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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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legenheiten einer Möglichkeit und der Notwendigkeit einer Verständigung mit
England nachgegangen werden. Tatsache ist, daß England, als es erst durch
unser Ungeschick Frankreich und Nußland in die Arme getrieben war, da? Netz
in dem wir uns gefangen haben, im geheimen mit List und mit dem Aufgebot
oller nur erdenklichen politischen Sophistereien gesponnen hat. Schon 1912 schreibt
der Londoner Botschafter Graf Benckendorf an Snsonow in being auf die ge¬
plante "Umgestaltung" der Entente in einen neuen Dreibund, man würde damit
"die Hauptsache erreicht haben, nämlich wie bisher allzu theoretischen und fried¬
lichen Grundgedanken der Entente durch etwas Greifbares zu ersetzen." Aber
"ein öffentliches Bündnis würde in England nnr ein günstigeres Feld für die
Agitation zugunsten Deutschlands bieten". Im freien England ist die Volks¬
vertretung weder über die Verständigung und militärischen Abreden Englands
mit dein revanchelüsternen Frankreich noch über die Marinekonvcntionen mit
Nußland unterrichtet worden. Ewig denkwürdig ist die wunderbare Erklärung
Greys auf die Anfrage des Liberalen King im Parlament kurz vor Kriegsausbruch,
bezüglich eines Marineabkommens mit Rußland, daß es "keine unveröffentlichten
Abmachungen gäbe, welche im Falle eines europäischen Krieges die Freiheit der
Regierung oder des Parlaments über die Teilnahme Englands an demselben
einschränken oder behindern würden. Keine derartigen Verhandlungen sind im
Gange und es werden, soweit ich das beurteilen kann, keine eingeleitet werden".
Dem Grafen Benckendorf gegenüber bedauerte Grey, das "ungelegene Indis-
kretionen" vorgekommen seien und skizzierte ihm die Antwort, die er im Unterhaus
geben würde, um die Sache zu "verschleiern". Grey wußte, daß es in England
zwei Strömungen gab. Eine cntentefreundliche, rationalistisch-imperialistische, die
den deutschen Konkurrenten nach allbewährter englischer Methode beseitigen wollte,
und eine pazifistische, die eine Verständigung mit uns für wünschenswert hielt.
Er selbst war, obgleich er zu den imperialistischen Liberalen zählte, in der Theorie
Pazifist, geriet aber in immer größere Abhängigkeit von der Entente und wurde
schließlich zum Förderer der aggressiven Politik Frankreichs und Rußlands, die zu
Taten schritt, als in Sicht des Bagdadabkommens eine neue Möglichkeit der An¬
näherung zwischen Deutschland und England auftauchte. Als wir aus der Wirrnis der
Fußangel, in die unsere auswärtige Politik geraten war, einen Ausweg suchten und
schließlich in der Notwehr zum Schwert griffen, hat Grey die Verletzung der belgi¬
schen Neutralität klug benutzt, um die öffentliche Meinung in England gegen uns auf-
Mpeitschen. Der tiefere Grund für die Teilnahme Englands am Kriege war sie nicht.
Trotz aller Verschleierungen war die englische Politik durchsichtig genug. Es wollte
unseren Tod l Heute zweifelt wohl unter uns keiner mehr daran, auch die nicht, die sich
bon der Schalmei des Rattenfängers von Washington betören ließen. Wenn die ver¬
blendeten Völker des feindlichen Auslandes auch nur einen Schimmer von Kritik be¬
saßen, müßte sich ihnen die zwingendeLogik der Erkenntnis offenbaren, daß Deutschland
den Krieg nie hat wollen können. Die Ungunst seiner geographischen Lage, die auf
fortschreitender Überalterung hindeutenden Zustände in Österreich-Ungarn, Italiens
Gegensatz zu Osterreich, das schon lange vor dem österreichischen Ultimatum an
Serbien zu erkennen gab, daß es im Falle eines Konflikts nicht an der Seite
Österreichs zu finden sein würde, seine seelische Harmonie und sorgfältig vor dem
Bundesgenossen verheimlichten Abmachungen mit Frankreich, dem es schon 1902
versprochen hat, nicht gegen Frankreich das Schwert zu ziehen. Rumäniens
höchst unsichere Bundesgenossenschaft, die durch einen Krieg unvermeidliche
Preisgabe der deutschen Kolonien samt der Handelsflotte und vor allen Dingen
ungeheuer schwierigen Probleme, die selbst ein siegreich beendeter Krieg auf dem
europäischen Kontinent aufrollen mußte, so vor allem die schier unlösbare polnische
"rage, mußten Deutschland friedfertig stimmen. Das Kriegsziel Deutschlands,
dle von Nußland seit Jahrhunderten betriebene Nandstaatenpolitik, sicher zum
Heile der Kultur, mitteleuropäisch zu wenden und damit einen Kristallisations-
^null für einen wahren Völkerbund zu schaffen, ist erst aus den überraschenden
-Naffencrfolgen erwachsen. Versailles Brest-Litowsk entgegenzustellen, vermag nur


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legenheiten einer Möglichkeit und der Notwendigkeit einer Verständigung mit
England nachgegangen werden. Tatsache ist, daß England, als es erst durch
unser Ungeschick Frankreich und Nußland in die Arme getrieben war, da? Netz
in dem wir uns gefangen haben, im geheimen mit List und mit dem Aufgebot
oller nur erdenklichen politischen Sophistereien gesponnen hat. Schon 1912 schreibt
der Londoner Botschafter Graf Benckendorf an Snsonow in being auf die ge¬
plante „Umgestaltung" der Entente in einen neuen Dreibund, man würde damit
„die Hauptsache erreicht haben, nämlich wie bisher allzu theoretischen und fried¬
lichen Grundgedanken der Entente durch etwas Greifbares zu ersetzen." Aber
„ein öffentliches Bündnis würde in England nnr ein günstigeres Feld für die
Agitation zugunsten Deutschlands bieten". Im freien England ist die Volks¬
vertretung weder über die Verständigung und militärischen Abreden Englands
mit dein revanchelüsternen Frankreich noch über die Marinekonvcntionen mit
Nußland unterrichtet worden. Ewig denkwürdig ist die wunderbare Erklärung
Greys auf die Anfrage des Liberalen King im Parlament kurz vor Kriegsausbruch,
bezüglich eines Marineabkommens mit Rußland, daß es „keine unveröffentlichten
Abmachungen gäbe, welche im Falle eines europäischen Krieges die Freiheit der
Regierung oder des Parlaments über die Teilnahme Englands an demselben
einschränken oder behindern würden. Keine derartigen Verhandlungen sind im
Gange und es werden, soweit ich das beurteilen kann, keine eingeleitet werden".
Dem Grafen Benckendorf gegenüber bedauerte Grey, das „ungelegene Indis-
kretionen" vorgekommen seien und skizzierte ihm die Antwort, die er im Unterhaus
geben würde, um die Sache zu „verschleiern". Grey wußte, daß es in England
zwei Strömungen gab. Eine cntentefreundliche, rationalistisch-imperialistische, die
den deutschen Konkurrenten nach allbewährter englischer Methode beseitigen wollte,
und eine pazifistische, die eine Verständigung mit uns für wünschenswert hielt.
Er selbst war, obgleich er zu den imperialistischen Liberalen zählte, in der Theorie
Pazifist, geriet aber in immer größere Abhängigkeit von der Entente und wurde
schließlich zum Förderer der aggressiven Politik Frankreichs und Rußlands, die zu
Taten schritt, als in Sicht des Bagdadabkommens eine neue Möglichkeit der An¬
näherung zwischen Deutschland und England auftauchte. Als wir aus der Wirrnis der
Fußangel, in die unsere auswärtige Politik geraten war, einen Ausweg suchten und
schließlich in der Notwehr zum Schwert griffen, hat Grey die Verletzung der belgi¬
schen Neutralität klug benutzt, um die öffentliche Meinung in England gegen uns auf-
Mpeitschen. Der tiefere Grund für die Teilnahme Englands am Kriege war sie nicht.
Trotz aller Verschleierungen war die englische Politik durchsichtig genug. Es wollte
unseren Tod l Heute zweifelt wohl unter uns keiner mehr daran, auch die nicht, die sich
bon der Schalmei des Rattenfängers von Washington betören ließen. Wenn die ver¬
blendeten Völker des feindlichen Auslandes auch nur einen Schimmer von Kritik be¬
saßen, müßte sich ihnen die zwingendeLogik der Erkenntnis offenbaren, daß Deutschland
den Krieg nie hat wollen können. Die Ungunst seiner geographischen Lage, die auf
fortschreitender Überalterung hindeutenden Zustände in Österreich-Ungarn, Italiens
Gegensatz zu Osterreich, das schon lange vor dem österreichischen Ultimatum an
Serbien zu erkennen gab, daß es im Falle eines Konflikts nicht an der Seite
Österreichs zu finden sein würde, seine seelische Harmonie und sorgfältig vor dem
Bundesgenossen verheimlichten Abmachungen mit Frankreich, dem es schon 1902
versprochen hat, nicht gegen Frankreich das Schwert zu ziehen. Rumäniens
höchst unsichere Bundesgenossenschaft, die durch einen Krieg unvermeidliche
Preisgabe der deutschen Kolonien samt der Handelsflotte und vor allen Dingen
ungeheuer schwierigen Probleme, die selbst ein siegreich beendeter Krieg auf dem
europäischen Kontinent aufrollen mußte, so vor allem die schier unlösbare polnische
»rage, mußten Deutschland friedfertig stimmen. Das Kriegsziel Deutschlands,
dle von Nußland seit Jahrhunderten betriebene Nandstaatenpolitik, sicher zum
Heile der Kultur, mitteleuropäisch zu wenden und damit einen Kristallisations-
^null für einen wahren Völkerbund zu schaffen, ist erst aus den überraschenden
-Naffencrfolgen erwachsen. Versailles Brest-Litowsk entgegenzustellen, vermag nur


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[0241] G. von Iagow's Buch legenheiten einer Möglichkeit und der Notwendigkeit einer Verständigung mit England nachgegangen werden. Tatsache ist, daß England, als es erst durch unser Ungeschick Frankreich und Nußland in die Arme getrieben war, da? Netz in dem wir uns gefangen haben, im geheimen mit List und mit dem Aufgebot oller nur erdenklichen politischen Sophistereien gesponnen hat. Schon 1912 schreibt der Londoner Botschafter Graf Benckendorf an Snsonow in being auf die ge¬ plante „Umgestaltung" der Entente in einen neuen Dreibund, man würde damit „die Hauptsache erreicht haben, nämlich wie bisher allzu theoretischen und fried¬ lichen Grundgedanken der Entente durch etwas Greifbares zu ersetzen." Aber „ein öffentliches Bündnis würde in England nnr ein günstigeres Feld für die Agitation zugunsten Deutschlands bieten". Im freien England ist die Volks¬ vertretung weder über die Verständigung und militärischen Abreden Englands mit dein revanchelüsternen Frankreich noch über die Marinekonvcntionen mit Nußland unterrichtet worden. Ewig denkwürdig ist die wunderbare Erklärung Greys auf die Anfrage des Liberalen King im Parlament kurz vor Kriegsausbruch, bezüglich eines Marineabkommens mit Rußland, daß es „keine unveröffentlichten Abmachungen gäbe, welche im Falle eines europäischen Krieges die Freiheit der Regierung oder des Parlaments über die Teilnahme Englands an demselben einschränken oder behindern würden. Keine derartigen Verhandlungen sind im Gange und es werden, soweit ich das beurteilen kann, keine eingeleitet werden". Dem Grafen Benckendorf gegenüber bedauerte Grey, das „ungelegene Indis- kretionen" vorgekommen seien und skizzierte ihm die Antwort, die er im Unterhaus geben würde, um die Sache zu „verschleiern". Grey wußte, daß es in England zwei Strömungen gab. Eine cntentefreundliche, rationalistisch-imperialistische, die den deutschen Konkurrenten nach allbewährter englischer Methode beseitigen wollte, und eine pazifistische, die eine Verständigung mit uns für wünschenswert hielt. Er selbst war, obgleich er zu den imperialistischen Liberalen zählte, in der Theorie Pazifist, geriet aber in immer größere Abhängigkeit von der Entente und wurde schließlich zum Förderer der aggressiven Politik Frankreichs und Rußlands, die zu Taten schritt, als in Sicht des Bagdadabkommens eine neue Möglichkeit der An¬ näherung zwischen Deutschland und England auftauchte. Als wir aus der Wirrnis der Fußangel, in die unsere auswärtige Politik geraten war, einen Ausweg suchten und schließlich in der Notwehr zum Schwert griffen, hat Grey die Verletzung der belgi¬ schen Neutralität klug benutzt, um die öffentliche Meinung in England gegen uns auf- Mpeitschen. Der tiefere Grund für die Teilnahme Englands am Kriege war sie nicht. Trotz aller Verschleierungen war die englische Politik durchsichtig genug. Es wollte unseren Tod l Heute zweifelt wohl unter uns keiner mehr daran, auch die nicht, die sich bon der Schalmei des Rattenfängers von Washington betören ließen. Wenn die ver¬ blendeten Völker des feindlichen Auslandes auch nur einen Schimmer von Kritik be¬ saßen, müßte sich ihnen die zwingendeLogik der Erkenntnis offenbaren, daß Deutschland den Krieg nie hat wollen können. Die Ungunst seiner geographischen Lage, die auf fortschreitender Überalterung hindeutenden Zustände in Österreich-Ungarn, Italiens Gegensatz zu Osterreich, das schon lange vor dem österreichischen Ultimatum an Serbien zu erkennen gab, daß es im Falle eines Konflikts nicht an der Seite Österreichs zu finden sein würde, seine seelische Harmonie und sorgfältig vor dem Bundesgenossen verheimlichten Abmachungen mit Frankreich, dem es schon 1902 versprochen hat, nicht gegen Frankreich das Schwert zu ziehen. Rumäniens höchst unsichere Bundesgenossenschaft, die durch einen Krieg unvermeidliche Preisgabe der deutschen Kolonien samt der Handelsflotte und vor allen Dingen ungeheuer schwierigen Probleme, die selbst ein siegreich beendeter Krieg auf dem europäischen Kontinent aufrollen mußte, so vor allem die schier unlösbare polnische »rage, mußten Deutschland friedfertig stimmen. Das Kriegsziel Deutschlands, dle von Nußland seit Jahrhunderten betriebene Nandstaatenpolitik, sicher zum Heile der Kultur, mitteleuropäisch zu wenden und damit einen Kristallisations- ^null für einen wahren Völkerbund zu schaffen, ist erst aus den überraschenden -Naffencrfolgen erwachsen. Versailles Brest-Litowsk entgegenzustellen, vermag nur

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/241>, abgerufen am 01.09.2024.