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Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr.

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Das Ende und der Bankrott der deutschen Marokkopolitik

durch internationale Polizeiorgane wurde preisgegeben, damit aber auch das
Recht der politischen Kontrolle zur Sicherung der wirtschaftlichen Belange. Der
Erfolg war trotz aller Nachgiebigkeit für Deutschland gleich Null. Auf der anderen
Seite war das französische Nationalgefühl empfindlich gereizt und das Selbst¬
bewußtsein Frankreichs im Vollgefühl der Unterstützung durch Großbritannien
gewaltig gesteigert worden. Frankreich müszte mit Recht aus dem ewigen
Schwanken der deutschen Politik und dem fortgesetzten Nachgeben den Schluß
ziehen, daß Deutschland auf seine innere Kraft nicht vertraue und nur bluffe,
jedenfalls nicht die nötige militärische Stärke besitze, um sich den westlichen
Mächten gegenüber durchzusetzen. Der Ratschlag des Fürsten Bismcirck, Frank¬
reich in Nordafrika zu beschäftigen und dadurch seinen Blick von dein krampfhaften
Hinstarren nach dem Vogesenlöch abzulenken, war in verhängnisvoller Weise ver¬
lassen worden. Gerade das, was man hätte vermeiden müssen, war eingetreten.
Das Nevanchegesühl in der französischen Volksseele war wieder geweckt und drängte
nach Betätigung und Auswirkung.

Niemand, der heute unvoreingenommen die Geschickte des Marokkostreites
rückblickend betrachtet, wird behaupten können, daß diese Affäre unbedingt zu einer
Verfeindung zwischen Deutschland, Frankreich und England hätte führen müssen.
Es ist heute durch die Hammannschen Erinnerungen ("Zur Vorgeschichte des Welt¬
krieges") zur Evidenz festgestellt, daß England mehrmals dem deutschen Reiche
eine Verständigung über das Scherifenreich angetragen hat. Beide Gelegenheiten,
die von 1898 und die von 1901, ließ die deutsche Neichsregierung unbegreiflicher¬
weise vorübergehen, weil sie in ihrer Kurzsichtigkeit die Tragweite der Anerbietungen
nicht abzuschätzen vermochte. Dieselben Verhältnisse, die die Ablehnung des eng¬
lischen Bündnisangebots um die Jahrhundertwende veranlaßt haben, scheinen auch
die rechtzeitige Verständigung über Marokko verhindert zu haben. Diese Politik
der verpaßten Gelegenheilen hat letzten Endes zum Weltkrieg geführt. Im vor¬
liegenden Falle führte sie zunächst zur Annäherung zwischen England und Frank¬
reich, zur lZntents corciisls um das Jahr Z903. Die ersten Früchte des "herzlichen
Einvernehmens" hatte man in dem englisch-französischen Kolonialabkommen vom
8. April 1904 zu sehen, in welchem Frankreich das englische Protektorat in Ägypten,
und England dasjenige Frankreichs über Marokko anerkannte und sich außerdem
zu jeder Unterstützung der französischen Ansprüche dritten Mächten gegenüber ver¬
pflichtete. Em Teilungsvertrag zwischen Italien und Frankreich über die Auf¬
teilung von Nordafrika und die Überlassung von Tripolis an Italien war voran¬
gegangen, ein ebensolcher über die Beteiligung Spaniens an dem marokkanischen
Raube folgte im Sommer 1904. -- Freilich war die ganze Aufteilung vou Marokko
ein offenkundiger Raub, alles Reden von der Wahrung der Souveränität des
Maghzen eitles Gerede und Phrase, dritte Mächte wurden in dem spanisch-
französischen Vertrage ausdrücklich von territorialer Beteiligung ausgeschlossen, aber
die Mächtegruppierung war unter diesen Verhältnissen eine derartige, daß Deutsch¬
land, von der schwachen österreichischen Unterstützung abgesehen, vollständig isoliert
war und mit dem aktiven oder passiven Widerstand von vier Großmächten zu
rechnen hatte. Diese Lage verkannt zu haben, ist das Verhängnis und die Tragik
des deutschen Kurses in der Marokkopolitik. Vielleicht wäre es vor dem formellen
Abschluß des englisch - französischen Kolonialabkvmmens noch möglich gewesen,
Garantien für den Schutz von Deutschlands wirtschaftlichen Interessen in Marokko
zu schaffen und für die Aufrechterhaltung der offenen Tür zu sorgen. Es wäre
Pflicht der deutschen Regierung gewesen, beim Auftauchen der ersten Nachrichten
von einer beginnenden englisch-französischen Verständigung über Marokko in vor¬
sichtiger Weise bei diesen beiden Mächten zu Sortieren und von ihnen rechtzeitig
die erforderlichen Zugeständnisse für den Schutz der deutschen Interessen zu erwirken.
Statt dessen zog man im Auswärtigen Amte vor, zunächst zu schweigen, Reserve
zu beobachten. War es da ein Wunder, daß bei den Feinden, insbesondere bei
Delcasse, dem damaligen französischen Minister des Auswärtigen der Eindruck
entstehen mußte, Deutschland habe keine Ansprüche anzumelden. Um so größer


Das Ende und der Bankrott der deutschen Marokkopolitik

durch internationale Polizeiorgane wurde preisgegeben, damit aber auch das
Recht der politischen Kontrolle zur Sicherung der wirtschaftlichen Belange. Der
Erfolg war trotz aller Nachgiebigkeit für Deutschland gleich Null. Auf der anderen
Seite war das französische Nationalgefühl empfindlich gereizt und das Selbst¬
bewußtsein Frankreichs im Vollgefühl der Unterstützung durch Großbritannien
gewaltig gesteigert worden. Frankreich müszte mit Recht aus dem ewigen
Schwanken der deutschen Politik und dem fortgesetzten Nachgeben den Schluß
ziehen, daß Deutschland auf seine innere Kraft nicht vertraue und nur bluffe,
jedenfalls nicht die nötige militärische Stärke besitze, um sich den westlichen
Mächten gegenüber durchzusetzen. Der Ratschlag des Fürsten Bismcirck, Frank¬
reich in Nordafrika zu beschäftigen und dadurch seinen Blick von dein krampfhaften
Hinstarren nach dem Vogesenlöch abzulenken, war in verhängnisvoller Weise ver¬
lassen worden. Gerade das, was man hätte vermeiden müssen, war eingetreten.
Das Nevanchegesühl in der französischen Volksseele war wieder geweckt und drängte
nach Betätigung und Auswirkung.

Niemand, der heute unvoreingenommen die Geschickte des Marokkostreites
rückblickend betrachtet, wird behaupten können, daß diese Affäre unbedingt zu einer
Verfeindung zwischen Deutschland, Frankreich und England hätte führen müssen.
Es ist heute durch die Hammannschen Erinnerungen („Zur Vorgeschichte des Welt¬
krieges") zur Evidenz festgestellt, daß England mehrmals dem deutschen Reiche
eine Verständigung über das Scherifenreich angetragen hat. Beide Gelegenheiten,
die von 1898 und die von 1901, ließ die deutsche Neichsregierung unbegreiflicher¬
weise vorübergehen, weil sie in ihrer Kurzsichtigkeit die Tragweite der Anerbietungen
nicht abzuschätzen vermochte. Dieselben Verhältnisse, die die Ablehnung des eng¬
lischen Bündnisangebots um die Jahrhundertwende veranlaßt haben, scheinen auch
die rechtzeitige Verständigung über Marokko verhindert zu haben. Diese Politik
der verpaßten Gelegenheilen hat letzten Endes zum Weltkrieg geführt. Im vor¬
liegenden Falle führte sie zunächst zur Annäherung zwischen England und Frank¬
reich, zur lZntents corciisls um das Jahr Z903. Die ersten Früchte des „herzlichen
Einvernehmens" hatte man in dem englisch-französischen Kolonialabkommen vom
8. April 1904 zu sehen, in welchem Frankreich das englische Protektorat in Ägypten,
und England dasjenige Frankreichs über Marokko anerkannte und sich außerdem
zu jeder Unterstützung der französischen Ansprüche dritten Mächten gegenüber ver¬
pflichtete. Em Teilungsvertrag zwischen Italien und Frankreich über die Auf¬
teilung von Nordafrika und die Überlassung von Tripolis an Italien war voran¬
gegangen, ein ebensolcher über die Beteiligung Spaniens an dem marokkanischen
Raube folgte im Sommer 1904. — Freilich war die ganze Aufteilung vou Marokko
ein offenkundiger Raub, alles Reden von der Wahrung der Souveränität des
Maghzen eitles Gerede und Phrase, dritte Mächte wurden in dem spanisch-
französischen Vertrage ausdrücklich von territorialer Beteiligung ausgeschlossen, aber
die Mächtegruppierung war unter diesen Verhältnissen eine derartige, daß Deutsch¬
land, von der schwachen österreichischen Unterstützung abgesehen, vollständig isoliert
war und mit dem aktiven oder passiven Widerstand von vier Großmächten zu
rechnen hatte. Diese Lage verkannt zu haben, ist das Verhängnis und die Tragik
des deutschen Kurses in der Marokkopolitik. Vielleicht wäre es vor dem formellen
Abschluß des englisch - französischen Kolonialabkvmmens noch möglich gewesen,
Garantien für den Schutz von Deutschlands wirtschaftlichen Interessen in Marokko
zu schaffen und für die Aufrechterhaltung der offenen Tür zu sorgen. Es wäre
Pflicht der deutschen Regierung gewesen, beim Auftauchen der ersten Nachrichten
von einer beginnenden englisch-französischen Verständigung über Marokko in vor¬
sichtiger Weise bei diesen beiden Mächten zu Sortieren und von ihnen rechtzeitig
die erforderlichen Zugeständnisse für den Schutz der deutschen Interessen zu erwirken.
Statt dessen zog man im Auswärtigen Amte vor, zunächst zu schweigen, Reserve
zu beobachten. War es da ein Wunder, daß bei den Feinden, insbesondere bei
Delcasse, dem damaligen französischen Minister des Auswärtigen der Eindruck
entstehen mußte, Deutschland habe keine Ansprüche anzumelden. Um so größer


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[0210] Das Ende und der Bankrott der deutschen Marokkopolitik durch internationale Polizeiorgane wurde preisgegeben, damit aber auch das Recht der politischen Kontrolle zur Sicherung der wirtschaftlichen Belange. Der Erfolg war trotz aller Nachgiebigkeit für Deutschland gleich Null. Auf der anderen Seite war das französische Nationalgefühl empfindlich gereizt und das Selbst¬ bewußtsein Frankreichs im Vollgefühl der Unterstützung durch Großbritannien gewaltig gesteigert worden. Frankreich müszte mit Recht aus dem ewigen Schwanken der deutschen Politik und dem fortgesetzten Nachgeben den Schluß ziehen, daß Deutschland auf seine innere Kraft nicht vertraue und nur bluffe, jedenfalls nicht die nötige militärische Stärke besitze, um sich den westlichen Mächten gegenüber durchzusetzen. Der Ratschlag des Fürsten Bismcirck, Frank¬ reich in Nordafrika zu beschäftigen und dadurch seinen Blick von dein krampfhaften Hinstarren nach dem Vogesenlöch abzulenken, war in verhängnisvoller Weise ver¬ lassen worden. Gerade das, was man hätte vermeiden müssen, war eingetreten. Das Nevanchegesühl in der französischen Volksseele war wieder geweckt und drängte nach Betätigung und Auswirkung. Niemand, der heute unvoreingenommen die Geschickte des Marokkostreites rückblickend betrachtet, wird behaupten können, daß diese Affäre unbedingt zu einer Verfeindung zwischen Deutschland, Frankreich und England hätte führen müssen. Es ist heute durch die Hammannschen Erinnerungen („Zur Vorgeschichte des Welt¬ krieges") zur Evidenz festgestellt, daß England mehrmals dem deutschen Reiche eine Verständigung über das Scherifenreich angetragen hat. Beide Gelegenheiten, die von 1898 und die von 1901, ließ die deutsche Neichsregierung unbegreiflicher¬ weise vorübergehen, weil sie in ihrer Kurzsichtigkeit die Tragweite der Anerbietungen nicht abzuschätzen vermochte. Dieselben Verhältnisse, die die Ablehnung des eng¬ lischen Bündnisangebots um die Jahrhundertwende veranlaßt haben, scheinen auch die rechtzeitige Verständigung über Marokko verhindert zu haben. Diese Politik der verpaßten Gelegenheilen hat letzten Endes zum Weltkrieg geführt. Im vor¬ liegenden Falle führte sie zunächst zur Annäherung zwischen England und Frank¬ reich, zur lZntents corciisls um das Jahr Z903. Die ersten Früchte des „herzlichen Einvernehmens" hatte man in dem englisch-französischen Kolonialabkommen vom 8. April 1904 zu sehen, in welchem Frankreich das englische Protektorat in Ägypten, und England dasjenige Frankreichs über Marokko anerkannte und sich außerdem zu jeder Unterstützung der französischen Ansprüche dritten Mächten gegenüber ver¬ pflichtete. Em Teilungsvertrag zwischen Italien und Frankreich über die Auf¬ teilung von Nordafrika und die Überlassung von Tripolis an Italien war voran¬ gegangen, ein ebensolcher über die Beteiligung Spaniens an dem marokkanischen Raube folgte im Sommer 1904. — Freilich war die ganze Aufteilung vou Marokko ein offenkundiger Raub, alles Reden von der Wahrung der Souveränität des Maghzen eitles Gerede und Phrase, dritte Mächte wurden in dem spanisch- französischen Vertrage ausdrücklich von territorialer Beteiligung ausgeschlossen, aber die Mächtegruppierung war unter diesen Verhältnissen eine derartige, daß Deutsch¬ land, von der schwachen österreichischen Unterstützung abgesehen, vollständig isoliert war und mit dem aktiven oder passiven Widerstand von vier Großmächten zu rechnen hatte. Diese Lage verkannt zu haben, ist das Verhängnis und die Tragik des deutschen Kurses in der Marokkopolitik. Vielleicht wäre es vor dem formellen Abschluß des englisch - französischen Kolonialabkvmmens noch möglich gewesen, Garantien für den Schutz von Deutschlands wirtschaftlichen Interessen in Marokko zu schaffen und für die Aufrechterhaltung der offenen Tür zu sorgen. Es wäre Pflicht der deutschen Regierung gewesen, beim Auftauchen der ersten Nachrichten von einer beginnenden englisch-französischen Verständigung über Marokko in vor¬ sichtiger Weise bei diesen beiden Mächten zu Sortieren und von ihnen rechtzeitig die erforderlichen Zugeständnisse für den Schutz der deutschen Interessen zu erwirken. Statt dessen zog man im Auswärtigen Amte vor, zunächst zu schweigen, Reserve zu beobachten. War es da ein Wunder, daß bei den Feinden, insbesondere bei Delcasse, dem damaligen französischen Minister des Auswärtigen der Eindruck entstehen mußte, Deutschland habe keine Ansprüche anzumelden. Um so größer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341909_335407/210>, abgerufen am 01.09.2024.