Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.Gewalt und Recht Angenommen, ein bisher durch Stände staatsrechtlich beschränkter Monarch Es klingt paradox und doch ist es wahr: wenn einer, dem Gewalt angetan In allen diesen Fällen ist es der mit dem schwächeren Machtwillen, der Gewalt und Recht Angenommen, ein bisher durch Stände staatsrechtlich beschränkter Monarch Es klingt paradox und doch ist es wahr: wenn einer, dem Gewalt angetan In allen diesen Fällen ist es der mit dem schwächeren Machtwillen, der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0134" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/336424"/> <fw type="header" place="top"> Gewalt und Recht</fw><lb/> <p xml:id="ID_448"> Angenommen, ein bisher durch Stände staatsrechtlich beschränkter Monarch<lb/> habe sich durch einen Staatsstreich zum absoluten Herrscher, zum alleinigen Ver¬<lb/> walter der staatlichen Macht gemacht. Dadurch ist zunächst ein rechtloser Zustand<lb/> geschaffen; der Monarch hat das bisher geltende Staatsrecht durch die ihm zur<lb/> Verfügung stehende physische Gewalt ersetzt. Aber keine Gewalt der Erde kann<lb/> ihm zur staatsrechtlichen Sanktionierung des Staatsstreiches verhelfen, wenn nicht die<lb/> Stände, deren Reckte er durch den Staatsstreich gekränkt hat, sich bereit finden,<lb/> die durch ihn bewirkte faktische Änderung in der 'Machtverteilung als zu Recht<lb/> bestehend anzuerkennen. Gewalt kann nur dann zu Recht werden, wenn der,<lb/> dem Gewalt angetan wurde, sich ausdrücklich damit einverstanden erklärt', gegen<lb/> seinen Willen, ohne seine Mitwirkung unter gar keinen Umständen. Angenommen,<lb/> die Stunde verweigern hartnäckig dem Monarchen die Steuerbewilligung; das<lb/> Volk stellt sich auf ihre Seite und läßt es in jedem einzelnen Falle zur gewalt¬<lb/> samen Beitreibung kommen. Wenn der Monarch über eine starke physische Macht<lb/> verfügt, wenn etwa Heer und Becnwenschaft hinter ihm stehen, so ist es denkbar,<lb/> daß er jähre-, jahrzehntelang den durch den Staatsstreich geschaffenen Zustand<lb/> der Gewalt aufrecht erhält. Faktisch ist ein solcher Zustand der Rechtlosigkeit<lb/> immer nur auf kurze Zeit erträglich gewesen. Er muß so auf Handel und Wandel<lb/> der Bürger drücken, er muß das Ansehen des Staates so schädigen, daß die<lb/> Sehnsucht der Bürger nach Beendigung des Konfliktes, nach Wiederherstellung der<lb/> Rechtssicherheit bald stärker wird als alle andere Wertungen; die Stände fügen<lb/> sich der Gewalt nicht nur passiv, nein, sie helfen mit, sie zu Recht zu machen,<lb/> indem sie dem durch den Staatsstreich geschaffenen Zustande die staatsrechtliche<lb/> Sanktionierung erteilen. An die Stelle der Gewalt tritt wieder das Recht; es<lb/> verewigt das Machtverhältnis, das zwischen den streitenden Parteien tatsächlich vor¬<lb/> handen ist in dem Augenblicke, wo die Machtform „Gewalt" wieder in die<lb/> Machtform „Recht" umgewandelt wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_449"> Es klingt paradox und doch ist es wahr: wenn einer, dem Gewalt angetan<lb/> wurde, sich bereit findet, mit dem, der ihm Gewalt antat, Frieden zu schließen,<lb/> indem er mithilft, den durch die Gewalt geschaffenen Zustand zu verrcchtlichen,<lb/> so erklärt er damit selber: mir ist nicht Gewalt, mir ist Recht geschehen. Die<lb/> Stände, die dem Ergebnis des Staatsstreiches zur staatsrechtlichen Sanktionierung<lb/> verhelfen, machen sich damit zu Mitschuldigen des Staatsstreiches. Ein Monarch,<lb/> der in die durch eine Revolution, also gewaltsam, bewirkte Schmülerung oder<lb/> Vernichtung seiner staatsrechtlich festgelegten Macht sich fügt, indem er durch eine<lb/> Verzichtserklärung das Ergebnis der Revolution als zu Recht bestehend anerkennt,<lb/> der macht sich damit zum Mitschuldigen der Revolution. Dasselbe gilt von einer<lb/> Beamtenschaft, die nach einem ohne ihr Zutun und gegen ihren Willen gewaltsam<lb/> bewirkten Wechsel der Staatsform im Amte bleibt und von den revolutionären<lb/> Gewalthabern Befehle annimmt.</p><lb/> <p xml:id="ID_450" next="#ID_451"> In allen diesen Fällen ist es der mit dem schwächeren Machtwillen, der<lb/> nachgibt, es ist, wie gewöhnlich, der Dümmere. Denn dies lehrt, so scheint mir,<lb/> die Geschichte: wo immer ein Vergewaltigter sich der Gewalt gefügt, an ihrer<lb/> Umwandlung in Recht mitgewirkt hat, da hat er durch seine Fügsamkeit bewiesen,<lb/> daß ihm Recht geschehen war, daß er sein Schicksal verdiente. Wären, in dem<lb/> Beispiel vom Staatssireich, Stände und Volk standhaft geblieben, so hätten eben<lb/> sie schließlich ihren Willen durchgedrückt. Ist jemals ein Monarch gut dabei ge¬<lb/> fahren, wenn er, durch revolutionären Rechtsbruch in seiner staatsrechtlichen Macht<lb/> geschmälert, dach feierlichen Verzicht auf das Geraubte die ihm angetcme Gewalt<lb/> Recht machte? Nicht, daß ich wüßte. Wäre es nicht heilsamer sür das<lb/> Ansehen und die Macht der Dynastie gewesen, wenn, 1843, Friedlich Wilhelm<lb/> der Vierte sich der Gewalt nicht unterworfen hätte? Wie unbequem war doch<lb/> für Preußen die standhafte Weigerung des Waisenhauses, seine gewaltsame<lb/> Enteignung durch einen förmlichen Verzicht staatsrechtlich zu sanktionierenl<lb/> Die Welfenfrage war, was der Arzt einen locus minons rssistentias nennt, ein«!<lb/> kleine wunde Stelle am Körper des preußischen Staatsrechtes; und es fehlte nie</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0134]
Gewalt und Recht
Angenommen, ein bisher durch Stände staatsrechtlich beschränkter Monarch
habe sich durch einen Staatsstreich zum absoluten Herrscher, zum alleinigen Ver¬
walter der staatlichen Macht gemacht. Dadurch ist zunächst ein rechtloser Zustand
geschaffen; der Monarch hat das bisher geltende Staatsrecht durch die ihm zur
Verfügung stehende physische Gewalt ersetzt. Aber keine Gewalt der Erde kann
ihm zur staatsrechtlichen Sanktionierung des Staatsstreiches verhelfen, wenn nicht die
Stände, deren Reckte er durch den Staatsstreich gekränkt hat, sich bereit finden,
die durch ihn bewirkte faktische Änderung in der 'Machtverteilung als zu Recht
bestehend anzuerkennen. Gewalt kann nur dann zu Recht werden, wenn der,
dem Gewalt angetan wurde, sich ausdrücklich damit einverstanden erklärt', gegen
seinen Willen, ohne seine Mitwirkung unter gar keinen Umständen. Angenommen,
die Stunde verweigern hartnäckig dem Monarchen die Steuerbewilligung; das
Volk stellt sich auf ihre Seite und läßt es in jedem einzelnen Falle zur gewalt¬
samen Beitreibung kommen. Wenn der Monarch über eine starke physische Macht
verfügt, wenn etwa Heer und Becnwenschaft hinter ihm stehen, so ist es denkbar,
daß er jähre-, jahrzehntelang den durch den Staatsstreich geschaffenen Zustand
der Gewalt aufrecht erhält. Faktisch ist ein solcher Zustand der Rechtlosigkeit
immer nur auf kurze Zeit erträglich gewesen. Er muß so auf Handel und Wandel
der Bürger drücken, er muß das Ansehen des Staates so schädigen, daß die
Sehnsucht der Bürger nach Beendigung des Konfliktes, nach Wiederherstellung der
Rechtssicherheit bald stärker wird als alle andere Wertungen; die Stände fügen
sich der Gewalt nicht nur passiv, nein, sie helfen mit, sie zu Recht zu machen,
indem sie dem durch den Staatsstreich geschaffenen Zustande die staatsrechtliche
Sanktionierung erteilen. An die Stelle der Gewalt tritt wieder das Recht; es
verewigt das Machtverhältnis, das zwischen den streitenden Parteien tatsächlich vor¬
handen ist in dem Augenblicke, wo die Machtform „Gewalt" wieder in die
Machtform „Recht" umgewandelt wird.
Es klingt paradox und doch ist es wahr: wenn einer, dem Gewalt angetan
wurde, sich bereit findet, mit dem, der ihm Gewalt antat, Frieden zu schließen,
indem er mithilft, den durch die Gewalt geschaffenen Zustand zu verrcchtlichen,
so erklärt er damit selber: mir ist nicht Gewalt, mir ist Recht geschehen. Die
Stände, die dem Ergebnis des Staatsstreiches zur staatsrechtlichen Sanktionierung
verhelfen, machen sich damit zu Mitschuldigen des Staatsstreiches. Ein Monarch,
der in die durch eine Revolution, also gewaltsam, bewirkte Schmülerung oder
Vernichtung seiner staatsrechtlich festgelegten Macht sich fügt, indem er durch eine
Verzichtserklärung das Ergebnis der Revolution als zu Recht bestehend anerkennt,
der macht sich damit zum Mitschuldigen der Revolution. Dasselbe gilt von einer
Beamtenschaft, die nach einem ohne ihr Zutun und gegen ihren Willen gewaltsam
bewirkten Wechsel der Staatsform im Amte bleibt und von den revolutionären
Gewalthabern Befehle annimmt.
In allen diesen Fällen ist es der mit dem schwächeren Machtwillen, der
nachgibt, es ist, wie gewöhnlich, der Dümmere. Denn dies lehrt, so scheint mir,
die Geschichte: wo immer ein Vergewaltigter sich der Gewalt gefügt, an ihrer
Umwandlung in Recht mitgewirkt hat, da hat er durch seine Fügsamkeit bewiesen,
daß ihm Recht geschehen war, daß er sein Schicksal verdiente. Wären, in dem
Beispiel vom Staatssireich, Stände und Volk standhaft geblieben, so hätten eben
sie schließlich ihren Willen durchgedrückt. Ist jemals ein Monarch gut dabei ge¬
fahren, wenn er, durch revolutionären Rechtsbruch in seiner staatsrechtlichen Macht
geschmälert, dach feierlichen Verzicht auf das Geraubte die ihm angetcme Gewalt
Recht machte? Nicht, daß ich wüßte. Wäre es nicht heilsamer sür das
Ansehen und die Macht der Dynastie gewesen, wenn, 1843, Friedlich Wilhelm
der Vierte sich der Gewalt nicht unterworfen hätte? Wie unbequem war doch
für Preußen die standhafte Weigerung des Waisenhauses, seine gewaltsame
Enteignung durch einen förmlichen Verzicht staatsrechtlich zu sanktionierenl
Die Welfenfrage war, was der Arzt einen locus minons rssistentias nennt, ein«!
kleine wunde Stelle am Körper des preußischen Staatsrechtes; und es fehlte nie
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