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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.

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Gewalt und Recht

Fortsetzung des Krieges den Unterschied der Gewalten noch weiter zu seinen Gunsten
vergrößern werde-, oder er kann von ihr eine Verschiebung zu seinen Ungunsten
befruchten. Der Unterlegene kann retten wollen, was zu retten ist. oder er kann
hoffen, die Zeit werde für ihn wirken. Schließlich kommt der Tag. wo beide
bereit sind, gemeinsam an die Festlegung des Kriegsergebnisses zu gehen: es kommt
zu Friedensverhandlungen. Uno wodurch wird diese Festlegung bewirkt? Dadurch,
daß das im Kriegsve,rf>'ehren gefundene wirkliche Verhältnis der physischen Gewalten
zur Grundlage eines Staats Vertrages, bat es zu Recht gemacht wird. In jedem
Friedensschlüsse wird aus Gewalt neues Recht.

Ein Beispiel: Durch den Krimkrieg wurde festgestellt, daß die Physische
Gewalt Rußlands nickt ausreichte, das Schicksal der Türkei matzgebend zu be¬
stimmen. Diese gewaltsame Feststellung bekam im Friedensverträge zunächst durch
die Neutralisierung des Schwarzen Meeres, in sein,r späteren Modifizierung durch
die Schließung der Dardanellen für russische Kriegsschiffe ihre völkerrechtliche
Fix erring. Während des Krieges halte England, dank der Überlegenheit seiner
maritimen Kriegsmiitel, die physische Macht, die russische Flotte vom Schwarzen
Meere zu vertreiben und die Dardanellen faktisch zu schließen. Gäbe es keine
Siantsverträge, so hülle England, falls es russischen Kriegsschiffen die Durchfahrt
der Dardanellen weiterhin verwehren wollte, dauernd eine hinreichend starke Flotte
im Bospo-us stationieren müssen; es batie also fortwährend von neuem praktisch
beweisen müssen, daß es noch immer eine hinreichende physische Überlegenheit habe,
um Nußland in d eher Frage seinen Willen aufzwingen zu können. Dieser dauernde
Aufwand von physischer Gewalt würde durch das im Friedensverträge neugeschaffene
siecht übeiflüsiig gemacht. In ihm verpflichtete sich Nußland auch fürderhin so
zu tun, als ob tatsächlich eine englische Flotte im Bosporus liege, bereit, seinen
Kriegsschiffen die Einfuhrt in die Dardanellen mit Gewalt zu wehren; es ver¬
zichtete auf ewig auf freie Dmchfah,t. Dieser gewaltsam erzwungene Verzicht
wurde durch seine Annahme in da? Friedensinstrument Bestandteil des geltenden
Völkerrechtes: on? Gewalt wurde wieder einmal Recht.

Zweck des Völkerrechtes ist es also, die Gewalt als Mittel zur Regelung
der internationalen Beziehungen entbehrlich zu machen; an Stelle der einen Macht¬
form, der Gewalt, setzt es eine andere Machtform, das Recht. Es hat vor der
Gewalt den Vorteil, daß es ökonomischer, handlicher ist; wie das Kreditwesen
ökonomischer und barbu.t'er ist als der Tauschhandel. Aber wie die Voraus¬
setzung, die Grundlaqe aller Kreditgeschäfte irgend ein realer Wert ist, so ist die
Voraussetzung und die Grundlaqe alles Rechtes die reale Macht, die phyüsche
Vewalt. die hinter dem Rechte steht bereit und fähig ihm Geltung zu erzwingen.

Gewalt also ist die Mutter, sie ist auch die Ernährerin und Besmirmerin
alles geltenden Völkerrech es. Die rechtlichen Beziehungen der Nationen Europas,
die bei dem Ausbruch des großen Krieges in Geltung sea wen waren in den
wesentlichen Punkten, vor allem in der Begrenzung der Staatsgebiete, der
Rciederschlag der in früheren Friedensschlüssen zu Recht gewordenen Gewalt. In
unwesentlichen Fragen mochte das zwischen zwei Nationen geltende Recht friedlich
abgeändert werden, ohne neue Ermittlung des wahren Verhältnisses ihrer physischen
Geuwlten also, ohne w terdn esu'g der Rechtstominuität. Selbst unwesentliche
Gehietsversckiebungen konnten so zustande kommen. So überließ uns Frankreich
duich friedlichen Vertrag den Kongozipsel; deswegen blieb doch für alle wesentlichen
rechilichcn Beziehungen zwischen uns und ihm der Frankfurter Friede die Grund¬
lage, in dem das Ergebnis der letzten gewal samen Feststellung der Machtrelation
zwischen Deutschland'und Frankre es verrechMcht worden ist.

Wie das geltende Völkerrecht, so sind auch die gellenden Staatsrechte letzten
Endes aus der Gewalt hervorgegangen. Ich glaube nickt, daß es heute einen
Staat gibt, in dem die RecklskontiüU tat nie durch Staatsstreiche oder Revolutionen
unterbrochen worden wäre, und was sind Staatsstreiche und Revolutionen anderes
als gewaltsame Ermittlungsverfahren mit dem Zwecke, festzustellen, welches das
wahre Verhältnis der physischen Gewalten sei, die den konkurrierenden staatlichen
Organen zur Verfügung stehen?


Gewalt und Recht

Fortsetzung des Krieges den Unterschied der Gewalten noch weiter zu seinen Gunsten
vergrößern werde-, oder er kann von ihr eine Verschiebung zu seinen Ungunsten
befruchten. Der Unterlegene kann retten wollen, was zu retten ist. oder er kann
hoffen, die Zeit werde für ihn wirken. Schließlich kommt der Tag. wo beide
bereit sind, gemeinsam an die Festlegung des Kriegsergebnisses zu gehen: es kommt
zu Friedensverhandlungen. Uno wodurch wird diese Festlegung bewirkt? Dadurch,
daß das im Kriegsve,rf>'ehren gefundene wirkliche Verhältnis der physischen Gewalten
zur Grundlage eines Staats Vertrages, bat es zu Recht gemacht wird. In jedem
Friedensschlüsse wird aus Gewalt neues Recht.

Ein Beispiel: Durch den Krimkrieg wurde festgestellt, daß die Physische
Gewalt Rußlands nickt ausreichte, das Schicksal der Türkei matzgebend zu be¬
stimmen. Diese gewaltsame Feststellung bekam im Friedensverträge zunächst durch
die Neutralisierung des Schwarzen Meeres, in sein,r späteren Modifizierung durch
die Schließung der Dardanellen für russische Kriegsschiffe ihre völkerrechtliche
Fix erring. Während des Krieges halte England, dank der Überlegenheit seiner
maritimen Kriegsmiitel, die physische Macht, die russische Flotte vom Schwarzen
Meere zu vertreiben und die Dardanellen faktisch zu schließen. Gäbe es keine
Siantsverträge, so hülle England, falls es russischen Kriegsschiffen die Durchfahrt
der Dardanellen weiterhin verwehren wollte, dauernd eine hinreichend starke Flotte
im Bospo-us stationieren müssen; es batie also fortwährend von neuem praktisch
beweisen müssen, daß es noch immer eine hinreichende physische Überlegenheit habe,
um Nußland in d eher Frage seinen Willen aufzwingen zu können. Dieser dauernde
Aufwand von physischer Gewalt würde durch das im Friedensverträge neugeschaffene
siecht übeiflüsiig gemacht. In ihm verpflichtete sich Nußland auch fürderhin so
zu tun, als ob tatsächlich eine englische Flotte im Bosporus liege, bereit, seinen
Kriegsschiffen die Einfuhrt in die Dardanellen mit Gewalt zu wehren; es ver¬
zichtete auf ewig auf freie Dmchfah,t. Dieser gewaltsam erzwungene Verzicht
wurde durch seine Annahme in da? Friedensinstrument Bestandteil des geltenden
Völkerrechtes: on? Gewalt wurde wieder einmal Recht.

Zweck des Völkerrechtes ist es also, die Gewalt als Mittel zur Regelung
der internationalen Beziehungen entbehrlich zu machen; an Stelle der einen Macht¬
form, der Gewalt, setzt es eine andere Machtform, das Recht. Es hat vor der
Gewalt den Vorteil, daß es ökonomischer, handlicher ist; wie das Kreditwesen
ökonomischer und barbu.t'er ist als der Tauschhandel. Aber wie die Voraus¬
setzung, die Grundlaqe aller Kreditgeschäfte irgend ein realer Wert ist, so ist die
Voraussetzung und die Grundlaqe alles Rechtes die reale Macht, die phyüsche
Vewalt. die hinter dem Rechte steht bereit und fähig ihm Geltung zu erzwingen.

Gewalt also ist die Mutter, sie ist auch die Ernährerin und Besmirmerin
alles geltenden Völkerrech es. Die rechtlichen Beziehungen der Nationen Europas,
die bei dem Ausbruch des großen Krieges in Geltung sea wen waren in den
wesentlichen Punkten, vor allem in der Begrenzung der Staatsgebiete, der
Rciederschlag der in früheren Friedensschlüssen zu Recht gewordenen Gewalt. In
unwesentlichen Fragen mochte das zwischen zwei Nationen geltende Recht friedlich
abgeändert werden, ohne neue Ermittlung des wahren Verhältnisses ihrer physischen
Geuwlten also, ohne w terdn esu'g der Rechtstominuität. Selbst unwesentliche
Gehietsversckiebungen konnten so zustande kommen. So überließ uns Frankreich
duich friedlichen Vertrag den Kongozipsel; deswegen blieb doch für alle wesentlichen
rechilichcn Beziehungen zwischen uns und ihm der Frankfurter Friede die Grund¬
lage, in dem das Ergebnis der letzten gewal samen Feststellung der Machtrelation
zwischen Deutschland'und Frankre es verrechMcht worden ist.

Wie das geltende Völkerrecht, so sind auch die gellenden Staatsrechte letzten
Endes aus der Gewalt hervorgegangen. Ich glaube nickt, daß es heute einen
Staat gibt, in dem die RecklskontiüU tat nie durch Staatsstreiche oder Revolutionen
unterbrochen worden wäre, und was sind Staatsstreiche und Revolutionen anderes
als gewaltsame Ermittlungsverfahren mit dem Zwecke, festzustellen, welches das
wahre Verhältnis der physischen Gewalten sei, die den konkurrierenden staatlichen
Organen zur Verfügung stehen?


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[0133] Gewalt und Recht Fortsetzung des Krieges den Unterschied der Gewalten noch weiter zu seinen Gunsten vergrößern werde-, oder er kann von ihr eine Verschiebung zu seinen Ungunsten befruchten. Der Unterlegene kann retten wollen, was zu retten ist. oder er kann hoffen, die Zeit werde für ihn wirken. Schließlich kommt der Tag. wo beide bereit sind, gemeinsam an die Festlegung des Kriegsergebnisses zu gehen: es kommt zu Friedensverhandlungen. Uno wodurch wird diese Festlegung bewirkt? Dadurch, daß das im Kriegsve,rf>'ehren gefundene wirkliche Verhältnis der physischen Gewalten zur Grundlage eines Staats Vertrages, bat es zu Recht gemacht wird. In jedem Friedensschlüsse wird aus Gewalt neues Recht. Ein Beispiel: Durch den Krimkrieg wurde festgestellt, daß die Physische Gewalt Rußlands nickt ausreichte, das Schicksal der Türkei matzgebend zu be¬ stimmen. Diese gewaltsame Feststellung bekam im Friedensverträge zunächst durch die Neutralisierung des Schwarzen Meeres, in sein,r späteren Modifizierung durch die Schließung der Dardanellen für russische Kriegsschiffe ihre völkerrechtliche Fix erring. Während des Krieges halte England, dank der Überlegenheit seiner maritimen Kriegsmiitel, die physische Macht, die russische Flotte vom Schwarzen Meere zu vertreiben und die Dardanellen faktisch zu schließen. Gäbe es keine Siantsverträge, so hülle England, falls es russischen Kriegsschiffen die Durchfahrt der Dardanellen weiterhin verwehren wollte, dauernd eine hinreichend starke Flotte im Bospo-us stationieren müssen; es batie also fortwährend von neuem praktisch beweisen müssen, daß es noch immer eine hinreichende physische Überlegenheit habe, um Nußland in d eher Frage seinen Willen aufzwingen zu können. Dieser dauernde Aufwand von physischer Gewalt würde durch das im Friedensverträge neugeschaffene siecht übeiflüsiig gemacht. In ihm verpflichtete sich Nußland auch fürderhin so zu tun, als ob tatsächlich eine englische Flotte im Bosporus liege, bereit, seinen Kriegsschiffen die Einfuhrt in die Dardanellen mit Gewalt zu wehren; es ver¬ zichtete auf ewig auf freie Dmchfah,t. Dieser gewaltsam erzwungene Verzicht wurde durch seine Annahme in da? Friedensinstrument Bestandteil des geltenden Völkerrechtes: on? Gewalt wurde wieder einmal Recht. Zweck des Völkerrechtes ist es also, die Gewalt als Mittel zur Regelung der internationalen Beziehungen entbehrlich zu machen; an Stelle der einen Macht¬ form, der Gewalt, setzt es eine andere Machtform, das Recht. Es hat vor der Gewalt den Vorteil, daß es ökonomischer, handlicher ist; wie das Kreditwesen ökonomischer und barbu.t'er ist als der Tauschhandel. Aber wie die Voraus¬ setzung, die Grundlaqe aller Kreditgeschäfte irgend ein realer Wert ist, so ist die Voraussetzung und die Grundlaqe alles Rechtes die reale Macht, die phyüsche Vewalt. die hinter dem Rechte steht bereit und fähig ihm Geltung zu erzwingen. Gewalt also ist die Mutter, sie ist auch die Ernährerin und Besmirmerin alles geltenden Völkerrech es. Die rechtlichen Beziehungen der Nationen Europas, die bei dem Ausbruch des großen Krieges in Geltung sea wen waren in den wesentlichen Punkten, vor allem in der Begrenzung der Staatsgebiete, der Rciederschlag der in früheren Friedensschlüssen zu Recht gewordenen Gewalt. In unwesentlichen Fragen mochte das zwischen zwei Nationen geltende Recht friedlich abgeändert werden, ohne neue Ermittlung des wahren Verhältnisses ihrer physischen Geuwlten also, ohne w terdn esu'g der Rechtstominuität. Selbst unwesentliche Gehietsversckiebungen konnten so zustande kommen. So überließ uns Frankreich duich friedlichen Vertrag den Kongozipsel; deswegen blieb doch für alle wesentlichen rechilichcn Beziehungen zwischen uns und ihm der Frankfurter Friede die Grund¬ lage, in dem das Ergebnis der letzten gewal samen Feststellung der Machtrelation zwischen Deutschland'und Frankre es verrechMcht worden ist. Wie das geltende Völkerrecht, so sind auch die gellenden Staatsrechte letzten Endes aus der Gewalt hervorgegangen. Ich glaube nickt, daß es heute einen Staat gibt, in dem die RecklskontiüU tat nie durch Staatsstreiche oder Revolutionen unterbrochen worden wäre, und was sind Staatsstreiche und Revolutionen anderes als gewaltsame Ermittlungsverfahren mit dem Zwecke, festzustellen, welches das wahre Verhältnis der physischen Gewalten sei, die den konkurrierenden staatlichen Organen zur Verfügung stehen?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_336289/133>, abgerufen am 15.01.2025.