Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.Deutschösterroich nach den Landtagswahlen Bei den Wahlen für die Räte würden zwar die Bürgerlichen verschwinden, aber Solche Darlegungen können die Christlichsozialen nicht eben in ihrer Deutschösterroich nach den Landtagswahlen Bei den Wahlen für die Räte würden zwar die Bürgerlichen verschwinden, aber Solche Darlegungen können die Christlichsozialen nicht eben in ihrer <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0294" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/335706"/> <fw type="header" place="top"> Deutschösterroich nach den Landtagswahlen</fw><lb/> <p xml:id="ID_1265" prev="#ID_1264"> Bei den Wahlen für die Räte würden zwar die Bürgerlichen verschwinden, aber<lb/> die Mehrheit fiele nicht den Arbeitern, sondern den Bauern zu. Das sei in<lb/> Rußland (und nunmehr auch in Ungarn) dadurch verhindert worden, daß die<lb/> Bauern im Verhältnis zur Kopfzahl viel weniger Mandate erhielten, als die<lb/> Arbeiter. Unsere Bauern aber seien zu vorgeschritten und zu gut organisiert,<lb/> um sich das gefallen zu lassen. In den Räten stünde also eine sozialdemo¬<lb/> kratische und kommunistische Minderheit der bäuerlich-christlichsozialen Mehrheit<lb/> gegenüber. Da sei die Nationalversammlung noch besser, da in ihr die Sozial¬<lb/> demokratie von Fall zu Fall mit Hilfe der dritten Partei wichtiges erreichen oder<lb/> doch vieles verhindern könne. Man solle sich also vorläufig mit ihr bescheiden.<lb/> Die Entwicklung werde schon weiterführen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1266" next="#ID_1267"> Solche Darlegungen können die Christlichsozialen nicht eben in ihrer<lb/> Vundestreue bestärken. Wenn sie gleichwohl, auch in den Landtagen, weiter mit<lb/> den Sozialdemokraten zusammengehen, so erwarten sie offenbar, daß die Zeit<lb/> für sie und vor allem gegen die Sozialdemokraten arbeiten werde. Sie haben<lb/> allen Grund, das zu glauben. Der gleichen Meinung sind aber auch die Kom¬<lb/> munisten. Allerdings haben diese, was man vielfach nicht erwartete, auf eine<lb/> Wahlbeteiligung verzichtet und sich sehr ruhig verhalten. Diejenigen, welche<lb/> meinten, sie würden die Wahlen oder den Zusammentritt der Landtage gewaltsam<lb/> Verhindern, und unter diesem Vorwande selbst den Wahlen fernblieben, sind im<lb/> Irrtum gewesen. Man sagt, die Kommunisten legen sich vorläufig Zurückhaltung<lb/> auf, um die Nahrungszufuhr durch die Entente nicht zu gefährden, und. würden<lb/> noch der Ernte entschiedener auftreten. Sicher ist, daß sie auf die wachsende Un¬<lb/> zufriedenheit rechnen, die ihnen immer mehr Anhang aus sozialdemokratischen,<lb/> aber auch kleinbürgerlichen Kreisen verspricht, anch wenn die auswärtigen Ver¬<lb/> hältnisse ihnen nicht zugute kommen. Die Sozialdemokraten sind also gezwungen,<lb/> möglichst viel von ihren Parteiforderungen zu verwirklichen, um sich die bisherigen<lb/> Anhänger zu erhalten. Das wird ihnen aber dadurch erschwert, daß sie dem<lb/> Zusammengehen mit den Christlichsozialen zuliebe manche laut erhobene Forderung<lb/> zurückstellen müssen, z. B. die der Trennung der Kirche vom Staat. Um so rascher<lb/> lassen sie die Gesetzgebungsmaschine auf anderen Gebieten arbeiten, so in der<lb/> formellen Ausgestaltung der republikanischen Staatsform durch Verbannung des<lb/> bisherigen Herrscherhauses, Beschlagnahme seiner Güter, Abschaffung des Adels<lb/> und der Orden und andere Wiederholungen aus der französischen Revolution<lb/> und in der Vorbereitung der „Sozialisierung". Dabei halten die anderen Parteien,<lb/> selbst als Antragsteller, mit — teils wohl aus parteitaktischen Gründen, um den<lb/> Augcnblicksstimmungen der Bevölkerung Rechnung zu tragen, teils auch, weil die<lb/> bisherigen Anregungen noch innerhalb ihrer Parteiprogramme liegen, zum Teil<lb/> wohl auch, um die gegenwärtigen Führer der Sozialdemokratie gegenüber weniger<lb/> gebildeten aber radikaleren Parteigenossen im Sattel zu erhalten. Es ist ja kein<lb/> Zweifel, daß die Sozialdemokratie ihre einsichtigsten, weitestblickenden und sittlich<lb/> besten Männer, zugleich ihre reinsten Idealisten und Doktrinäre, um nicht zu<lb/> sagen Ideologen, an die Spitze der Regierung gebracht hat. Männer wie Renner.<lb/> Bauer, Hartmann streben weder vorschnelle Zerstörung, uoch ungerechte Gewalt¬<lb/> herrschaft an. Wie sie an Wilson und den Weltvölkerbund glauben, so meinen sie<lb/> im Innern durch besonnene, aber durchgreifende Verwirklichung der Partei¬<lb/> grundsätze dauernde gesunde Zustände schaffen, einen Idealstaat ausbauen zu<lb/> können. Sie sind.politisch und historisch gebildet genug, um nichts überstürzen<lb/> zu wollen, andererseits aber sind die meisten von ihnen, wie alle echten Revolutio¬<lb/> näre, geneigt, die Bedeutung und Wirksamkeit programmatischer Erklärungen zu<lb/> überschätzen. So werden vielfach nach dem Muster der Menschenrechte oder der<lb/> österreichischen Staatsgrundgesetze allgemeine Grundsätze gesetzlich formuliert. Das<lb/> muß manchen herrschsüctigen Parteigenossen, die möglichst rasch die Früchte des<lb/> Machtgewinns ernten wollen, wider den Strich gehen. Aber es ist für die Nicht-<lb/> sozialisten leichter möglich, mit solchen Idealisten zusammenzugehen, als mit gänzlich<lb/> unhistorisch denkenden und minder gebildeten „Realpolitikern". Ihr Mithalten er-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0294]
Deutschösterroich nach den Landtagswahlen
Bei den Wahlen für die Räte würden zwar die Bürgerlichen verschwinden, aber
die Mehrheit fiele nicht den Arbeitern, sondern den Bauern zu. Das sei in
Rußland (und nunmehr auch in Ungarn) dadurch verhindert worden, daß die
Bauern im Verhältnis zur Kopfzahl viel weniger Mandate erhielten, als die
Arbeiter. Unsere Bauern aber seien zu vorgeschritten und zu gut organisiert,
um sich das gefallen zu lassen. In den Räten stünde also eine sozialdemo¬
kratische und kommunistische Minderheit der bäuerlich-christlichsozialen Mehrheit
gegenüber. Da sei die Nationalversammlung noch besser, da in ihr die Sozial¬
demokratie von Fall zu Fall mit Hilfe der dritten Partei wichtiges erreichen oder
doch vieles verhindern könne. Man solle sich also vorläufig mit ihr bescheiden.
Die Entwicklung werde schon weiterführen.
Solche Darlegungen können die Christlichsozialen nicht eben in ihrer
Vundestreue bestärken. Wenn sie gleichwohl, auch in den Landtagen, weiter mit
den Sozialdemokraten zusammengehen, so erwarten sie offenbar, daß die Zeit
für sie und vor allem gegen die Sozialdemokraten arbeiten werde. Sie haben
allen Grund, das zu glauben. Der gleichen Meinung sind aber auch die Kom¬
munisten. Allerdings haben diese, was man vielfach nicht erwartete, auf eine
Wahlbeteiligung verzichtet und sich sehr ruhig verhalten. Diejenigen, welche
meinten, sie würden die Wahlen oder den Zusammentritt der Landtage gewaltsam
Verhindern, und unter diesem Vorwande selbst den Wahlen fernblieben, sind im
Irrtum gewesen. Man sagt, die Kommunisten legen sich vorläufig Zurückhaltung
auf, um die Nahrungszufuhr durch die Entente nicht zu gefährden, und. würden
noch der Ernte entschiedener auftreten. Sicher ist, daß sie auf die wachsende Un¬
zufriedenheit rechnen, die ihnen immer mehr Anhang aus sozialdemokratischen,
aber auch kleinbürgerlichen Kreisen verspricht, anch wenn die auswärtigen Ver¬
hältnisse ihnen nicht zugute kommen. Die Sozialdemokraten sind also gezwungen,
möglichst viel von ihren Parteiforderungen zu verwirklichen, um sich die bisherigen
Anhänger zu erhalten. Das wird ihnen aber dadurch erschwert, daß sie dem
Zusammengehen mit den Christlichsozialen zuliebe manche laut erhobene Forderung
zurückstellen müssen, z. B. die der Trennung der Kirche vom Staat. Um so rascher
lassen sie die Gesetzgebungsmaschine auf anderen Gebieten arbeiten, so in der
formellen Ausgestaltung der republikanischen Staatsform durch Verbannung des
bisherigen Herrscherhauses, Beschlagnahme seiner Güter, Abschaffung des Adels
und der Orden und andere Wiederholungen aus der französischen Revolution
und in der Vorbereitung der „Sozialisierung". Dabei halten die anderen Parteien,
selbst als Antragsteller, mit — teils wohl aus parteitaktischen Gründen, um den
Augcnblicksstimmungen der Bevölkerung Rechnung zu tragen, teils auch, weil die
bisherigen Anregungen noch innerhalb ihrer Parteiprogramme liegen, zum Teil
wohl auch, um die gegenwärtigen Führer der Sozialdemokratie gegenüber weniger
gebildeten aber radikaleren Parteigenossen im Sattel zu erhalten. Es ist ja kein
Zweifel, daß die Sozialdemokratie ihre einsichtigsten, weitestblickenden und sittlich
besten Männer, zugleich ihre reinsten Idealisten und Doktrinäre, um nicht zu
sagen Ideologen, an die Spitze der Regierung gebracht hat. Männer wie Renner.
Bauer, Hartmann streben weder vorschnelle Zerstörung, uoch ungerechte Gewalt¬
herrschaft an. Wie sie an Wilson und den Weltvölkerbund glauben, so meinen sie
im Innern durch besonnene, aber durchgreifende Verwirklichung der Partei¬
grundsätze dauernde gesunde Zustände schaffen, einen Idealstaat ausbauen zu
können. Sie sind.politisch und historisch gebildet genug, um nichts überstürzen
zu wollen, andererseits aber sind die meisten von ihnen, wie alle echten Revolutio¬
näre, geneigt, die Bedeutung und Wirksamkeit programmatischer Erklärungen zu
überschätzen. So werden vielfach nach dem Muster der Menschenrechte oder der
österreichischen Staatsgrundgesetze allgemeine Grundsätze gesetzlich formuliert. Das
muß manchen herrschsüctigen Parteigenossen, die möglichst rasch die Früchte des
Machtgewinns ernten wollen, wider den Strich gehen. Aber es ist für die Nicht-
sozialisten leichter möglich, mit solchen Idealisten zusammenzugehen, als mit gänzlich
unhistorisch denkenden und minder gebildeten „Realpolitikern". Ihr Mithalten er-
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