Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.vom Altertum zur Gegenwart einem einleitenden Aufsatze über den Humanismus als Tradition und Er¬ Es kann nicht unsere Absicht sein, so verlockend es auch wäre, die sechs- Das Buch verfolgt, wie im Geleitwort ausdrücklich hervorgehoben wird, Wer ein Bild geben will von der Nachwirkung der Antike auf die Gegen¬ So hat es sich, wie durch das ganze Buch bewiesen wird, alle Jahr¬ 8"
vom Altertum zur Gegenwart einem einleitenden Aufsatze über den Humanismus als Tradition und Er¬ Es kann nicht unsere Absicht sein, so verlockend es auch wäre, die sechs- Das Buch verfolgt, wie im Geleitwort ausdrücklich hervorgehoben wird, Wer ein Bild geben will von der Nachwirkung der Antike auf die Gegen¬ So hat es sich, wie durch das ganze Buch bewiesen wird, alle Jahr¬ 8»
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0099" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/336389"/> <fw type="header" place="top"> vom Altertum zur Gegenwart</fw><lb/> <p xml:id="ID_326" prev="#ID_325"> einem einleitenden Aufsatze über den Humanismus als Tradition und Er¬<lb/> lebnis zunächst in sechs Skizzen die Zusammenhänge im allgemeinen, dann in<lb/> achtzehn kürzeren Abhandlungen die Zusammenhänge auf den einzelnen Gebieten<lb/> besprochen werden; den Schluß bildet eine äußerst geschmackvolle Erörterung über<lb/> den Wert der Übersetzung für den Humanismus.</p><lb/> <p xml:id="ID_327"> Es kann nicht unsere Absicht sein, so verlockend es auch wäre, die sechs-<lb/> undzwanzig Beiträge der einzelnen Verfasser der Reihe nach durchzusprechen.<lb/> Das Buch muß trotz seiner Vieltciligkeit als Ganzes gewürdigt werden, und<lb/> darum sei es auch uns erlaubt an einzelnen Höhepunkten länger zu verweilen,<lb/> andere Strecken schneller zu durcheilen und in der Hauptsache zusammenfassend<lb/> zu berichten, welche hohe Bedeutung dem Gange vom Altertum zur Gegenwart<lb/> gerade auch für die Zeiten des künftigen Aufbaus in deutschen Landen<lb/> zukommt.</p><lb/> <p xml:id="ID_328"> Das Buch verfolgt, wie im Geleitwort ausdrücklich hervorgehoben wird,<lb/> durchaus keine apologetischen Absichten. Es will lediglich die Einheit der geistigen<lb/> Well aufzeigen, als die sich die Entwicklung vom Altertum über Mittelalter und<lb/> Renaissance bis zur Gegenwart dem in die Tiefe dringenden Blick darstellt.<lb/> Daß dieser Nachweis auch dazu dienen werde, die im Geheimen der Volksseele<lb/> fortwirkenden Daseinswerte wieder nutzbar zu machen und in unseun Volke den<lb/> Glauben an sich, an die Aufgabe, die es in der Menschheit zu erfüllen hat, wieder<lb/> zu wecken, ist die zuversichtliche Hoffnung der beiden Herausgeber.</p><lb/> <p xml:id="ID_329"> Wer ein Bild geben will von der Nachwirkung der Antike auf die Gegen¬<lb/> wart, muß notwendig von der Frage ausgehen, in welcher Weise der Humanismus<lb/> auch unser Geistesleben noch zu beeinflussen befähigt und berufen ist. Werner<lb/> Jäger, der Verfasser der bereits erwähnten Abhandlung über den Humanismus<lb/> als Tradition und Erlebnis, setzt sieh's daher zur Aufgabe, den Humanismus nicht<lb/> von Gesichtspunkten der äußeren Organisation und des Lehrplanes aus, sondern<lb/> „in seinen geistigen Notwendigkeiten" zu verstehen. Dabei findet er, daß der<lb/> deutsche Geist sich zunächst begnügt habe mit einer sehr langen Periode der bloß<lb/> Passiver Aufnahme griechisch römischen Lehnguts, dann aber von der „rohen,<lb/> stofflichen Rezeption" vorgedrungen sei zur produktiven Aneignung, so daß die<lb/> Elemente des der Antike entnommenen Kulturbesitzes unserem Organismus mehr<lb/> und mehr als geistige Kräfte ins Bewußtsein traten. Ohne daß die Tradition<lb/> jemals aufgehört hätte ihren Stoff den aufeinanderfolgenden Kulturepochen, zu<lb/> übermitteln, hat sie sich eben durch ihre fortschreitende Vergeistigung zur leben-<lb/> schaffenden Kraft hindurchgerungen. Dadurch wurde der Humanismus dem<lb/> deutschen wie auch allen anderen Kulturvölkern zum Erlebnis, und es handelt<lb/> sich für die Bildung der Gegenwart nicht mehr um die bloße Aufnahme eines<lb/> überlieferten Stoffs, sondern um das Erleben der Antike als formgebende Kraft.<lb/> Diese Wirkung hat sich in allen Zeiten hoher Kultur regelmäßig geltend gemacht,<lb/> und so kommt es, daß die Antike in diesen Zeiten „niemals als Tradition,<lb/> sondern umgekehrt als Gegengift und Schutzwehr gegen die Tradition" erscheint.<lb/> Freilich, auf die augenblickliche Loslösung folgte jedesmal wieder eine Rückkehr<lb/> zur Tradition, nur sozusagen von einer höheren Stufe aus, zu der sich die<lb/> Bildung inzwischen durch das neue Erleben der Antike emporgeschwungen hatte.</p><lb/> <p xml:id="ID_330"> So hat es sich, wie durch das ganze Buch bewiesen wird, alle Jahr¬<lb/> hunderte hindurch wiederholt und wird sich auch jetzt wiederholen müssen; denn<lb/> „der Hellenismus ist ein historisches Schicksal, dem man nicht entfliehen kann,<lb/> so wenig man die Geschichte des Geistes ungeschehen machen und dre lebendige<lb/> Quelle verstopfen kann." Zu dem Schema vom gleichmäßigen „Fortschritt"<lb/> wäg dieser Wechsel zwischen Tradition und Erlebnis freilich schlecht genug passen.<lb/> Viel eher gleicht er dem Fackelwettlauf der alten Athener: die aneinander vor-<lb/> überfliehendcn Generationen werfen sich gegenseitig die brennende Fackel zu, und<lb/> wer sie mit fester Faust packt, der schwingt sie hoch empor und tragt ste em Stück<lb/> Weges vorwärts, bis er sie dem Nachfolgenden übergibt. Der Sinn des Laufes<lb/> aber ist die Lebendigerhaltung der göttlichen Geistesflammen . . .</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 8»</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0099]
vom Altertum zur Gegenwart
einem einleitenden Aufsatze über den Humanismus als Tradition und Er¬
lebnis zunächst in sechs Skizzen die Zusammenhänge im allgemeinen, dann in
achtzehn kürzeren Abhandlungen die Zusammenhänge auf den einzelnen Gebieten
besprochen werden; den Schluß bildet eine äußerst geschmackvolle Erörterung über
den Wert der Übersetzung für den Humanismus.
Es kann nicht unsere Absicht sein, so verlockend es auch wäre, die sechs-
undzwanzig Beiträge der einzelnen Verfasser der Reihe nach durchzusprechen.
Das Buch muß trotz seiner Vieltciligkeit als Ganzes gewürdigt werden, und
darum sei es auch uns erlaubt an einzelnen Höhepunkten länger zu verweilen,
andere Strecken schneller zu durcheilen und in der Hauptsache zusammenfassend
zu berichten, welche hohe Bedeutung dem Gange vom Altertum zur Gegenwart
gerade auch für die Zeiten des künftigen Aufbaus in deutschen Landen
zukommt.
Das Buch verfolgt, wie im Geleitwort ausdrücklich hervorgehoben wird,
durchaus keine apologetischen Absichten. Es will lediglich die Einheit der geistigen
Well aufzeigen, als die sich die Entwicklung vom Altertum über Mittelalter und
Renaissance bis zur Gegenwart dem in die Tiefe dringenden Blick darstellt.
Daß dieser Nachweis auch dazu dienen werde, die im Geheimen der Volksseele
fortwirkenden Daseinswerte wieder nutzbar zu machen und in unseun Volke den
Glauben an sich, an die Aufgabe, die es in der Menschheit zu erfüllen hat, wieder
zu wecken, ist die zuversichtliche Hoffnung der beiden Herausgeber.
Wer ein Bild geben will von der Nachwirkung der Antike auf die Gegen¬
wart, muß notwendig von der Frage ausgehen, in welcher Weise der Humanismus
auch unser Geistesleben noch zu beeinflussen befähigt und berufen ist. Werner
Jäger, der Verfasser der bereits erwähnten Abhandlung über den Humanismus
als Tradition und Erlebnis, setzt sieh's daher zur Aufgabe, den Humanismus nicht
von Gesichtspunkten der äußeren Organisation und des Lehrplanes aus, sondern
„in seinen geistigen Notwendigkeiten" zu verstehen. Dabei findet er, daß der
deutsche Geist sich zunächst begnügt habe mit einer sehr langen Periode der bloß
Passiver Aufnahme griechisch römischen Lehnguts, dann aber von der „rohen,
stofflichen Rezeption" vorgedrungen sei zur produktiven Aneignung, so daß die
Elemente des der Antike entnommenen Kulturbesitzes unserem Organismus mehr
und mehr als geistige Kräfte ins Bewußtsein traten. Ohne daß die Tradition
jemals aufgehört hätte ihren Stoff den aufeinanderfolgenden Kulturepochen, zu
übermitteln, hat sie sich eben durch ihre fortschreitende Vergeistigung zur leben-
schaffenden Kraft hindurchgerungen. Dadurch wurde der Humanismus dem
deutschen wie auch allen anderen Kulturvölkern zum Erlebnis, und es handelt
sich für die Bildung der Gegenwart nicht mehr um die bloße Aufnahme eines
überlieferten Stoffs, sondern um das Erleben der Antike als formgebende Kraft.
Diese Wirkung hat sich in allen Zeiten hoher Kultur regelmäßig geltend gemacht,
und so kommt es, daß die Antike in diesen Zeiten „niemals als Tradition,
sondern umgekehrt als Gegengift und Schutzwehr gegen die Tradition" erscheint.
Freilich, auf die augenblickliche Loslösung folgte jedesmal wieder eine Rückkehr
zur Tradition, nur sozusagen von einer höheren Stufe aus, zu der sich die
Bildung inzwischen durch das neue Erleben der Antike emporgeschwungen hatte.
So hat es sich, wie durch das ganze Buch bewiesen wird, alle Jahr¬
hunderte hindurch wiederholt und wird sich auch jetzt wiederholen müssen; denn
„der Hellenismus ist ein historisches Schicksal, dem man nicht entfliehen kann,
so wenig man die Geschichte des Geistes ungeschehen machen und dre lebendige
Quelle verstopfen kann." Zu dem Schema vom gleichmäßigen „Fortschritt"
wäg dieser Wechsel zwischen Tradition und Erlebnis freilich schlecht genug passen.
Viel eher gleicht er dem Fackelwettlauf der alten Athener: die aneinander vor-
überfliehendcn Generationen werfen sich gegenseitig die brennende Fackel zu, und
wer sie mit fester Faust packt, der schwingt sie hoch empor und tragt ste em Stück
Weges vorwärts, bis er sie dem Nachfolgenden übergibt. Der Sinn des Laufes
aber ist die Lebendigerhaltung der göttlichen Geistesflammen . . .
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