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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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leichtere seinerseits wieder das Vorschreiten in der Richtung gegen die Sozialisierung.
Nicht übersehen werden darf endlich, daß allen Parteien, die Dauerndes schaffen
wollen, die Regelung der Finanzfragen, Valuta, Steuern^ Zinsendienst und wie sie
heißen mögen, die dringendste Sorge ist. Das hält die Parteien zusammen und
hat die Mehrheitsparteien auch veranlaßt, Beamte und Gelehrte in die Regierung
aufzunehmen, die ihnen selbst nicht angehören.

Es ist zweifellos ein Beweis politischer Fähigkeit, den man in Osterreich
kaum erhofft hätte, daß bisher -- wenn auch um hohen Preis, auch im strengsten
Sinne dieses Wortes -- die Ruhe und Ordnung erhalten blieb und daß die radikale
Flut aus Ungarn bisher nur sehr kleine Wellen in Deutschösterreich auswarf. Auf
der anderen Seite ist die nervöse Hast, mit der man die Gesetzgebungsmaschine
arbeiten läßt, gegenüber der Zeit der provisorischen Nationalversammlung noch
gestiegen. Vielverordnerei und eilige, zu nachnäglicher Verbesserung nötigende
Arbeit, fehlt nicht. Weniger wäre manchmal mehr. Aber daß viel und fleißig
gearbeitet und viel Guich geschaffen wird, kann man nicht leugnen. Immerhin
wird der Freund ruhiger Entwicklung nicht wünschen, daß die endgültige Ver¬
fassung solche Formen erhält, die eine langsamere und überlegtere Gesctzgebungs-
cirbeit erschweren. Gerade solche aber sind festgelegt worden: weder ein vom Volk
gewählter Präsident, noch eine zweite Kammer haben die Macht, der National¬
versammlung Bedenkzeiten aufzunötigen. Wieweit die Volksabstimmung ihre
Allmacht beschränken wird, muß die Erfahrung lehren. Der Präsident ist
nur das Organ der Nationalversammlung; mehr Einfluß hat der Staats¬
kanzler, wenigstens solange diese Stelle ein Mann wie Karl Renner bekleidet,
aber auch seine Macht ist von der alleinherrschenden Versammlung nicht unab¬
hängig. So muß man es beinahe begrüßen, daß die Regierung, um den
Kommunisten entgegenzukommen, an eine organische Einfügung des Rätcsystems
in die Verfassung und Verwaltung denkt. Im alten Osterreich waren die
sachlichen Beiräte -- neben dem Herrenhause, wie ich trotz aller Schmähreden
über diese Einrichtung der Vergangenheit auch heute meine, und vor ihm --
diejenigen Körperschaften, in denen am sachlichsten gearbeitet wurde -- und in
ihren Protokollen wäre auch für die republikanische Verwaltung und Gesetzgebung
viel wertvolles zu finden. Aber sie waren als bloße Beiräte praktisch machtlos.
Von den künstigen Räten ist eher zu besorgen, daß sie zu viel Macht erlangen
und sie zu einseitig ausüben werden. Aber wenn das vermieden wird, wenn sie
alle Gruppen der Bevölkerung umfassen, wenn sie in gerechter Verteilung als
Berufsvertretung gleichsam an Stelle der so oft schon geforderten berufsmäßig
aufgebauten zweiten Kammer ins Leben treten, so müssen sie auch den Bürger¬
lichen willkommen sein. Schon stellt man hier und da zu der Forderung nach
Arbeiter- und Bauernräten die nach Bürgerräten auf und hat gelegentlich solche
ins Leben gerufen. Aber im Wahlkampfe selbst trat die Frage der künftigen
Verfassung ebenso in den Hintergrund, wie bisher. Daß die Verfassungsfragen,
wie ich auch hervorgehoben habe, durch den Anschluß an Deutschland ein "an¬
deres Gesicht" erhalten, hätte kein Grund sein dürfen, sie außer Erörterung zu
lassen -- um so mehr, je unsicherer sich die Aussichten dieses Anschlusses noch während
der Mahlzeit, auch durch die Tätigkeit Allizes und die Einwirkung seiner Gehilfen
auf die christlichsvzialen Parteimänner, gestalteten. Die ungerechte und undemo¬
kratische Wahlordnung für Staat und Länder bietet so viel Angriffspunkte, daß
die Parteien, die durch sie benachteiligt sind, mit der Forderung nach einer besseren
viel Anklang hätten finden müssen, wenn sie es gewagt hätten, damit aufzutreten.
Aber hinter dem Wahlkampf standen unausgesprochen, noch viel weitertragende
Fragen der künftigen Staatsgestaltung. Wären sie der Bevölkerung und den
untergeordneten Parteiführern bewußt geworden, so sähe vielleicht das Wahl¬
ergebnis, jedenfalls die Wahlbeteiligung anders aus.

Sprechen wir zunächst von diesen! Die Zahl der nutzlos abgegebenen und
zersplitterten Stimmen war geringer, als bei der Wahl in die Nationalversammlung.
Diese hatte kein treues Bild der wirklichen Kräfteverteilung ergeben. Die Zahl


Dentschösterreich nach den Landtagswahlen

leichtere seinerseits wieder das Vorschreiten in der Richtung gegen die Sozialisierung.
Nicht übersehen werden darf endlich, daß allen Parteien, die Dauerndes schaffen
wollen, die Regelung der Finanzfragen, Valuta, Steuern^ Zinsendienst und wie sie
heißen mögen, die dringendste Sorge ist. Das hält die Parteien zusammen und
hat die Mehrheitsparteien auch veranlaßt, Beamte und Gelehrte in die Regierung
aufzunehmen, die ihnen selbst nicht angehören.

Es ist zweifellos ein Beweis politischer Fähigkeit, den man in Osterreich
kaum erhofft hätte, daß bisher — wenn auch um hohen Preis, auch im strengsten
Sinne dieses Wortes — die Ruhe und Ordnung erhalten blieb und daß die radikale
Flut aus Ungarn bisher nur sehr kleine Wellen in Deutschösterreich auswarf. Auf
der anderen Seite ist die nervöse Hast, mit der man die Gesetzgebungsmaschine
arbeiten läßt, gegenüber der Zeit der provisorischen Nationalversammlung noch
gestiegen. Vielverordnerei und eilige, zu nachnäglicher Verbesserung nötigende
Arbeit, fehlt nicht. Weniger wäre manchmal mehr. Aber daß viel und fleißig
gearbeitet und viel Guich geschaffen wird, kann man nicht leugnen. Immerhin
wird der Freund ruhiger Entwicklung nicht wünschen, daß die endgültige Ver¬
fassung solche Formen erhält, die eine langsamere und überlegtere Gesctzgebungs-
cirbeit erschweren. Gerade solche aber sind festgelegt worden: weder ein vom Volk
gewählter Präsident, noch eine zweite Kammer haben die Macht, der National¬
versammlung Bedenkzeiten aufzunötigen. Wieweit die Volksabstimmung ihre
Allmacht beschränken wird, muß die Erfahrung lehren. Der Präsident ist
nur das Organ der Nationalversammlung; mehr Einfluß hat der Staats¬
kanzler, wenigstens solange diese Stelle ein Mann wie Karl Renner bekleidet,
aber auch seine Macht ist von der alleinherrschenden Versammlung nicht unab¬
hängig. So muß man es beinahe begrüßen, daß die Regierung, um den
Kommunisten entgegenzukommen, an eine organische Einfügung des Rätcsystems
in die Verfassung und Verwaltung denkt. Im alten Osterreich waren die
sachlichen Beiräte — neben dem Herrenhause, wie ich trotz aller Schmähreden
über diese Einrichtung der Vergangenheit auch heute meine, und vor ihm —
diejenigen Körperschaften, in denen am sachlichsten gearbeitet wurde — und in
ihren Protokollen wäre auch für die republikanische Verwaltung und Gesetzgebung
viel wertvolles zu finden. Aber sie waren als bloße Beiräte praktisch machtlos.
Von den künstigen Räten ist eher zu besorgen, daß sie zu viel Macht erlangen
und sie zu einseitig ausüben werden. Aber wenn das vermieden wird, wenn sie
alle Gruppen der Bevölkerung umfassen, wenn sie in gerechter Verteilung als
Berufsvertretung gleichsam an Stelle der so oft schon geforderten berufsmäßig
aufgebauten zweiten Kammer ins Leben treten, so müssen sie auch den Bürger¬
lichen willkommen sein. Schon stellt man hier und da zu der Forderung nach
Arbeiter- und Bauernräten die nach Bürgerräten auf und hat gelegentlich solche
ins Leben gerufen. Aber im Wahlkampfe selbst trat die Frage der künftigen
Verfassung ebenso in den Hintergrund, wie bisher. Daß die Verfassungsfragen,
wie ich auch hervorgehoben habe, durch den Anschluß an Deutschland ein „an¬
deres Gesicht" erhalten, hätte kein Grund sein dürfen, sie außer Erörterung zu
lassen — um so mehr, je unsicherer sich die Aussichten dieses Anschlusses noch während
der Mahlzeit, auch durch die Tätigkeit Allizes und die Einwirkung seiner Gehilfen
auf die christlichsvzialen Parteimänner, gestalteten. Die ungerechte und undemo¬
kratische Wahlordnung für Staat und Länder bietet so viel Angriffspunkte, daß
die Parteien, die durch sie benachteiligt sind, mit der Forderung nach einer besseren
viel Anklang hätten finden müssen, wenn sie es gewagt hätten, damit aufzutreten.
Aber hinter dem Wahlkampf standen unausgesprochen, noch viel weitertragende
Fragen der künftigen Staatsgestaltung. Wären sie der Bevölkerung und den
untergeordneten Parteiführern bewußt geworden, so sähe vielleicht das Wahl¬
ergebnis, jedenfalls die Wahlbeteiligung anders aus.

Sprechen wir zunächst von diesen! Die Zahl der nutzlos abgegebenen und
zersplitterten Stimmen war geringer, als bei der Wahl in die Nationalversammlung.
Diese hatte kein treues Bild der wirklichen Kräfteverteilung ergeben. Die Zahl


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[0295] Dentschösterreich nach den Landtagswahlen leichtere seinerseits wieder das Vorschreiten in der Richtung gegen die Sozialisierung. Nicht übersehen werden darf endlich, daß allen Parteien, die Dauerndes schaffen wollen, die Regelung der Finanzfragen, Valuta, Steuern^ Zinsendienst und wie sie heißen mögen, die dringendste Sorge ist. Das hält die Parteien zusammen und hat die Mehrheitsparteien auch veranlaßt, Beamte und Gelehrte in die Regierung aufzunehmen, die ihnen selbst nicht angehören. Es ist zweifellos ein Beweis politischer Fähigkeit, den man in Osterreich kaum erhofft hätte, daß bisher — wenn auch um hohen Preis, auch im strengsten Sinne dieses Wortes — die Ruhe und Ordnung erhalten blieb und daß die radikale Flut aus Ungarn bisher nur sehr kleine Wellen in Deutschösterreich auswarf. Auf der anderen Seite ist die nervöse Hast, mit der man die Gesetzgebungsmaschine arbeiten läßt, gegenüber der Zeit der provisorischen Nationalversammlung noch gestiegen. Vielverordnerei und eilige, zu nachnäglicher Verbesserung nötigende Arbeit, fehlt nicht. Weniger wäre manchmal mehr. Aber daß viel und fleißig gearbeitet und viel Guich geschaffen wird, kann man nicht leugnen. Immerhin wird der Freund ruhiger Entwicklung nicht wünschen, daß die endgültige Ver¬ fassung solche Formen erhält, die eine langsamere und überlegtere Gesctzgebungs- cirbeit erschweren. Gerade solche aber sind festgelegt worden: weder ein vom Volk gewählter Präsident, noch eine zweite Kammer haben die Macht, der National¬ versammlung Bedenkzeiten aufzunötigen. Wieweit die Volksabstimmung ihre Allmacht beschränken wird, muß die Erfahrung lehren. Der Präsident ist nur das Organ der Nationalversammlung; mehr Einfluß hat der Staats¬ kanzler, wenigstens solange diese Stelle ein Mann wie Karl Renner bekleidet, aber auch seine Macht ist von der alleinherrschenden Versammlung nicht unab¬ hängig. So muß man es beinahe begrüßen, daß die Regierung, um den Kommunisten entgegenzukommen, an eine organische Einfügung des Rätcsystems in die Verfassung und Verwaltung denkt. Im alten Osterreich waren die sachlichen Beiräte — neben dem Herrenhause, wie ich trotz aller Schmähreden über diese Einrichtung der Vergangenheit auch heute meine, und vor ihm — diejenigen Körperschaften, in denen am sachlichsten gearbeitet wurde — und in ihren Protokollen wäre auch für die republikanische Verwaltung und Gesetzgebung viel wertvolles zu finden. Aber sie waren als bloße Beiräte praktisch machtlos. Von den künstigen Räten ist eher zu besorgen, daß sie zu viel Macht erlangen und sie zu einseitig ausüben werden. Aber wenn das vermieden wird, wenn sie alle Gruppen der Bevölkerung umfassen, wenn sie in gerechter Verteilung als Berufsvertretung gleichsam an Stelle der so oft schon geforderten berufsmäßig aufgebauten zweiten Kammer ins Leben treten, so müssen sie auch den Bürger¬ lichen willkommen sein. Schon stellt man hier und da zu der Forderung nach Arbeiter- und Bauernräten die nach Bürgerräten auf und hat gelegentlich solche ins Leben gerufen. Aber im Wahlkampfe selbst trat die Frage der künftigen Verfassung ebenso in den Hintergrund, wie bisher. Daß die Verfassungsfragen, wie ich auch hervorgehoben habe, durch den Anschluß an Deutschland ein „an¬ deres Gesicht" erhalten, hätte kein Grund sein dürfen, sie außer Erörterung zu lassen — um so mehr, je unsicherer sich die Aussichten dieses Anschlusses noch während der Mahlzeit, auch durch die Tätigkeit Allizes und die Einwirkung seiner Gehilfen auf die christlichsvzialen Parteimänner, gestalteten. Die ungerechte und undemo¬ kratische Wahlordnung für Staat und Länder bietet so viel Angriffspunkte, daß die Parteien, die durch sie benachteiligt sind, mit der Forderung nach einer besseren viel Anklang hätten finden müssen, wenn sie es gewagt hätten, damit aufzutreten. Aber hinter dem Wahlkampf standen unausgesprochen, noch viel weitertragende Fragen der künftigen Staatsgestaltung. Wären sie der Bevölkerung und den untergeordneten Parteiführern bewußt geworden, so sähe vielleicht das Wahl¬ ergebnis, jedenfalls die Wahlbeteiligung anders aus. Sprechen wir zunächst von diesen! Die Zahl der nutzlos abgegebenen und zersplitterten Stimmen war geringer, als bei der Wahl in die Nationalversammlung. Diese hatte kein treues Bild der wirklichen Kräfteverteilung ergeben. Die Zahl

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/295>, abgerufen am 01.09.2024.