahm Thorn den Schritt, um
Blutvergießen vorzubeugen. Wegen dieser
Verhandlungen erschien in Warschau der be¬
kannte Aufruf vom 30. Juni, der in der
polnischen Gesellschaft viel böses Blut machte,
der aber vielleicht dazu beitrug, den kriege¬
rischen Eifer der westpreußischen Deutschen
zurückzuhalten. Weiter machte man der
polnischen Regierung den Vorwurf, daß sie
sich mit der Verlängerung der fiskalischen
Pachtungen (Domänen und Anstedlungen)
einverstanden erklärt haben solle. Der Vor¬
wurf wurde hinfällig, denn es wurde be¬
wiesen, daß die polnische Regierung weder
durch den Zusatzvertrag noch durch ihren
Aufruf vom 30. Juni diese Verpflichtungen
übernommen hatte. Endlich wurde die An¬
gelegenheit des Verbleibens der deutschen
Beamten auf ihrem Posten berührt. Allge¬
mein war das Gefühl, daß nach dem Auf¬
ruf vom 30. Juni die deutschen Beamten
übermütig wurden und meinen, daß sie hier
alle bleiben müssen, denn die polnische Re¬
gierung könne sie nicht abschieben. Es wurde
bemerkt, daß die Polnische Regierung solche
Verpflichtung nicht übernommen habe. Im
Danziger Protokoll ist angegeben, daß die
Beamten „nach Möglichkeit" bleiben. Natür¬
lich werden nur solche Beamte möglich sein,
für die eine entsprechende Stelle da ist und
die die Polnische Regierung für geeignte
hält. Es wurde auch berührt, daß die
deutsche Regierung ihren verbleibenden Be¬
amten ein fünfjähriges Gehalt sicherte, wenn
sie auch nicht amtieren wollten. Ein Mittel
gegen einen möglichen Streik wäre aber
nicht schwer, da wir von den Deutschen
Mittel gelernt haben, Widerspenstige zum
Gehorsam zu bringen, und der Kriegszustand,
der mit der Übernahme der Provinz durch-

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[0446] Pressestimmen eine zweite wegen Eröffnung der Netze¬ schiffahrt. Im Laufe der Erörterung über diese Angelegenheit zeigte sich, daß keine Partei zur vollen Erledigung der Angelegen¬ heiten entsprechende Vollmacht besaß. Auf Antrag des Geheimen Rats Loches war Kommissar Laszewstt mit einer neuen end¬ gültigen Zusammenkunft in Berlin einver¬ standen. Die Netzekommission beschloß eine Zusammenkunft von Fachleuten in Thorn, die Politische Kommission faßte einen grund¬ sätzlichen Beschluß betreffs der Beamten und Ansiedler. Diese sind bekannt aus dem ver¬ öffentlichten amtlichen Sitzungsprotokoll. So verbreitete sich die Angelegenheit, die durch den Oberpräsidenten als Lokalsache begonnen war, zu internationalen Ausmaßen. Die Zusammenkunft in Berlin sollte am Mittwoch, den 30. Juli, stattfinden. Sie wurde aber im letzten Augenblick durch die deutsche Regierung abgesagt, angeblich weil die Ver¬ bündeten Mächte die Teilnahme ihres Ver¬ treters an den Verhandlungen forderten. Die deutschen hohen Beamten versicherten ihrerseits, daß ihnen sehr daran liege, daß die Verhandlungen möglichst schnell durch¬ geführt würden. Sie baten auch, die Ver¬ bündeten Staaten zu beeinflussen, den Ver¬ treter möglichst schnell zu bezeichnen. Die Berliner Zusammenkunft soll wahrscheinlich diese Woche stattfinden. Das Unterkom¬ missariat schickte Herrn P. nach Berlin, damit er, bekannt mit den Verhältnissen der Pro¬ vinz, den Kommissar über die Wünsche der Bevölkerung entsprechend informieren könne. Der Referent war der Ansicht, daß man von deutscher Seite bei diesen Verhandlungen die Wünsche der Beamten und Kolonisten durchzuführen wünsche. Er hält diesen Schritt deshalb für gefährlich, da es eintreten könnte, daß wir gegen untergeordnete Zugeständnisse zu unserem Vorteil auf Dinge eingehen müssen, die der ganzen Angelegenheit Schaden bringen könnten. Er empfahl, in dieser Hinsicht auf dem Standpunkte des Friedensvertrages auszuharren, wenn dies auch die deutsche Regierung zur Zurück¬ ziehung der versprochenen Erleichterungen in der Provinz veranlassen sollte. — In der Erörterung über obiges Referat wurde dem Thorner Volksrat der Vorwurf gemacht, daß er, durch niemanden bevollmächtigt, die Ver¬ handlungen zum Vorteil der Deutschen be¬ gann und sich in Sachen einließ, die ihm nichts angingen. Man bemerkte, daß Rechts¬ anwalt Szuman diese Schritte auf eigene Hand tat, daß man ihn aber dafür nicht anklagen dürfe, da die politische Lage so unsicher war, daß der Krieg drohte; obgleich das deutsche Parlament in Weimar die Unterschreibung des Friedensvertrages be¬ schlossen hatte, stand doch eine Parteigänger¬ tätigkeit der deutschen Truppen im Osten in Aussicht. Gerade in diesem kritischen Augen¬ blick unternahm Thorn den Schritt, um Blutvergießen vorzubeugen. Wegen dieser Verhandlungen erschien in Warschau der be¬ kannte Aufruf vom 30. Juni, der in der polnischen Gesellschaft viel böses Blut machte, der aber vielleicht dazu beitrug, den kriege¬ rischen Eifer der westpreußischen Deutschen zurückzuhalten. Weiter machte man der polnischen Regierung den Vorwurf, daß sie sich mit der Verlängerung der fiskalischen Pachtungen (Domänen und Anstedlungen) einverstanden erklärt haben solle. Der Vor¬ wurf wurde hinfällig, denn es wurde be¬ wiesen, daß die polnische Regierung weder durch den Zusatzvertrag noch durch ihren Aufruf vom 30. Juni diese Verpflichtungen übernommen hatte. Endlich wurde die An¬ gelegenheit des Verbleibens der deutschen Beamten auf ihrem Posten berührt. Allge¬ mein war das Gefühl, daß nach dem Auf¬ ruf vom 30. Juni die deutschen Beamten übermütig wurden und meinen, daß sie hier alle bleiben müssen, denn die polnische Re¬ gierung könne sie nicht abschieben. Es wurde bemerkt, daß die Polnische Regierung solche Verpflichtung nicht übernommen habe. Im Danziger Protokoll ist angegeben, daß die Beamten „nach Möglichkeit" bleiben. Natür¬ lich werden nur solche Beamte möglich sein, für die eine entsprechende Stelle da ist und die die Polnische Regierung für geeignte hält. Es wurde auch berührt, daß die deutsche Regierung ihren verbleibenden Be¬ amten ein fünfjähriges Gehalt sicherte, wenn sie auch nicht amtieren wollten. Ein Mittel gegen einen möglichen Streik wäre aber nicht schwer, da wir von den Deutschen Mittel gelernt haben, Widerspenstige zum Gehorsam zu bringen, und der Kriegszustand, der mit der Übernahme der Provinz durch-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_336289/446>, abgerufen am 15.01.2025.