Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.vom Altertum zur Gegenwart Wie sich nun dieses Weitergeben und Erleben der Antike gestaltet, wie sich In ähnlicher Weise zeigt Holl, wie die Kirche, "die einzige Einrichtung, Ein sehr anschauliches Bild vom Einfluß der Antike auf die deutsche vom Altertum zur Gegenwart Wie sich nun dieses Weitergeben und Erleben der Antike gestaltet, wie sich In ähnlicher Weise zeigt Holl, wie die Kirche, „die einzige Einrichtung, Ein sehr anschauliches Bild vom Einfluß der Antike auf die deutsche <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0100" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/336390"/> <fw type="header" place="top"> vom Altertum zur Gegenwart</fw><lb/> <p xml:id="ID_331"> Wie sich nun dieses Weitergeben und Erleben der Antike gestaltet, wie sich<lb/> insbesondere zunächst der Übergang von der Antike zum Mittelalter vollzogen<lb/> hat, zeigen in großen Zügen die Aufsätze von Alfons Dopsch, Karl Holl und<lb/> Eduard Norden für äußere Kultur und Wirtschaft, für Staat, Kirche und Kultur,<lb/> sowie für die Literatur. Indem Dopsch gründlich mit der falschen Vorstellung<lb/> von der Vernichtung der antiken Kultur durch die „barbarischen" Horden der<lb/> Völkerwanderung aufräumt und aufs klarste nachweist, daß die römischen Wirt¬<lb/> schaftsverhältnisse von den auf römische» Wohnplätzen heimisch gewordenen<lb/> Germanen sorgsam weiter ausgebildet wurden, kommt er zu dem Schlüsse, daß<lb/> die Einwirkungen der römischen Wirtschaft auf das frühgermanische Mittelalter<lb/> weitreichend und allseitig gewesen seien. „Es handelt sich dabei aber nicht um<lb/> eine schlichte Kopierung des alten, sondern um eine Neugestaltung, die auf<lb/> antiker Grundlage erwachsen, doch den Bedürfnissen der neuen Träger der Ent¬<lb/> wicklung angepaßt war."</p><lb/> <p xml:id="ID_332"> In ähnlicher Weise zeigt Holl, wie die Kirche, „die einzige Einrichtung,<lb/> die aufrechtstehend aus der alten in die neue Zeit hinüberging", als die eigentliche<lb/> Vermittlerin zwischen Altertum und Mittelalter alle Kräfte der Kultur in ihren<lb/> Dienst gestellt und insonderheit der Antike dadurch einen unvergleichlichen Dienst<lb/> geleistet hat, daß sie der auf der Antike beruhenden Kultur das wiedergewann,<lb/> was ihr seit dem Untergang der alten Stadtstaaten verloren gegangen war, „die<lb/> Beziehung auf ein großes Gesamtleben und auf einen höchsten Zweck." Erinnert<lb/> man sich aber, daß ein Jahrtausend später auch die Reformation ihre weltlichen<lb/> Vildungsmittel und Bildungsziele aus der Antike schöpfte, so liegt für das Gebiet<lb/> der Kirche die gestaltende Einwirkung der im Altertum wurzelnden Kultur hin¬<lb/> reichend klar zutage.</p><lb/> <p xml:id="ID_333" next="#ID_334"> Ein sehr anschauliches Bild vom Einfluß der Antike auf die deutsche<lb/> Geistesbildung ergibt sich für das lateinische Mittelalter aus dem Aufsatz<lb/> E. Nordens über die Literatur, für das deutsche Mittelalter und die Neuzeit aus<lb/> einer ausgeführten Skizze Gustav Noethes über denselben Gegenstand, weshalb<lb/> es sich auch empfiehlt, hier beide zusammen zu behandeln. Als unverlierbare<lb/> Größen retteten sich vor allem die Literaturformen aus dem Altertum hinüber<lb/> ins Mittelalter. Dabei ging in der Poesie Altheidnisches — Ausonius,<lb/> Claudianus — und Christliches, besonders vertreten durch die Hymnendichtuug,<lb/> noch eine Zeitlang nebeineinander her, bis sich die akzentuierende Poesie aus den<lb/> Kesseln des quantitierenden Verses löste und mit dem Reime die Brücke schlug<lb/> bis zum protestantischen Kirchenliede Martin Luthers und Paul Gerhardts. In<lb/> der Prosa handelte es sich zunächst nur um Weiterführung der antiken Historiographie<lb/> und um Zusammenfassung des Gesamtwissens in dem System der septem artes<lb/> liberales, bis man an die Stelle dieses „auf Flaschen gezogenen Bildungsexlraktes"<lb/> wieder die autores selbst treten ließ und schließlich durch die Vermittlung der<lb/> Römer auch zu Platon, den Tragikern und Homer wieder den Zugang gewann. —<lb/> Deutlicher noch zeigt uns der von Roethe behandelte Stoff, wie'nötig es ist, daß<lb/> wir die von Griechen und Römern gewiesenen Wege kennen, wenn wir uns<lb/> selbst verstehen, die unersetzlichen Geistesschätze unserer Ahnen uns wirklich treu<lb/> bewahren, ihren nationalen Edelgehalt ausschöpfen wollen. „Verlieren wir<lb/> die Fühlung mit Hellas und Rom, so erstarrt unser kostbarster, durchaus lebens¬<lb/> voller literarischer Besitz allmählich zu totem Stein, der uns zu Boden preßt,<lb/> nicht erhebt." Lateinischen Ursprungs war der Reim bei Otfried, auf die nach<lb/> Vergils Vorbild geschaffenen christlichen Dichtungen stützte sich der „Heiland",<lb/> Eckeharts Waltharius erklang zwar in lateinischer Sprache, war aber deutschen<lb/> Wesens und deutschen Geistes voll. Mancherlei, wenn auch noch nicht ganz klar<lb/> nachweisbare Kraft aus der Antike strömt den folgenden Jahrhunderten zu, bis<lb/> zuerst wieder beim Drama eines Frischlin, Hans Sachs und anderer deutlich<lb/> erkennbar wird, wie der alte Geist auf deutschem Boden neues Leben schafft.<lb/> Dann kommt die Zeit des Protestantismus, und mit ihr der Einzug deS Griechischen<lb/> in die deutsche Schule. Bald wird auf dem ungewöhnlichen Wege über Aristo-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0100]
vom Altertum zur Gegenwart
Wie sich nun dieses Weitergeben und Erleben der Antike gestaltet, wie sich
insbesondere zunächst der Übergang von der Antike zum Mittelalter vollzogen
hat, zeigen in großen Zügen die Aufsätze von Alfons Dopsch, Karl Holl und
Eduard Norden für äußere Kultur und Wirtschaft, für Staat, Kirche und Kultur,
sowie für die Literatur. Indem Dopsch gründlich mit der falschen Vorstellung
von der Vernichtung der antiken Kultur durch die „barbarischen" Horden der
Völkerwanderung aufräumt und aufs klarste nachweist, daß die römischen Wirt¬
schaftsverhältnisse von den auf römische» Wohnplätzen heimisch gewordenen
Germanen sorgsam weiter ausgebildet wurden, kommt er zu dem Schlüsse, daß
die Einwirkungen der römischen Wirtschaft auf das frühgermanische Mittelalter
weitreichend und allseitig gewesen seien. „Es handelt sich dabei aber nicht um
eine schlichte Kopierung des alten, sondern um eine Neugestaltung, die auf
antiker Grundlage erwachsen, doch den Bedürfnissen der neuen Träger der Ent¬
wicklung angepaßt war."
In ähnlicher Weise zeigt Holl, wie die Kirche, „die einzige Einrichtung,
die aufrechtstehend aus der alten in die neue Zeit hinüberging", als die eigentliche
Vermittlerin zwischen Altertum und Mittelalter alle Kräfte der Kultur in ihren
Dienst gestellt und insonderheit der Antike dadurch einen unvergleichlichen Dienst
geleistet hat, daß sie der auf der Antike beruhenden Kultur das wiedergewann,
was ihr seit dem Untergang der alten Stadtstaaten verloren gegangen war, „die
Beziehung auf ein großes Gesamtleben und auf einen höchsten Zweck." Erinnert
man sich aber, daß ein Jahrtausend später auch die Reformation ihre weltlichen
Vildungsmittel und Bildungsziele aus der Antike schöpfte, so liegt für das Gebiet
der Kirche die gestaltende Einwirkung der im Altertum wurzelnden Kultur hin¬
reichend klar zutage.
Ein sehr anschauliches Bild vom Einfluß der Antike auf die deutsche
Geistesbildung ergibt sich für das lateinische Mittelalter aus dem Aufsatz
E. Nordens über die Literatur, für das deutsche Mittelalter und die Neuzeit aus
einer ausgeführten Skizze Gustav Noethes über denselben Gegenstand, weshalb
es sich auch empfiehlt, hier beide zusammen zu behandeln. Als unverlierbare
Größen retteten sich vor allem die Literaturformen aus dem Altertum hinüber
ins Mittelalter. Dabei ging in der Poesie Altheidnisches — Ausonius,
Claudianus — und Christliches, besonders vertreten durch die Hymnendichtuug,
noch eine Zeitlang nebeineinander her, bis sich die akzentuierende Poesie aus den
Kesseln des quantitierenden Verses löste und mit dem Reime die Brücke schlug
bis zum protestantischen Kirchenliede Martin Luthers und Paul Gerhardts. In
der Prosa handelte es sich zunächst nur um Weiterführung der antiken Historiographie
und um Zusammenfassung des Gesamtwissens in dem System der septem artes
liberales, bis man an die Stelle dieses „auf Flaschen gezogenen Bildungsexlraktes"
wieder die autores selbst treten ließ und schließlich durch die Vermittlung der
Römer auch zu Platon, den Tragikern und Homer wieder den Zugang gewann. —
Deutlicher noch zeigt uns der von Roethe behandelte Stoff, wie'nötig es ist, daß
wir die von Griechen und Römern gewiesenen Wege kennen, wenn wir uns
selbst verstehen, die unersetzlichen Geistesschätze unserer Ahnen uns wirklich treu
bewahren, ihren nationalen Edelgehalt ausschöpfen wollen. „Verlieren wir
die Fühlung mit Hellas und Rom, so erstarrt unser kostbarster, durchaus lebens¬
voller literarischer Besitz allmählich zu totem Stein, der uns zu Boden preßt,
nicht erhebt." Lateinischen Ursprungs war der Reim bei Otfried, auf die nach
Vergils Vorbild geschaffenen christlichen Dichtungen stützte sich der „Heiland",
Eckeharts Waltharius erklang zwar in lateinischer Sprache, war aber deutschen
Wesens und deutschen Geistes voll. Mancherlei, wenn auch noch nicht ganz klar
nachweisbare Kraft aus der Antike strömt den folgenden Jahrhunderten zu, bis
zuerst wieder beim Drama eines Frischlin, Hans Sachs und anderer deutlich
erkennbar wird, wie der alte Geist auf deutschem Boden neues Leben schafft.
Dann kommt die Zeit des Protestantismus, und mit ihr der Einzug deS Griechischen
in die deutsche Schule. Bald wird auf dem ungewöhnlichen Wege über Aristo-
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